Stewart Arnold und die Schneemänner

t-shirtBei der Kate Bush-Convention in Birmingham am Wochenende waren gleich drei langjährige Weggefährten von Kate zu Gast. Fotograf Guido Harari hat seine neues Buchprojekt promotet, Tänzer Stewart Avon Arnold stand für eine Frage und Antwort-Runde zur Zusammenarbeit mit Kate zur Verfügung (die übrigens im englischen Forum nachzulesen ist) und als unerwarteter Ehrengast tauchte noch Bassist Del Palmer auf. Arnold hat als Tänzer und Choreograph für Kate unter anderem an den Videos zu Sat In Your Lap, The Red Shoes, The Big Sky, Love & Anger, Rubberband Girl, Eat The Music und zum Film The Line, The Cross & The Curve mitgearbeitet. Zuvor war er schon bei Fernsehauftritten mit dabei und hat auch an der ersten Tour von Kate mitgewirkt. Organisiert hat den Event Lisa Oliver, die die Tribute-Band „Cloudbusting“ mitbegründet hat und früher Sängerin der Guppe war. Im Nachgang zur Convention werden derzeit auf Facebook ein paar Kate-Poster und -Bücher versteigert. Highlight ist dabei ein T-Shirt, das Del Palmer für die Auktion gestiftet hat: ein T-Shirt mit dem Aufdruck „I’m A Snowman“. Laut Del bei den Studioarbeiten an „50 Words for Snow“ jeder im Team das entsprechende T-Shirt an. Wer mitbieten möchte: aktuell liegt der Preis bei 100 Pfund.

Update: Das Q&A-Transkript wurde inzwischen leider wieder entfernt; ebenso eine Mitschrift der Fragen und Antworten an und von Del Palmer.

Guido Harari: The Kate Inside

guido-harari620Das neue Fotobuch „The Kate Inside“ von Guido Harari kann ab sofort vorbestellt werden. Guido hat Kate zwischen 1982 und 1993 immer wieder fotografiert, unter anderem für die Albem „Hounds of Love“, „The Sensual World“ und „The Red Shoes“. Unter anderem war er auch am Set von „The Line, The Cross & The Curve“ mit dabei. Mehr als 300 Fotos werden in dem aufwändig gestalteten Buch präsentiert, darunter viele bisher unveröffentlichte Bilder von Kate, Outtakes, Kontaktabzüge und Test-Polaroids. Das Buch erscheint erscheint als 240-seitiges Hardcover knapp im Din-A-3-Format. Insgesamt werden 3000 Exemplare gedruckt, eine Vorbestellung ist bis Januar 2016 zum Vorzugspreis von 90 Euo möglich. Danach wird es 120 Euro kosten. In einer Deluxe-Edition wird es 390 Euro kosten (später 520 Euro). Die Deluxe-Edition (350 Exemplare) im Schuber mit Ledereinband wird von Guido Harari und Lindsay Kemp signiert, Kemp hat ein Vorwort für das Buch verfasst. Zusätzlich wird es dafür noch einen beigelegten Kunstdruck sowie ein Nachdruck von acht Polaroids geben. Um den Druck des Buches überhaupt finanzieren zu können, werden zudem spezielle Kunstdrucke, Poster und Karten-Sets – teilweise signiert – über die Wall of Sound Gallery angeboten. Das Buch wird von Italien aus verschickt; die Versandkosten liegen bei 30 Euro.

Die neunte Welle

big_7Der kürzlich verstorbene Schriftsteller Dieter Kühn beschreibt es in seinem Buch „Die siebte Woge“ so: „Als St. Petersburg noch Leningrad hieß, stand auch ich in der Eremitage vor dem cinemascope-großen Gemälde Die neunte Woge. Alte seemännische Bezeichnung für eine besonders hohe, bedrohliche Wassermasse. Entsprechend bewegt geht es auf dem Riesengemälde zu: Überlebende eines Schiffbruchs haben sich in kleinem Grüppchen auf ein Wrackteil, den Mast, gerettet, jemand winkt unsichtbare Helfer herbei mit weißem Lappen. Lautlos tosend das Ambiente schaumgekuppter Wellen, dominierend aufgetürmt eine Woge, die man heute als Killerwelle bezeichnen würde.“ Kühn steht vor dem Werk von Iwan Konstantinowitsch Aiwasowski, dem russischen Maler, dessen 1850 gemaltes Bild titelgebend für „The Ninth Wave“ – der zweiten Seite des Albums „Hounds of Love“ – war. In einem Punkt irrt Kühn allerdings. Er hat das Bild nicht in der Eremitage, sondern im Staatlichen Russischen Museum in St. Petersburg gesehen, das die weltweit größte Sammlung russischer Kunst beherbergt. Darunter auch als bekanntestes Bild „Die neunte Welle“ oder „Die neunte Woge“.
tnw-zettelAiwasowski war russischer Marinemaler, der vor allem durch seine virtuose Gestaltung von Licht und Schatten begeisterte. Auch er war offenbar von dem Seemannsaberglauben inspiriert, wonach in einer Abfolge von Wellen die neunte Woge stets die mächtigste Welle ist. Ein Aberglaube, der schon in der isländischen Göttersaga Edda nachzulesen ist. Der englische DIchter Lord Alfred Tennyson hat das in „The Coming of Arthur“ painteraufgegriffen: „Wave after wave, each mightier than the last, Till last, a ninth one, gathering half the deep And full of voices, slowly rose and plunged Roaring, and all the wave was in a flame“ – jedem Kate Bush-Fan bestens vertraut, weil Kate genau diese Zeilen auf dem Back-Cover zu Hounds of Love zitiert hat. Und natürlich, weil zu Beginn der Aufführung von The Ninth Wave im vergangenen Jahr die kleinen gelben Papierzettel mit dem Aufdruck der vier Gedicht-Zeilen durchs Apollo-Theater flogen. Woher der Bezug zu dem Gemälde von Aiwasowski stammt, bleibt leider unklar. Kate hat in mehreren Interviews ihr Interesse an Malerei kundgetan. In einem Interview mit dem Melody Maker in wave1978dem Jahr, in dem Hounds of Love veröffentlicht wurde, antwortete sie zum Beispiel auf die Frage, welcher Künstler sie am liebsten gewesen wäre: “I would want to be Breughal, definitely. His work is so real, and yet depicted in a fantastic way. It’s so beautiful and elemental. And his faces are so haunting.” 20 Jahre später greift Kate für ihr Album Aerial auf Bilder von Joseph Edward Southall (Fisherman And Boat) und Frederic Cayley Robinson (Lesson Time) zurück und nimmt das Motiv des Malers in „An Architect’s Dream“ auf. In mehreren Berichten zu den Before the Dawn-Konzerten wird interessanterweise die Person des Malers aus „A Sky of Honey“ mit Aiwasowski verknüpft. Schaut man sich das Bild von der Aufführung an, sieht man aber eher einen Hinweis auf den folgenden Song „Sunset“ statt der wogenden Wellen von Aiwasowski.
Was der eigentliche Auslöser für den Songzyklus „The Ninth Wave“ war, wird in einem kleinen Zeitungsausschnitt aus einem Jugendmagazin von 1978 oder 1979 deutlich: „My strangest dream (…) is where I’m sitting on this raft floating in the middle of a gigantic ocean. There’s no land in sight – just limitless water – yet I habe no fear and no desire to be rescued. Just a feeling of complete peace.“ Ein Traum, der zu wundervoller Musik wurde.

