BTD: Das Tourbuch

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Before the dawn – zu Beginn eine persönliche Impression
Von Beate Meiswinkel

Platz 58, Reihe L, Circle Block 2. Es ist der 2. September 2014, und ich sitze kerzengerade und in einem Gefühlszustand irgendwo zwischen euphorischem Freudentaumel und tiefster Erschütterung im Londoner Eventim Apollo. In diesem Moment schweben die letzen Klänge von „Hello Earth“ durch den Raum. Ich bin ganz und gar Zuschauerin und Zuhörerin. Ich will, nein ich muss alles aufnehmen, was dort unten auf der Bühne geschieht. Keinesfalls will ich auch nur das Geringste versäumen! Denn was ich hier erlebe, ist die Erfüllung eines lange gehegten Traumes. Meine Augen und Ohren verschlingen alles, was auf der Bühne geschieht, was ich höre, was ich sehe. Und doch ist ein Teil von mir von einer Frage abgelenkt: werden sie kommen, jene Worte, die mir so viel bedeuten? Oder würde man sie als unwesentliches Detail betrachten, sie übergehen? Die Musik erfüllt den gesamten Raum, laut Stille vermittelnd. Die Stille einer unergründlichen, undurchdringlichen Tiefe. Schwarz. Bodenlos. Und dann sind sie da, jene geflüsterten deutschen Worte, die alles erhellen:

„Tiefer. Tiefer. Irgendwo in der Tiefe gibt es ein Licht.“

Und damit ist sie für mich besiegelt, die Erfüllung eines Lebenstraums! Ich bin wirklich und wahrhaftig hier, bei einem Kate Bush-Konzert, bei einer der „Before the Dawn“ Shows. Wahnsinn!

Before the Dawn – Das Tourbuch

tourbook-400Ich hatte ursprünglich geplant, einen detaillierten Konzertbericht zu schreiben. Hinderlich daran ist, dass mir noch immer die Worte fehlen. Es ist, als wollten sie in mir bleiben, um das zu bewahren, was ich erfahren und was ich empfunden habe. Als könne ich nicht an dieser kostbaren Erinnerung rühren. Es kommt mir seltsam vor, dass einen der Besuch eines Konzerts derartig tief berührt, andererseits war es nun einmal ein Kate Bush-Konzert, und wer hätte je geglaubt, einmal sagen zu können: ich war dabei?
An einem gemütlichen Sonntagnachmittag sitze ich nun zu Hause und blättere nachdenklich durch das „Before the Dawn“ Tour-Programm mit seinen teilweise ungeöffneten Seiten. Warum sind sie nicht aufgeschnitten? Vorsichtige Blicke zeigen, dass sie innen bedruckt und mit Bildern oder geheimen Botschaften angereichert wurden. So gerne würde ich sie öffnen, mag aber das kostbare Souvenir nicht zerstören. Dann, mit einem Mal packt es mich. Ich gehe in die Küche und hole mir ein sehr scharfes Messer. Behutsam trenne ich die Seiten auseinander. Während ich dies tue, wird das Buch auf einmal vollständig. Es ist, als öffne man eine Schatztruhe! Und auf einmal weiß ich, was ich schreiben möchte. Keinen Konzertbericht; ich möchte in unserer Sprache wiedergeben, was Kate uns über die Hintergrundgeschichte ihrer „Before The Dawn“-Konzerte mitgeteilt hat. Denn es waren jene deutschen Worte, mit denen „Hello Earth“ verklingt und „The Morning Fog“ heraufzieht, die mich tatsächlich begreifen ließen: da unten auf der Bühne ist Kate Bush. Live. Es ist wirklich wahr…

Hier also nun das Tourbook. Bevor ich beginne, noch folgende Hinweise: es handelt sich weder um eine wörtliche noch um eine vollständige Übersetzung. Passagen, in denen ich Kate zitiere, sind in Anführungszeichen und kursiver Schrift dargestellt. Nun aber viel Spaß mit der Geschichte „vor der Dämmerung“!

Vor der Dämmerung – Einleitung

Im März 2013 fragte Kate Bush ihren Sohn Albert, Bertie genannt, was er davon hielte, wenn sie einige Konzerte geben würde. Bertie fand die Idee hervorragend und bestärkte damit seine Mutter darin, ein Projekt in Angriff zu nehmen, das höchst anspruchsvoll und aufwändig in Planung, Vorbereitung und Ausführung war, und mit dem es ihr aufs Neue gelang, sich selbst zu übertreffen: „Ich wollte wirklich etwas anderes machen, als an einem weiteren Album zu arbeiten und verspürte das echte Verlangen, in Kontakt mit dem Publikum zu treten, das meine Arbeit noch immer zu schätzen weiß.“
Mit dem ehemaligen EMI- und Polygram-Executive David Munns begab sich Kate Bush auf die Suche nach einem passenden Veranstaltungsort in London für ihre Live Shows. Damit begannen die 18-monatigen Vorbereitungen mit dem „unbeschreiblichsten Team von Menschen, da man sich nur vorstellen kann.“
„Die beiden Schlüsselfiguren für mich, die ich gleich am Anfang des Projekts besetzen wollte, waren der Beleuchtungs-Designer und der Drummer. Ich sah es als eine bildliche Reise des Lichts, und der Schlagzeuger war das akustisches ‚Herz‘.“

