Das Song-ABC: Hounds of Love

abc„Hounds of Love“ ist ein beeindruckender und tiefgründiger Song. Er war ein Top20-Hit in Großbritannien und gab einem Hitalbum den Namen. Einige Kritiker halten ihn für den besten Song von Kate Bush (1).
Die Hitqualitäten sind offensichtlich. „Hounds of Love“ stürmt voran und bringt die Beine zum Tanzen. Die Musik ist popsong-artig, zugänglich. Die Musik bebt vor unterdrückter Energie. Niemals waren Songs von Kate Bush chartstauglicher als auf der ersten Seite dieses Albums. Das gilt aber nur für die Musik, die Texte sind von abgründigerer Natur – dies gilt auch hier. Schon das Cover der Single weist auf dieses Düstere hin: Eine nächtliche Waldlandschaft, ein einsamer See, Kate davor – fühlt sie sich bedroht?
holpolaroid400Bei der Analyse dieses anscheinend so eingängigen Songs bin ich wirklich ins Schwimmen gekommen. Zuerst erscheint es einfach: komplexe Aspekte der Liebe werden thematisiert. Dass Liebe nicht nur sonnig, sondern gleichzeitig auch beängstigend sein kann, wird schon durch den Titel (der gleichzeitig Albumtitel ist) verdeutlicht – „Hounds of Love“. Kate erklärt das in einem Interview (2) so: „[..] das sind die Hunde, die den jagen – symbolisch natürlich -, der sich vor der Liebe fürchtet, der Angst hat, ihr in die ‚Falle‘ zu gehen. Aber es sind nicht wirklich böse Hunde, man kann ja auf dem Cover sehen, wie sanft und schön die ‚Hounds of Love‘ sind.“ Offenbar ist die Sache aber doch ambivalent, denn in einem anderen Interview sagt sie es so: „The hounds of love are an image really, someone who’s afraid of being captured by love; and the imagery is love taking the form of hounds that are hunting them, so they run away because they’re afraid of being caught by the hounds and ripped to shreds.“ (3)
Zu Beginn des Songs wird die Dialogzeile „It’s in the trees! It’s coming!“ aus dem Film “The night of the demon” zitiert (4), in dem ein Dämon – eine vierfach gehörnte, krallenbewehrte, schuppige Teufelsgestalt – auf die Menschen losgelassen wird. Die Furcht vor einer mystischen, zerstörerischen Naturkraft wird thematisiert. Der Song ist im Rhythmus bei aller Tanzbarkeit etwas bedrohlich. Für mich klingt dieses Vorwärtsdrängende wie ein großes verfolgendes Tier, das durch einen dunklen Wald läuft (und das am Schluss ankommt). Groß, gefährlich, kraftvoll. Aber das ist die Sicht auf die Liebe aus Sicht der Feiglinge („I’ve always been a coward / And I don’t know what’s good for me“) – die Jagdhunde der Liebe sind sanft und schön. Sie behüten den, der sie in den Arm nimmt und an sich heranlässt – so sagt es das Cover des Albums. „Hounds of love“ ist ein Lied über Furcht, die uns alle irgendwann auf irgendeine Art und Weise befällt und beherrscht – insbesondere die Furcht vor der Liebe. Die Jagdhunde sind ein Sinnbild für die Liebe in all ihren Facetten selbst. Man kann sie fürchten, weil sie einen überwältigt. Sie reißt einen nieder und macht vollkommen hilflos. Sie macht einen glücklicher als alles andere auf der Welt. Das Mystische dabei: all dies geschieht gleichzeitig. Die Liebe ist gleichzeitig ein Monster und ein Kuscheltier.
KateHoundsDas klingt alles ganz einleuchtend und damit könnten wir es bewenden lassen. Aber ich habe Fragen im Kopf, die noch nicht beantwortet sind. Warum dieses Bild der „Jagdhunde der Liebe“? Es bestimmt das ganze Album – der Titel ist daran orientiert, ebenso das Cover. Welche Assoziationen sind eingeflossen?
Kate Bush sagte in einem Interview zum Album „Never for ever“ etwas sehr Interessantes über die Art und Weise, wie sie Songs entstehen lässt (5): „Wenn ich mich von einem Film oder einem Buch inspirieren lasse, möchte ich nichts genau übernehmen – ich stehle die Idee nicht. Ich filtere sie durch meine persönlichen Erfahrungen, und manchmal entsteht daraus eine seltsame Mischung aus frei erfundenen Dingen und sehr, sehr persönlichen Ängsten, die ich in mir trage“. In Ihren Songs werden Inspirationen aller Art mit einer Grundidee zu einer neuen Einheit verschmolzen.
Beim Stöbern in meinem Bücherregal ist mir ein Band mit Kurzgeschichten in die Hand gefallen: „Somerset träumt“ von Kate Wilhelm. In diesem Band ist die Geschichte „Die Hunde“ (Originaltitel „The Hounds“) aus dem Jahre 1974 enthalten (6). Es ist eine Interpretation der griechischen Sage um die Göttin Artemis und den Jäger Aktäon (7). Artemis, die Göttin des Mondes und der Jagd, war sehr keusch. Mit Männern wollte sie nichts zu schaffen haben. Sie lebte im Wald und war gleichzeitig sehr scheu und argwöhnisch. Der Jüngling Aktäon stieß bei der Jagd zufällig auf die Göttin beim Bade. Artemis verwandelte ihn in einen Hirsch, worauf er von seinen eigenen Jagdhunden in Stücke gerissen wurde.
„The Hounds“ handelt von Rose Ellen und ihrem Mann. Er verliert seine Arbeit und beschließt, zurück aufs Land zu gehen und eine kleine Farm zu kaufen. Rose Ellen ist dagegen, doch sie ist eine pflichttreue, liebevolle, aufopfernde Ehefrau und geht mit. Alles geht gut und ist friedlich. Eines Tages laufen zwei sehr schöne Hunde (ähnlich wie die auf dem Cover des Albums) Rose Ellen nach und hängen ab da besitzergreifend an ihr. Von Anfang an ist Rose Ellen von unerklärlicher Angst vor ihnen befallen. Sie kann und will sie nicht anfassen. Sie hat einen wiederkehrenden Traum, der ihr klarmacht, dass sie dann für alle Zeiten gefangen wäre, die Tiere würden sie nie wieder loslassen. In diesem Traum ist sie die Frau in Weiß, die mit den Hunden zur Jagd ausreitet. Ihre Beute ist ein Hirsch. Mit jedem Traum kommt sie dem Hirsch näher, ein Messer in der Hand. Sie befürchtet, dass ihr Leben zerstört wäre und ihre Ehe zerbrechen würde, wenn sie den Hirsch im nächsten Traum tötet. Es ist eine Geschichte über Freiheit und Wildheit und Zügellosigkeit, die Rose Ellen nie ausgelebt hat. Ein Teil von ihr will Artemis sein, eins mit der Natur, die wilde Zerstörerin und Jägerin. Aber das darf nicht sein, es steht zu viel auf dem Spiel – so sagt es sich Rose Ellen und lässt sich nicht auf ihre Natur ein. Sie erschießt die Hunde.
Diese Details passen mir viel zu gut auf den Song „Hounds of Love“ um Zufall zu sein. Artemis – das ist die jungfräuliche Göttin, die Angst vor der Liebe, vor Berührung hat. Sie ist aber auch die Gewalt der Natur. Jagdhunde sind Begleiter dieser Göttin der Jagd. Artemis wird oft mit Pfeil und Bogen dargestellt (8). Dies scheint mir in den Song und das Album eingeflossen zu sein – auf dem Cover zur Single „Running up that hill“ stellt sich Kate Bush als Bogenschützin dar, die ein unbekanntes Ziel anvisiert. Auf dem Cover des Albums liegt sie mit ihren Jagdhunden da wie eine Göttin, die vor Sternen im Himmel schwebt (das war mein erster Eindruck 1985, als ich das Album in den Händen hielt). Rose Ellen in der Erzählung ist der Feigling, der vor der Macht ihrer eigenen Natur – verkörpert durch die Hunde – zurückweicht. Eine Frau ist gleichzeitig die scheue Göttin und die wilde Zerstörerin und Jägerin. Sie ist das, was sie selbst fürchtet. Auch das Video zum Song legt das nahe. Es ist eine Adaption von Hitchcocks „Die 39 Stufen“, in dem eine Frau auch erst über Gefahren ungewollt zu ihrer Liebe findet (11).
Dass es in diesem Song um die unergründliche, ambivalente Macht der Natur selbst geht – darauf deutet auch die Tonart hin. Der Song ist in F-Dur geschrieben (9). F-Dur ist die Natur-Tonart, die Stimme der Natur – im Hintergrund ist aber immer das verborgene zerstörerische Potenzial der Naturgewalten spürbar (10).
Es gibt weitere Punkte, die implizieren, dass sich Kate Bush mit „Somerset träumt“ von Kate Wilhelm befasst haben könnte. „It’s in the trees! It’s coming!“ – so etwas findet sich auch in dem Buch von Kate Wilhelm. Dort gibt es eine Geschichte über kleine Geister/Kobolde/Monster, die in einem Baum vor einem Haus wohnen. Nur die Frau kann sie sehen und mit ihnen kommunizieren. Und es findet sich die Geschichte über einen Mann in einem eingeschneiten Busbahnhof, der dort erfriert und sich an seine Vergangenheit und an seine Liebe erinnert. Vielleicht liegt dieser Busbahnhof ja an der Wheeler Street.
Aber genießen wir einfach das Lied und tanzen wir mit. Das gehört auch zu unserer Natur.
Achim/aHAJ)