Das Song-ABC: Hounds of Love

abc„Hounds of Love“ ist ein beeindruckender und tiefgründiger Song. Er war ein Top20-Hit in Großbritannien und gab einem Hitalbum den Namen. Einige Kritiker halten ihn für den besten Song von Kate Bush (1).
Die Hitqualitäten sind offensichtlich. „Hounds of Love“ stürmt voran und bringt die Beine zum Tanzen. Die Musik ist popsong-artig, zugänglich. Die Musik bebt vor unterdrückter Energie. Niemals waren Songs von Kate Bush chartstauglicher als auf der ersten Seite dieses Albums. Das gilt aber nur für die Musik, die Texte sind von abgründigerer Natur – dies gilt auch hier. Schon das Cover der Single weist auf dieses Düstere hin: Eine nächtliche Waldlandschaft, ein einsamer See, Kate davor – fühlt sie sich bedroht?
holpolaroid400Bei der Analyse dieses anscheinend so eingängigen Songs bin ich wirklich ins Schwimmen gekommen. Zuerst erscheint es einfach: komplexe Aspekte der Liebe werden thematisiert. Dass Liebe nicht nur sonnig, sondern gleichzeitig auch beängstigend sein kann, wird schon durch den Titel (der gleichzeitig Albumtitel ist) verdeutlicht – „Hounds of Love“. Kate erklärt das in einem Interview (2) so: „[..] das sind die Hunde, die den jagen – symbolisch natürlich -, der sich vor der Liebe fürchtet, der Angst hat, ihr in die ‚Falle‘ zu gehen. Aber es sind nicht wirklich böse Hunde, man kann ja auf dem Cover sehen, wie sanft und schön die ‚Hounds of Love‘ sind.“ Offenbar ist die Sache aber doch ambivalent, denn in einem anderen Interview sagt sie es so: „The hounds of love are an image really, someone who’s afraid of being captured by love; and the imagery is love taking the form of hounds that are hunting them, so they run away because they’re afraid of being caught by the hounds and ripped to shreds.“ (3)
Zu Beginn des Songs wird die Dialogzeile „It’s in the trees! It’s coming!“ aus dem Film “The night of the demon” zitiert (4), in dem ein Dämon – eine vierfach gehörnte, krallenbewehrte, schuppige Teufelsgestalt – auf die Menschen losgelassen wird. Die Furcht vor einer mystischen, zerstörerischen Naturkraft wird thematisiert. Der Song ist im Rhythmus bei aller Tanzbarkeit etwas bedrohlich. Für mich klingt dieses Vorwärtsdrängende wie ein großes verfolgendes Tier, das durch einen dunklen Wald läuft (und das am Schluss ankommt). Groß, gefährlich, kraftvoll. Aber das ist die Sicht auf die Liebe aus Sicht der Feiglinge („I’ve always been a coward / And I don’t know what’s good for me“) – die Jagdhunde der Liebe sind sanft und schön. Sie behüten den, der sie in den Arm nimmt und an sich heranlässt – so sagt es das Cover des Albums. „Hounds of love“ ist ein Lied über Furcht, die uns alle irgendwann auf irgendeine Art und Weise befällt und beherrscht – insbesondere die Furcht vor der Liebe. Die Jagdhunde sind ein Sinnbild für die Liebe in all ihren Facetten selbst. Man kann sie fürchten, weil sie einen überwältigt. Sie reißt einen nieder und macht vollkommen hilflos. Sie macht einen glücklicher als alles andere auf der Welt. Das Mystische dabei: all dies geschieht gleichzeitig. Die Liebe ist gleichzeitig ein Monster und ein Kuscheltier.
KateHoundsDas klingt alles ganz einleuchtend und damit könnten wir es bewenden lassen. Aber ich habe Fragen im Kopf, die noch nicht beantwortet sind. Warum dieses Bild der „Jagdhunde der Liebe“? Es bestimmt das ganze Album – der Titel ist daran orientiert, ebenso das Cover. Welche Assoziationen sind eingeflossen?
Kate Bush sagte in einem Interview zum Album „Never for ever“ etwas sehr Interessantes über die Art und Weise, wie sie Songs entstehen lässt (5): „Wenn ich mich von einem Film oder einem Buch inspirieren lasse, möchte ich nichts genau übernehmen – ich stehle die Idee nicht. Ich filtere sie durch meine persönlichen Erfahrungen, und manchmal entsteht daraus eine seltsame Mischung aus frei erfundenen Dingen und sehr, sehr persönlichen Ängsten, die ich in mir trage“. In Ihren Songs werden Inspirationen aller Art mit einer Grundidee zu einer neuen Einheit verschmolzen.
Beim Stöbern in meinem Bücherregal ist mir ein Band mit Kurzgeschichten in die Hand gefallen: „Somerset träumt“ von Kate Wilhelm. In diesem Band ist die Geschichte „Die Hunde“ (Originaltitel „The Hounds“) aus dem Jahre 1974 enthalten (6). Es ist eine Interpretation der griechischen Sage um die Göttin Artemis und den Jäger Aktäon (7). Artemis, die Göttin des Mondes und der Jagd, war sehr keusch. Mit Männern wollte sie nichts zu schaffen haben. Sie lebte im Wald und war gleichzeitig sehr scheu und argwöhnisch. Der Jüngling Aktäon stieß bei der Jagd zufällig auf die Göttin beim Bade. Artemis verwandelte ihn in einen Hirsch, worauf er von seinen eigenen Jagdhunden in Stücke gerissen wurde.
„The Hounds“ handelt von Rose Ellen und ihrem Mann. Er verliert seine Arbeit und beschließt, zurück aufs Land zu gehen und eine kleine Farm zu kaufen. Rose Ellen ist dagegen, doch sie ist eine pflichttreue, liebevolle, aufopfernde Ehefrau und geht mit. Alles geht gut und ist friedlich. Eines Tages laufen zwei sehr schöne Hunde (ähnlich wie die auf dem Cover des Albums) Rose Ellen nach und hängen ab da besitzergreifend an ihr. Von Anfang an ist Rose Ellen von unerklärlicher Angst vor ihnen befallen. Sie kann und will sie nicht anfassen. Sie hat einen wiederkehrenden Traum, der ihr klarmacht, dass sie dann für alle Zeiten gefangen wäre, die Tiere würden sie nie wieder loslassen. In diesem Traum ist sie die Frau in Weiß, die mit den Hunden zur Jagd ausreitet. Ihre Beute ist ein Hirsch. Mit jedem Traum kommt sie dem Hirsch näher, ein Messer in der Hand. Sie befürchtet, dass ihr Leben zerstört wäre und ihre Ehe zerbrechen würde, wenn sie den Hirsch im nächsten Traum tötet. Es ist eine Geschichte über Freiheit und Wildheit und Zügellosigkeit, die Rose Ellen nie ausgelebt hat. Ein Teil von ihr will Artemis sein, eins mit der Natur, die wilde Zerstörerin und Jägerin. Aber das darf nicht sein, es steht zu viel auf dem Spiel – so sagt es sich Rose Ellen und lässt sich nicht auf ihre Natur ein. Sie erschießt die Hunde.
Diese Details passen mir viel zu gut auf den Song „Hounds of Love“ um Zufall zu sein. Artemis – das ist die jungfräuliche Göttin, die Angst vor der Liebe, vor Berührung hat. Sie ist aber auch die Gewalt der Natur. Jagdhunde sind Begleiter dieser Göttin der Jagd. Artemis wird oft mit Pfeil und Bogen dargestellt (8). Dies scheint mir in den Song und das Album eingeflossen zu sein – auf dem Cover zur Single „Running up that hill“ stellt sich Kate Bush als Bogenschützin dar, die ein unbekanntes Ziel anvisiert. Auf dem Cover des Albums liegt sie mit ihren Jagdhunden da wie eine Göttin, die vor Sternen im Himmel schwebt (das war mein erster Eindruck 1985, als ich das Album in den Händen hielt). Rose Ellen in der Erzählung ist der Feigling, der vor der Macht ihrer eigenen Natur – verkörpert durch die Hunde – zurückweicht. Eine Frau ist gleichzeitig die scheue Göttin und die wilde Zerstörerin und Jägerin. Sie ist das, was sie selbst fürchtet. Auch das Video zum Song legt das nahe. Es ist eine Adaption von Hitchcocks „Die 39 Stufen“, in dem eine Frau auch erst über Gefahren ungewollt zu ihrer Liebe findet (11).
Dass es in diesem Song um die unergründliche, ambivalente Macht der Natur selbst geht – darauf deutet auch die Tonart hin. Der Song ist in F-Dur geschrieben (9). F-Dur ist die Natur-Tonart, die Stimme der Natur – im Hintergrund ist aber immer das verborgene zerstörerische Potenzial der Naturgewalten spürbar (10).
Es gibt weitere Punkte, die implizieren, dass sich Kate Bush mit „Somerset träumt“ von Kate Wilhelm befasst haben könnte. „It’s in the trees! It’s coming!“ – so etwas findet sich auch in dem Buch von Kate Wilhelm. Dort gibt es eine Geschichte über kleine Geister/Kobolde/Monster, die in einem Baum vor einem Haus wohnen. Nur die Frau kann sie sehen und mit ihnen kommunizieren. Und es findet sich die Geschichte über einen Mann in einem eingeschneiten Busbahnhof, der dort erfriert und sich an seine Vergangenheit und an seine Liebe erinnert. Vielleicht liegt dieser Busbahnhof ja an der Wheeler Street.
Aber genießen wir einfach das Lied und tanzen wir mit. Das gehört auch zu unserer Natur.
Achim/aHAJ)