Zunächst trat Kate Bush an Mark Henderson heran, einen der führenden Beleuchtungsspezialisten am Theater. Nach dessen Zusage wurde ein erster Veranstaltungsort in Augenschein genommen. Dieser war zwar schön, jedoch sehr groß und eher für Konzerte als für eine Theatervorstellung geeignet. „Ich wollte wirklich, dass es ein richtiges Theater ist, damit es in die Welt von Musik/Theater/Film gehört, statt ein Konzert mit eingeschobenen Theaterelementen (zu werden).“ Einige Monate später trafen sich Mark und Kate mit Dick Bird, einem hochkarätigen Bühnenbildner: „Ich hatte bereits eine seiner Produktionen gesehen, und seine Arbeit ist höchst fantasievoll.“  Er erschien zu dem Termin mit einer großen weißen Schachtel, in der sich ein detailgetreues Modell des vorgeschlagenen Veranstaltungsortes befand sowie das einer maßstabsgetreuen kleinen Figur, um die Größenverhältnisse darzustellen. Die Location wirkte dabei vergleichsweise riesig, wie ein Flughafenhangar, womit Kate Bush sich gar nicht wohlfühlte. Daher schlug Mark eine Alternative vor.

Das Eventim Apollo (ehemals Hammersmith Odeon und bekanntermaßen Schauplatz der Londoner „Tour of Life“-Konzerte) war bereits mehrfach im Gespräch gewesen, man hatte es jedoch immer wieder verworfen. Unter anderem deshalb, weil es renoviert werden musste, was im Laufe des Jahres 2014 geschehen sollte. In London gibt es allerdings nur wenige Veranstaltungshäuser mittlerer Größe: „Sie sind alle entweder sehr klein oder sehr groß, was beides unsere Bedürfnisse nicht erfüllte.“ Daher fragte Kate Bush schließlich doch beim Apollo nach, und erfreulicherweise waren nicht nur die Renovierungsarbeiten beinahe abgeschlossen, sondern ihre Wunschtermine waren ebenfalls noch frei – fast, als habe das Theater nur auf sie und ihr Projekt gewartet! „Wieder nach Hammersmith zurückzukehren, war ein merkwürdiges Gefühl.“ Obgleich das Theater noch voller Handwerker war und die Zimmermannsnägel aus dem Boden ragten, fühlte man sich sofort wieder heimisch. Es war bereits zu erahnen, wie schön das ehemalige Lichtspielhaus, das in den 1930er Jahren erbaut wurde, nach Fertigstellung aussehen würde. Dass die Bühne eine ehemalige Kinoleinwand ist, kam Kate Bush sehr entgegen. „Sie besitzt einen sehr hohen Bühnenrahmen, also genau das, was wir für einige Elemente der Show brauchten. Hier gab es die perfekten Voraussetzungen für unsere untergehende Sonne und unseren wunderschönen Nachmittag.“

tourbook3Einen wesentlichen Beitrag zur Durchführung des Projektes leistete Kates Sohn Bertie. „Ohne seine Ermutigungen und seinen Enthusiasmus (…) hätte ich bestimmt einen Rückzieher gemacht. Er war mein Hauptberater, mein Redakteur und mein Vertrauter.“ Und so war es selbstverständlich, dass auch Albert eine wesentliche Rolle auf der Bühne übernehmen würde, „soweit sich dies mit seinen schulischen Verpflichtungen vereinbaren ließ.“ Der Grund, warum man sich für nur einen einzigen Veranstaltungsort für sämtliche Vorstellungen entschied, ist den ehrgeizigen theatralischen Ideen geschuldet, die man nicht so ohne weiteres einpacken und transportieren konnte. Stattdessen machte man sich den vorhandenen Raum zu Eigen, um darin verschiedene „Welten“ zu kreieren – durch Musik, Film, Theater, Puppenspieler und einige menschliche Akteure. „Ihr werdet wohl nie erfahren, wie viel Zeit, Aufwand und Sorgfalt in dieses Projekt geflossen sind – für Euch, unser liebes Publikum.“

