Kaffeeklatsch: Kate Bush und die Relativität der Zeit

Kate Bush und die Relativität der Zeit: Das lange Warten auf ein neues Kate Bush-Album kann manchmal richtig nerven. Zwölf Jahre dauerte, es bis Aerial das Tageslicht erblickte und seit 50 Words for Snow sind auch schon wieder acht Jahre vergangen, ohne dass es irgendeinen noch so kleinen Hinweis darauf gäbe, dass Kate an neuen Songs bastelt. Sind lange Alben-Pausen gerechtfertigt? Wäre mehr und häufigerer Output besser? Oder ist es genau so richtig, wie es ist? Das ist das Thema im „Kaffeeklatsch“ mit Beate Meiswinkel.

Wenn wir uns über das Thema „Kate Bush und die Relativität der Zeit“ unterhalten, muss ich vielleicht als erstes gestehen, dass ich leicht gefrustet bin. Es ist Anfang November 2019 und es gibt acht Jahre nach 50 Words for Snow kein einziges Anzeichen für ein neues Kate Bush-Album. Dabei hatte ich fest damit gerechnet, dass wir Ende September mit der Ankündigung für ein neues Album im November überrascht werden. Geht Dir dieses ewige Warten manchmal auch auf den Geist?

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Beate: Acht Jahre ist das schon her seit dem letzten Album? Die Before the Dawn-Konzerte waren auch schon 2014… time flies, möchte man da einerseits sagen. Andererseits ist es tatsächlich immer wieder unglaublich, wie lange die Schaffenspausen dauern. Ich kann mich noch erinnern, wie lange mir die vier Jahre zwischen Hounds of Love und The Sensual World vorgekommen sind. Nie hätte ich geglaubt, dass das mal noch ganz anders kommen sollte! Wenn man bedenkt, was andere Künstler in diesen Jahren für einen Output haben und dazu noch touren – ich denke hier etwa an Tori Amos – könnte man manchmal fürwahr verzweifeln. So ein irdisches Menschenleben ist ja nun bekanntlich endlich. Kunst wohnt andererseits eine gewisse Zeitlosigkeit inne, sofern sie nicht zeitgeist- oder trendorientiert ist. Was Kate betrifft, so scheint sie in ihrem Schaffensprozess irgendwie durch die „Lagen der Zeit“ zu schlüpfen oder ihr zu entfliehen… jedenfalls setzt sie sich keinem Druck aus. Das finde ich einerseits bewundernswert, andererseits bin ich manchmal auch verärgert, frustriert, wenn ich an „verlorene Möglichkeiten“ denke. Ich will mehr. Mehr Kate. Wie geht es Dir damit? Bei dem Gedanken „Was könnte sie nicht alles machen – veröffentlichen – mit uns teilen“?

Mir geht es bestimmt nicht anders als Dir: Ich muss mich da als Fan immer selbst einbremsen und mir klar machen, dass ich für jeden Song dankbar sein darf, aber keine Forderungen ableiten kann. Natürlich hätte ich mich gefreut, wenn es eine DVD zu den Konzerten gegeben hätte. Natürlich bin ich nicht glücklich darüber, dass jetzt schon wieder acht Jahre ohne neue Musik von Kate verstrichen sind, obwohl sie 2011 in einem Interview zur Vorstellung von 50 Words for Snow gesagt hat, dass sie schon Ideen für ein neues Album im Kopf hat. Aber will ich umgekehrt alle zwei Jahre ein neues Album, bei dem mir vielleicht die Hälfte der Songs gar nicht gefallen, weil man ihnen anhört, dass sie nicht dem Anspruch gerecht werden, den ich von Kate gewohnt bin?

