Jon Kelly versteigert Kate-Raritäten

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Um ein Schulprojekt in Südafrika zu unterstützen, hat Kates früherer Produzent Jon Kelly tief in sein Plattenarchiv gegriffen und ein paar Schätze ans Tageslicht befördert, die jetzt auf Ebay meistbietend versteigert werden. Dabei handelt es sich durchgängig um Testpressungen, die Kelly zum Probehören erhalten hat. Im Angebot sind eine White Label-Pressung von The Kick Inside, Never For Ever als White Label Doppel-LP mit jeweils einer abspielbaren Seite, die Single Breathing, ebenfalls als Pressung mit je einer Vinylscheibe für A- und B-Seite,  die Single Hammer Horror (nur als A-Seite) sowie Breathing als Demo. Als besonderer Leckerbissen wird eine „second cut“-Version von Sat In Your Lap (auf dem Label als Sat In My Lap benannt) als Acetat angeboten. Der second cut soll nach dem endgültigen Mix und vor dem Mastering entstanden sein. Wer auf Ebay mitbieten will muss sich beeilen – die Angebote laufen diesen Sonntag aus. Die Preise liegen aktuell zwischen 17 Pfund (Breathing-Demo)  und 375 Pfund (SIYL-Acetat). Die Angebote findet man in der Übersicht hier.

12 Kate-Momente: Februar

© bugi

Der letzte Abend in Peru. Wir ziehen durch Cusco, gehen erst Essen und landen danach in einer kleinen Bar. Es ist spät, am nächsten Tag müssen wir früh raus. In der Kneipe ist es schummrig, es gibt eine sehr nette Bedienung und es bleibt nicht nur bei einem frisch gemixten Pisco Sour. Im Hintergrund spielt ’ne Band und es wird getanzt. Leider nicht zu Kate. Das Foto entsteht mitten auf der Tanzfläche, ich liege auf dem Boden, Kamera nach oben. Als ich das Ergebnis sah, war ich erst enttäuscht. Die Unschärfe, die Reflexion, der Rotschimmer machen das zunichte, was ich dachte einfangen zu können. Beim zweiten Blick bin ich überrascht – die eingefangenen Bewegungen, das Licht lassen mich auf einer Tanzfläche in Cusco an Kate denken. Die roten Schuhe hatte ich leider nicht dabei, sonst hätte ich vielleicht doch mitgetanzt. And this curve, is your smile. And this cross, is your heart. And this line, is your path. Really happening to ya. They can’t stop dancing …

Klingende Postkaten mit Kate

Die polnischen Klangpostkarten: oben Blow Away, unten All We Ever Look For, Delius und Wuthering Heights
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Inzwischen sind sie ziemlich rar geworden: die Klangpostkarten aus Polen. In den früheren Ostblockländern waren sie ziemlich weit verbreitet, produziert wurden sie insbesondere in Polen und Ungarn. Die Postkarten waren oft mit einer Plastikschicht mit Rille überzogen und konnten so auf dem Plattenspieler abgespielt werden. Ein Song passte so auf eine Postkarte, die auf der Rückseite mit einem (oft lieblosen) Motiv als Ansichtskarte verziert war und natürlich ausreichend frankiert auch verschickt werden konnte. Beliebt waren die Klangpostkarten auch deshalb, weil sich die Macher illegal an westlicher Popmusik vergriffen. Das schon in den 60ern, als die Beatles aufkamen. Aber auch in der 80ern bediente man sich noch bei den Größen des Musikgeschäftes und so gab es beispielsweise vom polnischen Verlag Krajowa Agencja Wydawnicza (KAW) mindestens sechs Karten mit Musik von Kate, die in einem einheitlichen Layout erschienen sind. Zu den Songs Wuthering Heights, Babooshka, Blow Away, Delius (Song of Summer), All We Ever Look For und Egypt wurde als Ansichtsseite jeweils ein Bild des polnischen Künstlers Kazimierz Mikulski verwendet. Der 1998 in Krakau verstorbene Mikulski war Maler, Bühnenbildner, Schauspieler und Illustrator und stand dem Surrealismus nahe. Natürlich handelte es sich bei den Flexidisk-ähnlichen Pressungen nicht um legale Musik-Veröffentlichungen, auch wenn der Verlag in Polen nicht ganz unbekannt war und sich zudem noch bei Werken eines polnischen Künstlers bediente. Die musikalische Qualität der abzuspielenden Postkarten dürfte eher bescheiden gewesen sein, ähnlich wie bei den russischen Flexi-Disks (Schallfolien), die aus einfachem Material gefertigt waren und die eher als Wegwerfobjekt betrachtet wurden, dafür aber, wie Michael auf seiner Seite hier beschreibt, oft sehr schön produziert wurden, wie zum Beispiel bei der transparent-blauen Flexi Babooshka. Die Songauswahl war auch bei den Flexis oft erstaunlich, so listet Micha etwa Exemplare wie Ken, The Fog oder One Last Look Around The House Before We Go. Die Babboshka-Flexi taucht bei Ebay immer wieder auf, ist aktuell für 20 bis 25 US-Dollar zu erwerben. Andere Flexis sind deutlich seltener, die Postkarten hingegen sind kaum noch zu bekommen. Schallfolien gab es übrigens auch in Deutschland, meist zu Werbezwecken, durchaus aber auch als Beigabe in Musikzeitschriften. Von den Exemplaren dürften auch nur wenige überlebt haben.

Das Song-ABC: Moments Of Pleasure

„Moments of Pleasure“ gehört für mich zu den bewegendsten Liedern von Kate Bush. Es ist das, was ich ein „Erinnerungslied“ nenne, eine Kategorie von Songs, die bei Kate Bush häufiger vorkommt. Titel wie „Blow Away“, „A Coral Room“ und „Among Angels“ gehören dazu. Es sind ruhige, melancholische Balladen, in denen an Vergangenes, unwiederbringbar Verlorenes, an Verstorbene erinnert wird. Meist sind diese Songs sparsam instrumentiert, nur mit Klavier und Streichern. Auch „Moments of Pleasure“ ist so ein trauriger Blick zurück. Kate Bush selbst sagt es so: „It’s to show just how precious life is and all those little moments that people give you. And that’s how people stay alive, through your memories of them.“ [5] Es ist ein Song, „der allzu flüchtige Momente der Freude heraufbeschwört und am Ende in einer traurigen Aufzählung […] verstorbener Weggefährten gedenkt“ [1]. Graeme Thomson hat dieses Liste durchleuchtet [1], es finden sich da Kate Bushs Tante Maureen, Alan Murphy (‚S Murph’), Gary Hurst (‚Bubba’), Bill Duffield (der Lichttechniker war während der ‚Tour of Life’ verunglückt) und John Barrat (dessen Spitzname ‚Teddy‘ aus der Kinderserie ‚Andy Pandy‘ stammt), Tonassistent bei den Aufnahmen zu ‚Never for ever‘ und ‚The Dreaming‘.
Ein weiterer wichtiger Name ist der von Michael Powell, dem Regisseur des Tanzfilms ‚The red Shoes‘. Diese Film ist einer von Kate Bushs Lieblingsfilmen [1]. Kate Bush hatte Powell kurz vor dessem Tod gefragt, ob er Interesse an einer Zusammenarbeit habe [1]. Beim Besuch in New York im späten Frühjahr 1989 gab es ein Treffen, draußen fegte dazu ein später Schneesturm über die Stadt hinweg [1]. Diese Szene findet sich in den Lyrics des Songs wieder. Der Regisseur war da 84 Jahre alt, vom Alter gezeichnet, sehr gebrechlich. En Jahr später ist er gestorben. Die Bedeutung dieser Begegnung schildert Kate Bush in bewegten Worten: „I was very lucky to get to meet Michael in New York before he died, and he and his wife were extremely kind. I’d had few conversations with him and I’d been dying to meet him. As we came out of the lift, he was standing outside with his walking stick and he was pretending to be someone like Douglas Fairbanks. He was completely adorable and just the most beautiful spirit, and it was a very profound experience for me. It had quite an inspirational effect on a couple of the songs.“ [6] Dieses Treffen muss Kate Bush sehr beeindruckt haben, was sich allein schon am Titelsong „The red Shoes“ des darauf folgenden Albums ablesen lässt.