(1) „The 50 greatest Kate Bush songs“, Mojo 10/2014, S. 76f
(2) Andreas Hub: “Kate Bush. Aufgetaucht”. Interview mit Kate Bush. Fachblatt Musikmagazin. 11/1985
(3) http://www.songfacts.com/detail.php?id=4741 (gelesen 12.01.2015) – hier wird der NME zitiert
(4) https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Fluch_des_D%C3%A4monen (gelesen 02.09.2015)
(5) Rob Jovanovic, Kate Bush. Die Biographie. 2006. Koch International GmbH/Hannibal. Höfen. S.118
(6) Kate Wilhelm: Die Hunde (Originaltitel „The Hounds“), aus dem englischen übersetzt von Sylvia Brecht-Pukallus, München, Heyne, 1988
(7) http://de.wikipedia.org/wiki/Aktaion (gelesen 12.01.2015)
(8) Hans-K. und Susanne Lücke, Antike Mythologie. Wiesbaden, 2005, Marix Verlag. S.137ff
(9) „Kate Bush Complete“. EMI Music Publishing / International Music Publications. London. 1987. S.99f
(10) Hermann Beckh: Die Sprache der Tonart in der Musik von Bach bis Bruckner. Verlag Urachhaus. Stuttgart 1999. S.149ff
(11) https://de.wikipedia.org/wiki/Die_39_Stufen_%281935%29 (gelesen 02.09.2015)

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