In Verbindung mit der Göttlichen

Der Hype um Kate ist aktuell groß. 37 Jahre nach der Veröffentlichung von Running Up That Hill steht Kate mit ihrem Song auf vorderen Chart-Plätzen und die Musikwelt wundert sich. Je größer ein Hype, desto länger muss man nach Texten fahnden, in denen sich jemand ernsthaft mit Kate Bush beschäftigt und tatsächlich etwas zu sagen hat. Während sich der Boulevard schon nach zwei Wochen nicht mehr mit der Musik von Kate beschäftigt, sondern mit der Frage, wie viel sie denn nun mit dem Song heute verdient und ein Nachrichtenmagazin nahezu unwidersprochen behauptet, der Song werde aktuell verramscht, gibt es immerhin genau einen einzigen Beitrag, in dem es um Inhalte geht, der Autor das Phänomen Kate erklären und einordnen kann: Oliver Koerner von Gustorf hat für dieZeitschrift „Monopol – Magazin für Kunst und Leben“ genau hier eine bemerkenswerte Kolumne geschrieben, in der er zu einem überraschenden Ergebnis kommt: Nicht Netflix hat RUTH neues Leben eingehaucht, sondern Kate umgekehrt Stranger Things gerettet. Und weil dieser Beitrag so klug geschrieben ist, freue ich mich besonders, dass sowohl der Autor als auch der Verlag der Bitte, die Kolumne veröffentlichen zu dürfen, ohne zu zögern zugestimmt haben. Und: Ja, der Text ist lang. Aber er lohnt jede einzelne Zeile.

Von Oliver Koerner von Gustorf

Wenn ich aus dem Fenster gucke, ist meine Welt leer. Ich blicke auf Hügel, Felder und Wald. Kein Haus, kein Mensch. Ein bisschen wie in „Die Truman Show“. Manchmal fürchte ich, dass plötzlich ein Scheinwerfer aus dem gemalten Himmel fallen könnte. Ich mag diese leere Welt. Ich spüre diese Leere, wenn ich morgens auf meinem Smartphone durch die Nachrichten scrolle, brennende Weizenfelder in der Ukraine, Inflation, die Antisemitismus-Debatten um die Documenta, Elon Musk will, dass wir mehr Kinder bekommen. Ich rauche noch eine, hole Luft und schaue in meine kleine leere Welt, die blüht, vergeht, friert, über die Wolken ziehen, die völlig unberührt von diesen Nachrichten scheint. Da ist dieses Gefühl von Isolation, Sinnlosigkeit, aber auch von Ruhe und totaler Offenheit. Da ist dieses Gefühl einer Welt, die unendlich klein ist, in der jedes Detail wichtig wird, jedes Blatt, jeder Baum, jede Beziehung, Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft, jeder Fleck auf der Haut, jeder ausgefallene Zug, jede Meinung, jedes Zeichen einer Krise oder einer Besserung. Zugleich ist dies eine leere Welt, in der wirklich alles, alles möglich ist, unendlich groß, boden- und grenzenlos. Man möchte sich am Geländer festhalten, irgendwo Halt finden, spürt aber, das nicht mehr lange durchhalten zu können. Und da ist dieser Gedanke: sich einfach fallen zu lassen und zu sehen, was passiert. 
Vielleicht fühle nicht nur ich mich gerade so. „Die leere Welt“, das könnte der Name einer Wave-Band aus dem Berlin der frühen 1980er sein, in dem ich aufgewachsen bin. Es könnte aber auch der Name für eine Kolumne sein, in der es um das Jetzt geht – um diesen riesigen Echoraum, in dem all die Ideen, Looks, Sounds und Bilder nachhallen, die mich mein Leben lang begleitet haben, die ich heute als Pop-Omi in einem Lagerfeuer verheizen kann, um mir in harten Zeiten eine Tasse halluzinogenen Tee zu kochen. „Die leere Welt“ ist ein gutes Motto, um über spirituelle, feministische, schwule, transhumane, okkulte, verschrullte oder modische Sachen zu schreiben, auch wenn sie nicht mehr superheiß sind, sondern abgekühlt. „Die leere Welt“ ist exzentrisch, eklektisch, recycelt, zu viel, zu spät dran. 
Genau deshalb gibt es auch kein besseres Thema für den Auftakt zu dieser Kolumne als Kate Bush, die wegen ihres Hits „Running Up That Hill (A Deal with God)“ in den letzten Wochen in den Medien omnipräsent war. Der Song spielt in der 4. Staffel der populären Mystery-Horror-Serie „Stranger Things“ auf Netflix eine wichtige Rolle. 37 Jahre nach seiner Veröffentlichung landete er im Juni in Großbritannien und Australien auf Platz eins in den Billboard-Charts, in den USA in den „Top 5“. Allein auf Spotify wurde der Song seit dem Start von „Stranger Things“ über 140 Millionen Mal angehört. Bevor ich, wahrscheinlich als Nachzügler, den millionsten Beitrag über dieses Phänomen schreibe, möchte ich erzählen, wie es kam, dass Kate Bush heute meine Higher Power ist. Natürlich nicht die Person, sondern die Idee von Kate Bush, das, was ihre Musik, ihre Performances, ihr Tanz repräsentieren. 

So oft sitze ich mit meinen Hunden zusammen auf dem Hügel hinter meinem Haus vor dem „Riesenstein“, einem gigantischen Findling, umgeben von alten Eichen, einem heiligen Ort, den ich für mich den „Kate-Bush-Rock“ nenne. Wir sitzen dann einfach nur da, wie bei einer Meditation, die wir alle drei zusammen machen. Und ich bete zu Kate Bush. Ich hatte jahrelang Schwierigkeiten mit der Idee einer höheren Macht, die man bei den Anonymen Alkoholikern finden soll, um seine Sucht zu überwinden, um weniger abhängig von Menschen, Orten und Dingen zu sein. Die Leute sagen zwar: Du kannst auch einen Türknauf oder einen Baum nehmen. Aber oft meinen sie doch einen weißen männlichen Gott, besonders die Männer in den Meetings reden von einer Vaterfigur, die ihnen und dem Rest der Welt zeigt, wo die Laterne hängt. 
Mir ging das auf den Wecker. Ich war so bedient, dass ich eines Tages in einem englischen AA-Meeting aus einer spontanen Regung heraus das Wort „Gott“ durch „Kate Bush“ ersetzte: „Made a decision to turn our will and our lives over to the care of Kate Bush as we understood her.“ Was als Witz begann, wurde wahrhaftig. Denn wenn wir wirklich in Verbindung mit dem Göttlichen in uns oder einfach nur mit uns selbst treten wollen, müssen wir genau dahin gehen, wo es peinlich wird, an diesen zarten Ort, in unsere eigene Upside-Down-Welt, in der wir berührt werden, in der die Sachen blühen, die wir draußen nicht sagen, denken, zeigen oder fühlen dürfen – über die Kate Bush aber singt. Mir wurde klar, dass ich ja bereits eine Higher Power besaß, die ich nur vergessen hatte.
Ich hatte sie bereits 1978 gefunden, als ich an einem Wintertag den orangefarbenen Radiowecker im Esszimmer anstellte, damals, als wir nach dem Tod meines Vaters aufs Land gezogen waren. Die Familie war zerbrochen, draußen vor den Fenstern war es dunkel, wie eine schwarze Wand. Ich war 17 und zog den Parka und die Anglerstiefel an, mit denen mein Vater auf die Jagd gegangen war. Dazu trug ich Bastkörbe und endlose, verbeulte Schals, die ich im Unterricht gestrickt hatte. Ich las Virginia Woolf und wollte poetisch sein, mit den Geistern in den Feldern und Wäldern sprechen. Zugleich waren Punk und Wave auch auf dem Land schon angekommen, nicht nur die Sex Pistols oder Clash, sondern auch X-Ray Spex, die Buzzcocks, The Residents oder Throbbing Gristle. Ich fragte ausgerechnet meinen neunjährigen, völlig unbeholfenen Bruder, ob er mir die Apfelshampoo-Haare abrasieren würde. Danach wurde ich auf dem Schulhof angespuckt. 