Beate: Stimmt, da geht es mir ganz genau so: wenn ich darüber grummle, wie gerne ich mehr Musik von Kate möchte und wie sehr ich mir die Before the Dawn-DVD wünsche, versuche ich, mich daran zu erinnern, dass ein Teil der schöpferischen Kraft ihrer Musik eben daraus resultiert, dass sie sich nicht verbiegen lässt. Und eben nicht alle zwei Jahre ein Album raushaut. Was ich andererseits seltsam finde: Für mich ist 50 Words for Snow noch immer „das neue Kate Bush Album“. Es ist vermutlich das Album, das ich bisher am wenigsten gehört habe, und ich finde auch, es entfaltet sich am langsamsten. Mir geht es jedenfalls damit so.

Hinzu kommt noch die Erkenntnis, dass sich das Warten lohnt. Aerial ist für mich ein Meisterwerk und besonders der Sky-Teil setzt bei mir bei jedem Hören unglaublich viele Emotionen frei. Bei 50 Words for Snow ist das nicht anders. Ich glaube sogar, dass es ihr perfektestes Album ist, weil sie sich auch musikalisch von allen Zwängen befreit. Bei Aerial hast du überwiegend noch die klassischen Song-Strukturen, die erst zum Schluss aufgelöst werden. Du findest noch die radiotauglichen Stücke im Fünf-Minuten-Format. Bei 50WfS schmeißt sie auch das über Bord und eröffnet der Musik Raum und Zeit. Wie überhaupt ein Großteil der Musik von Kate vollkommen zeitlos wirkt. Bei anderen Musikern höre ich, wann ein Stück entstanden ist, ob es beispielsweise in der 80ern oder 90ern war. Zeitlose Produktionen schaffen nur wenige Künstler. Das mag vielleicht mit ein Grund sein, warum 50WfS für Dich noch wie ein neues Album klingt.

Beate: Teile von 50WfS sind für mich schwer zugänglich, und das mag daran liegen, dass Kate hier tatsächlich Raum und Zeit überflügelt. Ich bin an sich ein sehr ruhiger Mensch, aber die bewusste Langsamkeit mancher Momente dieses Albums hat mich stets gefordert. Dieses unerwartet späte Einsetzen hier, das bewusste Innehalten da… wenn ich es recht bedenke, hat es etwas Meditatives. Auch in der Meditation bleibt man bewusst im Hier, im Jetzt. Das fordert dem menschlichen Geist eine gewisse Konzentration ab. Bevor es mühelos werden kann. Auch die Intimität von 50WfS ist sehr groß und tief. Dafür offen zu sein ist nicht immer leicht. Zeit ist schon eine merkwürdige Sache. Obwohl jede Minute gleich lang ist, vergeht sie uns unterschiedlich schnell. Living in the gap between past and future, beschrieb Kate das mal in Love and Anger. Ich habe öfter schon an Kates Zeitempfinden gedacht. Das Thema beschäftigt sie zweifellos auch, etwa in Moments of Pleasure (the hills of time), Snowed in at Wheeler Street, oder in A Sea of Honey. Ein Liebespaar, das sich von Leben zu Leben immer wieder trifft und irgendwie verpasst. Ein Zeitbogen intensiven Erlebens im Sommer, wo die Lebenszeit fließt wie flüssiges Glück. Oder auch die Sache mit dem schmelzenden Schneemann in Misty, diese zarte gnadenlose Vergänglichkeit …Was fällt Dir zum Thema Zeit ein, wenn Du an Kates Arbeit denkst?

Dass sie natürlich bitte schneller arbeiten sollte. Oder: Too-re-ay, too-re-o aus Not this time. Aber im Ernst: Ich denke eher daran, wie zeitlos ihre Musik ist und dass sie eben auch keinem Zeitgeist hinterherrennt, sondern ihren eigenen Maßstäben folgt. Kates Musik ist immer Kate pur und unverfälscht und oft auch irgendwie sehr intim. Wenn ich mich an die erste Zugabe im Konzert erinnere, wo Kate sich zuvor bei Aerial vollkommen verausgabt hat, dann kommt sie alleine auf die Bühne zurück, setzt sich ans Klavier und spielt diese herzergreifende Version von Among Angels. Und in der Halle, in der vorher der Applaus gar nicht enden wollte, könntest du eine Stecknadel fallen hören. Das ist einer der intimsten musikalischen Momente, die ich je erlebt habe und den sie mit uns geteilt hat, fast so, als ob es auch bei ihr zuhause hätte stattfinden können.