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Die Erwähnung von Kate Bushs Mutter Hannah Bush wird oft so aufgefasst, als ob sie auch zu den Personen gehört, an die erinnert wird. Der Song ist aber nach Thomson Mitte 1991 aufgenommen worden, vor Hannah Bushs Tod [1]. Sie wird im Text mit einer ihrer Spruchweisheiten erwähnt: ‚Every old Sock meets an old Shoe‘ [1]. Hannah Bush starb dann während der Entstehungszeit des Albums, was dieser Erwähnung tragische Tiefe verlieh. Der Song existiert in zwei Fassungen, die Originalfassung findet sich auf „The red Shoes“. Hier beginnt es mit zarten Klavierklängen, die Gesangsstimme ist präsent im Vordergrund, dann kommt ein Streicherteppich hinzu. Möventöne sind im Hintergrund bei „into another moment“ zu hören. Der Chorus „Just being alive / It can really hurt“ wird fast herausgeschrieen, die Stimme ist hier voller Emotion, die Worte „treffen den Hörer wie ein Hammer“ [1]. Ron Moy [2] konstatiert, das dies den Trauerprozess genauer und ökonomischer zusammenfasst, als es jemals eine blumige poetische Lobrede schaffen könnte. Zum Schluss hinter den Erinnerungen klingt die Musik aus, sie verebbt quasi. Eine fast verzweifelte Stimmung herrscht von Anfang bis Ende.
In der musikalischen Gestaltung lenkt nichts von der inhaltlichen Aussage ab. Der Takt ist ein reiner 4/4-Takt, die Tonart ist ein reines Des-Dur [3]. Tonverbindungen über Taktschwerpunkte hinweg sorgen für einen schwebenden, schwerelosen Eindruck [3]. Die Tonart Des-Dur steht gemäß Beckh [4] für den Ausdruck des Allerhöchsten. Ein eigenartiger Abgrund zwischen Höhe und Tiefe scheint sich innerhalb dieser Tonart aufzutun. Diese Tonart ist wie ein Gebet aus der Tiefe, das fast hoffnungslos nach den verlorenen Lichteshöhen emporblickt (z.B. Beethovens ‚Appassionata‘), sie kann aber auch ein ernstes, feierliches Weihegebet sein (z.B. in Bruckners 8. Sinfonie) [4]. Alle diese Gefühle und Stimmungen finden sich in Kate Bushs Song wieder. 

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Die Fassung auf „Director‘s Cut“ intensiviert diese Gefühle noch einmal. Das Klavier klingt nun tiefer, ruhiger. Auch die präsente Stimme ist tiefer, ruhiger, langsamer. Es gibt keine Streicherteppiche mehr. Der ganze Song ist viel mehr in Moll, in Dunkelheit getaucht. Töne verhallen, als ob sie in die Unendlichkeit hinein verdämmern. Der Chorus hat nun seinen Text verloren, die Melodie wird durch einen Chor gesummt. Dieser Summchor erinnert mich an den Summchor aus „Madame Butterfly“ von Puccini, dort wird er in einer Szene eingesetzt, in der die Titelfigur gewahr wird, dass ihr Geliebter sie verlassen hat und nicht mehr kommen wird. So wie dort ist die Stimmung auch in „Moments of Pleasure“ tieftraurig. Kate Bush ist nun zwanzig Jahre älter, sie muss die Fassungslosigkeit über den Verlust nicht mehr in Worte fassen. Es gibt zu viel davon, wenn man älter wird. Zur Textzeile „it‘s just started to snow“ erklingen auf einmal höhere Klaviertöne, so als ob Schneekristalle herabfallen. Bei „And I can hear my mother saying“ bricht die Stimme fast, dies ist nun eine wieder gegenwärtige Erinnerung, ein Satz der verstorbenen Mutter aus der Vergangenheit. Die Liste der Toten musste Kate Bush am Ende leicht kürzen, denn „offenbar erwies sich der bereits aufgenommene  Piano-Track als ein klein wenig zu kurz und sie musste auf jemanden verzichten“ [1]. Maureen und Bill Duffield fehlen nun.
Der Song hat die verzweifelte Grundstimmung der ersten Version verloren. Er ist nun in ein Dämmerlicht getaucht, er ist zu einer zeitlosen Elegie geworden. Graeme Thomson [1] schreibt es sehr treffend: „Als das üppige Streicherarrangement des Originals wegfiel, bekam der winterliche Text mehr Gewicht und es wurde so ein persönliches Stück über den Verlust liebgewonnener Menschen, dass man den Schnee im Hintergrund fallen hören konnte.“ Es singt nun jemand, der den Schock der Verluste öfter erlebt hat und der ihn nun für einen unausweichlichen Bestandteil des Lebens hält. Das Nichtakzeptieren in der ersten Fassung ist gewichen. Nun ist das Lied auf eine stille Art und Weise verstörend und bewegend. Die Weiterentwicklung von Kate Bush in diesen zwanzig Jahren zwischen den beiden Fassungen bringt Siobhan Kane [8] für mich auf den Punkt: „This version is even more poignant, for the fact that there is more loss, yet the choir that hums along elevates us sky-high, gently–and takes Bush into another realm, sharing space with someone like Puccini and his Hummingbird Chorus. She shares a common ground with opera in terms of its expansiveness, turning people’s everyday lives and stories into great art, for we are all epic, in a way, aren’t we?“
Wie soll man diese Details über diesen bewegenden Song zusammenfassen? Ich kann dem Fazit von Ron Moy [2] fast nichts hinzufügen: „The humanism, affectism and grounded spirituality of this song quite overwhelmed me upon first listen. Indeed, it is one of the few songs that carry such an emotive charge that I have to be careful when I choose to listen to it. […] Relatively few songs have moved me to tears – but ‚Moments of Pleasure‘ did, and does.“ Ein letztes Wort zu diesem Song von Kate Bush selbst – die Essenz in einem Satz [7]: „I’m not talking about only pain or only ecstasy, but this notion that life is so precious. The moments of pleasure couldn’t exist without the sadness.“ © Achim/aHAJ

[1] Graeme Thomson: Kate Bush. Under the ivy. 2013. Bosworth Music GmbH. S321f und S.395f
[2] Ron Moy: Kate Bush and Hounds of Love. Aldershot. Ashgate Publishing Limited. 2007. S.117
[3] Kate Bush: The red shoes (Songbook). Woodford Green. International Music publications Limited. 1994. S.31ff
[4]  Hermann Beckh: Die Sprache der Tonart in der Musik von Bach bis Bruckner. Verlag Urachhaus. Stuttgart 1999. S.231ff
[5] Chrissie Iley: „Beating About The Bush“. The Sunday London Times. 12. September 1993
[6] Marianne Jenssen: „Rubber Souls“. Vox. November 1993
[7] Tom Moon: „A Return to Innocence“. Philadelphia Inquirer. Januar 1994.
[8] Siobhan Kane: „Album Review: ‪Kate Bush – Director’s Cut“, Consequence of Sound (Webseite), 24.05.2011. https://consequenceofsound.net/2011/05/album-review-kate-bush-directors-cut/ (gelesen 20.01.2020)

