Es ist der Scheideweg in der grandiosen Suite „The Ninth Wave“: Zwischen dem geisterhaften „Watching You Without Me“ und dem in den Weltraum hinauskatapultierten „Hello Earth“ siedelt der „Jig Of Life“ – als erdverbundener Anker, der versucht, die Protagonistin dem Tod zu entreißen.
Einmal mehr hat Bruder Paddy als Katalysator für Folkeinflüsse gewirkt. Der Titel des Stücks spielt auf einen Tanz im Dreiertakt an (Sechsachtel, Neunachtel oder Zwölfachtel), den Folkbegeisterte vor allem aus der irischen Tradition kennen, der aber überall auf den Britischen Inseln beliebt war. Der Jig hat es aber auch in die Kunstmusiksphäre geschafft, etwa in Barocksuiten, wo er als Gigue bekannt war. [1] Die Nähe zum Wort „Geige“ deutet auf etymologische Beziehungen zur Geige hin – die lassen sich aber nicht eindeutig belegen. Oft steht aber tatsächlich die Geige im Mittelpunkt, wenn ein Jig gespielt wird. Die Geige als kreisendes, tranceförderndes Instrument, bevor sie als „Violine“ domestiziert wurde, so kennt man sie aus dem Mittelalter und der frühen Neuzeit, wenn zum Veitstanz aufgespielt wurde. Und auch Gevatter Tods Instrument ist die Geige, Begleiterin an der Pforte zwischen Dies- und Jenseits, diejenige, die zum ewigen Karussell von Vergehen und Neuwerden ihre Saiten schnurren lässt.
In einer solch dramatisch aufgeladenen Sphäre zwischen Leben und Tod ist auch „Jig Of Life“ angesiedelt: „Now is the place where the crossroads meet.“ Die Ertrinkende, die eben noch als Gespenst durch ihr eigenes Haus irrte, erlebt eine weitere Vision, in der ihr eine alte Frau erscheint. Es ist sie selbst, in vorgerücktem Alter, und die greise Dame fordert sie resolut und nicht ganz uneigennützig auf, ihr Leben nicht jetzt schon aus der Hand zu geben. „Never, never, never say goodbye, to my part of your life.“ Wie Kate diese Zeile und überhaupt den ganzen, auf wenigen Tonwiederholungen verharrenden Text singt, das kann einem Schauer über den Rücken jagen, die alles andere als wohlig sind. Eine dunkle, suggestive Färbung hat sich ihrer Stimme bemächtigt, die manchmal ins Furienhafte hineinspielt. Bei all der düsteren Stimmung beherbergt diese Vision auch spannende Gedankenexperimente, allen Science Fiction-Fans vertraut, die sich für Raum-Zeit-Paradoxien begeistern. Diejenige, die da im Spiegel sitzt, kann es gar nicht geben, wenn ich auf der anderen Seite des Glases jetzt sterbe, folglich kann sie sich auch nicht an mich erinnern, und die zukünftigen Kinder, die im Text beschworen werden, erst recht nicht.
Dieser faszinierende, urwüchsige, bedrohliche Kreislauf des Lebens also, er wird als Folkdrama vertont. Viele der regulären Bandmusiker schweigen, Kate hat ihre Lieblingsfolkies verpflichtet, die teilweise schon auf „Night Of The Swallow“ drei Jahre zuvor zu hören waren: Der Fiedel- und Pfeifenmeister John Sheahan, Bouzouki-Crack Dónal Lunny, Liam O’Flynn am irischen Dudelsack – Legenden von den irischen Folkgruppen Planxty und Dubliners. Doch der Jig ist gar kein irischer, und erst der Instrumentalteil ist im Dreierrhythmus, wir müssen ihn also als Abstraktum, als Kreisen des ewigen Rades begreifen. Paddy Bush, Schatzsucher in den Musikkulturen der Welt, hat hier ein Traditional aus Griechenland an Land gezogen: Die Musik stammt aus den archaischen Anastenaria-Ritualen, die alljährlich in Nordgriechenland und Südbulgarien gefeiert werden. Die Bevölkerung der Dörfer ruft den Schutz des heiligen Konstantin und der heiligen Helene an, bezieht aus der Wirkung des unablässig sich wiederholenden Tanzens, die Kraft, barfuß durchs Feuer zu gehen. [2] (Randbemerkung für alle Weltmusikfreaks: Die kreisende Fiedel ist während dieser Rituale eine auf den Knien gehaltene Kemençe.) Die Musik wurde – wohl im Teamwork von Paddy und Kate – aus dieser rudimentären Form heraus noch erheblich weiterentwickelt. [3] Ob keltisch oder südosteuropäisch, die Vollblutmusiker aus Dublin leisteten in den Windmill Lane Studios ganze Arbeit, während Kate noch fieberhaft am Text arbeitete. Sie schufen einen Sog, der einem akustischen Maelstrom gleicht.