(1) „The 50 greatest Kate Bush songs“, Mojo 10/2014, S. 76f
(2) Andreas Hub: “Kate Bush. Aufgetaucht”. Interview mit Kate Bush. Fachblatt Musikmagazin. 11/1985
(3) http://www.songfacts.com/detail.php?id=4741 (gelesen 12.01.2015) – hier wird der NME zitiert
(4) https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Fluch_des_D%C3%A4monen (gelesen 02.09.2015)
(5) Rob Jovanovic, Kate Bush. Die Biographie. 2006. Koch International GmbH/Hannibal. Höfen. S.118
(6) Kate Wilhelm: Die Hunde (Originaltitel „The Hounds“), aus dem englischen übersetzt von Sylvia Brecht-Pukallus, München, Heyne, 1988
(7) http://de.wikipedia.org/wiki/Aktaion (gelesen 12.01.2015)
(8) Hans-K. und Susanne Lücke, Antike Mythologie. Wiesbaden, 2005, Marix Verlag. S.137ff
(9) „Kate Bush Complete“. EMI Music Publishing / International Music Publications. London. 1987. S.99f
(10) Hermann Beckh: Die Sprache der Tonart in der Musik von Bach bis Bruckner. Verlag Urachhaus. Stuttgart 1999. S.149ff
(11) https://de.wikipedia.org/wiki/Die_39_Stufen_%281935%29 (gelesen 02.09.2015)

Preston Heyman über Kate


Preston Heyman, der für Kate bei der 1979er Tour of Life getrommelt hat und später an den Aufnahmen zu Never for Ever sowie The Dreaming beteiligt war, erzählte am Mittwoch beim Jubiläums-Gig der Tributeband Cloudbusting  zu 30 Jahren Hounds of Love, wie er Kate kennengelernt hat….

