
Ende 2015 hat Thomas Schöberl auf die Frage, welche von Kate besungene Figur er gerne wäre, überraschenderweise mit Snowflake geantwortet, weil sie frei von allen weltlichen BEzügen sei und etwas sehr ätherisches habe. „Gerne würde ich die Welt einmal aus ihrer Perspektive betrachten, um vielleicht auch die Wahrnehmung der sinnlichen und belebten Welt der Menschen neu und anders zu erfahren“, hat Thomas damals gesagt und 50 Words For Snow zu seinem absoluten Lieblingsalbun vom Kate erklärt. Seit wenigen Tagen gibt es ein Buch von ihm, in dem es nicht um Schnee, sondern um die LIebe geht…
Du hast ganz aktuell Dein Buch mit dem Titel „50 Wörter für Liebe“ veröffentlicht. Der Bezug zu Kate ist da ja sehr offensichtlich. Worum geht es in Deinem Buch?
Was als poetische Spurensuche begann, entwickelte sich zu einer tiefen Erkundung der Liebe in all ihren Erscheinungsformen. Denn Liebe ist mehr als nur ein Gefühl – sie ist eine Lebenshaltung, die sich wie ein roter Faden durch unser Dasein zieht. Wir finden sie in den großen Momenten der Veränderung, in der stillen Versöhnung mit uns selbst, aber auch im schmerzhaften Loslassen. Sie ist der Motor unserer Entscheidungen und manchmal sogar der Grund für das, was wir bewusst nicht tun. Die Suche nach neuen, poetischen Ausdrucksformen für die Liebe führte mich zurück zur ursprünglichen Kraft der Sprache – dorthin, wo Worte noch Magie sind. Kate Bushs künstlerisches Universum wurde dabei zu meiner Wegbegleiterin. Besonders ihre Zeile The world is so loud. Keep falling. I’ll find you wurde zum Schlüssel meines Verständnisses: Wir alle sind wie Schneeflocken; einzigartig; fallend durchs Leben. Und die Liebe? Sie ist die ausgestreckte Hand, die uns hält, während wir fallen – bis wir uns schließlich auflösen in etwas Größerem, Ganzheitlichem, fast Heiligem – Schnee.
Du hast passend zum Buch gleich auch noch eine Play-List veröffentlicht.
Stimmt. Die ist über einen QR-Code zugänglich. Kate vertont in ihrer Musik Themen wie Vergänglichkeit und Transformation und verbindet sie mit der zeitlosen Suche nach Liebe. Von Snowflake bis Song Of Solomon erschafft sie einen Klangteppich, der die literarische Reise durch die 50 Facetten der Liebe zu einem ganzheitlichen Erlebnis macht. In dieser Playlist finden sich nicht nur Kate Bushs Werke, sondern auch eigene Kompositionen von mir sowie all jene Songs, die mich bei diesem Buchprojekt inspiriert haben oder die im Buch analysiert und zitiert werden.
Welche Songs von Kate hast Du ausgesucht?
Natürlich kommen Lieder wie Cloudbusting vor, das im Kontext von Sexualität und der Orgasmustheorie eine Rolle spielt, ebenso wie Eat The Music, das ausführlich zitiert wird und Genderfragen, Genderfluidität und Outing thematisiert. Hounds Of Love findet sich im Kapitel über Abschied und Scham, während Song Of Solomon die bedingungslose Liebe beleuchtet und dabei einen Bezug zum Christentum und dem salomonischen Urteil herstellt – ein Thema, dem ich ein eigenes Kapitel gewidmet habe. Diese Lieder und ihre Botschaften sind Teil der emotionalen und intellektuellen Reise, die das Buch unternimmt, und verbinden sich mit den Themen auf eine Weise, die Wort und Klang zu einem Gesamterlebnis verschmelzen lässt.
Was können wir denn in punkto Liebe aus den Songs von Kate lernen?