The Ninth Wave

„Dies war der tatsächliche Ausgangspunkt. Das Aufregende an der Einbindung von Ninth Wave und Sky of Honey ist, dass sie zwei erzählerische Stücke sind.“ Eine Umsetzung als „Theaterstück“ bot sich daher an. „Mir gefiel die Tatsache, dass sie im Gegensatz zueinander standen. Eines ist dunkel und klaustrophobisch: eine arme Frau, die im Meer um ihr Leben kämpft. Das andere ist eine Reise aus Licht und Vogelstimmen an einem Sommertag.“
Film und Bühnenarbeit miteinander zu verbinden, war eine der ersten Ideen. Die tatsächlichen Ereignisse der Geschichte sollten auf der Kinoleinwand gezeigt werden, während die Alpträume und Halluzinationen live auf der Bühne stattfinden sollten:

„Die Leinwand ist die Wirklichkeit,
die Bühne… der Traum.“

Viele gute Ideen strömten von allen möglichen Seiten herbei, und Kates Projekt glückte auch durch so manch günstige Fügung. „Watching You Without Me“ war das erste Stück, das bearbeitet wurde. Es sollte mit einer kurzen Dialogszene als Theaterfragment in die Musik eingebettet werden. Der Autor David Mitchell („Chaos“, „Der Wolkenatlas“) konnte dafür gewonnen werden, diesen Dialog zu schreiben.
„Das Wrack im hinteren Bereich der Bühne bei Ninth Wave musste eine ganz schöne Reise zurücklegen, bevor Dick (Bird) mit dem atemberaubenden Design kam, das wir verwenden. Zuerst war es eine Welle, dann ein Schiffswrack, bis es schließlich jenes wunderschöne Kunstwerk wurde (…), sowohl eine Welle als auch ein Wrack, das durch seine Schlichtheit und seine Asymmetrie irgendwie eine außergewöhnliche Spannung vermittelt.“

confettiDass Kate „The Ninth Wave“ 30 Jahre nach der Komposition auf der Bühne umsetzen würde, hatte sie sich nicht vorstellen können. Als „Hounds of Love“ veröffentlicht wurde, hatte sie den Entwurf eines Drehbuchs für einen Kurzfilm geschrieben, der allerdings nicht realisiert werden konnte. Wie sich herausstellte, eignet sich das Stück auch eher für die Bühne. „Ich liebe Details, und das gesamte Team ging regelrecht darin auf. Ich wollte den Auszug aus Tennysons Gedicht (aus dem der Titel ‚Ninth Wave‘ stammt) auf den Papierstücken stehen haben, die zu fliegen beginnen, wenn wir uns in ‚The Ninth Wave‘ hinein bewegen. Dick Bird entdeckte Muster von Tennysons handschriftlichen Notizen und ahmte diese für das ‚handgeschriebene‘ Gedicht auf den Papierstücken nach.“

Ein weiteres schönes Detail stellt das Glockenläuten dar, das Kevin McAlea auf seinem Keyboard bei „Joanni“ spielt. Er hat dafür Aufnahmen der Kirchenglocken der Kathedrale in Rouen verwendet, die auch am Tag der Heiligen Johanna, der Jungfrau von Orleans, geläutet werden.

Die Leinwand ist die Wirklichkeit, die Bühne in Pinewood mit dem 20 Fuß tiefen Innentank ist der – Brrrrrr!

„Brrrrrr, in der Tat. Allein daran zu denken, lässt mich Erschauern. Mit Ideen ist das so eine Sache. Sie mögen sich ja zunächst gut anhören, aber oft sind sie von ihrer tatsächlichen Umsetzung sehr weit entfernt.“
Was als interessante Idee begann, nämlich Filmszenen für „The Ninth Wave“ in einem Wassertank zu filmen, entpuppte sich als langatmige und überaus anstrengende Erfahrung. Diese erinnert bestimmt nicht nur zufällig an die Geschichte des Maler-Models Elizabeth Siddal. Anno 1852 posierte Siddal bewegungslos in einer wassergefüllten Badewanne liegend für das Gemälde „Ophelia“ von John Everett Millais – mit tragischen Folgen für ihre Gesundheit. Und auch Kate sollte sich in ihrem Wassertank eine leichte Unterkühlung einhandeln.