Das Song-ABC: Jig of Life

abcEs ist der Scheideweg in der grandiosen Suite „The Ninth Wave“: Zwischen dem geisterhaften „Watching You Without Me“ und dem in den Weltraum hinauskatapultierten „Hello Earth“ siedelt der „Jig Of Life“ – als erdverbundener Anker, der versucht, die Protagonistin dem Tod zu entreißen.
Einmal mehr hat Bruder Paddy als Katalysator für Folkeinflüsse gewirkt. Der Titel des Stücks spielt auf einen Tanz im Dreiertakt an (Sechsachtel, Neunachtel oder Zwölfachtel), den Folkbegeisterte vor allem aus der irischen Tradition kennen, der aber überall auf den Britischen Inseln beliebt war. Der Jig hat es aber auch in die Kunstmusiksphäre geschafft, etwa in Barocksuiten, wo er als Gigue bekannt war. [1] Die Nähe zum Wort „Geige“ deutet auf etymologische Beziehungen zur Geige hin – die lassen sich aber nicht eindeutig belegen. Oft steht aber tatsächlich die Geige im Mittelpunkt, wenn ein Jig gespielt wird. Die Geige als kreisendes, tranceförderndes Instrument, bevor sie als „Violine“ domestiziert wurde, so kennt man sie aus dem Mittelalter und der frühen Neuzeit, wenn zum Veitstanz aufgespielt wurde. Und auch Gevatter Tods Instrument ist die Geige, Begleiterin an der Pforte zwischen Dies- und Jenseits, diejenige, die zum ewigen Karussell von Vergehen und Neuwerden ihre Saiten schnurren lässt.
jigoflifeIn einer solch dramatisch aufgeladenen Sphäre zwischen Leben und Tod ist auch „Jig Of Life“ angesiedelt: „Now is the place where the crossroads meet.“ Die Ertrinkende, die eben noch als Gespenst durch ihr eigenes Haus irrte, erlebt eine weitere Vision, in der ihr eine alte Frau erscheint. Es ist sie selbst, in vorgerücktem Alter, und die greise Dame fordert sie resolut und nicht ganz uneigennützig auf, ihr Leben nicht jetzt schon aus der Hand zu geben. „Never, never, never say goodbye, to my part of your life.“ Wie Kate diese Zeile und überhaupt den ganzen, auf wenigen Tonwiederholungen verharrenden Text singt, das kann einem Schauer über den Rücken jagen, die alles andere als wohlig sind. Eine dunkle, suggestive Färbung hat sich ihrer Stimme bemächtigt, die manchmal ins Furienhafte hineinspielt. Bei all der düsteren Stimmung beherbergt diese Vision auch spannende Gedankenexperimente, allen Science Fiction-Fans vertraut, die sich für Raum-Zeit-Paradoxien begeistern. Diejenige, die da im Spiegel sitzt, kann es gar nicht geben, wenn ich auf der anderen Seite des Glases jetzt sterbe, folglich kann sie sich auch nicht an mich erinnern, und die zukünftigen Kinder, die im Text beschworen werden, erst recht nicht.
Dieser faszinierende, urwüchsige, bedrohliche Kreislauf des Lebens also, er wird als Folkdrama vertont. Viele der regulären Bandmusiker schweigen, Kate hat ihre Lieblingsfolkies verpflichtet, die teilweise schon auf „Night Of The Swallow“ drei Jahre zuvor zu hören waren: Der Fiedel- und Pfeifenmeister John Sheahan, Bouzouki-Crack Dónal Lunny, Liam O’Flynn am irischen Dudelsack – Legenden von den irischen Folkgruppen Planxty und Dubliners. Doch der Jig ist gar kein irischer, und erst der Instrumentalteil ist im Dreierrhythmus, wir müssen ihn also als Abstraktum, als Kreisen des ewigen Rades begreifen. Paddy Bush, Schatzsucher in den Musikkulturen der Welt, hat hier ein Traditional aus Griechenland an Land gezogen: Die Musik stammt aus den archaischen Anastenaria-Ritualen, die alljährlich in Nordgriechenland und Südbulgarien gefeiert werden. Die Bevölkerung der Dörfer ruft den Schutz des heiligen Konstantin und der heiligen Helene an, bezieht aus der Wirkung des unablässig sich wiederholenden Tanzens, die Kraft, barfuß durchs Feuer zu gehen. [2] (Randbemerkung für alle Weltmusikfreaks: Die kreisende Fiedel ist während dieser Rituale eine auf den Knien gehaltene Kemençe.) Die Musik wurde – wohl im Teamwork von Paddy und Kate – aus dieser rudimentären Form heraus noch erheblich weiterentwickelt. [3] Ob keltisch oder südosteuropäisch, die Vollblutmusiker aus Dublin leisteten in den Windmill Lane Studios ganze Arbeit, während Kate noch fieberhaft am Text arbeitete. Sie schufen einen Sog, der einem akustischen Maelstrom gleicht.
Zurück in der East Wickham Farm wurden dann noch zwei Krönchen auf den Track gesetzt. Drummer Charlie Morgan erinnert sich, wie Kate ihn aufforderte, auf die bestehenden Schlagzeugspuren vom Kollegen Stuart Elliott nochmal 24 draufzusetzen, mit jedwedem Klatsch,- Stampf-, Hämmer- und Paukengeräusch, das er erzeugen konnte. [4] Das hat den „Jig Of Life“ erst so richtig erdig gemacht, zu einem Tanz, der wuchtig ins Parkett gehauen wird. Ich kann keinen Hehl draus machen, dass mich die letzte Zutat nie überzeugt hat. Es ist Jay Bushs sechzehn Zeilen umfassendes Gedicht, das die messerscharfen, kurzen Zeilen des vorherigen Textes poetisch überhöht und weiterführt. (Die Passage „We Are Of The Going Water…“ taucht schon in der Eröffnung von „Waking The Witch“ auf). So kraftvoll und bildgewaltig dieses Poem ist, im wirbelnden, turbulenten Kontext wirkt es künstlich aufmoduliert, verwirrt mehr, als dass es zur Geltung kommen kann. Für mich hätte dieser Tanz des Lebens ein viel überzeugenderes Ende gehabt mit dem gewaltsamen Abbruch in der gesprochenen Zeile „I put this moment here“ und dem direkten Übergang zu „Hello Earth“. Kate findet an dieser Stelle einen Ausstieg aus dem betörenden Strudel, aus dem ewigen Kreislauf. Schon vorher heißt es ja einmal „This moment belongs to the One-Hand-Clapping“, eine Anspielung an das Zen-Koan „Hörst du das Klatschen der einen Hand?“[5] Das lässt sich nur in tiefer Meditation erfahren, abseits von allem weltlichen Getümmel. Mit diesem Paradox hätte es direkt in die Auflösung des Raum-Zeit-Kontinuums gehen können, im Schwebeflug Richtung „Hello Earth“.   Stefan

[1] J.B.Metzler Musiklexikon, Bd.2, S.242/3, Weimar 2005
[2] http://press.princeton.edu/titles/4420.html
[3] https://www.youtube.com/watch?v=dCEk2No6Sww
[4] DVD „Hounds Of Love – A Classic Album Under Review“, Pride Production 2008
[5] http://buddhism.about.com/od/whoswhoinbuddhism/a/hakuin.htm

30 Jahre Hounds of Love

30jahre-holHeute auf den Tag genau vor 30 Jahren ist Kates wohl erfolgreichstes Album Hounds of Love veröffentlicht worden. Sieben Jahre nach ihrem Hit „Wuthering Heights“ gilt es noch heute für viele Fans als ihr musikalisches Meisterwerk, mindestens aber als die LP, mit der Kate endgültig ihren musikalischen Stil gefunden hat. Nach dem Debüt mit The Kick Inside (1978) und dem zu schnellen Nachfolger Lionheart (1978), folgte mit Never For Ever (1980) ein sehr ambitioniertes Album, das eine neue Phase einläutete. Kate griff zum einen auf Songs zurück, die teilweise noch in ihrer Anfangsphase entstanden sind, gleichzeitig experimentierte sie mit Synthesizern und setzte erstmals Sampler ein. Die Fülle dieser neuen Möglichkeiten schöpfte sie in Perfektion bei The Dreaming (1982) aus, um sich bei Hounds of Love (1985) auf das zu konzentrieren, was sie wie kaum ein anderer beherrscht: in ihren Liedern unterschiedlichste Aspekte eines Leitmotivs zu behandeln. Können zwei Liebende sich wirklich verstehen und wie wäre es, in den Körper und die Seele des anderen einzutauchen? (Running Up That Hill) Wie entkommt man der zerstörerischen Kraft der Liebe? (Hounds of Love) Oder es geht um die bedingungslose Liebe einer Mutter zu ihrem Sohn, die gleichzeitig erdrückend wie bequem ist (Mother stands for comfort), die durch äußere Kräfte bedrohte Liebe zwischen Vater und Sohn (Cloudbusting) und das Nicht-Verstanden-Werden in Beziehungen (The Big Sky). Dabei steht jeder Song für sich, erzählt eine eigene Geschichte und funktioniert dennoch als Ganzes. Dass allein vier der fünf Songs der ersten LP-Seite des Albums kommerziell überaus erfolgreich waren, hat vielleicht mit dazu geführt, dass Kate als stilprägende Musikerin der 1980er Jahre verortet wird. Natürlich gefällt dem Kate-Fan das, lieben, eher noch abgöttisch lieben tut er die zweite Seite: die Konzept-Suite The Ninth Wave. Als „Kreuzweg, eine Heldenreise in das unbekannte und gefährliche Innere“ hat Achim das in seiner Analyse zu HOL mal beschrieben, eingekleidet in die Geschichte einer Schiffbrüchigen, die sich eine Nacht mit ihrer Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auseinandersetzt, um den Überlebenskampf zu bestehen. The Ninth Wave gehört mit Sicherheit zu den emotionalsten und atemberaubendsten knapp 30 Minuten Popmusik – erst recht, wenn man die Aufführung der Suite im Rahmen der Before The Dawn-Konzerte gesehen hat. Achim hatte das Fazit zu The Ninth Wave in vier Worte gefasst: „Nur die Liebe rettet.“ Besser kann man nicht sagen, was die Musik von Kate ausdrückt.