Kate auf dem neuen Uncut-Titel

Das englische Musikmagazin Uncut veröffentlicht in seiner Märzausgabe eine Titelgeschichte über Kate. Das Heft kann hier für 13 Euro inklusive Versand nach Deutschland bestellt werden. Die Märzausgabe kommt am 16. Januar auf den Markt. Für dieseTitelgeschichte hat Autor Peter Watts sich laut Uncut ausführlich der frühen Phase von Kates Karriere gewidmet und „hat nach dem Ursprung ihrer einzigartigen, sehr englischen Magie gesucht. Peters ausgezeichnetes Stück zeigt, wie Bushs eigenwillige Vision von Anfang an da war.“ Im Artikel soll es zudem Beiträge von Pat Martin, Glenys Groves, Duncan McKay, Peter Henderson, Roy Harper, David Paton, Brian Bath, Vic King and Joe Boyd geben. Passend dazu will Uncut das unveröffentlichte Transkript von Andy Gills Interview mit Kate aus dem Jahr 2011 veröffentlichen, in dem sie über ihre Kindheit und ihren frühen Erfolg sprach. Umgekehrt bedeutet das allerdings auch, dass es für die Titelgeschichte kein neues Interview mit Kate gab und keine Infos über mögliche neue Projekte zu erwarten sind.

12 Kate-Momente: Januar

© bugi

In der Bretagne, eine kleine Landzunge, von der aus man den Blick auf Port Louis hat, kurz vor Lorient. Etwas abseits des Ortes liegen die Boote, die verfallen. Ich sitze auf einer kleinen Mauer, schaue aufs Wasser, betrachte die Boote. Mir fällt das Bild „Fisherman and Boat“ von Joseph Edward Southall aus dem Aerial-Booklet ein. Dieses Boot wird nicht mehr ins Wasser geschoben. Und da ist plötzlich die Textzeile aus A Coral Room in meinem Kopf: Put your hand over the side of the boat – What do you feel? Es fühlte sich nach vielen Geschichten an, die das Boot erzählen könnte.

Kate als La Dame du Lac

Der französische Sänger und Harfenist Alan Stivell hat neben dem Song Kimiad ein weiteres Lied mit Kate aufgenommen. Stivell, der sich insbesondere der keltisch-bretonischen Musiktradition verpflichtet fühlt, hatte auf Einladung von Kate an The Fog (Harfe) und Between a Man and a Woman (Harfe und Backing Vocals) auf Kates Album The Sensual World (1989) mitgewirkt. Im Anschluss produzierte Kate für Stivell das Traditional Kimiad für sein 1993 erschienenes Album Again in klassischer Kate-Besetzung mit John Giblin am Bass, Charlie Morgan an den Drums und Alan Murphy an der Gitarre. Kate selbst sorgte für die Background Vocals und steuerte die Keyboards bei.  
In einem Interview mit „innerviews“ hat Stivell jetzt erzählt, dass er für sein bereits 1991 erschienenes Album The Mist of Avalon einen weiteren Song mit Kate aufgenommen hatte: The Lady of the Lake (La Dame Du Lac). Tatsächlich befindet sich auf dem Album allerdings eine Aufnahme mit Sängerin Polly Bolton. Dass die Originalversion nicht veröffentlicht wurde hatte laut Stivell damit zu tun, dass die Plattenfirma nicht rechtzeitig die Genehmigung zur Veröffentlichung erteilt hatte und Stivell, der bereits seit 1986 an dem Album arbeitete, den Veröffentlichungstermin nicht weiter verschieben wollte. Im englischen Kate-Forum gab es dazu noch eine andere bemerkenswerte Randnotiz, die rblazon herausgefunden hat: die englischen Lyrics von La Dame du Lac stammten von Kates Bruder John Carder Bush, der auch den Text zu dem Song Guinevere geschrieben hat, an dem ebenfalls John Giblin und Charlie Morgan mitgewirkt haben. Teile der Platte wurden in Kates Tonstudio eingespielt, dabei dürfte es sich um diese beiden Songs handeln. Die Originalversion von La Dame du Lac ist bis heute nicht veröffentlicht worden.

Frohe Weihnachten

Seit genau sieben Jahren besteht dieser Blog und passend dazu gab es in den letzten Tagen den anderthalbmillionsten Besucher auf dieser Seite, das macht etwas mehr als 200.000 Besucher im Jahr. Eine verblüffende Zahl, erst recht in Zeiten, in denen man sich eher in den sozialen Medien tummelt und nicht so sehr auf statischen Webseiten. Danke für die jahrelange Treue. Danke an alle, die mit ihren Beiträgen zu dieser Webseite beitragen, danke an alle, die Anregungen geben, auch, wenn sie vielleicht nicht immer umsetzbar sind. Ich wünsche Euch frohe Feiertage. Kommt gut ins neue Jahrzehnt. Und da Kate bekanntlich eher in Dekaden denkt und veröffentlicht, wünsche ich uns allen, dass wir im kommenden Jahr endlich wieder neue Musik von ihr bekommen.
Burkhard

Das Bild des Monats: Dezember

© Sjaak Vullings

„Manchmal“, sagt Sjaak, „wollen wir alles sofort, müssen aber warten, bis wir auch tatsächlich bereit dafür sind.“ Bei Suspended in Gaffa geht es für Sjaak um das Gefühl, man sei unbeweglich, ist in einer Art Klebeband gefangen und kann sich nicht mehr bewegen. „Es ist wie in einem schlechten und anstrengenden Traum, in dem man sich in Zeitlupe abmüht, an einen anderen Ort zu gelangen, und man das Ziel einfach nicht erreichen kann “
Suddenly my feet are feet of mud.
It all goes slo-mo.
I don’t know why I’m crying.
Am I suspended in Gaffa?
Not until I’m ready for you,
Not until I’m ready for you
Can I have it all.

Die Füße, die Sjaak fotografiert hat, sind Teil einer Kunstskulptur im Museum „The Pont“ in Tilburg. Sjaak hat das BIld so beschntten, dass die ganze Aufmerksamkeit auf die Füße ausgerichtet wird, sie scheinen zu schweben, aber obwohl sie vom Boden abheben, sind sie bewegungslos. Und er hat erkennbar mit der Farbe gespeilt, um den „matschigen“ Ton zu treffen. Feet of mud.
Würde man das Bild auf den Kopf stellen, könnte es sich für Sjaak auf die Tarot-Karte „Der Erhängte“ beziehen. Übrigens eine Trumpfkarte, weil man so eine bessere Position hat, „um die Dinge vielleicht anders zu betrachten, aus einer anderen Perspektive, um sie dann klarer zu sehen.“

Wer den Beitrag über Sjaak verpasst hat, kann hier mehr über ihn erfahren.