Doch genug der präraffaelitischen Abschweifungen; Kate wollte bei ihren Aufnahmen unbedingt live singen, statt ein Playback zu verwenden, um die Stimmung ihrer Szene möglichst authentisch einfangen zu können: „Doch soweit wir wissen, hat noch niemand live gesungen, während er flach auf dem Rücken liegend in einem Wassertank treibt. Das Sound-Team hat sehr viel herumexperimentiert und Mikrofone in Fischgläser getaucht, von denen einige sofort kaputt gingen. Wenn man einen Mikrofon-Hersteller fragt, ob seine Geräte wasserdicht sind, ist dieser natürlich dazu verpflichtet, nein zu sagen. Tatsächlich sind es ein paar davon trotzdem. (…) Wir benötigten natürlich die bestmögliche Sound-Qualität, da wir eine Hauptstimme aufnehmen wollten.“
Eine echte Herausforderung für das Sound-Team also. Man verwendete ein Galgenmikrofon als back-up, während die beiden Hauptmikrofone als Aufblasventile getarnt in die Schwimmweste eingearbeitet worden waren, die Kate bei den Aufnahmen trug.

bfd2„Nach etwa sechs Stunden, in denen ich in einem Tank zusammen mit einem kompletten Taucher-Team herumtrieb, ging eine verängstigte Visagistin, die nicht schwimmen konnte und in nasser Kleidung herum waten musste, auf einmal in unserem 20 Fuß tiefen Wassertank unter. Während sie von einem heldenhaften Taucher und der gesamten Film-Crew gerettet wurde, von denen keiner auch nur nasse Füße bekommen hatte, begann ich, mich ein klein wenig gereizt zu fühlen, und mir war sehr kalt.“
Kates Laune kippte also verständlicherweise, nachdem das Filmteam auch noch nach größeren Wellen verlangte. Diese Wellen würden nicht nur die Live-Stimme übertönen, sondern es würde auch eher wie in einem Badezimmer klingen als nach dem Rauschen des Ozeans. Größere Wellen wurden seitens der Künstlerin also rigoros und in sehr, ahem, blumiger Sprache abgelehnt. Am Abend fühlte Kate sich unwohl, ihre Temperatur stieg an und sie befürchtete, sich eine Lungenentzündung zugezogen zu haben. Am nächsten Morgen lag sie mit Fieber im Bett, konnte die Dreharbeiten nicht fortsetzen und konsultierte schließlich einen Arzt:
„Unser Hausarzt ist ein sehr gebildeter, wortgewandter Mann, dessen Redeweise angemessen ausdruckslos ist:
‚Wo liegt denn das Problem?’
‚Ich war gestern in einem Wassertank und ich habe Fieber.’
‚Und warum waren Sie in einem Wassertank?’ fragte er, ohne auch nur das geringste Zucken einer Augenbraue…“

Zum Glück war es keine Lungenentzündung, und Kate durfte weitermachen, sofern sie nicht länger als höchstens zwei Stunden im Wasser verbringen würde. „Also konnten wir die Dreharbeiten vollenden und die Live-Stimme aufnehmen, doch dies war das erste Mal in all meinen Jahren voller hirnrissiger Ideen, in denen ich tatsächlich meine geistige Gesundheit in Frage stellte. Es war wirklich die anspruchsvollste Performance bisher.“

Der blinde Mann und das Meer

Kate Bush (KB): Also ich hätte grundsätzlich gerne eine neue Szene, in der der Schiffskapitän einen Notruf sendet, um darzustellen, warum die Frau im Meer treibt. Etwas Kontext für The Ninth Wave. Es darf nur nicht zu Titanic-mäßig sein.

David Mitchell (DM): In Ordnung. Wie wäre es, wenn sie bei einem Sturm über Bord geht?

KB: Ah, ein Sturm ist nicht gut. Wir haben bereits eine Szene aufgenommen, in der es eine stille Nacht ist und der Mond am Himmel steht…

DM: Dann ist die Frau einfach ausgerutscht und ins Meer gefallen. Plop.

KB: Dann würde sie rufen ‚Hey, Hilfe, ich bin reingefallen, fischt mich wieder raus!’

DM: Aha – aber nicht, wenn sie sich an der Reling bewusstlos geschlagen hätte.

KB: Wenn sie sich bewusstlos geschlagen hätte, wäre die zweite Hälfte von The Hounds of Love nur etwa drei Minuten lang.

DM: Ok, damit hast du Recht. Aber wenn es eine so ruhige Nacht ist, warum sendet der Kapitän dann einen Notruf wegen seines sinkenden Schiffes?

KB: Mmm… was ist mit einem schweren Maschinenversagen? Das wäre sicher eine geeignete Entschuldigung dafür, SOS zu senden.

DM: Ja, das wäre es, doch was für eine Art von schwerem Maschinenversagen würde außerdem dazu führen, dass eine Frau über Bord geht? Außer… außer wenn das Schiff auf einem Riff auf Grund läuft… es rammt Rockall [ein Felsen im Nordatlantik], und der Rumpf bricht? Ich würde nach Hubschraubern schreien, wenn ich dieser Kapitän wäre.

KB: Ein Fels mitten im Atlantik ist mir etwas zu Titanic-mäßig. Übrigens, liegt Rockall nicht sowieso außerhalb der Reichweite für Seenotrettungs-Hubschrauber?