Und dann kam an diesem Tag die Stimme von Kate Bush aus dem Radio, die „Wuthering Hights“ sang: „Out on the wily, windy moors / we’d roll and fall in green.“ Diese Stimme machte alles richtig, von dem ich geglaubt hatte, dass es falsch an mir war. Das Tolle an Kate Bush war das Theatralische, Performative, Campe, gepaart mit Magie, Spiritualität. Kate Bush, die sich Blumen ins Haar steckte, mit einer hochgepitchten Stimme über Emily-Bronté-Romane, Tod und Wahnsinn sang, die klassischen Ausdruckstanz und Modern Dance einsetzte, in Wäldern voller Kunstnebel tanzte, war 1978 alles andere als cool. Noch 1981 weigerte sich das frisch gegründete MTV, ihr ausdrucksstarkes Tanzvideo zu „Wuthering Hights“ zu senden und griff lieber auf einen weniger extremen Liveauftritt zurück. 
Wie es Christina Dongoswski 2018 in ihrem grandiosen Beitrag zur „FAZ“-Pop-Anthologie beschreibt, war „The Kick Inside“, Kate Bushs erste LP, bei ihrer Erscheinung „Old Wave“: „Angesagt waren der Minimalismus, die Lakonie und die konzeptuelle vokale Wurstigkeit und Aggression von Post-Punk und New Wave. Gegenüber Debbie Harry oder den Frauen des britischen Punk wie Poly Styrene und Viv Albertine wirkte Bushs künstlerische Persona antiquiert, fast schon reaktionär.“ Man rechnete sie am Anfang keiner Avantgarde zu, sondern dem Prog Rock, den man ja gerade überwinden wollte, wie das Zeug wie Pink Floyd, Genesis oder The Alan Parsons Project. Und gerade, weil sie etwas völlig Einzigartiges machte, das überhaupt nicht einzuordnen war, rechnete niemand ernsthaft damit, dass sie über Jahrzehnte hinweg die Geschichte der Musik und Popkultur umschreiben würde. 
Wegen ihrer Schrulligkeit und ihrer Exzentrik und ihrer gleichzeitigen Sexiness war sie damals eine Art „exotische“ Sensation, fast wie eine Outsider-Künstlerin. Wäre sie nicht so extrem schön, nur einen Funken weniger genial gewesen, hätte man sie wohl wie eine Drag-Performerin behandelt. Doch Bush stand mit „The Kick Inside“, wie es Dongowski beschreibt, auch in einer sehr typischen britischen Tradition, in der in der Populär-Kultur und Folklore in die Hochkultur einfließen. Das reicht von der Wieder- und Neuentdeckung druidischer, vor-christlicher Kulte oder lokaler Traditionen durch gelehrte Pfarrer und Landedelleute im 18. und 19. Jahrhundert über die Visionen von William Blake bis zu den Präraphaeliten und der Arts and Craft Bewegung.
Bush verstieß gegen alle Regeln, während der Rest der Welt das Urbane, Industrielle, Moderne besang, brachte sie etwas Pastorales in die Pop-Musik, zog das Künstliche, Entfremdete, Abgründige des Post-Punk raus aus den Metropolen aufs Land, zurück ins viktorianische oder elisabethanische Zeitalter, auf die Wellen der Themse oder in die Kensington Gardens zu Peter Pan. Dieses Verspätet-Sein gegenüber den ästhetischen Trends der kulturellen Zentren, schreibt Dongowski, verbindet Kate Bush mit Emily Brontë, die mit „Wuthering Hights“ 1847 eine Gothic Novel schrieb, als diese längst aus der Mode waren und damit die viktorianische Gesellschaft schockte. Und dieses Verspätete verband sie auch mit verstörten schwulen Teenagern wie mir. Sie gab mir das Gefühl, zu einer großen kulturellen Tradition zu gehören, auch wenn ich weitgehend isoliert war. Man gehörte zu diesem Uralten dazu, wie bei einem Hexenzirkel, und konnte zugleich etwas völlig Neues und Queeres ausdrücken.