Das Song-ABC: Suspended in Gaffa

Das Album „The Dreaming“ ist voll von bemerkenswerten Songs, die die Grenzen des konventionellen Pops ausweiten. „Suspended in Gaffa“ ist da keine Ausnahme. Schon der Rhythmus ist selten in der Popmusik. Der Song ist ein beschwingter, schneller Tanz im Dreivierteltakt, der in den Strophen vom Klavier vorangetrieben wird. Der Strophentext wird von Kate Bush fast sich überschlagend schnell gesungen, das macht einen zungenbrecherischen Eindruck. Selten wird in einem Song von Kate Bush in so kurzer Zeit so viel Text untergebracht. Die Gesangsstimme ist dabei eher tief, ein typischer Chor aus Kate-Stimmen in der hohen Lage bildet dazu den Gegenpol. Vor den Chorus-Abschnitten klingen verzerrte Sätze hinein, halb gesprochen, halb gesungen (z.B. „Mother, where are the angels? I’m scared of the changes“ [10]). Im Gegensatz zu den Tanzstrophen sind die Chorus-Abschnitte stark rhythmisch betont, vorwärtsdrängend. Hier überlagert ein Marsch den schnellen Tanz und peitscht das Geschehen voran. Die Stimme von Kate Bush klingt auch in der tiefen Lage voll, rund und beherrscht.
Worum geht es in „Suspended in Gaffa“? Im Leben bemüht man sich darum, Dinge zu erreichen und meist gelingt es nicht. Bei aller Mühsal erkennt man manchmal für einen ganz kurzen Moment das, was möglich wäre. Dann ist dieser Blitz wieder vorbei und es bleibt nur die Erinnerung. Man verzweifelt an sich und möchte den Lohn am liebsten ohne Mühe haben. Ausreden und Entschuldigungen werden gesucht. Aber das ist ein Verschließen der Augen, das funktioniert nicht, man muss sich weiter anstrengen. Nur dann kann das Ergebnis erreicht werden, mit dem man zufrieden ist.

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Kate Bush war zu diesem Song sehr offen und formuliert dies so: „It’s about seeing something that you want – on any level – and not being able to get that thing unless you work hard and in the right way towards it. When I do that I become aware of so many obstacles, and then I want the thing without the work. And then when you achieve it you enter … a different level – everything will slightly change. It’s like going into a time warp which otherwise wouldn’t have existed.“ [1] Das ist der Inhalt und für Kate Bush sollte man nicht mehr hineindeuten und nicht überinterpretieren. „But when you explain it […] it doesn’t sound like anything. The idea is much more valuable within the song than it is in my telling you about it. When you analyse it, it seems silly.“ [1]
Dieses Streben nach Vollkommenheit scheint tief aus der Seele von Kate Bush zu kommen. Offenbar musste sie dieses Gefühl aus sich herauslassen. Es ist einer der ganz wenigen Songs (der einzige Song?), für den Kate Bush einen autobiografischen Hintergrund einräumt: „Suspended in Gaffa is reasonably autobiographical, which most of my songs aren’t.“ [1] All dies wird in einer bilderreichen Sprache gesungen, voll mit Metaphern, auch Kindheitserinnerungen blitzen auf, der Hof, die Scheune, der Garten („Out in the garden there‘s half of a heaven“) [4].
Das Wort „Gaffa“ bedarf einer Erklärung. „Gaffa Tape“ ist ein viel verwendetes Klebeband. Wenn man sich darin mit den Füßen verheddert, dann ist man auch real in einer Situation, in der man nicht vorankommt. Es ist selten, dass Kate Bush ihre Bilder so offen erklärt. „‚Gaffa‘ is Gaffa Tape. It is thick industrial tape, mainly used for taping down and tidying up the millions of leads, and particularly useful in concert situations. Suspended in Gaffa is trying to simulate being trapped in a kind of web: everything is in slow motion, and the person feels like they’re tied up. They can’t move.“ [7]
Die Situation, dass man manchmal einen Blick auf das Vollkommene erhascht, es aber dann nie wieder sieht, findet sich in einer geheimnisvollen Textzeile wieder, die sich nur in Transkriptionen des Songs findet: „I caught a glimpse of god, all shining and bright…“ [10]. Auch dies erklärt Kate Bush freimütig (offenbar war es ihr wichtig, dass dieser Song so verstanden wird, wie sie ihn gemeint hatte): „I remember when I was at school, I was always told about purgatory as being the place that you went to and you saw a glimpse of God and then he went away and you never ever saw him again and you were in the most tremendous pain for the rest of eternity because you couldn’t ever see him again. And it’s a really heavy image, you know, especially for a child. And I think in many ways it’s a very similar thing, trying to get that back that thing that you really want to see again.“ [2]

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Für mich ist in diesem Song das Herz von Kate Bush übergelaufen, eine Emotion musste heraus. Die Inspiration kam sehr schnell, alles war auf einmal da, es gab kein langes Nachdenken und Überarbeiten. „When I wrote this track the words came at the same time, and this is one of the few songs where the lyrics were complete at such an early stage.“ [3] Den zungenbrecherisch schnell gesungenen Text hatte ich schon erwähnt, auch für Kate Bush war er eine Herausforderung. „Whenever I’ve sung this song I’ve hoped that my breath would hold out for the first few phrases, as there is no gap to breathe in.“ [3]
Der Song ist in einem reinen 3/4-Takt gehalten. Die Tonarten sind eine Mischung aus a-Moll und C-Dur, dabei stehen die Strophen eher in a-Moll, die Chorus-Passagen eher C-Dur [5]. Diese Tonarten unterstützen die Aussage des Textes, wenn man sich an den von Beckh gegebenen Bedeutungen orientiert. A-Moll ist eine schwermütige, poetische Tonart, es ist die Sehnsuchtstonart [6]. C-Dur steht für klares Licht, für nüchterne Klarheit [6]. Dass passt gut dazu, dass in den Strophen der Zweifel überwiegt, während im Chorus doch mehr entschlossene Klarheit über die Situation besteht.
„Suspended in Gaffa“ wurde als dritte Single aus dem Album ausgekoppelt, aber nur auf dem europäischen Kontinent und in Australien veröffentlicht (in Großbritannien fiel die Wahl auf „There goes a tenner“) [9]. Ein großer Chartserfolg war es nicht. Das Video zum Song wurde schnell aufgenommen. „The video of Suspended in Gaffa was to be done as simply and quickly as possible; as always with very little time to complete it in, the simpler the better. I saw it as being the return to simplicity, a light-hearted dance routine, no extras, no complicated special effects.“ [8] Es ist trotz dieser Einfachheit reizvoll und enthält sogar einen Auftritt von Kate Bushs Mutter [8].
„Suspended in Gaffa“ ist eine persönliches Stück, ein Blick in das Innere von Kate Bush. Ein fröhlicher Tanz gewährt einen Einblick. Der Song funktioniert sehr gut ohne Kenntnis dieses Hintergrunds, aber mit dieser Kenntnis gewinnt er noch erheblich dazu. Auch ein Tanzlied kann eben sehr tiefsinnig sein. © Achim/aHAJ

[1] Richard Cook: „My music sophisticated? I’d rather you said that than turdlike!“. New Musical Express Oktober 1982
[2] BBC Radio 1 Interview durch vermutlich David Jensen, Zeitpunkt unklar
3] Kate Bush: „About the dreaming“. KBC Ausgabe 12.
[4] Graeme Thomson: Kate Bush – Under the Ivy. Bosworth Music GmbH. 2013. S.21
[5] „Kate Bush Complete”. EMI Music Publishing / International Music Publications. London. 1987. S.152ff
[6] Hermann Beckh: Die Sprache der Tonart in der Musik von Bach bis Bruckner. Verlag Urachhaus. Stuttgart 1999. S.71f (C-Dur) und S.78f (a-Moll)
[7] Kate Bush. KBC Ausgabe 16. Interview
[8] Kate Bush. KBC Ausgabe 13. Sommer 1983.
[9] https://en.m.wikipedia.org/wiki/Suspended_in_Gaffa (gelesen 26.11.2019)
[10] https://genius.com/Kate-bush-suspended-in-gaffa-lyrics (gelesen 26.11.2019)