DM: Könnte sein, nehme ich an… von was für einer Art Schiff reden wir? Ein kilometerlanges Container-Schiff aus Shanghai? Eines dieser kleinen Kapselboote, die man für Weltumsegelungen benutzt? Oder so etwas wie die Jacht eines russischen Oligarchen?

KB: Containerschiffe hätten eine Flotte von Rettungsbooten dabei, könnte ich mir vorstellen. Ich sehe die Frau auch nicht als den sportlichen Jachtbesitzerinnen-Typ. Und wie mitfühlend wäre das Publikum, wenn die Jacht eines russischen Oligarchen auf hoher See in Schwierigkeiten geriete?

DM: Das ist ein Gedanke. Was, wenn das ganze Hammersmith zu Jubeln beginnen würde, wenn sie unterginge? Das könnte einen diplomatischen Zwischenfall auslösen! Wie wäre es mit einem Fischtrawler?

KB: Ja-ah.

DM: Du klingst nicht überzeugt.

KB: Was macht eine Frau – die mit einem Schiffsarchitekten verheiratet ist, wie du dich erinnerst – auf einem Fischtrawler, meilenweit entfernt von der Küste?

DM: Vielleicht interessiert sie sich einfach sehr für Fisch?

KB: [Schweigen.]

DM: Okay – also, sie ist eine Meeresbiologin, die… die Planktondichte oder die Tintenfischpopulation untersucht. Der Trawler ist eigentlich ein Forschungsschiff. Und es befindet sich nicht so weit draußen wie Rockall, vielleicht eher bei den Scillies… oder auf halbem Weg zwischen England und Irland.

KB: Meeresbiologin ist nicht schlecht: aber lass uns den Schauplatz unspezifisch halten.

DM: Würde der Kapitän die Koordinaten seines Schiffes nicht durchgeben, nachdem er „Mayday, Mayday, Mayday“ gerufen hat?

KB: Vielleicht versucht er das, aber die Funkverbindung ist gestört, und er sagt: „Hier spricht Kapitän Zischundkrakel von der Rausch-Rausch, Mayday, Mayday, wir sinken sehr schnell bei Längengrad Fauch-Vier-Zisch-Sieben, Breitengrad Eins-Zwei-Schnapp-Knister-und-Knall? Over.“

DM: Das könnte ein wenig oberflächlich wirken, ein bisschen gekünstelt.

KB: Okay… Was wäre dann – was wenn er nicht sehen könnte?

DM: Ein blinder Kapitän, der für ein Forschungsschiff auf hoher See zuständig ist?

KB: [gedämpftes Murmeln] Der Kapitän konnte noch sehen, als das Schiff den Hafen verließ, doch ein unglücklicher Vorfall hat ihn inzwischen seines Augenlichts beraubt – und war der Anlasse für den Notruf.

DM: Guuuut. Etwas wie ein schleimtriefender Tentakel, der aus Sigourney Weavers Brustkorb hervorbricht, vielleicht… nein, nein, nein – wie wäre es damit: im Maschinenraum ist ein Feuer ausgebrochen, und eine Explosion hat dabei die Kabine in die Luft gejagt und ihn dabei geblendet! Wie bei dem Filmvorführer aus Cinema Paradiso. Das ist auch schon fast Homerisch. Hemingway-esque. Der blinde Mann und das Meer.

KB: „alt“!

DM: Oh, ich dachte es sei ziemlich frisch und originell.

KB: Nein, es heißt der „alte“ Mann und das Meer. Aber wenn der Kapitän blind ist, wie kann er dann sein Funkgerät bedienen und den Notruf-Kanal wählen?

DM: Das ist knifflig. Warte – wie wäre es, wenn der Kapitän sehen kann, aber seine Karten alle Feuer gefangen haben? Darum kann er seine Koordinaten nicht durchgeben. Darf ich fragen, was daran so komisch ist?

KB: Nichts. Ich musste nur Niesen. Okay: wir haben also ein Feuer im Maschinenraum, ein anderes im Funkraum, und alle Karten stehen außerdem in Flammen. Nicht unmöglich. Aber wir brauchen noch immer einen Grund, warum die Frau ins Wasser gefallen ist.

DM: Ganz einfach: die Sendeanlage des Schiffs hat geblinkt, und die Frau ist kurz vor der Explosion auf den Antennenmasten hinaufgeklettert. Die Schockwelle hat sie vom Sendemasten geschleudert, sie flog durch die Luft, und Platsch! So. Wir haben ein sinkendes Schiff, eine Frau im Meer, einen verzweifelten Seenotruf, und in all dem Chaos bemerkt niemand überhaupt, dass die Frau vermisst wird. Problem gelöst, oder wie? Hallo? Geht es dir gut?