Was ich damals nicht wusste, war, dass sie bereits als Teenager, wahrscheinlich mit 16 oder 17, Mitte der 1970er, in Lindsay Kemps Tanz-Theater „Flowers“ gegangen war, eine Pantomimen- und Musik-Show, die Jean Genets 1943 im Knast geschriebenen Roman „Unsere Liebe Frau der Blumen“ adaptierte, in dem es um die Drag-Queen und Prostituierte Divine geht, die sich mit Dieben, Zuhältern, Mördern und anderen Kriminellen zusammenschließt und sexuelle Abenteuer erlebt. Gleich zu Anfang stirbt sie an Tuberkulose und wird heiliggesprochen. Kemp, der in den Sixties eine Affäre mit David Bowie hatte und entscheidend den Look und die Choreografie der Ziggy-Stardust-Tour 1972 prägte, war reiner Glam, und das, was man heute „non-binary“ nennt. Und natürlich spielte und tanzte er die Divine. „He started it all, I had seen nothing like it, he was totally brilliant“, sagte Bush später über Kemp, der ihr erster Lehrer wurde. Er half ihr, eine völlig eigenwillige Symbiose aus Musik, Tanz und Theatralik zu entwickeln, die eine sehr visionäre, dekadente und extrem künstlerische Ästhetik in den Mainstream brachte. Nicht nur wir verbrachten 1984 nächtelang mit nichts anderem als damit, Tee, Wein und Drogen zu konsumieren, „Hounds of Love“ zu hören und Ausdruckstanz zu „Running Up That Hill“ oder „Hello Earth“ zu machen. Kate Bush erreichte und erreicht mit ihrer Kunst alle möglichen Leute. „Hounds of Love“ lief in Berliner Szenebars wie dem „Risiko“ morgens um fünf über den Köpfen von Nick Cave oder Blixa Bargeld genauso wie in den Bügelzimmern in Vororten. Bush war enigmatisch und inklusiv. Wie sehr, zeigt „The Most Wuthering Heights Day Ever“, bei dem sich Menschen in roten Kleidern und schwarzen Perücken von Sidney bis nach Berlin und Oslo treffen, um den Song in Massenchoreografien nachzutanzen: LGBTQI-Leute, Hausfrauen, Hipster, Dicke und Dünne, Omis und Kinder.
Wer die Resonanz von Kate Bushs Kunst spürt, kann alles auf sie projizieren. Dabei überwand sie auch im Hinblick auf feministische Überzeugungen eine tiefe Kluft. Wer in den späten 1970ern mit dem Feminismus und der Öko-Bewegung in Kontakt kam, dem war auch die Idee der Muttergottheit nicht fremd – die Vorstellung der großen Mutter, der weißen Göttin mit vielen Namen.
In den frühen 1980ern erstarkten im Rahmen der Frauenbewegung heidnische Kulte, Schamanen, Hexen, esoterische Praktiken und holistische Medizin. Sehr kate-bushig. Doch im Gegenzug dazu prägen sich andere, von Punk-Poststrukturalismus und linkem Denken geprägte feministische und queere Strömungen heraus, die sich genau gegen diese biologische Festlegung und das Gebot der Fruchtbarkeit, gegen „Gesundheit“, hierarchische göttliche Ordnungen, oder die Idee von Ursprünglichkeit wendeten. Auch dieses libertäre Denken verkörpert Kate Bush, die über Jahrzehnte wie eine Shape-Shifterin hybride und völlig künstliche Identitäten annimmt und glam-mäßig Geschlechterrollen sprengt. 
Der Kampf zwischen Natur und Dekadenz tobt heute als Identitätspolitik im Mainstream weiter. Während Netflix eine Regenbogenpony-Show nach der anderen bringt (auch in „Stranger Things“ bahnen sich queere Love-Storys an), beschneiden die US-Republikaner Abtreibungsrechte, versuchen den weiblichen Körper unter männliche Kontrolle zu bringen. Auf der ganzen Welt setzten sich immer stärker Fundamentalisten und religiöse Hardliner durch. Da wo Fortschritte gemacht wurden, laufen sie Gefahr, zurückgefahren zu werden. Fast der gesamte ehemalige Ostblock, allen voran Russland, ist von homophober Politik bestimmt, wobei die nationale Identität an traditionelle Familienbilder und Geschlechterrollen, sowie einen weißen männlichen Gott geknüpft wird und sich durch Rechte für LGBTQI- Menschen bedroht sieht. Im Rahmen des Ukraine Kriegs werden auf beiden Seiten Werte wie das „Soldatische“, das „Mütterliche“ und die „Familie“ beschworen. Oft wird dabei Pazifismus als ebenso weltfremd und dekadent erklärt wie das Gendern, nicht-binäre Identität oder der „elitäre“ akademische Betrieb. 

