Die neunte Welle

big_7Der kürzlich verstorbene Schriftsteller Dieter Kühn beschreibt es in seinem Buch „Die siebte Woge“ so: „Als St. Petersburg noch Leningrad hieß, stand auch ich in der Eremitage vor dem cinemascope-großen Gemälde Die neunte Woge. Alte seemännische Bezeichnung für eine besonders hohe, bedrohliche Wassermasse. Entsprechend bewegt geht es auf dem Riesengemälde zu: Überlebende eines Schiffbruchs haben sich in kleinem Grüppchen auf ein Wrackteil, den Mast, gerettet, jemand winkt unsichtbare Helfer herbei mit weißem Lappen. Lautlos tosend das Ambiente schaumgekuppter Wellen, dominierend aufgetürmt eine Woge, die man heute als Killerwelle bezeichnen würde.“ Kühn steht vor dem Werk von Iwan Konstantinowitsch Aiwasowski, dem russischen Maler, dessen 1850 gemaltes Bild titelgebend für „The Ninth Wave“ – der zweiten Seite des Albums „Hounds of Love“ – war. In einem Punkt irrt Kühn allerdings. Er hat das Bild nicht in der Eremitage, sondern im Staatlichen Russischen Museum in St. Petersburg gesehen, das die weltweit größte Sammlung russischer Kunst beherbergt. Darunter auch als bekanntestes Bild „Die neunte Welle“ oder „Die neunte Woge“.
tnw-zettelAiwasowski war russischer Marinemaler, der vor allem durch seine virtuose Gestaltung von Licht und Schatten begeisterte. Auch er war offenbar von dem Seemannsaberglauben inspiriert, wonach in einer Abfolge von Wellen die neunte Woge stets die mächtigste Welle ist. Ein Aberglaube, der schon in der isländischen Göttersaga Edda nachzulesen ist. Der englische DIchter Lord Alfred Tennyson hat das in „The Coming of Arthur“ painteraufgegriffen: „Wave after wave, each mightier than the last, Till last, a ninth one, gathering half the deep And full of voices, slowly rose and plunged Roaring, and all the wave was in a flame“ – jedem Kate Bush-Fan bestens vertraut, weil Kate genau diese Zeilen auf dem Back-Cover zu Hounds of Love zitiert hat. Und natürlich, weil zu Beginn der Aufführung von The Ninth Wave im vergangenen Jahr die kleinen gelben Papierzettel mit dem Aufdruck der vier Gedicht-Zeilen durchs Apollo-Theater flogen. Woher der Bezug zu dem Gemälde von Aiwasowski stammt, bleibt leider unklar. Kate hat in mehreren Interviews ihr Interesse an Malerei kundgetan. In einem Interview mit dem Melody Maker in wave1978dem Jahr, in dem Hounds of Love veröffentlicht wurde, antwortete sie zum Beispiel auf die Frage, welcher Künstler sie am liebsten gewesen wäre: “I would want to be Breughal, definitely. His work is so real, and yet depicted in a fantastic way. It’s so beautiful and elemental. And his faces are so haunting.” 20 Jahre später greift Kate für ihr Album Aerial auf Bilder von Joseph Edward Southall (Fisherman And Boat) und Frederic Cayley Robinson (Lesson Time) zurück und nimmt das Motiv des Malers in „An Architect’s Dream“ auf. In mehreren Berichten zu den Before the Dawn-Konzerten wird interessanterweise die Person des Malers aus „A Sky of Honey“ mit Aiwasowski verknüpft. Schaut man sich das Bild von der Aufführung an, sieht man aber eher einen Hinweis auf den folgenden Song „Sunset“ statt der wogenden Wellen von Aiwasowski.
Was der eigentliche Auslöser für den Songzyklus „The Ninth Wave“ war, wird in einem kleinen Zeitungsausschnitt aus einem Jugendmagazin von 1978 oder 1979 deutlich: „My strangest dream (…) is where I’m sitting on this raft floating in the middle of a gigantic ocean. There’s no land in sight – just limitless water – yet I habe no fear and no desire to be rescued. Just a feeling of complete peace.“ Ein Traum, der zu wundervoller Musik wurde.

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