Das Song-ABC: James And The Cold Gun

„James And The Cold Gun“ ist ein Song vom Debütalbum „The Kick Inside“, den das Publikum nicht so im Blick hat. Graeme Thomson hat Recht damit, dass er „ein ordentlicher Rocksong mit viel Dramatik ist, [der] das Album vielseitig macht und besonders live zu Leben erwacht“ [1, S. 121]. Viel mehr Aufmerksamkeit wird dem Song von den Biographen leider nicht geschenkt, was unverdient ist (dazu später mehr). Interessant ist für die Biographen die Geschichte des Songs.
Kate Bush hat „James And The Cold Gun“ Anfang der siebziger Jahre geschrieben [4]. Offenbar wurde hier die Melodie einer noch früheren Komposition „Pick the rare flower“ genommen und mit einem neuen Text versehen [1, S.88]. Als Kate Bush zu Beginn ihrer Karriere mit ihrer „KT Bush Band“ in Pubs auftrat, gehörte das Lied zu den Rennern. Er eignet sich mit seinem vorwärtstreibenden 4/4-Takt [2] auch wunderbar für Liveauftritte. Auf dem Debütalbum ist er eindeutig der rockigste Track, der geradezu danach ruft, auf einer Bühne präsentiert zu werden. Er hat eine gewisse Fröhlichkeit und Leichtigkeit, die dafür genau richtig ist.
Der Song sollte nach dem Willen der EMI die erste Single von Kate Bush werden [1, S.120], der Plattenfirma erschien dies wohl gerade wegen der Eingängigkeit als die beste Wahl. Ich kann dies nachvollziehen: wenn man eine neue Künstlerin der Welt vorstellen will, dann versucht man etwas Zugängliches zu nehmen. Aus Sicht einer Plattenfirma wäre die Chance da gewesen, dass der Song in den Charts gut abgeschnitten hätte. Ich glaube aber, dass es keine gute Entscheidung gewesen wäre. „The Kick Inside“ ist voll mit unkonventionellen, überraschenden Songs, man hätte mit einer Rocknummer wie „James And The Cold Gun“ falsche Erwartungen erweckt. Er ist nun einmal viel konventioneller klingend als der Rest. Nein, es war gut, dass sich Kate Bush mit „Wuthering Heights“ gegen EMI durchgesetzt hat, dem wohl unkonventionellsten aller Debüts überhaupt. Kate Bush begründet ihre Entscheidung sehr klar so: „I felt that to actually get your name anywhere, you’ve got to do something that is unusual, because there’s so much good music around and it’s all in a similar vein. It was, musically, for me, one of my strongest songs. It had the high pitch and it also had a very English story-line which everyone would know because it was a classic book.“ [5]

Für mich nicht ganz nachzuvollziehen ist aber, warum „James And The Cold Gun“ dann keine Folgesingle geworden ist. Er hätte Erfolg gehabt, hätte eine ganz andere Seite von Kate Bush gezeigt. Manchmal ist die Musikwelt eben ein Rätsel. Aber vielleicht ist der Song wirklich live am besten aufgehoben. Es ist ein Song für das Kneipenpublikum, passend zu Marvin Gaye und den Rolling Stones [1, S.97]. Der Auftritt dazu wurde mit Trockeneismaschine und Gewehrattrappen aufgepeppt. [1, S.97]. Brian Bath, Mitglied der „KT Bush Band“, schildert den Auftritt eindrücklich: „Rob got a dry ice machine from somewhere. We used that on stage for ‚James And The Cold Gun‘ and it looked great. We had a bit of a show going! Kate did a costume change, she’d put on a bloomin‘ Western cowgirl dress for the second set! The theatrical thing was starting to get there“ [4]. Auch bei Del Palmer hinterließ der Auftritt bleibende Eindrücke: „She was just brilliant, she used to wear this big long white robe with coloured ribbons on or a long black dress with big flowers in her hair. She did the whole thing with the gun and [the audience] just loved it. She’d go around shooting people.“ [4]
In der „Tour of Life“ 1979 wurde der Song mit aufgenommen und diese Bilder wurden fast identisch übernommen, Kate Bush nutzte Elemente dieser Original-Performances von 1977 [4]. Es war unbestritten der Höhepunkt und Schlusspunkt der Show vor den Zugaben. Kate Bush schießt zum Abschluss alle nieder, Graeme Thomson nennt das eine „umwerfende dramatische Verkörperung weiblicher sexueller Macht“ [1, S. 174]. Das ist schon eine interessante Geschichte rund um diesen Song, die Biographen lassen es dabei bewenden. Aber hinter der Leichtigkeit verbergen sich doch überraschend spannende Details, die „James And The Cold Gun“ auf verborgene Weise tiefgründig machen.
Interessant ist der Blickwinkel der Geschichte. James ist nicht da, die Protagonistin singt ihn in Abwesenheit an, zusammen mit vielen weiteren Stimmen im Hintergrund. James ist abwesend, seine Freunde wollen ihn dazu bringen, wieder zurückzukommen: „James come on home“ [2]. Wer ist überhaupt dieser geheimnisvolle James? Darüber kann man viele Spekulationen im Internet finden, es geht von James Bond bis hin zu einem Verweis auf den Thriller „The Day Of The Jackal“ von Frederick Forsyth [6]. Überzeugend ist das nicht, denn daraus spiegelt sich nichts im Song wieder, es gibt kein Echo. Kate Bush behauptet, James sei einfach nur ein Name: „I’ve had lots of letters about this, many from people called James, with plenty of suggestions for identities of the „James“, but the answer is: nobody. When I wrote the song, James was the right name for it“ [7].
Aber vielleicht lässt sich doch eine Inspirationsquelle finden, wenn man sich den Text und die Szenerie des Songs anschaut. Für mich scheint er in einer Art Western-Welt zu spielen. Der Text ist voller Western-Stereotype: da ist Jeannie in ihrem Messingbett, wartend, da ist die Gang, die sich betrinkt: „She’s still a-waiting in the big brass bed / The boys from your gang are knocking whiskey back“ [2]. Also ist James vielleicht ein Echo von Jesse James, dem Western-Outlaw. „James, are you selling your soul to a cold gun?“, das passt dazu. Interessanterweise findet sich das Messingbett mit der wartenden Frau auch im Song „Lay Lady Lay“ von Bob Dylan aus dem Jahr 1969 wieder: „Lay, lady, lay / Lay across my big brass bed“ [9]. Das ist ein Song, den man dem Genre Country zuordnen könnte, auch das passt zum Western-Thema.
Spannend ist, wie Kate Bush nun mit diesem Westernthema umgeht. Der Held ist nicht da, der Held ist abwesend, das ist ungewöhnlich. Jeannie wartet, auch seine Gang, und alle machen dem Helden Vorwürfe: „You’re running away from humanity / You’re running out on reality“ [8]. Im Hintergrund des Songs hört man die Begleitstimmen, von Kate Bush gesungen, die in den Rollen der unterschiedlichen Figuren schimpfen [1, S.111].