Kate Bush, die schon 1980 den wunderbaren, bitterbösen Anti-Kriegssong „Army Dreamers“ herausbrachte, in dessen Video sie mit Kind, Soldatenhelm und Lippenstift in den Tod zieht, vereint diese vermeintlichen Gegensätze. Dabei fällt mir die amerikanische Kunst- und Kulturhistorikerin Camille Paglia ein, die heute zu den vehementen Gegnerinnen von Trans-Rechten gehört. Sie kritisierte in den 1980ern die amerikanischen Eso- und Ökofeministinnen für ihre einseitige Perspektive auf die Natur, die, verkörpert durch Demeter, als nur als lebenspendend, gebärend und voller Weisheit empfunden wurde. Paglia erinnerte an Gottheiten wie die mehrarmige, mit Schwertern bewaffnete Kali, die auf der einen Seite Geschenke gibt, aber auch Leben nimmt und abgeschlagene Köpfe in ihren Händen hält. Natur ist auch Tod, Gewalt, Zerstörung, Exzess. Very Kate Bush. In diesem Zusammenhang sagte Pagllia treffend: „Wir können nicht nach der nackten Klinge der Natur greifen, ohne unser eigenes Blut zu vergießen.“ Heute meint das bei ihr: Biologie determiniert das Geschlecht. 
Trotz dieses Rückschlusses ist mir der Satz ein halbes Leben lang hängen geblieben. Ich glaube, er ist auf eine viel universellere Weise wahr. Er spricht von einer fundamentalen, schmerzhaften, spirituellen Erfahrung der Wirklichkeit. Doch Kate Bush hat mir gezeigt, dass ich diese Erfahrung machen kann, so wie ich bin, künstlich, hysterisch, expressiv, performativ. Ich kann sie als Mann, Frau, trans Mensch, als Cyborg oder Nerd oder Pop-Omi machen, ich muss dafür nicht „natürlich“ sein, Kinder kriegen oder in den Krieg ziehen. Sie ist für uns alle gleich schmerzhaft und fundamental. 
Immer wieder geht es bei Kate Bush, wie auch in „Running Up That Hill“, darum, sich in die Lage des Anderen zu versetzen, die Rollen und Qualitäten zu tauschen, in diesem Fall die Rollen von Mann und Frau, um aus der eigenen beschränkten Wahrnehmung rauszukommen, visionär zu werden. Neulich sagte eine Bekannte tatsächlich bei einem Dinner, man müsse erst einmal Kinder bekommen, um das Leben wirklich zu verstehen. Ich wusste, dass das irgendwann kommt, bei der augenblicklichen Stimmung. Ich erzählte ihr, wie ich meinen Freund und andere Leute während der Aids-Epidemie begleitet habe, Mutter und Sterbe-Doula sein musste, weil die biologischen Mütter nicht fähig waren, mit dem Leben, Sexualität und dem Tod umzugehen. Wie oft habe ich damals Männer nach ihren Müttern rufen gehört, die nicht kamen. Und wie oft habe ich in dieser furchtbaren, diskriminierenden Zeit Kate Bushs „This Woman’s Work“ (1989) gehört, in dem es eigentlich um lebensbedrohliche Kompilationen bei einer Geburt geht, und versucht, meine mütterlichen Qualitäten zu channeln, müde und verzweifelt von den herrschenden Verhältnissen. 
Dass Kate Bush heute wieder in den Billboard-Charts ist, hat sicher viel mit der genialen Produktplatzierung in der 80’s-Retro-Welt von „Stranger Things“ zu tun, das gerade auch andere Hits wie Metallicas „Master of Puppets“ (1986) hochschwemmt und junge Generationen, eine völlig neue Klientel, erreicht. Dennoch ist der enorme Erfolg von „Running Up That Hill“ alleine durch die Marketing-Maschinerie nicht erklärbar. Selbst ein Stratege der Musikindustrie nannte den Song im „Guardian“ „ein bisschen wie ein Einhorn – die meisten meiner Kollegen müssen zugeben, dass dies nur einmal in einem Jahrzehnt vorkommt.“ 
Vielleicht hat die Rückkehr von Kate Bush etwas mit dieser Müdigkeit zu tun, die ich einst empfand. Ich nahm sie persönlich, aber natürlich hatte das wohl auch mit der Marginalisierung und der Diskriminierung zu tun, die wir damals erfuhren – obwohl ich dachte, ich sei aktivistisch befreit und eingebettet in eine liberale Bubble. Doch diese Ermüdung ist eine systemische Erschöpfung, die immer mehr Menschen, auch Männer, befällt, die am Kapitalismus mit seinen rassistischen, frauenfeindlichen, patriarchalischen Ausprägungen leiden. 
In der berühmten Szene, in der „Running Up That Hill“ eingesetzt wird, ringt eine der Hauptfiguren, die Schülerin Max, mit Venca, einer Art Monster oder Dämon, der Teenager psychisch in Besitz nimmt, sie telekinetisch in die Luft hebt und buchstäblich zerbricht wie Barbie-Puppen. Venca, der einmal menschlich war, wurde durch die Upside-Down-Welt, eine Art gespiegelte Höllenversion der realen Welt, zu einer übernatürlichen Kreatur. Er verkörperte aber bereits als Teenager eine nihilistische, misanthrope, egoistische Denkweise. Er tötet seine Opfer, indem er ihnen den Sinn, die Hoffnung nimmt. Er schlüpft in ihren Kopf, während sie in der realen Welt in ein Koma verfallen. Was Max in ihrer inneren Welt mit Venca erlebt, ist traumatisch. „Stranger Things“ lässt da keine Assoziation aus: väterlicher Missbrauch, Vergewaltigung, Krieg, im wahrsten Sinne toxische Männlichkeit. Max, die auf ihrem Walkman immer Kate Bush hörte, wird von ihren Freunden mit „Running Up That Hill“ ins Leben und in die Gemeinschaft zurückgeholt. Sie kann sich befreien und zu den Klängen von Kate Bush losrennen. 
Die eigentlich klischeehafte Szene bekommt erst durch den Song wahre Größe. Sie berührt wirklich, weil wir Kate Bushs absolute Ernsthaftigkeit spüren, die Sehnsucht, einen Deal mit Gott zu machen, ihren Glauben an Verbindung und Vision. „Running Up That Hill“ schlägt wie eine spirituelle Bombe in eine immer nihilistischere Welt ein, in der immer mehr Menschen den Glauben verlieren – an sich selbst, an die Zukunft, die Möglichkeit, den Kreislauf von Ungleichheit, Gewalt und Ausbeutung zu durchbrechen. Nicht Netflix oder „Stranger Things“ haben „Running Up That Hill“ wiederbelebt. Tatsächlich ist es genau andersherum: Kate Bush hat dieser unterhaltsamen, aber inzwischen absehbaren, formelhaften Popcorn-Show Leben eingehaucht.  
Ich bin natürlich froh, dass meine Higher Power auf Platz eins steht. Manchmal gehe ich hoch zum Riesenstein, fasse ihn an und bete für das Ende des Krieges, das Ende der Republikaner, der gelifteten Oligarchen, der FDP, der Superreichen, der verlogenen Kunstszene – auch wenn ich dann arbeitslos bin. Ich bete für eine andere Welt und stellte mir dann vor, dass alle Wesen, alle belebten und unbelebten, in einen Kreislauf von Werden und Vergehen eintreten. Und dass Kate Bush, die große, unberechenbare Performance-Glam-Mutter mir aus den raschelnden Ästen der Bäume zuflüstert, ich solle eintreten und mitgehen, mit den Hunden, Mücken, Blättern, den Flüchtlingen, den Schwänen, den Ameisen, den Alten, den Jungen, ich solle mich auf den Weg machen. Und da, ja, ich will mitgehen, ich gehe mit und summe: „I’m coming home to wuthering, wuthering Wuthering Heights.“ 

Der Text ist zuerst im Magazin Monopol hier erschienen.

Mehr als 40 Tanz-Events zu Ehren von Kate

Der aktuelle Hype um Kate Bush wirkt sich offenbar auch auf die kommenden Veranstaltungen zum Most Wuthering Heights Day aus. Die Veranstaltung findet in diesem Jahr erstmals nicht nur punktgenau zu Kates Geburtstag am 30. Juli statt, sondern dürfte mit über 40 Veranstaltungen weltweit tatsächlich der Most Wuthering Heights Day EVER werden. In Deutschland sind Veranstaltungen in Berlin, in München und im Westerwald vorgesehen. In Europa waren zudem Events in Dublin, Edinburgh, Luxemburg, Sofia, Kopenhagen und Värnamo (Schweden) vorgesehen. Eine Veranstaltung in Estland hat bereits stattgefunden. Hinzu gekommen sind Ghent in Belgien, Uppsala in Schweden und zwei Orte in England: Bexleyheath und Northumberland. Allein in Australien gibt es inzwischen 17 (!) geplante Veranstaltungen. Neben Bunbury, Canberra, Melbourne, Fremantle, Sydney, Newcastle, Gold Coast, Adelaide, Brisbane, Bega Valley und Cairns sind noch Blue Mountains, Gippsland, Hobart, Lanunceston, Mona Vale und Warrnamboo hinzugekommen. In Neuseeland sind Events in Christchurch und Dunedin geplant. In Israel hat der TMWHD 2022 bereits vor drei Wochen stattgefunden. Deutlich zugenommen hat die Zahl der Veranstaltungen auch in den USA. Neben Austin, Reno, San Diego, Philadelphia und Atlanta gibt es Events in Chattanooga, Nashville (!), Greenfield und San Francisco. In Mexiko ist die Stadt Ocotlan mit dabei.

Let’s exchange the experience!