Die hellen und die dunklen Momente des Lebens

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Neben dem Cover zu Never For Ever hat Nick Price die Rückseite der Single Sat in your lap gestaltet, das Tourposter von 1979 sowie Vorder- und Rückseite der Single December will be magic again.

Die überraschendste Antwort hat Nick Price ganz zum Schluss parat: “Warum ich nach Never for Ever nie ein weiteres Album-Cover gezeichnet habe? Ganz einfach: Niemand hat mich jemals wieder gefragt.“ Das verblüfft. Nicht nur, weil Nick 1980 einen Preis für das beste Cover gewonnen hat, sondern auch deshalb weil er bis heute ein gefragter Zeichner und Illustrator ist. In England ist er als Kinderbuch-Illustrator bekannt, hat die “Wombles” wieder auferstehen lassen, zeichnet für die TV-Kinderserie „Doctor Snuggles“ und hat dabei mit bekannten Menschen wie Douglas Adams oder Peter Ustinov zusammengearbeitet. Angefangen hat Nick als Art Director in einer Werbeagentur. Für die Anzeigenentwürfe hat er oft auf seine eigenen Zeichnungen zurückgegriffen – bis die Zeichnungen immer wichtiger wurden und er sich selbstständig gemacht hat. Irgendwann hat Nick Kates Bruder John Carder Bush kennengelernt, der den Kontakt vermittelt hat. „John hat Kate einige von meinen Zeichnungen gezeigt. Ich glaube sie war damals einfach auf der Suche nach einem Künstler, in den sie sich hineinversetzen konnte“, erzählt Nick 35 Jahre nach dem Never For Ever-Cover. Dabei hat die Arbeit für Kate schon vorher begonnen. Aus Nicks Feder stammte bereits das Tour-Poster von 1979. Nach dem NFE-Cover hat er für Kate noch das Single-Cover zu December will be magic again gestaltet und ein Jahr später die Rückseite des Covers von Sat in your lap.

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Das Foto gab es als Vorlage für Nick. So sollte er Kate zeichnen.

Bei der Gestaltung des NFE-Covers hatte Nick weitestgehend freie Hand. Nur ein Bild von Kate gab es für ihn, wie er sie zeichnen sollte. „Kate wollte freundliche und dunkle Figuren auf dem Cover. Den Charakter der Figuren zu entwickeln, hat sie mir überlassen, was natürlich toll für mich war. Vielleicht sind die Figuren der dunklen Seite auf dem Cover etwas stärker vertreten, aber es ist einfach interessanter Dämonen zu zeichnen, als Tauben und Schwäne.“ Eine andere Vorgabe gab es dann noch noch: Die Figuren sollten quasi aus Kates Schoß herausströmen, unter dem Kleid hervor. Inspirationsquelle für Nick waren damals die Werke des niederländischen Renaissance-Malers Hieronymus Bosch, der in vielen Bildern dämonische Figuren und Fabelwesen einbaute – zum Beispiel im Triptychon „Der Garten der Lüste“ (um 1500), wo auch menschliche Wesen mit Köpfen von Fischen oder Vögeln zu sehen sind. Kate selbst hat das Cover von Nick in einem Interview mal „als Reise durch unsere Emotionen“ beschrieben. Nick: „Ich habe mit Kate nie darüber gesprochen, aber es gibt eine dunkle Seite in uns allen. Ich glaube, dass Kate ausdrücken wollte, dass sie sich dessen bewusst ist.“

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Nick Price heute.

Zwei Wochen hat Nick benötigt, um das Cover fertigzustellen – mit Bleistift und Farbstiften. Die Songs hat er vorab nicht hören können, so dass sie auch nicht als zusätzliche Inspirationsquelle dienen konnten. An eine Geschichte kann sich Nick nach 35 Jahren leider nicht mehr erinnern – wie nämlich das KT-Symbol aufs Cover gekommen ist. Die Frage „Hat Kate Dir gesagt: ‚Nick, vergiss bloß nicht das Symbol irgendwo zu verstecken!‘?“ beantwortet er mit: „Kann gut sein, dass Kate mir diese Anweisung gegeben hat. Aber wirklich erinnern kann ich mich daran nicht mehr.“ Zu den Konzerten im letzten Jahr hat Nick es nicht geschafft – „zu viel Arbeit und ich war zu weit weg“.

Wenn Nick heute Kinderbücher illustriert, Anzeigen für Kunden gestaltet oder für die Kinderserie „Doctor Snuggles“ seine animierten Bilder fertigt, ist es für ihn nach wie vor eher eine Berufung, als Auftragsarbeit: „Ich zeichne immer für mich selbst, ohne dabei eine bestimmte Zielgruppe oder Altersgruppe im Kopf zu haben.“ An einer Stelle der Konversation mit ihm kann man übrigens deutlich spüren, dass er ein dickes Grinsen im Gesicht gehabt haben muss. Wer beim Cover von NFE genau hinschaut, kann ein Fisch mit menschlichen Armen und Beinen entdecken, bekleidet mit einem Kapuzen-Sweater. Der Fisch reitet auf einer Taube. Die Frage liegt also nah: Sieht so aus, als ob du das erste Logo für das Label Fish People entworfen hast?!  Nicks Antwort: „Well well!!! Fish People!!!…Das ist mir noch gar nicht aufgefallen, aber kann gut sein!“