Beate: Das frage ich mich sowieso häufig: im Laufe der Zeit wird es Musik gegeben haben, die niemals jemand außerhalb von Kates Familie oder Freunden gehört haben wird. Als Musikerin wird sie in ihrem Alltag immer wieder diesen Ausdruck suchen. All diese uns verlorene Musik fließt in einer Art Lebensstrom dahin, und wir „bekommen“ sie nicht. Die Kinder- oder Schlaflieder, die zarten Lovesongs, die witzigen, sarkastischen oder albernen Spielereien. Gesungene Gebete… Geburtstagsständchen, Lieder, die sie am Grab eines geliebten Menschen dem Wind anvertraut, oder wütende, frustrierte, verärgerte Musik, um sich abzureagieren… In all den Jahren wird es viel davon gegeben haben. Und nicht für uns… Oder doch, denn bildet das Ungehörte nicht den Boden, auf dem solche unvergleichlichen Alben gewachsen sind?

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Das setzt voraus, dass der Musiker immer Musiker ist. Der Komiker ist aber nicht immer der Komiker. Das Stichwort gesungene Gebete könnte mich aber in der Tat noch mal zu Among Angels führen und auch der Song Bertie legt nahe, dass Du mit Deiner Vermutung nicht ganz unrecht hast. Und natürlich wird es zuhause am Klavier Melodiefolgen geben, die irgendwann, auch sehr viel später, in ein Lied münden, das wir kennen. Wenn wir die gefilterte Essenz eines Liedes kennen, wäre es in der Tat spannend, viel öfter die ungefilterten Gehversuche eines eigenständigen Liedes zu hören. Da fällt mir als erstes Why Should I love you ein, bevor Prince Hand angelegt hat. Letztlich landen wir aber auch da wieder bei unserem Thema der Relativität der Zeit mit Blick auf Kate. Wenn sie 2011 im Interview sagt, sie habe Ideen für ein neues Album im Kopf, sie dann stattdessen Konzerte gibt, ein Live-Album herausgibt, den kompletten Back-Katalog überarbeitet und einen PopUp-Store eröffnet, dann ist sie zwar alles andere als unproduktiv, aber in unseren Augen immer noch nicht produktiv genug. Und wenn wir ehrlich sind, ist das ausschließlich unser Problem, weil wir immer von der Angst getrieben sind, dass der Schlusssong des jüngsten Albums auch ihr letzter gewesen sein könnte.

Beate: Es stimmt, es ist unser Wollen nach mehr, unser Sehnen und auch unsere Befürchtung, dass es keine neue Musik mehr geben könnte. Im Gegensatz zu vielen Bands oder Musikern, die wiederholt das letzte Album, die letzte Tour angekündigt haben und dann doch ebenso wiederholt weitermachen, gibt es von Kate keine solchen Ankündigungen. Die Türe ist offen.

Bleibt zum Schluss die immer wieder gestellte Preisfrage: Neues Album 2020?

Beate: Das bringt mich zurück zu Deiner Aussage, ein Musiker sei nicht immer Musiker. Das ist wahr. Allerdings denke ich, dass ein Künstler immer weitermachen will, ja muss. Hier handelt es sich um Berufung, nicht um einen Beruf. In der Dokumentation „Tea with the Dames“ werden die Schauspielerinnen Maggie Smith, Judi Dench, Joan Plowright und Eileen Atkins gefragt, ob sie denn je ans Aufhören denken würden. Alle vier verneinen dies, ungeachtet ihres stattlichen Alters. Ich denke, letztendlich wird auch Kate nicht davon lassen können, weiterzumachen. Neues Album 2020… das wäre wunderbar. Ich wünsche es mir so sehr!

Gut, ich hab’s auf meiner Weihnachtswunschliste mit Auslieferung in 2020 notiert. Mal sehen, ob Kate uns erhört.

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