Dass die Australier ein bisschen Kate Bush-verrückt sind, ist nicht neu. Wenn weltweit der Most Wuthering Heights Day Ever gefeiert wird, schreiten die Aussies voran. Nirgendwo gibt es dann mehr Events als Down Under. Mit dem aktuellen Hype um Kate Bush hat sich jetzt auch die Pub Choir-Gruppe um Astrid Jorgensen der Nummer 1 in Australien angenommen und eine ganz eigene Version von Running Up That Hill produziert. Pub Choir existiert seit 2017 in Brisbane und ist über die Grenzen von Australien hinaus bekannt. Die Gruppe besteht aus mehreren Musikern, die an einem Abend ihren Zuschauern beibringen, wie man einen Song dreistimmig als Chor singen kann. Das Ergebnis wird dann gefilmt und veröffentlicht. Einige Videos von Pub Choir sind schon viral gegangen, etwa die Version des Songs Zombie von den Cranberries, weil die Band den Song nach dem Tod der Sängerin geteilt hatte. Beim ersten Event 2017 waren noch 80 Zuschauer dabei, jetzt kamen gleich 1600 Besucher in die Fortitude Music Hall in Brisbnane und haben mit Inbrunst Running Up That Hill geschmettert.

Auffällige Parallelen zu Experiment IV

Ganz offensichtlich gibt es von den Machern von Stranger Things weitere Bezüge zur Arbeit von Kate. Vor wenigen Tagen wurden offizielle Netflix-Bilder veröffentlicht, die zeigen, wie Schauspieler Jamie Campbell Bower zur finsteren Gestalt „Vecna“ wird. Ein Bild zeigt den verwandelten Bower mit einem Getränk in der Hand. Das ist bei einem mehrstündigen Verwandlungsprozess nicht so ungewöhnlich. Kate-Fans kennen allerdings genau diese Szene aus einem anderen Zusammenhang. Im Video zu Experiment IV wird Kate ebenfalls zu einem Dämon und auf Behind the scenes-Bildern sieht man sie ebenfalls auf einem Stuhl in der Maske mit einem Getränk in der Hand. Ist das nur ein Zufall? In englischen Medien wird bereits spekuliert, dass es da tiefere Zusammenhänge geben könnte, zumal es auch Parallelen in der Handlung des Experiment IV-Videos und von Stranger Things gibt. Video und Serie spielen in Zeiten des Kalten Krieges, beide Dämonen ähneln sich auffällig und wenn bei Kate Wissenschaftler in weißen Kitteln in einem Labor den Militärs nachgeben und an dem Sound, der töten kann, herumexperimentieren, gibt es in der Serie sehr eindeutige Parallelen: Serien-Charakter Eleven (Millie Bobbie Brown) experimentiert als Kind im Hawkins-Labor, wo ihr telekinetische Fähigkeiten verliehen wurden, um sie als Waffe im Kalten Krieg einzusetzen. Zufall? Oder kennen die Macher der Serie Kates Video zu Experiment IV und haben bewusst auf den Inhalt zurückgegriffen?

Besondere Glückwünsche für Kate

Cher und Alan Parsons haben Kate auf Twitter und bei Facebook zu ihrem Erfolg gratuliert. Parsons schreibt auf Facebook: „I am so thrilled for Kate Bush for making music history as the oldest song to hit #1 on the Streaming Charts and hitting #1 on Billboard Global 200! I have always had the highest regard for her artistry.  Stuart Elliott and Ian Bairnson played on many of her records, and Andrew Powell (APP Orchestral Arranger) produced her first two albums. Andrew asked me to choose a single from her first album. I chose Wuthering Heights – a huge hit.  Great to see “Stranger Things” doing so well and excited that so much great music from the 80s is featured. Congratulations, Kate!“ Zusätzlich hat Parsons noch obiges Bild gepostet.
Besondere Glückwünsche von Cher kamen via Twitter. Mit Running Up That Hill auf Platz 1 der englischen Charts hat Kate gleich mehrere Rekorde gebrochen. Unter anderem ist sie jetzt mit kurz vor ihrem 64. Geburtstag die älteste Frau an der Spitze der Charts. Der Rekord gehörte vorher Cher. Als sie 1998 mit Believe an der Chartspitze stand, war sie 52 Jahre alt.  Mit einem „Bravo Kate, Rekorde sollen gebrochen werden!!“ gratuliert Cher und schreibt: „Erinnerst du dich daran, als Frauen ein kurzes Verfallsdatum hatten? Wir mussten uns durch den Testosteron-Vorhang kämpfen. Und wir haben es getan, damit die Mädchen, die nach uns kamen, so lange singen konnten, wie sie wollten.“ Eine Ikone gratuliert einer Ikone. Und das mit Mega-Respekt.

Rot tragen. Mittanzen.

Der Most Wuthering Heights Day Ever wird in diesem Jahr in vielen Städten erstmals punktgenau an Kates Geburtstag am 30. Juli veranstaltet. In Deutschland wird es gleich drei Events geben. Top of the City wird wie gewohnt der von Samantha organisierte Wuthering Heights Day in Berlin sein. Treffpunkt ist um 12 Uhr im Görlitzer Park. Infos gibt es hier. Ein weiteres Treffen gibt es am 30. Juli im Westerwald. München tanzt bereits am 9. Juli (10 Uhr, Ostpark) vorweg.
Weitere Veranstaltungen sind in Dublin, Edinburgh, Luxemburg, Sofia, Kopenhagen und Värnamo (Schweden) vorgesehen. In Estland hat der TMWHDE bereits stattgefunden, hier gibt es das Video dazu.
Die meisten Events gibt es traditionell in Australien und Neuseeland. Geplant sind in diesem Jahr folgende Treffen: Bunbury, Canberra (2. Juli), Melbourne (17. Juli), Fremantle, Sydney, Newcastle, Gold Coast (23. Juli), Adelaide, Brisbane, Bega Valley, Cairns, Deloriane und Dunedine. Weitere Events: Ramat Gan in Israel an diesem Wochenende (18.6.), Ocotlan (Mexiko) und in den USA in Austin, Reno, San Diego, Philadelphia und Atlanta. Weitere Events in Europa dürften noch dazu kommen. Aktuelle Infos gibt auf der The Most Wuthering Heights Day Ever-Facebookseite.

On Top Of That Hill

Überflüssig zu sagen, dass die Sammlung von Running Up That Hill-Singles bei Micha etwas umfangreicher ausfällt.