Neues Buch erscheint am 22. Oktober

Katecarder400Das neue Buch über Kate von John Carder Bush wird am 22. Oktober veröffentlicht. Das Buch trägt den Titel „Kate: Inside the rainbow“. Auf 228 Seiten präsentiert Kates Bruder viele neue Fotos von Kate sowie zwei Essays. Bei den Bildern handelt sich um bisher noch nicht veröffentlichtes Material, aber auch um alternative Bilder aus bekannten Fotosessions, so zum Beispiel die schon vorab veröffentlichten Outtakes zum Cover des Hounds of Love-Albums. Das Buch kann inzwischen bei Amazon vorbestellt werden. In England wird es aktuell zum Preis von 26 Pfund (ca. 35 Euro; ohne Versandkosten) angeboten. Der reguläre Preis soll bei 40 Pfund liegen. Amazon Deutschland bietet das Buch für 40,95 Euro an – das dürfte nahezu identisch mit dem englischen Preis inklusive Versandkosten sein. Über die Seite katebook soll zudem eine limitierte Auflage des Buches veröffentlicht werden – möglicherweise von John Carder Bush signiert. Konkrete Angaben fehlen hier aber noch. Das neue Buch von Kates Bruder könnte – wie schon spekuliert – der Auftakt zu weiteren Veröffentlichungen sein. Derzeit wird ein Release-Datum der Konzert-DVD für den 4. Dezember gehandelt. Gesicherte Informationen gibt es dazu noch nicht. Als weiteres Format wird über eine 3CD spekuliert. Konkretere Hinweise gibt es auf eine Wiederveröffentlichung der drei ersten Alben von Kate, eventuell auch als Boxset. Vorerst abgesagt ist offenbar die ursprünglich bereits für April geplante Wiederveröffentlichung von The Red Shoes auf Vinyl durch das neue amerikanische Label Analog Spark. Dort geht man nun von einem Termin erst im nächsten Jahr aus.

Heute vor 35 Jahren erscheint Never For Ever

nfe620Heute vor 35 Jahren hat Kate ihr Album Never For Ever veröffentlicht – ihr erstes Album, auf das sie als Produzentin selbst direkten Einfluss hatte. „Mit Never for ever beginnt eindeutig eine neue Phase. Die beiden vorherigen Alben waren so aufgenommen wie eine Band im Studio klingt. Jetzt übernahm Kate Bush mehr Kontrolle“, stellt Achim in seiner Analyse des Albums fest. Ein außergewöhnliches Werk in mehrfacher Hinsicht: Es war das erste Album einer britischen Solokünstlerin, das in den dortigen Charts auf Platz 1 eingestiegen ist. Und: Kate entdeckt die Möglichkeiten der modernen Studiotechnik und setzt als eine der ersten Künstlerinnen überhaupt den neuen Sampling-Synthesizer Fairlight CMI ein. „Spuren dieses ersten Ausprobierens einer neuen Technik finden sich überall. Geräusche, die beim Spannen von Pistolen und Gewehren erzeugt wurden, wurden zum Beispiel für Army dreamers gesampelt, menschliche Stimmen für Delius, Türgeräusche für All we ever look for und zerbrechendes Glas für Babooshka“, schreibt Achim. Es ist aber auch der frühe Versuch eines Konzeptalbums: Never For Ever spielt mit der Tatsache, dass das Leben ein vorübergehender Zustand ist – was schon beim Cover deutlich wird. Tod und Vergänglichkeit sind die Hauptthemen, es geht um Besessenheit und wie so oft um filmische Inspiration. Achim: „Die Songs sind dabei so vielfältig wie die Traumgestalten, die auf dem Cover unter dem Rock von Kate Bush hervordrängen. Düsternis und klares Licht, Schwarz und Weiß vermischen sich.“ Und das gilt vom markanten Auftakt mit Babooshka bis zum Schlussakkord von Breathing, die Achim in seiner Analyse einzeln beschreibt und mit interessanten Details versieht, wie zum Beispiel bei Delius, der auf dem Film „Song of Summer“ basiert, den Kate mehr als zehn Jahre zuvor gesehen hatte. Oder beim Nachruf auf Bill Duffield (Blow away), für den auch ein Artikel der Auslöser war, in dem Menschen ihre Nahtoderfahrungen beschrieben haben. Never For Ever deutet aber auch an, wie Kate künftig arbeiten wird. Achim: „Never for ever entstand in kräftezehrenden Sessions, in Wiederholung um Wiederholung. Graeme Thomson hat es so beschrieben: „Hinter ihrer unnachgiebigen Arbeitsweise und ihrem hartnäckigen Festhalten an einer Idealvorstellung steckt die Suche nach dem Moment der Transzendenz, das Bestreben, den Klang, den sie in ihrem Kopf hört, so nahe wie möglich zu kommen, sodass ein geheimnisvoller, magischer Augenblick voll emotionaler Wahrheit entsteht.“ Achim: „Eine Künstlerin ist hier auf der Suche nach der Vision, dem idealen Klang. Dieser ferne Klang kann nur in besonderen Glücksmomenten erreicht werden, wenn alle Beteiligten eins sind. Auf diesem Album ist dies an vielen Stellen gelungen. Das esoterische Terrain der ersten beiden Alben ist in fremde, ‚exoterische‘ Gefilde ausgeweitet worden. Never for ever klingt so auch heute noch frisch, gewagt, eigensinnig, neugierig und eigenständig. Ich kann nur empfehlen, es öfter zu hören.“
Die komplette Analyse von Achim gibt es hier.

Tourbuch: A Sky Of Honey (III)

tourbook1-620Von Beate Meiswinkel

Für die Proben zog sich das Team auf ein ehemaliges Schulgelände mit einem schönen alten Haus und verschiedenen Nebengebäuden zurück. Die ersten Wochen über arbeitete die Band in einem der Gebäude, während der Theaterkünstler Basil Twist in der Turnhalle mit den wahrhaft atemberaubenden „Seiden-Wellen“ und den Puppenspielern übte. Die Chorproben fanden in der Synagoge statt. Mark Henderson setzte seine Beleuchtungsdesigns im Haus um. Dick Bird beschäftigte sich mit Malerarbeiten und den Bühnenbildern, und alles drängte sich um seine Bühnenmodelle, um sie zu bestaunen.

„Wir konnten alle zwischen den einzelnen Abteilungen hin- und her flitzen und bekamen so einen Überblick über das Gesamtprojekt, während es sich entwickelte.“

David Taraskevics, Simon Marlow, Keely Myers und George Sinclair stellten sich den ständig wachsenden Herausforderungen einer komplexen technischen Show. Kostümdesignerin Brigitte Reiffenstuel kümmerte sich um die Anproben in den ehemaligen Kunsträumen der Schule.