Christine Kelley hat es in einem Essay über diesen Song [8] gut erkannt: Kate Bush beschreibt einen Western, der von seinem Helden verlassen wurde und präsentiert uns in „James and the Cold Gun“ ein Genre, das mangels eines Protagonisten auseinanderfällt. Ohne den Helden ist kein Licht: „You left us to fight / But it just ain’t right to take away the light“ [2]. Auf leichte, lockere und doch dunkle Art hat Kate Bush einen Western um 180 Grad gewendet – und fast niemand hat es je bemerkt. Die Gestaltung der Tonarten passt zu dieser hintergründigen Dunkelheit. Der Song ist in b-Moll notiert [2]. Auf „Jeannie“ wechselt die Tonart im Chorus auf die Paralleltonart Des-Dur. Zum Schluss des Songs wechseln sich b-Moll- und Des-Dur-Akkorde ab, es endet auf b-Moll [2]. Nach Beckh [3] ist b-Moll eine ganz düstere Tonart, es ist die „Todestonart“, die „Tonart des Sterbens“. In Des-Dur kommt „ein sinnliches Element, eine gewisse sinnliche Süße“ dazu [3]. „Ein eigenartiger Abgrund zwischen Höhe und Tiefe scheint sich innerhalb dieser Tonart aufzutun“ [3]
Die Verwendung der Tonarten bei Kate Bush ist wie immer verblüffend. James scheint ganz klar in einer Welt des Todes zu leben. Die Welt seiner verlassenen Freunde steht dagegen in der Parallelen Dur-Tonart, ist süßer, verlockender, lebendiger – aber es ist einfach nur die Todeswelt etwas aufgehellt. Der Western ist ohne seinen Helden tot, ist eine Hülle. Kate Bush hat den Helden herausgedrängt und füllt dessen Welt mit dunklen Phantasien. Es ist fast witzig, dies einem mittanzendem Kneipenpublikum unterzujubeln. Graeme Thomson meint, dass „James And The Cold Gun“ „[…] ein wenig platt und formelhaft aufgebaut ist“ [1, S. 121]. Ich gebe ihm nur insoweit Recht, dass der Song vordergründig leicht zugänglich und fröhlich ist. Aber der Text und die Tonarten sprechen eine andere Sprache. Schaut man hinein in einen Song von Kate Bush, so findet man immer etwas Tiefes, Dunkles, Ungewöhnliches – so wie hier auch. Hier muss man bloß etwas länger schauen und sich aus dem Pub hinaus ins Dunkle begeben. © Achim/aHAJ

[1] Graeme Thomson: Kate Bush – Under the Ivy. Bosworth Music GmbH. 2013.
[2] „Kate Bush Complete”. EMI Music Publishing / International Music Publications. London. 1987. S. 106f
[3] Hermann Beckh: Die Sprache der Tonart in der Musik von Bach bis Bruckner. Verlag Urachhaus. Stuttgart 1999. S. 232ff
[4] https://www.katebushencyclopedia.com/james-and-the-cold-gun (13.01.2023 gelesen)
[5] Harry Doherty: „The Kick Outside“, Melody Maker, 03.06.1978
[6] https://genius.com/Kate-bush-james-and-the-cold-gun-lyrics (gelesen 28.08.2022)
[7] Kate Bush Club, Ausgabe 11/1979, http://gaffa.org/cloud/music/james_and_the_cold_gun.html (gelesen 13.01.2023)
[8] https://www.eruditorumpress.com/blog/james-and-the-cold-gun (gelesen 12.01.2023)
[9] http://www.bobdylan.com/songs/lay-lady-lay/ (gelesen 13.01.2023)

Schreibe einen Kommentar

Deine Email-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Bitte ausfüllen. Danke. * Time limit is exhausted. Please reload CAPTCHA.