Man fühlt sich fast ins Jahr 1985 versetzt, fast so, als würde man Running Up That Hill zum ersten mal hören. Verstärkt wird dieses Gefühl noch dank „Max“, eine der Hauptdarstellerinnen der Netflix-Serie Stranger Things, die diesen Song in Staffel 4 ständig auf ihrem Walkman spielt. Wie clever dieser Song in bestimmten Schlüsselszenen der Serie eingesetzt wurde (mit Unterstützung von Kate), kann man nur als genial bezeichnen! Dank der dramatischen Wendungen in der Serie funktioniert Ruth vieleicht noch besser als 1985. Ich will hier aber nicht spoilern, schaut euch die Serie unbedingt an, es lohnt sich!
Was in den internationalen Charts gerade passiert, kann man nur noch mit ungläubigem Staunen beobachten. Ruth stürmt weltweit die Charts. Momentan Platz 4 in Amerika, Platz 1 in UK, Irland, Australien und Platz 4 in Deutschland. Jetzt entdeckt eine neue Generation Kate Bush und mit Running Up That Hill hat die Reise gerade erst begonnen.
Auch in den USA ist die Kate-Mania ausgebrochen. Kate gelingt mit Running Up That Hill (A Deal With God) gar ein historischer Erfolg. Der Klassiker aus dem Jahr 1985 ist nur einer von zwei Singles, die vor den 2010er-Jahren veröffentlicht wurden und Platz 1 in den US-amerikanischen Billboard-Streaming-Charts erreichten. Somit ist es die älteste Nummer-1-Single in den Vereinigten Staaten. Laut „Luminate“ erreichte RUTH in der vergangenen Chart-Woche 29 Millionen Streams in den USA. (Quelle: Rolling Stones 17.06.2022).
Was der Hype um RUTH für seltsame Blüten treibt, sieht man im Moment bei Ebay. Hounds of Love-Cassetten gehen für bis zu 500 Euro weg! Preise für Original-Singles und LPs klettern in die Höhe, Remixe schießen bei Youtube wie Pilze aus dem Boden. Und der Hype ist noch nicht zu Ende. Auch in Staffel 4 Teil 2 (ab 1.Juli) wird es Musik von Kate zu hören geben. Ruth wird wohl der Sommerhit 2022! Happy hunting! Michael Guth

Oh yeah, you’re amazing! Der Erfolg von Running Up That Hill

Das Phänomen ist erstaunlich: 37 Jahre nach seiner Veröffentlichung führt Kates Hit Running Up That Hill weltweit die Charts an und wird in den Billboard Global 200 auf Platz 1 gelistet. Ausgelöst wurde der Hype durch die 4. Staffel der Netflix-Serie Stranger Things, in der der Hauptcharakter Max (gespielt von der 20-jährigen Schauspielerin Sadie Sink) den Song immer wieder auf ihrem Walkmann hört. Die Schlüsselszene macht überdeutlich, dass der Seriencharakter nur Dank dieses Liedes überlebt. Die Ausstrahlung der Folgen hat bei einer Generation, die zu Kate Bush überhaupt keinen Bezug hat, einen Ansturm auf ihre Musik ausgelöst. RUTH ist der weltweit am meisten gestreamte Song und findet sich inzwischen in zahlreichen Ländern auf Spitzenpostionen in den Charts wieder – Platz 1 in Australien, Nummer 1 in England, Norwegen, Österreich, Island, Belgien, Schweiz, Luxemburg… Noch beeindruckender: RUTH steht auf Platz 4 der amerikanischen Billboard-Charts und könnte sogar noch an die Spitze klettern. Und das wohlgemerkt mit einem 37 Jahre alten Song bei einer Künstlerin, die in den USA nur bei Musikkennern bekannt ist.

Die Medien überschlagen sich ob des Erfolgs. MTV spricht vom „Revival einer Legende“, die Neue Zürcher Zeitung titelt: „Die mystische Sängerin, die von Neuem in die Charts rennt“, die Tageszeitung die Welt betont: „Wie anziehend das Lied ist, zeigen auch die Cover-Versionen von „Elestic Band“ und „Placebo“. Und es berührt die Jugend auch heute noch. Das Lied ist eben ein Klassiker. Und das Grundprinzip von Klassikern: Sie sind zeitlos.“ Und selbst der wie üblich mäkelnde Spiegel kommt nicht umhin einzugestehen, dass es sich bei RUTH um einenb „Jahrhundert-Song“ handele, der jetzt wieder- oder neu entdeckt werde: „Denn der ist natürlich große Kunst, eine schmerzhafte Bestandsaufnahme einer Beziehung, in der nichts mehr geht, in der Kommunikation unmöglich geworden ist. »Ist da so viel Hass für die, die wir lieben? Sag mir, es geht doch um uns, oder nicht?«, singt Kate Bush, und dazu hämmert unnachgiebig dieser hypnotisierende Beat, als wolle er Schmerz und Verzweiflung immer tiefer unter die Haut treiben.“

Dabei hatte RUTH in der Tat schon diverse Revival erlebt, erst mit dem Cover von Placebo, dann mit dem Remix, der 2012 zur Abschlusszeremonie der Olympischen Spiele in London aufgeführt wurde. Damals war im Vorfeld spekuliert worden, Kate könnte den Song sogar live spielen. Stattdessen hat sie ihn dann neu eingesungen. Warum blieb allerdings unklar. Die Live-Version kam dann zwei Jahre später bei ihren unerwarteten Before the dawn-Konzerten. Der Erfolg jetzt toppt allerdings alle bisherigen Chart-Platzierungen. Das hat zu einer weiteren Kuriosität geführt: Wenn Medien Kate beschreiben, wird immer erwähnt, dass sie zurückgezogen lebt, ist von seltenen Statements die Rede. Der Hype um RUTH hat jetzt dazu geführt, dass sich Kate seit dem Erfolg des Songs bereits drei mal auf ihrer Internetseite zu Wort gemeldet hat: „Ihr habt vielleicht gehört, dass der erste Teil der fantastischen, fesselnden neuen Staffel von ‚Stranger Things‘ neulich auf Netflix veröffentlicht wurde. In ihr kommt der Song ‚Running Up That Hill‘ vor, der von jungen Fans, die die Serie lieben, zu neuem Leben erweckt wird – ich liebe die Serie auch! ‚Running Up That Hill‘ ist daher weltweit in den Charts und ist in Großbritannien auf der acht gelandet. Es ist sehr aufregend! Vielen Dank an alle, die den Song unterstützt haben. Ich warte gespannt auf den Release des Rests der Serie im Juli.“  Das war noch ganz am Anfang. Jetzt hat sich Kate noch einmal ausdrücklich dafür bedankt, dass ihr Song auch in den USA so hoch in den Charts platziert ist: „Ich möchte einfach allen in den USA ein wirklich großes Dankeschön sagen, die den Song unterstützt haben.Es ist das erste Mal, dass ich dort drüben eine Top-Ten-Single habe, jetzt ist der Song sogar unter den Top 5!“ Und das Ende ist noch nicht absehbar. Weitere positiver Nebeneffekt: Nicht nur die KIds, auch die Medien entdecken Kate neu. Standard war: Kates Musik ist typisch 80er oder 90er. Danach ist sie bekanntlich in der Versenkung verschwunden und man konnte schon froh sein, wenn in der Berichterstattung ihre 2014er Konzerte überhaupt Berücksichtugung fanden. Jetzt finden sich in Artikeln Verweise auf Songs wie Somewhere In Between, Sunset, Lake Tahoe oder natürlich Misty, wenn es um skurrile Geschichten gehen soll.