KB: Ich musste nur nochmal Niesen. Nun gut. Ja. Ich bin froh, dass die Crew eine Frau auf die Antenne hinaufgeschickt hat.

DM: Meeresbiologen sind ein post-feministischer Haufen. Oder sie ist einfach die Geschickteste und hat einen Schraubenzieher.

KB: Wenn ich es mir nochmal überlege, sollte der Kapitän vielleicht ein Amateur-Himmelsforscher sein, der an seinem Funkgerät hängt. Und der den Notruf nur mithört

A Sky Of Honey

Nachdem „The Ninth Wave“ vergleichsweise leicht umgesetzt werden konnte, widmete Kate sich „A Sky of Honey“, was sich als wesentlich schwierigeres Unterfangen entpuppen sollte. Nachdem der „Feinschliff“ von Ninth Wave sie eine ganze Weile aufgehalten hatte, tat sie sich schwer damit, einen Einstieg zu finden: „Es ist ein viel abstrakteres Stück als Ninth Wave. Ich war sehr zufrieden mit den Himmels-Elementen im Hintergrund, doch was würde sich auf der Bühne abspielen? Ich brauchte jede Menge ‚Stille‘ zwischen Böen von Bewegung, die sich allmählich aufbauen, bis im letzten Song Aerial die Hölle losbrechen würde.“ Die Band sollte außerdem stärker mit einbezogen werden. Dank eines weiteren Modells von Dick (Bird) konnte Kate die Idee umsetzen, die Musiker auf der einen Bühnenseite zu platzieren, während auf der anderen die Theaterarbeit stattfand.
„Ursprünglich ging es in Sky of Honey um die Verbindung zwischen Licht und Vogelgesang. Warum ruft das Licht ihren Gesang hervor? Warum bringt es sie zum Verstummen, wenn es erlischt (…)? Es ging außerdem um den Beobachter. Uns, die wir die Natur beobachten. Uns, die wir da sind.“

malerSie beschloss, dass der Maler eine wesentlich bedeutendere Rolle in der Erzählung einnehmen sollte. Er würde in gewissem Sinne verantwortlich für den Himmel und die Ereignisse werden, die auf der Bühne geschehen: „Eine Art von ‚Pan’-Figur. Ich wusste, dass Bertie perfekt für diese Rolle sein würde.“
Eine weitere Idee wurde umgesetzt: eine hölzerne Künstlerpuppe von der Größe eines Kindes sollte über die Bühne wandeln und in die Ereignisse einbezogen werden. Letztendlich sollte diese Puppe jemanden darstellen, der nicht von dem Zauber gefangen genommen wird, der auf der Bühne inszeniert wird: „Sie sollte die Energie eines Tieres besitzen. Wie ein Welpe. Rasch zu ängstigen, leicht erregbar, voller Leben und Instinkt.“
„Wir besitzen ein außergewöhnliches Künstlermodell aus dem 18. Jahrhundert. Es hat eine wirklich außergewöhnliche Energie. Es ist natürlich sehr abgenutzt, doch es hat gegliederte Finger und lediglich einen Holzklotz als Kopf. Mir gefiel die Vorstellung, dass die Holzpuppe keinen Gesichtsausdruck haben würde. Ich finde bei Puppen immer schwierig, dass sich ihre Gesichter nicht verändern, aber das ist auch teilweise der Grund, warum sie so gruselig sein können.“

Problematisch an dem Familienerbstück war, dass es für die meisten Betrachter nicht als Künstlerpuppe erkennbar sein würde. Man brauchte also ein etwas zeitgenössischeres Modell.