Kate Bush revolutioniert in ihrem künstlerischen Schaffen die musikalische Darstellung von Liebe, Begeisterung und Sexualität, indem sie sich von heteronormativen Konventionen löst. Ihre Werke bestechen durch eine beeindruckende metaphorische Tiefe und integrieren religiöse Motive auf ganz innovative Weise – besonders deutlich wird dies in Songs wie Running Up That Hill, wo sie einen Geschlechtertausch als ultimativen Akt des Verstehens imaginiert. Dabei präsentiert sie Liebe nicht als bloßes romantisches Gefühl, sondern als transformative Kraft, die uns dazu auffordert, persönliche Grenzen zu überschreiten, Ängste zu bewältigen und dem Unbekannten mit Mut zu begegnen. Besonders in späteren Alben wie Aerial und 50 Words For Snow transzendiert Bush sich als Erzählerin hin zur „Mutternatur“, die uns auf unheimlich schönes Weise nur noch in unserem kollektiven Unterbewussten begegnet. Diese Urmütterlichkeit manifestiert sich eindrucksvoll in A Sky Of Honey, wenn sie den Zyklus eines Sommertages besingt, sowie in Misty von 50 Words For Snow, wenn sie die Geschichte einer Frau erzählt, die sich in einen Schneemann verliebt – beides komplexe Meditationen über Vergänglichkeit, Natur und Wiedergeburt. Da ist immer die Hoffnung und der Glaube an das Schöne und Gute. All diese Lyrics, Geschichten und Melodien haben mich seit früher Kindheit so fundamental geprägt, dass meine Bücher, Lieder und Kolumnen indirekt immer auch von meiner Beziehung mit Kates Kunst erzählen.
Du kommst ja eigentlich auch ursprünglich von der Musik und hast vor zehn Jahren ein erstes Album veröffentlicht, bei dem Du Dich schon an ‚A Sky Of Honey‘ angelehnt hast. Jetzt nutzt Du ‚50 Words For Snow‘ als Inspiration. Suchst Du in Dir nach Kate oder ist es auch die Suche nach dem eigenen Ich?
Absolut, ich glaube, es liegt in der Natur des kreativen Schaffens, dass wir uns bewusst oder unbewusst auf die Künstler vor uns beziehen. Bei Kate Bush ist es nicht so, dass ich sie imitieren möchte, sondern dass ihre Klänge etwas in mir auslösen – fast wie ein Mantra, das mich erdet und öffnet. Sie schafft Räume, in denen mein eigener künstlerischer Instinkt übernehmen kann. Ich denke, unser heutiges Verständnis vom Künstler ist immer noch stark von der Romantik geprägt – dieses Ideal des Genies, das aus dem Nichts erschafft. Aber wenn wir weiter zurückblicken, war es völlig selbstverständlich, sich auf Meister zu beziehen, sie zu studieren, sie nachzuahmen und dadurch etwas Eigenes zu schaffen. In gewisser Weise sehe ich mich eher in dieser Tradition – es geht darum, Impulse aufzunehmen, sie weiterzudenken und sie auf meine eigene Weise zu transformieren.
Wenn wir über Kreativität reden, darf man Deine Internetseite nicht ganz außen vor lassen, die mich gleich doppelt überrascht hat. Es gibt unglaublich viele Bezüge zu Kate allein vom Design her – angefangen bei Logo und Schriftzug bis hin zu dem Bild, wo Du die Taube in der Hand hältst oder den Zeichnungen von Schwan und Efeu. Was mich aber wirklich verblüfft: die Zeichnungen stammen von Dir du sind so gut, dass ein Unterschied zu Kates Designern von Timorous Beasties kaum erkennbar ist. Wie schaffst Du das bei all der Kreativität, Dich nicht zu verzetteln?