Inspirationen für Director’s Cut

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So wie es für Songs und Texte von Kate oftmals bekannte Inspirationsquellen wie Filme und Bücher gibt, gilt das auch für viele Bilder von Kate. Am deutlichsten wird das bei der Gestaltung des Booklets für das Album Director’s Cut, wo sie sich gleich mehrfach an berühmten Vorbildern orientiert hat – so etwa am berühmten Foto, das den sowjetischen Filmregisseur Sergei Eisenstein („Panzerkreuzer Potemkin“) mit der Schere in der Hand beim Sichten von Filmnegativen zeigt. Kate hat das Foto für das Booklet detailgetreu nachstellen lassen, von der Schere in der Hand bis zum Schwarzweiß-Look, dem weißen Hemd, der Krawatte und selbst den Hosenträgern. Auch bei den weiteren Motiven hat sie sich bei einer berühmten Vorlage bedient – dem 1934 von Max Ernst veröffentlichten surrealistischen Collageroman „Une semaine de bonté“, der heute vielen als erste Graphic Novel gilt. Und wer sich über Kates Label Fish People wundert, kann neben dem vielleicht offensichtlichen Bezug zur englischen Science Fiction-Serie „Doctor Who“ genau bei den Zeichnungen von Max Ernst fündig werden, der Menschen mit Vogel- oder Fischköpfen abbildet.

Der in der Nähe von Köln geborene Ernst schloss sich 1919 der Kölner Dada-Gruppe an, lebte und arbeitete ab 1922 in Paris und wurde einer der bedeutendsten Künstler der surrealistischen Bewegung.  „Mit seinen Gemälden, Collagen Skulpturen schuf der Künstler rätselhafte Bildkombinationen, bizarre Wesen, die häufig Vögel darstellen, und phantastische Landschaften“, heißt es auf Wikipedia zu seinen Werken. In „Une semaine de bonté“ („Die Woche der Güte“) ist das ausführlich zu betrachten. Dabei hat sich Ernst hier selbst bei Vorlagen bedient: vorzugsweise bei Holzstichen aus dem 19. Jahrhundert von dem französischen Illustrator Gustav Doré. Spannend ist das Werk, weil Ernst in seinen Zeichnungen auf absurde Weise Themen wie Eifersucht, Tod und Mord aufgreift und es wie eine Vorahnung des drohenden Krieges wirkt (Ernst‘ Werke galten unter den Nazis als ‚entartete‘ Kunst), gleichsam wirkte das graphische Buch 1934 wie ein Versuch, dem sterbenden Medium Stummfilm neues Leben einzuhauchen. Kate hat sich erkennbar bei zwei der über 180 Motive aus „Une semaine de bonté“ bedient. Eines zeigt eine Szene in einem Zugabteil, das andere ein Paar beim Kuss. Handwerklich umgesetzt hat die Bilder Fotograf Tim Walker, der jetzt in der November-Ausgabe des Magazins „The World of Interiors“ in einem Beitrag die Max Ernst-Idee allerdings für sich reklamiert und erstmals die Location, an der die Fotos entstanden sind, benennt: Shotover Park in Wheatley in Oxfordshire. Den Park mit seinen herrschaftlichen Häusern aus dem 18. Jahrhundert hatte demnach Kate als passende Location ausgesucht („She had been fascinated by the house and ist romantic situation for years.“)  Entstanden sind die Bilder dann – wie man auch sehen kann – in einem verlassenen Nebengebäude der Anlage. Max Ernst ist seinen surrealistischen Motiven über Jahre treu geblieben. So gibt es ein etwa 1940/41 entstandenen Bild namens Marlene, das eine Frau umgeben von Vogelwesen zeigt und die Gesichtszüge von Marlene Dietrich zeigt, die genau wie Ernst während des Krieges in die USA ausgewandert ist.

Das Warten auf Kate Bush

Der schwedische Schriftsteller und Philosoph Lars Gustafsson hat 1982 das Gedicht „Die Stille der Welt vor Bach“ in einem gleichnamigen Buch veröffentlicht. „Darin setzt Gustafsson Bach ein, wie ich finde, unerhört beeindruckendes Denkmal; völlig irrational, aber doch und vielleicht gerade deshalb so stark“, findet Eberhard Gill, dem das Gedicht kürzlich quasi in die Hand gefallen ist. Und es hat ihn so beeindruckt, dass er es als Vorlage genutzt hat, eine Hymne auf Kate zu schreiben. Man muss ja nur „ac“ durch „us“ ersetzen, meint er scherzhaft. Es ist natürlich weit mehr.

Zunächst einmal: Wie kamst Du auf die Idee, ein Gedicht zu schreiben, das sich eine Welt vorstellt, in der es noch keine Kate Bush-Lieder gab? Das ist doch eine merkwürdige Vorstellung, denn ihre Lieder gibt es doch!

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Lars Gustafsson / Foto: Bengt Oberger

Eberhard: Ja, da ist tatsächlich eine ungewöhnliche Vorstellung. Die Idee hatte ich, als ich den Titel des Gedichts „Die Stille der Welt vor Bach“ von Lars Gustafsson hörte. Ich kannte den Inhalt des Gedichts noch gar nicht, aber allein der Titel hat mich schon umgehauen. Eine unerhörte Vorstellung, sich zu denken, dass die Welt vor Bach still gewesen sein soll. Das war sie sicher nicht! Deshalb ist Gustafssons These rational gesehen völlig absurd. Aber um Ratio geht es hier nicht. Es geht ihm vielmehr um Emotionen und um den Versuch, seiner tiefen Verehrung für Bach einen adäquaten Ausdruck zu geben. So irrational seine These ist, so setzt er doch Bach mit diesem Gedicht, vielleicht gerade wegen seiner Irrationalität, ein lyrisches Denkmal, das seine ganz persönliche Verehrung für Bach so gigantisch und absolut macht.    

Aber wie bist Du dann auf die Idee gekommen, dies auf Kate Bush anzuwenden? Zwischen beiden liegen doch Welten.

Eberhard: Das war eigentlich ganz einfach und naheliegend. Denn ich bin seit drei Jahren ein glühender Verehrer des Werkes von Kate Bush. Was liegt da näher als mich an einer Adaption des Gustafssonschen Gedichts zu versuchen? Ich muss doch bloß „ac“ durch „us“ vertauschen, oder?

War es dann tatsächlich so einfach?