„Es war ein enorm kreativer und ungewöhnlicher Platz. Manchmal arbeiteten wir mit der Band an Sky of Honey und hörten die (Stimmen der) Ringeltauben von den Keyboards, und wenn wir hinausgingen, um eine Pause zu machen, hörten wir die echten Ringeltauben in den Bäumen rund um das schöne Schulgelände rufen. Wir waren alle traurig darüber, diesen Ort zu verlassen. Er war unser Zuhause geworden.“

Ebenso faszinierend gestalteten sich die Vorbereitungen des eigentlichen Veranstaltungsorts, des Hammersmith Apollo:
„Das gesamte Team war vor Ort, und jeder starrte mit müden, aber glänzenden Augen durch die raucherfüllten Lichtstrahlen auf riesengroße fliegende Vögel (…) Drei komplette Sitzreihen waren ausgebaut und durch Tische voller Computerbildschirme ersetzt worden für die Projektionen und das Beleuchtungsdesign (…) Manchmal war das Theater erfüllt von Glockengeläut oder dem Wirbeln eines Schwirrholzes, während das Soundteam die Klanglandschaft für das Surround-Sound-System zusammenstellte.“

Es muss zweifellos eine großartige Erfahrung gewesen sein, die Show Stück für Stück entstehen zu sehen. Ideen und Vorstellungen, die monatelang als Notizen und Fotografien in Ordnern abgeheftet waren, wurden durch ein engagiertes Team auf der Bühne umgesetzt und zum Leben erweckt. Einen wesentlichen Beitrag dazu leistete selbstverständlich die Band. Es hatte einige Zeit in Anspruch genommen, die passenden Musiker zu finden und zusammenzubringen:
dvd„Ich kann mir keine bessere Gruppe von Musikern vorstellen, oder entzückendere, goldigere Menschen:
Kevin McAlea (Keyboards, Akkordeon, Uilleann Pipes), der einzige von der Originalbesetzung der letzten Tour (…); Jon Giblin (Bass), meinen lieben Freund und Kollegen beim größten Teil der Alben; Omar (Hakim –Drums), das „Herz“ der Band (…); Mino (Cinelo), der Magier an den Percussions, immer mit einem breiten Lächeln im Gesicht;
David Rhodes (Gitarre), der musikalische Lichtstrahl, zu dem ich immer zur Bestärkung hinüber blicke; Frissi (Karlsson – Gitarre, Bouzouki, Charango), der isländische Winnie Pooh, der musikalischen Honig sammelt (…); Jon Carin, ein „wizard of sampled sound“, der für mich als Hauptstimme einsprang, wenn ich einen Schritt zurücktreten musste, um die Arrangements anzuhören oder vor Erschöpfung (…) zusammenklappte!“
„Wir sind alle sehr stolz auf den Surround-Sound, und dank Greg (Walsh – Sound Designer und FOH Engineer), der auf einem High Tech System bestand, spüren wir nun, dass wir tatsächlich etwas ganz Besonderes haben. Wir wollten das Publikum in die beiden Welten eintauchen lassen, ihm wirklich das Gefühl geben, Teil der Show zu sein. James Drew (Sound FX Consultant) hat eine FX-Klang-Kulisse erschaffen, die dabei hilft, den Erzählungen wirkliche Tiefe zu verleihen.“

Und so leisteten viele fleißige Hände ihren Beitrag zu „Before the Dawn“, einer Show, der man nicht einmal mit der Aufzählung sämtlicher Superlative aus Kates frühem Hit „Wow“ gerecht wird. Wann immer ich mich an jenen 2. September 2014 im Eventim Apollo erinnere, fühle ich noch immer überwältigt und dankbar und von dem Wunsch beseelt, diesen Abend noch einmal erleben zu dürfen. Kate Bush und ihrer Crew ist es nicht nur auf einzigartige Weise gelungen, Live-Musik mit Erzählung, Theater- und Filmelementen zu verbinden. Sie haben es außerdem zu Wege gebracht, mit ihrem Publikum in unbeschreiblicher Intimität und tiefer Nähe zu verschmelzen. Ein großes Geschenk von unschätzbarem Wert, für das sich sowohl Künstler als auch Zuschauer glücklich schätzen – eine Erfahrung, die wohl niemand jemals wieder vergessen wird, der mit dabei sein durfte. Zum Abschluss möchte ich noch einmal Kates Sohn Albert – Bertie zu Wort kommen lassen, der es auf den Punkt bringt:

„Ich fühle mich so privilegiert, an diesem Projekt mitarbeiten zu können, und ich habe versucht, mir meinen Platz darin zu verdienen. Meine Mutter ist die talentierteste Person (…). Sie und der Rest der Fellowship haben hier etwas wirklich Besonderes erschaffen.“

Ja.

Songs von Kate als Wiegenlieder

twinkle620Ein recht clevere Geschäftsidee hat man bei der amerikanischen Roma Music Group entwickelt: bekannte Lieder aller Genres in Wiegenlieder (Lullabys) zu verwandeln. Und das erfreut sich offenbar großer Beliebtheit nicht nur bei Eltern. Die Vielfalt des Angebotes ist verblüffend und reicht von Pop, Rock, Soundtracks und Country, Alternative, Metal bis zu New Wave, Indie und Reggae/Ska. Die Reihe nennt sich „Twinkle twinkle little Rock Star“ – benannt nach dem englischen Wiegenlied, das zu einer Melodie aus Frankreich im deutschen mit dem Text „Morgen kommt der Weihnachtsmann“ versehen wurde. Bei der TTLRS-Reihe kommen statt dem Weihnachtsmann aber eher die „Foo Fighters“, David Bowie oder halt Kate Bush. Bei den Wiegenlied-Versionen von Kate haben die Macher sich sechs bekannte Songs vorgeknöpft: Wuthering Heights, The Man With The Child In His Eyes, Running Up That Hill, This Woman’s Work, Cloudbusting und Army Dreamers. Kate wird dabei in der Kategorie „Alternative Baby“ gelistet. Ob der hohe Anspruch an die musikalische Qualität, den die Macher verkünden, eingehalten wird, ist eher Geschmacksache. Es funktioniert zumindest. Die Kunden kaufen die Songs offensichtlich aber nicht nur, um den Schlummer des eigenen Nachwuchses zügig zu befördern, sondern auch zur Entspannung, für Yoga-Übungen oder als Begleitmusik zu Massagen. Mehr zu den Wiegenliedern gibt es hier.

 

Ein Jahr nach Before the dawn…

oneyearSelbst ein Jahr nach dem Auftakt von Kates Konzerten im Hammersmith-Apollo fällt es mir immer noch schwer, alle Emotionen dieses außergewöhnlichen Konzertes einzusortieren, geschweige denn ein Highlight des Abends zu benennen. Klar, da war diese unglaublich furiose Version von King Of The Mountain, die zum Orkan anschwoll, um zu The Ninth Wave überzuleiten. Aber da war auch einfach das Video zu And Dream Of Sheep, live im Wassertank eingesungen, herzergreifend, wie diese zur Situation passende brüchige Stimme einen berührt… Und es war so viel mehr: Der Auftakt, wo Kate barfuß die Bühne erobert, frenetisch gefeiert wird, ohne bisher auch nur einen Ton gesungen zu haben, wo Sekunden später die Anspannung endlich von einem abfällt, weil ihre Stimme einfach nur atemberaubend ist… Da war Hello Earth, wo Kate versucht, eine Rettungsinsel zu erreichen und tot geborgen wird, jeder den Atem anhält, als sie aus dem Saal getragen wird und niemand die gehauchte Textzeile „Tiefer, tiefer, irgendwo in der Tiefe gibt es ein Licht…go to sleep, little earth“ verpassen will. Bis sich dann all die aufgestauten Emotionen bei der wundervollen Version von Morning Fog entladen, als Kate als Überlebende umjubelt wieder die Bühne und das Publikum bei der Textzeile „D’you know what? I love you better now“ vollkommen aus dem Häuschen gerät. Und es gab das bombastische Schlussstück Aerial, wo sie sich vollkommen verausgabt, um sich direkt danach alleine ans Piano zu setzen und eine Version von Among Angels zu spielen, die einen sprachlos zurück lässt. Unfassbar gut. Ich bin noch immer unendlich dankbar dafür, dass ich all diese Momente erleben durfte.
Danke, Kate.