Ja, das Design meiner Website ist tatsächlich von Kate inspiriert. Ihre neue Homepage hat mich sofort angesprochen – sie ist atmosphärisch, poetisch, unheimlich, ein bisschen kryptisch und visuell so stark, dass ich dachte: Genau diese Magie will ich auch einfangen. Ich habe Kate Bush mit fünf Jahren entdeckt, ihre Songs Tag und Nacht gesungen, am Klavier nachgespielt und sie wie eine Sprache studiert. Über die Jahre habe ich dann ihre literarischen Referenzen aufgearbeitet und mich durch sie nicht nur musikalisch, sondern auch intellektuell und emotional entwickelt. Es ist fast wie ein Mantra, das mich erdet. Und vielleicht liegt darin die Erklärung, warum ich mich nicht verzettelt fühle – all meine kreativen Tätigkeiten gehören für mich zusammen. Ich schreibe Gedichte, die zu Liedern werden, male Bilder, die Geschichten erzählen, oder fotografiere Szenen, die Metaphern verbildlichen. Natürlich lasse ich mir bei den Illustrationen für mein Buch und meine Projekte helfen. Ich erstelle Skizzen, manche Bilder male ich selbst fertig, aber für die finalen Illustrationen arbeite ich mit einer Designerin zusammen. In den letzten Jahren habe ich zudem begonnen, digital zu malen und zu designen. Dafür habe ich mir endlich ein Tablet zugelegt und viele meiner Tusche-Skizzen digitalisiert. Doch das ist ein enorm zeitaufwendiger Prozess. Ich arbeite oft Wochen oder gar Monate an einem einzigen Bild. Interessanterweise sehe ich in dieser Entwicklung eine größere Bewegung, die uns nicht zwangsläufig in eine negative, sondern vielmehr in eine Renaissance führt – oder genauer gesagt, in eine Kunstform, wie sie im Mittelalter üblich war. Damals waren Texte oft kunstvoll illustriert und wurden nicht nur gelesen, sondern auch laut vorgetragen. Mit der Reformation wurde das gedruckte Wort in Schwarz-Weiß zum Gütesiegel der Wissenschaft und Literatur. Alles Überflüssige, jede Verzierung oder Illustration, wurde als Ablenkung oder gar als Ausdruck von Unzuverlässigkeit betrachtet. Doch die Digitalisierung führt uns nun in eine Zeit, in der diese starren Kategorien aufweichen. Genau diesem Gedanken folge ich in meinem Buch: Unter den Überschriften habe ich bewusst Lautschrift integriert, um deutlich zu machen, dass diese Texte nicht nur für das stille Lesen gedacht sind, sondern auch ausgesprochen werden wollen – wie Zauberformeln, die erst durch die Stimme ihre volle Kraft entfalten.
Ich sage ja immer gerne, dass Kates Musik für mich wie kleine Filme funktionieren und ich ihre Songs nicht nur höre, sondern auch sehe und die Bilder dazu im Kopf habe. Du hast Dich für Deine Webseite und Dein Buch auch in Szene gesetzt und die passenden Bilder produziert. Wie sind die entstanden?
Es war mir wichtig, meine poetisch erschaffene Welt und auch mich selbst in genau dem Licht und Blickwinkel zu zeigen, den ich wollte. Ich fühle mich unglaublich unwohl, wenn ich von jemand anderem fotografiert werde. Durch die Augen eines anderen wäre das also schwierig gewesen, und allein der Prozess hätte unglaublich viel Zeit in Anspruch genommen. Deshalb habe ich alle Fotos mit Selbstauslöser gemacht, wodurch ich die Möglichkeit hatte, die Motive wie ein Stillleben zu arrangieren. Dabei setze ich ganz bewusst die Stimmung und den Inhalt über die fotografische Perfektion. Beim Fotografieren habe ich auch gemerkt, wie sehr es mir liegt, in Rollen zu schlüpfen. Es ist eine Bereicherung, mich als männliches Schneewittchen, als Shakespeare, als Johannes Kepler, als Adam, als Schmetterlingsfänger oder Taubenzüchter zu erfinden. Ich glaube, da bin ich Kate sehr ähnlich, die in ihrem Werk ebenfalls immer mehr dazu übergegangen ist, sich selbst in verschiedenen Rollen zu inszenieren und als Privatperson zurückzuziehen. Unsere Kunst mag erst kitschig, manchmal romantisch aber vor allem progressiv sein, aber als Persönlichkeiten sind wir eigentlich sehr introvertiert.
Thomas Lambert Schöberl: 50 Wörter für Liebe – Inspirationen, die das Herz berühren, 222 Seiten, Mankau Verlag, 1. Auflage, ISBN-10 : 3863747283, 18 Euro.

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