Eberhard: Nein, das war es überhaupt nicht. Die größte Schwierigkeit war, dass ich den Eindruck hatte, es ist mir selbst nicht glaubhaft, dass es vor Kate Bush noch eine Stille gegeben haben könnte. Vielleicht kann man das noch zu Bachs Zeiten sagen, aber nach allem, was uns die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts gebracht hat mit seinen zwei Weltkriegen und dem fürchterlichen Unrecht, das geschehen ist, kann ich nicht mehr glaubhaft von Stille reden. Deshalb habe ich die Stille durch das Warten ersetzt. Und beide Begriffe haben viel miteinander zu tun. Und Warten ist ja etwas, was die Kate Bush Fans über die letzten vierzig Jahre lernen mussten: 12 Jahre zwischen „The red shoes“ und „Aerial“ und 35 Jahre zwischen ihren beiden Konzerten. Darin sind wir als Fans geübt und sehr geduldig, wenn es uns auch nicht leicht fällt. Und ich fand es reizvoll, dieses Warten vorzuverlegen: auf Kates Geburt und schließlich ihr erstes Album. Ich gebe zu, das hat fast etwas Messianisches, aber irgendeinen Ausdruck muss die Verehrung doch finden. Außerdem sind wir ja jetzt in der Adventszeit und Advent heißt ja nichts anderes als Warten auf die Ankunft, das Erscheinen. Deshalb passt das Gedicht für mich auch in diese Jahreszeit.

Das hat wirklich etwas Messianisches. Beim Thema Stille fällt mir natürlich sofort die Textzeile „the world is so loud“ von ihrem jüngsten Album ein, also das Beklagen des Stimmengewirrs, der Nachrichtenflut und des Umstandes, dass man sich kaum noch auf Wesentliches besinnen kann – wie etwa auf eine simple Schneeflocke, die vom Himmel fällt. Wir warten sehnsüchtig auf die Zeit nach der Stille, Kate beschwört sie. Wie passt das für Dich zusammen?

Eberhard: Für mich ist das kein Gegensatz. Stille erfahren, heißt nicht, dass man sich wünscht taub zu sein. Du hast in Deiner Frage schon das entscheidende Stichwort gegeben, wenn Du vom Wesentlichen sprichst. Ich möchte das Unwichtige vom Wichtigen trennen können und leider werde ich, und sicher viele andere auch, viel zu sehr von Unwichtigem überflutet. Das geht weiter als allein die akustische Reizflut. Genauso wie die Stille auch mehr meint als nur die Lautlosigkeit. Stille hängt für mich mit Konzentration und Ruhe zusammen. Das Wesentliche mag für Kate sein, eine Schneeflocke zu beobachten und ihr Schmelzen in ihrer Hand zu spüren. Für mich hat es etwas Wesentliches, Kates Musik zu hören. Und damit meine ich nicht nur ihre vergangenen Alben, sondern ich möchte hören, wo sie gerade als Künstlerin steht: intellektuell, emotional, musikalisch. Deshalb hat die Stille, ihr Schweigen, wenn Du so willst, etwas, von dem ich hoffe, dass es bald mit der Ankunft von etwas Neuem zu Ende geht.

Apropos Neu: Ist es das erste Mal, dass Du mit dem schwedischen Schriftsteller und Lyriker in Berührung gekommen bist?

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Eberhard: Nein. Ich kenne seinen Roman „Der Tod eines Bienenzüchters“ seit seinem Erscheinen in 1978. Da ging ich noch zur Schule. In dem Roman gibt es eine wunderbare kleine Science-Fiktion Geschichte „Als Gott erwachte“, die ebenso absurd ist wie „Die Stille der Welt vor Bach“. Die hat mich sehr beeindruckt und ich fand es mutig, so etwas Unvernünftiges zu schreiben, das man eigentlich gar nicht bei Tageslicht vorzeigen darf. Umso mehr gespannt war ich als 1984, da studierte ich bereits in Tübingen, Lars Gustafsson zu einer Podiumsdiskussion im Audimax eingeladen war und jeder Teilnehmer etwas vorlas. Mir hat es dann beinahe die Sprache verschlagen, als ich hörte, dass er begann, unter breitem Schmunzeln der Zuhörer, mein Lieblingsstück, die kleine Science-Fiktion Geschichte, vorzulesen. Ich erinnere mich noch an seinen schwedischen Akzent. Ein Glücksmoment. Ich will keine künstlichen Brücken schlagen zwischen Lars Gustafsson und Kate Bush, aber von Gustafsson stammt der Spruch „Ich bin, kurz gesagt, eine fast uninteressante Person“. Kommt Dir das nicht bekannt vor?

Das erinnert tastsächlich daran wie Kate ihr Werk von ihrer Person trennt, zum Beispiel wenn sie sagt: „I don’t feel that what I have to say personally is that interesting.“ Noch eine Schlussfrage: Wie muss ich das „…wo der Ruf der Sirene Jahrtausende lang verstummt war“ in Deinem Gedicht verstehen?

Eberhard: Sirenen sind Teil der griechischen Mythologie. Es sind weibliche Fabelwesen, die durch ihren betörenden Gesang die vorbeifahrenden Schiffer anlocken, um sie zu töten. Odysseus hat auf seiner Irrfahrt seine Kameraden gebeten, ihn an den Segelmast zu binden und sie aufgefordert ihre Ohren mit Wachs zu verstopfen, um nicht durch den Gesang der Sirenen, wie viele Schiffe vor ihnen, Schiffbruch zu erleiden. Kate hat für mich etwas von einer Sirene: einen unbeschreiblich betörenden Gesang, der für mich persönlich als Zuhörer immer auch mit Gefahr verbunden ist. Und ich habe den Eindruck, dass sie die erste Sirene ist seit einer langen, langen Zeit. Keine hat seit der Zeit der alten Griechen so betörend gesungen. Da hast Du wieder das Unvernünftige von Gustafsson. Aber für mich ist es wahr. Und was die Sirene und Kate betrifft, habe ich eine spannende Entdeckung gemacht. Ich hatte am Schluss meines Beitrags für Deinen Blog im Mai 2017 geschrieben „…Mir ergeht es genauso wie Odysseus, wenn ich Kate Bush höre – bindet mich fest und lasst mich Qualen erleiden. Wenig, was schöner sein kann als das.“ Als ich dann dieses Jahr den Lyrics-Band von Kate „How to be invisible“ in Händen hielt, habe ich kurz den Atem angehalten: denn da gibt es im Text zu „Hounds of Love“ eine einzige Zeile, die sie im Lied nicht singt, die sie aber jetzt dem Liedtext hinzugefügt hat, und zwar „tie me to the mast“. Also, wer weiß, vielleicht liest Kate ab und zu Deinen Blog. Ist doch eine schöne Vorstellung, oder?


Gerne hätte ich zum Vergleich auch das Gedicht von Lars Gustafsson hier veröffentlicht; leider habe ich dafür keine Erlaubnis vom Verlag erhalten. Es ist im Netz aber mühelos zu finden.

Kaffeeklatsch: Kate Bush und die Relativität der Zeit

Kate Bush und die Relativität der Zeit: Das lange Warten auf ein neues Kate Bush-Album kann manchmal richtig nerven. Zwölf Jahre dauerte, es bis Aerial das Tageslicht erblickte und seit 50 Words for Snow sind auch schon wieder acht Jahre vergangen, ohne dass es irgendeinen noch so kleinen Hinweis darauf gäbe, dass Kate an neuen Songs bastelt. Sind lange Alben-Pausen gerechtfertigt? Wäre mehr und häufigerer Output besser? Oder ist es genau so richtig, wie es ist? Das ist das Thema im „Kaffeeklatsch“ mit Beate Meiswinkel.

Wenn wir uns über das Thema „Kate Bush und die Relativität der Zeit“ unterhalten, muss ich vielleicht als erstes gestehen, dass ich leicht gefrustet bin. Es ist Anfang November 2019 und es gibt acht Jahre nach 50 Words for Snow kein einziges Anzeichen für ein neues Kate Bush-Album. Dabei hatte ich fest damit gerechnet, dass wir Ende September mit der Ankündigung für ein neues Album im November überrascht werden. Geht Dir dieses ewige Warten manchmal auch auf den Geist?