Bemerkenswert ist, dass mit dem Ansturm auf RUTH auch Kates Alben, vor allem natürlich Hounds of Love und The Whole Story neu entdeckt werden, aber auch diverse andere Songs auf den Streaming-Plattformen deutlich öfter angeklickt werden. Aber was hört man, wenn man als 20-Jähriger Kate so gar nicht kennt als nächsten Song von ihr? Cloudbusting? Babooshka? Wuthering Heights? Im schon erwähnten MTV-Beitrag „Revival einer Legende: Die besten Songs rund um Kate Bushs Running Up That Hill-Comeback“ gibt es dazu den erfrischendsten Vorschlag überhaupt: Get Out Of My House! Das ist mal ein Statement.

The Dreaming und das seltsame Booklet

Leider lässt sich über dieses Booklet nicht sehr viel sagen, da es nur äußerst selten zu finden ist. Ich hab es bis jetzt nur drei Mal gesehen (in über 40 Jahren). Was man mit Sicherheit sagen kann ist, dass es sich hier um ein offizielles holländisches achtseitiges Promobooklet zum Release der Single „The Dreaming“ handelt (Die EMI-Adresse und Telefonnummer der Promotion-Abteilung ist im Booklet zu finden.). Was es noch seltener macht, ist das beigefügte Promo-Foto, was sonst nie dabei ist. Leider wurden solche Medien-Press-Kits von Presse und Händlern meistens weggeschmissen, nachdem sie einmal durchgelesen wurden – wenn überhaupt. Dieses scheint eines der wenigen kompletten Exemplare zu sein, das überlebt hat. Warum dieses Booklet nur in den Niederlanden erschienen ist, kann ich leider nicht sagen. Happy hunting! Michael Guth

Warten auf ein Zeichen aus der Stille

Ein Jahr ist es jetzt her, dass ich meinen letzten Beitrag für das Song-ABC geschrieben habe. Seit Monaten habe ich Notizen fertig für einen Beitrag zu „Nocturn“. Ab und zu fragt Burkhard nach, wie weit ich bin. Und ich vertröste ihn auf den nächsten Monat. Mir fehlt der Antrieb, aus den Notizen einen Beitrag zu machen. Was sind die Gründe, dass ich nicht vorankomme?
Uns allen liegt die Pandemie auf der Seele. Bei mir hat das in den ersten Monaten zu einer Schreibblockade geführt, aber das ist überwunden. Der Krieg belastet mich, erlaubt keine Fröhlichkeit – beim Schreiben von Texten behindert es mich nicht. Ich schreibe mit Freude laufend Texte zu Opern- und Konzertaufführungen für die Gesellschaft der Freunde des Opernhauses Hannover, es geht mir gut von der Hand. Warum gelingt es mir gerade nicht mehr so mit Texten zu Kate Bush?
Ich gebe es zu, ich habe den Kontakt zur Musik von Kate Bush verloren. Das klingt hart, aber es ist ehrlich. Es ist wohl nur vorübergehend, das hoffe ich jedenfalls, aber es ist gerade so. Ich habe die Hoffnung verloren, dass noch einmal neue Musik von Kate Bush kommt. Es ist jetzt elf Jahre her seit „50 Words for Snow“, dem letzten Album mit Neuem. Im Jahr 2014 gab es die Konzertreihe, mit einem Live-Album, aber das war es dann. Ein großes Schweigen setzte ein. Jahr für Jahr wartete ich auf ein Zeichen, aber es kam kein Zeichen. Die Pandemie kam, andere Künstler nutzen die Isolation für neue Alben. Kate Bush ist dafür bekannt, dass sie in der Stille arbeitet, aber von ihr kam aus dieser Stille nichts außer Schweigen. Arbeitet sie an Musik oder nicht? Oft stellte ich mir diese Frage. Ja, es ist ihre Sache, wie sie ihre Zeit verbringt. Es ist aber meine Sache, wie ich darauf reagiere. Und ich habe die Hoffnung auf Neues verloren – und langsam immer mehr auch das Interesse an ihrer Musik. Anderes hat den Platz eingenommen in meinem Kopf. Ich bin emotional herausgesprungen aus dem Kosmos ihrer Musik. Das Rad dreht sich nicht mehr.
Kann sich das bei mir ändern? Ja, ganz bestimmt, ich gebe die Hoffnung nicht auf. Aber ohne ein Zeichen fällt es mir schwer, mich auf ihre Musik zu konzentrieren. Ich interessiere mich offenbar nicht für etwas Totes, ich brauche Leben, ich brauche Vorfreude. Ein Zeichen aus der Stille würde mich wahrscheinlich schnell wieder entflammen! So aber wäre das Schreiben eines Beitrags mehr Arbeit als Vergnügen. Und ich kann Texte eben nur aus Freude schreiben. Kate Bush, ich bitte Dich: mach mich froh! Mach uns froh, wir warten auf ein Zeichen! Achim

Eine Video-Party anno 1986

Am 10. November 1986 wurde Kates Best of-Album The Whole Story veröffentlicht. Das war an einem Montag. Am Tag zuvor, also dem Sonntag, 9. November 1986, gab es eine Premiere ganz anderer Art. Der Kate Bush-Fanclub hatte offenbar in Zusammenarbeit mit Homeground zu einer Video-Party eingeladen. Gezeigt wurden Videos von Kate aus der Zeit zwischen Februar 1978 und November 1986. Das dürfte also Wuthering Heights bis Experiment IV umfasst haben. Single und Video von Experiment IV wurden am 27. Oktober 1986 veröffentlicht, um das Compilation-Album zu promoten. Witzigerweise wurde am selben Tag auch Don’t Give Up von Peter Gabriel und Kate veröffentlicht. Eine entsprechende Einladungskarte zu der Video-Party mitsamt Autogramm von Kate wird jetzt in einer Auktion angeboten. Auf der Innenseite des aufklappbaren Blattes ist unter dem Cover-Foto von TWS eine Begrüßung von Kate abgedruckt:
Hello everyone,
Hope you have a great evening,
Have Fun!
lots of love
Kate
Auf der Vorderseite findet sich eine handgeschriebene Widmung: To John, love from Kate. Und es gibt als prominentes und wiederkehrendes Motiv eine sitzende Frau mit Taschenlampe in der Hand. Das Motiv dürfte bewusst gewählt sein, stammt es doch aus dem Video zu The Big Sky, wo Kate genau in dieser Position mit einer Taschenlampe in der Hand vor der Mondkugel gezeigt wird. Am Ende des Videos wird das Motiv erneut gezeigt, Kate ist dann wie im Schatten vor der Mondkugel zu sehen. Das Motiv passt deshalb so gut zu dem Videoabend, weil Homeground an der Entstehung im März 1986 beteiligt war und innerhalb einer relativ kurzen Zeit 100 Fans organisierte, die sich an einem bestimmten Tag als Statisten zu den Dreharbeiten einfinden sollten.
Die Karte wird am 29. März hier versteigert, die erwartete Preisspanne wird mit 20 bis 40 Pfund angegeben.