Zurück in der East Wickham Farm wurden dann noch zwei Krönchen auf den Track gesetzt. Drummer Charlie Morgan erinnert sich, wie Kate ihn aufforderte, auf die bestehenden Schlagzeugspuren vom Kollegen Stuart Elliott nochmal 24 draufzusetzen, mit jedwedem Klatsch,- Stampf-, Hämmer- und Paukengeräusch, das er erzeugen konnte. [4] Das hat den „Jig Of Life“ erst so richtig erdig gemacht, zu einem Tanz, der wuchtig ins Parkett gehauen wird. Ich kann keinen Hehl draus machen, dass mich die letzte Zutat nie überzeugt hat. Es ist Jay Bushs sechzehn Zeilen umfassendes Gedicht, das die messerscharfen, kurzen Zeilen des vorherigen Textes poetisch überhöht und weiterführt. (Die Passage „We Are Of The Going Water…“ taucht schon in der Eröffnung von „Waking The Witch“ auf). So kraftvoll und bildgewaltig dieses Poem ist, im wirbelnden, turbulenten Kontext wirkt es künstlich aufmoduliert, verwirrt mehr, als dass es zur Geltung kommen kann. Für mich hätte dieser Tanz des Lebens ein viel überzeugenderes Ende gehabt mit dem gewaltsamen Abbruch in der gesprochenen Zeile „I put this moment here“ und dem direkten Übergang zu „Hello Earth“. Kate findet an dieser Stelle einen Ausstieg aus dem betörenden Strudel, aus dem ewigen Kreislauf. Schon vorher heißt es ja einmal „This moment belongs to the One-Hand-Clapping“, eine Anspielung an das Zen-Koan „Hörst du das Klatschen der einen Hand?“[5] Das lässt sich nur in tiefer Meditation erfahren, abseits von allem weltlichen Getümmel. Mit diesem Paradox hätte es direkt in die Auflösung des Raum-Zeit-Kontinuums gehen können, im Schwebeflug Richtung „Hello Earth“. Stefan
[1] J.B.Metzler Musiklexikon, Bd.2, S.242/3, Weimar 2005
[2] http://press.princeton.edu/titles/4420.html
[3] https://www.youtube.com/watch?v=dCEk2No6Sww
[4] DVD „Hounds Of Love – A Classic Album Under Review“, Pride Production 2008
[5] http://buddhism.about.com/od/whoswhoinbuddhism/a/hakuin.htm
4 Kommentare
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Autor
Ich muss gestehen, dass ich nie auf die Idee gekommen wäre, dass dieses Lied anders hätte enden können. Das Gedicht von JCB gehört auch für mich untrennbar zu Jig of Live dazu. Dennoch finde ich die Idee vollkommen faszinierend – zumal es funktioniert, wenn man nach Kates Textzeile einfach zu Hello Earth rüberwechselt….
Eine sehr gute Betrachtung, danke dafür! (Zum Gedicht schließe ich mich der schon zweifach geäußerten Meinung an *g*)
Danke für den schönen Text zu einem der beeindruckendsten Lieder der „The Ninth Wave“-Seite. Auch von mir gibt es bei ganz viel Zustimmung nur eine Einschränkung: das John Carder-Gedicht passt perfekt zum furiosen Abschluss – ich könnte mir kein besseres Ende vorstellen und bekomme beim Finale auch heute noch Gänsehaut.
Jig of Life – einer der großartigsten Songs überhaupt! Toller Beitrag, Stefan In einem Punkt muss ich dir allerdings widersprechen: die von John Carder Bush vorgetragenen Zeilen des Gedichtes erheben für mich das Lied noch in ganz andere, ungeahnte Sphären…und führen den Song zum absoluten Höhepunkt.