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Beate: Acht Jahre ist das schon her seit dem letzten Album? Die Before the Dawn-Konzerte waren auch schon 2014… time flies, möchte man da einerseits sagen. Andererseits ist es tatsächlich immer wieder unglaublich, wie lange die Schaffenspausen dauern. Ich kann mich noch erinnern, wie lange mir die vier Jahre zwischen Hounds of Love und The Sensual World vorgekommen sind. Nie hätte ich geglaubt, dass das mal noch ganz anders kommen sollte! Wenn man bedenkt, was andere Künstler in diesen Jahren für einen Output haben und dazu noch touren – ich denke hier etwa an Tori Amos – könnte man manchmal fürwahr verzweifeln. So ein irdisches Menschenleben ist ja nun bekanntlich endlich. Kunst wohnt andererseits eine gewisse Zeitlosigkeit inne, sofern sie nicht zeitgeist- oder trendorientiert ist. Was Kate betrifft, so scheint sie in ihrem Schaffensprozess irgendwie durch die „Lagen der Zeit“ zu schlüpfen oder ihr zu entfliehen… jedenfalls setzt sie sich keinem Druck aus. Das finde ich einerseits bewundernswert, andererseits bin ich manchmal auch verärgert, frustriert, wenn ich an „verlorene Möglichkeiten“ denke. Ich will mehr. Mehr Kate. Wie geht es Dir damit? Bei dem Gedanken „Was könnte sie nicht alles machen – veröffentlichen – mit uns teilen“?

Mir geht es bestimmt nicht anders als Dir: Ich muss mich da als Fan immer selbst einbremsen und mir klar machen, dass ich für jeden Song dankbar sein darf, aber keine Forderungen ableiten kann. Natürlich hätte ich mich gefreut, wenn es eine DVD zu den Konzerten gegeben hätte. Natürlich bin ich nicht glücklich darüber, dass jetzt schon wieder acht Jahre ohne neue Musik von Kate verstrichen sind, obwohl sie 2011 in einem Interview zur Vorstellung von 50 Words for Snow gesagt hat, dass sie schon Ideen für ein neues Album im Kopf hat. Aber will ich umgekehrt alle zwei Jahre ein neues Album, bei dem mir vielleicht die Hälfte der Songs gar nicht gefallen, weil man ihnen anhört, dass sie nicht dem Anspruch gerecht werden, den ich von Kate gewohnt bin?

Beate: Stimmt, da geht es mir ganz genau so: wenn ich darüber grummle, wie gerne ich mehr Musik von Kate möchte und wie sehr ich mir die Before the Dawn-DVD wünsche, versuche ich, mich daran zu erinnern, dass ein Teil der schöpferischen Kraft ihrer Musik eben daraus resultiert, dass sie sich nicht verbiegen lässt. Und eben nicht alle zwei Jahre ein Album raushaut. Was ich andererseits seltsam finde: Für mich ist 50 Words for Snow noch immer „das neue Kate Bush Album“. Es ist vermutlich das Album, das ich bisher am wenigsten gehört habe, und ich finde auch, es entfaltet sich am langsamsten. Mir geht es jedenfalls damit so.

Hinzu kommt noch die Erkenntnis, dass sich das Warten lohnt. Aerial ist für mich ein Meisterwerk und besonders der Sky-Teil setzt bei mir bei jedem Hören unglaublich viele Emotionen frei. Bei 50 Words for Snow ist das nicht anders. Ich glaube sogar, dass es ihr perfektestes Album ist, weil sie sich auch musikalisch von allen Zwängen befreit. Bei Aerial hast du überwiegend noch die klassischen Song-Strukturen, die erst zum Schluss aufgelöst werden. Du findest noch die radiotauglichen Stücke im Fünf-Minuten-Format. Bei 50WfS schmeißt sie auch das über Bord und eröffnet der Musik Raum und Zeit. Wie überhaupt ein Großteil der Musik von Kate vollkommen zeitlos wirkt. Bei anderen Musikern höre ich, wann ein Stück entstanden ist, ob es beispielsweise in der 80ern oder 90ern war. Zeitlose Produktionen schaffen nur wenige Künstler. Das mag vielleicht mit ein Grund sein, warum 50WfS für Dich noch wie ein neues Album klingt.

Beate: Teile von 50WfS sind für mich schwer zugänglich, und das mag daran liegen, dass Kate hier tatsächlich Raum und Zeit überflügelt. Ich bin an sich ein sehr ruhiger Mensch, aber die bewusste Langsamkeit mancher Momente dieses Albums hat mich stets gefordert. Dieses unerwartet späte Einsetzen hier, das bewusste Innehalten da… wenn ich es recht bedenke, hat es etwas Meditatives. Auch in der Meditation bleibt man bewusst im Hier, im Jetzt. Das fordert dem menschlichen Geist eine gewisse Konzentration ab. Bevor es mühelos werden kann. Auch die Intimität von 50WfS ist sehr groß und tief. Dafür offen zu sein ist nicht immer leicht. Zeit ist schon eine merkwürdige Sache. Obwohl jede Minute gleich lang ist, vergeht sie uns unterschiedlich schnell. Living in the gap between past and future, beschrieb Kate das mal in Love and Anger. Ich habe öfter schon an Kates Zeitempfinden gedacht. Das Thema beschäftigt sie zweifellos auch, etwa in Moments of Pleasure (the hills of time), Snowed in at Wheeler Street, oder in A Sea of Honey. Ein Liebespaar, das sich von Leben zu Leben immer wieder trifft und irgendwie verpasst. Ein Zeitbogen intensiven Erlebens im Sommer, wo die Lebenszeit fließt wie flüssiges Glück. Oder auch die Sache mit dem schmelzenden Schneemann in Misty, diese zarte gnadenlose Vergänglichkeit …Was fällt Dir zum Thema Zeit ein, wenn Du an Kates Arbeit denkst?

Dass sie natürlich bitte schneller arbeiten sollte. Oder: Too-re-ay, too-re-o aus Not this time. Aber im Ernst: Ich denke eher daran, wie zeitlos ihre Musik ist und dass sie eben auch keinem Zeitgeist hinterherrennt, sondern ihren eigenen Maßstäben folgt. Kates Musik ist immer Kate pur und unverfälscht und oft auch irgendwie sehr intim. Wenn ich mich an die erste Zugabe im Konzert erinnere, wo Kate sich zuvor bei Aerial vollkommen verausgabt hat, dann kommt sie alleine auf die Bühne zurück, setzt sich ans Klavier und spielt diese herzergreifende Version von Among Angels. Und in der Halle, in der vorher der Applaus gar nicht enden wollte, könntest du eine Stecknadel fallen hören. Das ist einer der intimsten musikalischen Momente, die ich je erlebt habe und den sie mit uns geteilt hat, fast so, als ob es auch bei ihr zuhause hätte stattfinden können.