Mini-Tour auf den Kontinent

Die Tributeband Cloudbusting mit Sängerin Mandy Watson ist seit langer Zeit wieder auf dem europäischen Kontinent unterwegs und gibt drei Konzerte in den Niederlanden und ein Konzert in Belgien. Die Mini-Tour startet am 22. März in Oss, dann folgen Breda, Leiden und das belgische Berlare. Für kurzentschlossene Fans ist am ehesten noch Oss von Deutschland aus erreichbar, es liegt knapp 60 Kilometer von Kleve entfernt. Weitere Konzerte auf dem Kontinent sind in diesem Jahr bisher nicht geplant, lediglich Abstecher nach Irland. Ein Auftritt in Deutschland steht leider immer noch aus. Karten zu den KOnzerten gibt es über die Internetseite der Band.

Einem Zauberer einen Zaubertrick vorführen

Bei „Watching You Without Me“ steht Kate Dank Paul Kieve ziemlich unvermittelt plötzlich im Raum.
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Kate verwandelt sich bei „Aerial“ in einen Vogel.

Als Paul Kieve zehn Jahre alt war, wurde er zum Kate Bush-Fan. Ein Journalist, der früher bei der Zeitung The Independent gearbeitet hat und jetzt regelmäßige Kolumnen zu Theaterstücken schreibt, hat die Geschichte von Paul Kieve kürzlich nochmal erzählt. Ein Jahr später, mit elf Jahren, im Jahr 1979, hatte Paul das Glück, Kate bei ihrer Tour of Life auf der Bühne zu sehen. Im immer noch zarten Alter von 14 Jahren, also 1982, schaffte Paul es zu einer Autogrammstunde mit Kate, als dass Album The Dreaming auf den Markt kam. Paul ergatterte eines der begehrten Autogramme und hatte passend zum Titel Houdini das entsprechende Buch dabei: The Secrets of Houdini. Paul hatte seinem Namen in das Buch geschrieben und es Kate überreicht. Eine schöne kleine Geschichte, die genau da hätte enden können – ein 14-Jähriger schafft es, seinem Idol persönlich zu begegnen und überrascht es noch mit einem Präsent. Vielmehr kann da nicht kommen. Aber es gab eine Fortsetzung, die Kate im November 2016 in einem Interview mit Andy Gill im schon erwähnten Independent erzählte. Paul, mit 14 schon vom Zauberkünstler Houdini begeistert, ist 32 Jahre später längst ein bekannter Bühnenillusionist, der für zahlreiche nationale und internationale Produktionen gearbeitet hat, als er 2014 einen Anruf von seinem Agenten erhält und erfährt, dass Kate Bush wieder Konzerte geben will und ihn gerne engagieren würde.

Paul Kieve

Beim ersten Treffen erzählt Kieve die kleine Anekdote und merkt an, dass Kate daraufhin nur gelächelt habe. Beim nächsten Treffen war es dann Kate, die einen günstigen Moment abwartete und Paul Kieve das Buch mit seinem Namen drin zeigte, dass sie all die Jahre zuhause aufbewahrt hatte. Und im Independent wird Kate mit den Worten zitiert: „Und dieser ungläubige Blick in seinem Gesicht. Es kommt nicht oft vor, dass man einem Zauberer einen Zaubertrick vorführen kann.“ Bei den Konzerten zu Before the Dawn war Paul Kieve unter anderem Watching You Without Me dafür verantwortlich, dass Kate plötzlich auf der Bühne steht und bei Aerial für Kates Verwandlung in einen Vogel zuständig, der sich zum Ende des Songs und der Show in den Himmel erhebt.  

Gary Brooker ist gestorben

Der britische Sänger Gary Brooker ist vor wenigen Tagen im Alter von 76 Jahren an Krebs gestorben. Brooker war Frontmann der Band Procul Harum. Die erlangte 1967 mit ihrem Hit A Whiter Shade of Pale Weltruhm. Der Song wurde zudem zu einer der Hymnen der Hippie-Generation. Nach der Trennung von Procul Harum hat Brooker unter anderem für Eric Clapton, Paul McCartney, George Harrison und Ringo Starr gespielt. Kate hat schon früh mit Brooker zusammengearbeitet. Die erste Begegnung gab es im Sommer 1982 bei der Prince’s Trust Gala, als er die Keyboards für The Wedding List gespielt hat – neben Pete Townshend, Phil Collins und Midge Ure. Elf Jahre später konnte man Brooker auf dem Album The Red Shoes bei den Songs And So Is Love, Constellation Of The Heart und You’re The One an der Hammond Orgel hören. Bei Aerial war Brooker erneut involviert und an den Songs Nocturn, Sunset und vor allem Somewhere In Between beteiligt, wo er prominent zu hören ist. 2010 hat Brooker für das Uncut-Magazin einen kleinen Beitrag über die Zusammenarbeit mit Kate geschrieben, die von großer Wertschätzung geprägt war: „She’s one of our best. Kate hasn’t made enough records. But that’s up to her. Whatever she has done has been remarkable.“

Dritte Nominierung für Kate

Kate ist erneut für die Rock & Roll Hall of Fame nominiert worden. Es ist seit 2018 die dritte Nominierung. Mit auf der Liste der vorgeschlagenen Musikerinnen und Musiker für 2022 stehen unter anderem Eminem, Beck, Duran Duran, Dolly Parton, Lionel Richie, Dionne Warwick, die Eurythmics, Pat Benatar, Rage Against The Machine und Judas Priest. Bereits im Mai soll bekanntgegeben werden, wer in diesem Jahr in die „Ruhmeshalle“ aufgenommen werden soll. Bis Ende April können Fans auf der Seite vote.rockhall.com mit abstimmen. Die Rock & Roll Hall of Fame ist in Cleveland (Ohio) angesiedelt. Weil Kate auf dem amerikanischen Markt nicht besonders komerziell erfolgreich war, hat sie bei den vergangenen Abstimmungen im Publikumsvoting eher schlecht abgeschnitten. Das ist auch aktuell wieder so. Derzeit liegt Pat Benatar vor Dolly Parton und Duran Duran an der Spitze.