puppe„Ich hatte mit einer Puppenspielerin darüber gesprochen, wie viele Leute wir benötigen würden, um die Puppe zu spielen, und sie hatte drei empfohlen, um die Details von Bewegung und Ausdruck erreichen zu können.“ Dieser Vorschlag weckte Befürchtungen, es würde wirken, als werde die Puppe ausgeraubt, während sie von drei eifrig hantierenden Puppenspielern umgeben sei – wahrscheinlich nicht ganz zu Unrecht. Rob (Robert Allsopp?) schlug daher vor, die Puppe an einer Art Harnisch an der Vorderseite eines einzelnen Puppenspielers zu befestigen. „Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, wie das funktionieren sollte. Würde das nicht schwerfällig aussehen? (…)“
Kate war nahe daran, die Idee mit der Puppe wieder fallen zu lassen. Das kleine Holz-Mannequin auf ihrem Schreibtisch wurde für einige Monate in die Schublade verbannt. „Bertie sagte mir immer wieder, dass ich falsch liege. Verwirf sie nicht. Das Stück braucht sie. Wie immer hatte er Recht, und schließlich schrieb ich sie wieder hinein.“
Rob, der inzwischen ein Modell basierend auf seinem Einfall angefertigt hatte, lies Kate ein Kurzvideo seiner „Ein-Mann-Puppe“ zukommen: „Sie war einfach atemberaubend. So einfallsreich und so (vollkommen) mit ihrem Puppenspieler verbunden, mit einem riesigen Bewegungsspielraum. Sie konnte laufen, rennen, springen und sich drehen.“
Inzwischen gelangte man zu der Einsicht, dass Kate einen Kodirektor benötigte. Die Wahl fiel nach einigen Überlegungen auf den Theaterregisseur Adrian Noble, den ehemaligen Intendanten der Royal Shakespear Company. Obgleich glücklich über Nobles Zusage und seine offensichtliche Begeisterung darüber, an ihrem Projekt mitzuwirken, plagten Kate einige Zweifel, ob es mit der Zusammenarbeit auch klappen würde: „Aber würden wir auch miteinander auskommen? Noch immer etwas aufgeregt darüber, dass er übernehmen würde, hielt ich ihm eine tüchtige Standpauke, als wir uns trafen: ‚Meine ganze Karriere über musste ich darum kämpfen, mir Gehör zu verschaffen… die Leute denken immer, ich hätte keine Ahnung von den Dingen, über die ich spreche … ich möchte auf keinen Fall, dass Sie hier einfach ankommen und alles an sich reißen’. Er saß sehr höflich da während meiner Schimpftirade und warf mir den Blick zu, den ich so gut kenne: ‚Die hat wohl nicht mehr alle Tassen im Schrank’.“
Letztendlich entpuppte sich die Zusammenarbeit als überaus angenehm und erfolgreich; Noble steuerte einige wesentliche Ideen bei. So sollte die Holzpuppe ursprünglich hinter einer Leinwand die Bühne betreten. Ihre „Puppenwelt“ sollte einen Gegensatz zum Szenario auf der Bühne bilden. Ein monderleuchteter Winterwald von Silberbirken sollte sich in einen schönen Sommernachmittag verwandeln, während sie die Schwelle auf die Bühne überschritt. Doch mit der neuen Methode, nur einen Puppenspieler zu verwenden, sah man nun, wie zwei Personen die Bühne betreten statt einer Puppe, umringt von mehreren Puppenspielern. Das ursprüngliche Bild war so nicht mehr stimmig.
Noble schlug vor, stattdessen ein riesiges Tor im hinteren Bereich der Bühne zu installieren, zwischen dessen Flügeln die Puppe klein und verletzlich wirken würde: „Das war doch ein wunderbarer Einfall, nicht wahr? Wir haben nun große Türen, die ein wenig von den Türen inspiriert wurden, die ich zu Hause habe. Alte maurische Türen.“ Und der erfahrene Regisseur hatte noch weitere gute Einfälle: den Wald, der auf dem Gemälde erscheint. Die Bäume, die am Ende des Stückes wieder auftauchen. Das Fernsehgerät, dass in dem Zimmer für „Watching You Without Me“ hin- und her schwingt: „Das sind nur einige der Glanzstücke, die Adrian mitgebracht hat. Adrian war es auch, der Kevin Doyle entdeckte, unseren Himmelsforscher in ‚The Astronomer’s Tale’. (…) Was für eine große Ehre, die Gelegenheit zu haben, mit ihm zu arbeiten. Was für eine Ehre, mit jedem einzelnen Mitglied dieses außergewöhnlichen Teams zu arbeiten.“
Für die Proben zog sich das Team auf ein ehemaliges Schulgelände mit einem schönen alten Haus und verschiedenen Nebengebäuden zurück. Die ersten Wochen über arbeitete die Band in einem der Gebäude, während der Theaterkünstler Basil Twist in der Turnhalle mit den wahrhaft atemberaubenden „Seiden-Wellen“ und den Puppenspielern übte. Die Chorproben fanden in der Synagoge statt. Mark Henderson setzte seine Beleuchtungsdesigns im Haus um. Dick Bird beschäftigte sich mit Malerarbeiten und den Bühnenbildern, und alles drängte sich um seine Bühnenmodelle, um sie zu bestaunen.
Wir konnten alle zwischen den einzelnen Abteilungen hin- und her flitzen und bekamen so einen Überblick über das Gesamtprojekt, während es sich entwickelte.“