30 Jahre HOL: Von Chicago nach London

katebush2015-instaWenn am 16. September Kates Album Hounds of Love 30 Jahre alt wird, geht das natürlich nicht ganz unbemerkt über die Bühne. Den Aufschlag macht am 10. September die Chicagoer Kulturkneipe „The Wistler“. Die jährliche Tribute-Night für Kate steht in diesem Jahr unter dem Motto: Thunder in Our Hearts: A Tribute to Kate Bush. Wie gewohnt gibt es Live-Sets von DJs und natürlich auch wieder Live-Bands. So zum Beispiel von Lykanthea aus der Ambient-Elektronik-Ecke und von Singer-Songwriter Natalie Grace Alford. Bereits zum dritten Mal dabei ist Kyle Greer, ebenfalls Singer-Songwriter, der sich zudem auch im Bereich Theater/Cabaret tummelt. Wie gewohnt sorgen  Josie Bush, Joshua und Belazauberin (Molly Beth Fisher) als DJs für tanzbare Musik von Kate; zusätzlich werden Videos von Kate-Songs gezeigt, TV-Beiträge und Konzertaufnahmen. Im letzten Jahr stand die Tribute-Night im Wistler unter dem Motto „All the love“ ganz im Zeichen von The Dreaming – 2015 nun ist es bereits die fünfte Veranstaltung dieser Art.

Eine besondere Veranstaltung findet dann genau am Jahrestag im Londoner Bloomsbury Theater statt. Die Tributeband Cloudbusting wird an dem Abend das komplette Album live spielen – natürlich inklusive The Ninth Wave. Unterstützt wird die Band dabei von irischen Musikern, dem Londoner Bulgarian Choir sowie von den Musikern Brian Bath (Gitarre) und Preston Heyman (Drums, Percussion), die beide lange Jahre mit Kate zusammengearbeitet haben und auch zur Band ihrer Tour of life 1979 gehörten. Das dürfte also ein ganz besonderer Abend werden. Am 20. September gibt es dann ebenfalls in London in der „Strongroom Bar“ eine Veranstaltung mit Haydn Bendall, der neben Del Palmer, Brian Tench und Paul Hardiman für die Abmischung von Hounds of Love zuständig war. Er wird Einblicke in die Arbeit von Kate und den einjährigen Entstehungsprozess von HOL geben. Anschließend gibt es dann noch einen Gastauftritt von Cloudbusting.

Das Song-ABC: King of the Mountain

abcWie eine Leuchtrakete des damals bevorstehenden Albums „Aerial“ stieg dieser Song nach Jahren der Stille auf und bescherte Kate Bush den größten Erfolg in den Singlecharts seit Jahren.
Der Song ist in seiner Grundstruktur aus Strophe, Chorus und kontinuierlicher Steigerung eingängig und war daher für eine Single eine gute Wahl. Es fällt aber auf, dass sich die musikalische Welt von Kate Bush einmal wieder verändert hatte. Ein ruhig pulsierender Rhythmus, ein Teppich aus windähnlichen Hintergrundgeräuschen, die Stimme allein ist für die Melodie zuständig. Ruhig gesungen, erwachsen, zurückgenommen in den Mitteln, warm und lebendig, irgendwie weit weg vom Mainstream der Popmusik – Stilmittel, die sich im folgenden Album dann mit Macht Bahn brachen.
kotm400Geschrieben und teilweise aufgenommen wurde „King of the Mountain“ bereits 1997, acht Jahre später wurde er dann komplettiert [1]. Die Grundidee stammt also aus der Anfangszeit des Rückzugs ins Private und diese Stimmung spiegelt sich mit ein bisschen Fantasie im Text wider. Kate verbindet dies mit zweien ihrer Hauptthemen: reale Personen mit ihren Mythen, Filme. Was wäre, wenn Elvis noch leben würde? Was wäre, wenn er einfach genug gehabt hätte von seinem Schloss Graceland und vom Druck der Öffentlichkeit? Was wäre, wenn er jetzt verborgen irgendwo in den Bergen als „king of the mountain“ sich des Lebens freuen würde – „in the snow with rosebud“? Mit dieser Zeile wird der Mythos Elvis verknüpft mit dem Film „Citizen Kane“, einem der berühmtesten und einflussreichsten Filme der Vierziger. „Citizen Kane“ beginnt mit dem Tod der Hauptfigur, die das Wort „rosebud“ murmelt und im Sterben eine Schneekugel fallen lässt. Rosebud war – so stellt sich im Lauf des Films heraus – der Name des Schlittens aus der Kindheit der Hauptfigur, die letzte Erinnerung an eine unschuldige Zeit, an ein Glück im Schnee. Auch Citizen Kane stirbt in einem gigantischen Schloss (voll mit „priceless junk“) genau wie Elvis.
Hinweise darauf, dass diese Geschichte auch für Kate Bush selbst von Wichtigkeit ist, lassen sich finden. Offenbar hing in Kates Wohnung eine Replik des Rosebud-Schlittens aus “Citizen Kane” [2]. Zudem soll ihr Sohn Bertie – jedenfalls im Jahr 2005 – ein begnadeter Elvis-Imitator gewesen sein [3], auch dies verweist auf “King of the Mountain”.
Es ist ein irgendwie melancholisches Lied, getrieben von der Sehnsucht nach einem Paradies wie in der Kindheit, ohne das Blitzlichtgewitter der Öffentlichkeit, ohne dumme Schlagzeilen der Boulevardpresse. Es ist ein Lied über die Suche nach dem Glück in der Einsamkeit. Citizen Kane ging traurig aus – im Schlussbild verbrennt der Schlitten und nimmt sein Geheimnis mit sich. Die Geschichte um Elvis Presley ging traurig aus – einsam und krank starb er in seinem Schloss. „King of the Mountain“ aber hat ein optimistisches Ende, wie das Video zeigt: Elvis lebt und ist glücklich im Schnee mit Rosebud. Der Wind schließt die Türen hinter der Vergangenheit und zu den leeren, verlassenen Palästen: „The wind it blows the door closed“. Ruhm und Geld interessieren nicht, sind wertlos. Von Wert ist das Paradies der Kindheit, die Familie, die Selbstbestimmung – symbolisiert durch den Schnee und den Schlitten.
Achim/aHAJ)

[1] Jenny Bulley: King of the mountain, Mojo 10/2014 S.62
[2] Interview in “Mojo” 12/2005, S.79
[3] John Mendelssohn: Warten auf Kate; Schlüchtern 2005; S.325