David Taraskevics, Simon Marlow, Keely Myers und George Sinclair stellten sich den ständig wachsenden Herausforderungen einer komplexen technischen Show. Kostümdesignerin Brigitte Reiffenstuel kümmerte sich um die Anproben in den ehemaligen Kunsträumen der Schule.
„Es war ein enorm kreativer und ungewöhnlicher Platz. Manchmal arbeiteten wir mit der Band an Sky of Honey und hörten die (Stimmen der) Ringeltauben von den Keyboards, und wenn wir hinausgingen, um eine Pause zu machen, hörten wir die echten Ringeltauben in den Bäumen rund um das schöne Schulgelände rufen. Wir waren alle traurig darüber, diesen Ort zu verlassen. Er war unser Zuhause geworden.“
Ebenso faszinierend gestalteten sich die Vorbereitungen des eigentlichen Veranstaltungsorts, des Hammersmith Apollo:
„Das gesamte Team war vor Ort, und jeder starrte mit müden, aber glänzenden Augen durch die raucherfüllten Lichtstrahlen auf riesengroße fliegende Vögel (…) Drei komplette Sitzreihen waren ausgebaut und durch Tische voller Computerbildschirme ersetzt worden für die Projektionen und das Beleuchtungsdesign (…) Manchmal war das Theater erfüllt von Glockengeläut oder dem Wirbeln eines Schwirrholzes, während das Soundteam die Klanglandschaft für das Surround-Sound-System zusammenstellte.“
Es muss zweifellos eine großartige Erfahrung gewesen sein, die Show Stück für Stück entstehen zu sehen. Ideen und Vorstellungen, die monatelang als Notizen und Fotografien in Ordnern abgeheftet waren, wurden durch ein engagiertes Team auf der Bühne umgesetzt und zum Leben erweckt. Einen wesentlichen Beitrag dazu leistete selbstverständlich die Band. Es hatte einige Zeit in Anspruch genommen, die passenden Musiker zu finden und zusammenzubringen:
dvd„Ich kann mir keine bessere Gruppe von Musikern vorstellen, oder entzückendere, goldigere Menschen:
Kevin McAlea (Keyboards, Akkordeon, Uilleann Pipes), der einzige von der Originalbesetzung der letzten Tour (…); Jon Giblin (Bass), meinen lieben Freund und Kollegen beim größten Teil der Alben; Omar (Hakim –Drums), das „Herz“ der Band (…); Mino (Cinelo), der Magier an den Percussions, immer mit einem breiten Lächeln im Gesicht;
David Rhodes (Gitarre), der musikalische Lichtstrahl, zu dem ich immer zur Bestärkung hinüber blicke; Frissi (Karlsson – Gitarre, Bouzouki, Charango), der isländische Winnie Pooh, der musikalischen Honig sammelt (…); Jon Carin, ein „wizard of sampled sound“, der für mich als Hauptstimme einsprang, wenn ich einen Schritt zurücktreten musste, um die Arrangements anzuhören oder vor Erschöpfung (…) zusammenklappte!“
„Wir sind alle sehr stolz auf den Surround-Sound, und dank Greg (Walsh – Sound Designer und FOH Engineer), der auf einem High Tech System bestand, spüren wir nun, dass wir tatsächlich etwas ganz Besonderes haben. Wir wollten das Publikum in die beiden Welten eintauchen lassen, ihm wirklich das Gefühl geben, Teil der Show zu sein. James Drew (Sound FX Consultant) hat eine FX-Klang-Kulisse erschaffen, die dabei hilft, den Erzählungen wirkliche Tiefe zu verleihen.“

Und so leisteten viele fleißige Hände ihren Beitrag zu „Before the Dawn“, einer Show, der man nicht einmal mit der Aufzählung sämtlicher Superlative aus Kates frühem Hit „Wow“ gerecht wird. Wann immer ich mich an jenen 2. September 2014 im Eventim Apollo erinnere, fühle ich noch immer überwältigt und dankbar und von dem Wunsch beseelt, diesen Abend noch einmal erleben zu dürfen. Kate Bush und ihrer Crew ist es nicht nur auf einzigartige Weise gelungen, Live-Musik mit Erzählung, Theater- und Filmelementen zu verbinden. Sie haben es außerdem zu Wege gebracht, mit ihrem Publikum in unbeschreiblicher Intimität und tiefer Nähe zu verschmelzen. Ein großes Geschenk von unschätzbarem Wert, für das sich sowohl Künstler als auch Zuschauer glücklich schätzen – eine Erfahrung, die wohl niemand jemals wieder vergessen wird, der mit dabei sein durfte. Zum Abschluss möchte ich noch einmal Kates Sohn Albert – Bertie zu Wort kommen lassen, der es auf den Punkt bringt:
„Ich fühle mich so privilegiert, an diesem Projekt mitarbeiten zu können, und ich habe versucht, mir meinen Platz darin zu verdienen. Meine Mutter ist die talentierteste Person (…). Sie und der Rest der Fellowship haben hier etwas wirklich Besonderes erschaffen.“

Ja.