Beate: Das frage ich mich sowieso häufig: im Laufe der Zeit wird es Musik gegeben haben, die niemals jemand außerhalb von Kates Familie oder Freunden gehört haben wird. Als Musikerin wird sie in ihrem Alltag immer wieder diesen Ausdruck suchen. All diese uns verlorene Musik fließt in einer Art Lebensstrom dahin, und wir „bekommen“ sie nicht. Die Kinder- oder Schlaflieder, die zarten Lovesongs, die witzigen, sarkastischen oder albernen Spielereien. Gesungene Gebete… Geburtstagsständchen, Lieder, die sie am Grab eines geliebten Menschen dem Wind anvertraut, oder wütende, frustrierte, verärgerte Musik, um sich abzureagieren… In all den Jahren wird es viel davon gegeben haben. Und nicht für uns… Oder doch, denn bildet das Ungehörte nicht den Boden, auf dem solche unvergleichlichen Alben gewachsen sind?

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Das setzt voraus, dass der Musiker immer Musiker ist. Der Komiker ist aber nicht immer der Komiker. Das Stichwort gesungene Gebete könnte mich aber in der Tat noch mal zu Among Angels führen und auch der Song Bertie legt nahe, dass Du mit Deiner Vermutung nicht ganz unrecht hast. Und natürlich wird es zuhause am Klavier Melodiefolgen geben, die irgendwann, auch sehr viel später, in ein Lied münden, das wir kennen. Wenn wir die gefilterte Essenz eines Liedes kennen, wäre es in der Tat spannend, viel öfter die ungefilterten Gehversuche eines eigenständigen Liedes zu hören. Da fällt mir als erstes Why Should I love you ein, bevor Prince Hand angelegt hat. Letztlich landen wir aber auch da wieder bei unserem Thema der Relativität der Zeit mit Blick auf Kate. Wenn sie 2011 im Interview sagt, sie habe Ideen für ein neues Album im Kopf, sie dann stattdessen Konzerte gibt, ein Live-Album herausgibt, den kompletten Back-Katalog überarbeitet und einen PopUp-Store eröffnet, dann ist sie zwar alles andere als unproduktiv, aber in unseren Augen immer noch nicht produktiv genug. Und wenn wir ehrlich sind, ist das ausschließlich unser Problem, weil wir immer von der Angst getrieben sind, dass der Schlusssong des jüngsten Albums auch ihr letzter gewesen sein könnte.

Beate: Es stimmt, es ist unser Wollen nach mehr, unser Sehnen und auch unsere Befürchtung, dass es keine neue Musik mehr geben könnte. Im Gegensatz zu vielen Bands oder Musikern, die wiederholt das letzte Album, die letzte Tour angekündigt haben und dann doch ebenso wiederholt weitermachen, gibt es von Kate keine solchen Ankündigungen. Die Türe ist offen.

Bleibt zum Schluss die immer wieder gestellte Preisfrage: Neues Album 2020?

Beate: Das bringt mich zurück zu Deiner Aussage, ein Musiker sei nicht immer Musiker. Das ist wahr. Allerdings denke ich, dass ein Künstler immer weitermachen will, ja muss. Hier handelt es sich um Berufung, nicht um einen Beruf. In der Dokumentation „Tea with the Dames“ werden die Schauspielerinnen Maggie Smith, Judi Dench, Joan Plowright und Eileen Atkins gefragt, ob sie denn je ans Aufhören denken würden. Alle vier verneinen dies, ungeachtet ihres stattlichen Alters. Ich denke, letztendlich wird auch Kate nicht davon lassen können, weiterzumachen. Neues Album 2020… das wäre wunderbar. Ich wünsche es mir so sehr!

Gut, ich hab’s auf meiner Weihnachtswunschliste mit Auslieferung in 2020 notiert. Mal sehen, ob Kate uns erhört.

Das Bild des Monats: November

© Sjaak Vullings

„Was für ein trauriges Lied mit seiner klaren und starken Angklage gegen die Menschheit und ihre ewigen Kriege“, sagt Sjaak über den Song Army Dreamers. „eine originelle und feste Anklage gegen die Menschheit und ihre ewigen Kriege. „So viele (junge) Menschen starben in der Vergangenheit auf dem Schlachtfeld, und sie sterben immer noch. Junge Leute, die von Ruhm träumen und von ihrer Regierung missbraucht werden. Sie sterben in der Überzeugung, dass Krieg ein Abenteuer ist, ohne zu wissen, wie schrecklich er sich in der Realität herausstellt.“ Vielleicht das bemerkenswerteste ist, dass Army Dreamers „einer der großen englischen Antikriegssongs ist, getarnt als Top20-Hit“ im Walzer-Format, wie Achim im Song-ABC treffend formuliert. Kein Wunder also, dass er in England während des ersten Golfkrieges auf dem Index der BBC landete und im Radio nicht gespielt werden durfte.
Sjaaks BIld ist auf dem Friedhof in niederländischen Tilburg entstanden. Die lange haltbaren Rosen aus Plastik sind für Sjaak das Symbol, dass man sich auch dann noch an den „Army Dreamer“ erinnert, wenn die um ihn Trauernden schon lange verstorben sind. Und fast schon poetisch ist es, wenn Sjaak sagt, dass der Schnee auf dem Bild den Schmerz der HInterbliebenen kühlen soll.
„What could he do?
Should have been a father.“
But he never even made it to his twenties.
What a waste
Army dreamers“


Wer den Beitrag über Sjaak verpasst hat, kann hier mehr über ihn erfahren.

Beeindruckende Hommage an Kate in elf Songs

Wer in Frankreich in den 1990er Jahren groß geworden ist, für den sind die Rapper von Fonky Family ein Begriff, vielleicht so, wie in Deutschland zur selben Zeit Fanta Vier die Musikszene mitgeprägt haben. Als Komponist der Fonky Family hat sich in Frankreich damals DJ Pone einen Namen gemacht. Knapp drei Jahrzehnte später legt Pone sein erstes selbst produziertes Album vor – und das ist in doppelter Hinsicht bemerkenswert. Es ist in elf Songs eine wahre Hommage an Kate Bush, die Musik ist frei abrufbar und Pone hat aufgrund einer schweren Krankheit die Musik ausschließlich mit der Bewegung seiner Augen komponiert und produziert.
Seit vier Jahren leidet Pone an einer neurologischen Erkrankung, die nach und nach alle seine Muskeln gelähmt hat. Auf seiner Internetseite beschreibt er das deutlich untertrieben: „Nach ein paar gesundheitlichen Problemen, die für mich eine ziemlich schwierige Zeit dargestellt haben, habe ich im Januar 2019 wieder damit angefangen, Musik zu machen.“ Dabei hat er es sich anfangs eher leicht gemacht und Musik von Künstlern gehört, die er mochte, um sie zu samplen. „Ich produziere seit fast 30 Jahren Musik, aber da mir die Hände und der Rest meines Körpers entzogen waren, musste ich alles neu lernen, diesmal nur mit meinen Augen. Also habe ich mit Kate Bush angefangen, die ich sehr bewundere.“ Aus der Wiederentdeckung ihrer kompletten Diskografie ist dann etwas ganz anderes entstanden: eine Hommage in elf Songs für seine Album „Kate and me“.

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„Für mich ist Kate Bush die größte Künstlerin der letzten 40 Jahre“, schreibt Pone, der schon zuvor Kate Bush-Samples für seine Musik genutzt hatte. „Das Projekt wurde für mich noch offensichtlicher, als ich erfuhr, dass sie die erste Künstlerin war, die Sampling-Methoden einsetzte.“ Erstmals überhaupt hat Pone für seine eigenes Projekt auch das Mixen der Songs übernommen. „Die Freude am kreativen Prozess hat bei mir schon immer einen großen Anteil der Zufriedenheit mit einem Projekt, an dem ich teilgenommen habe, ausgemacht. Es ist mir auch egal, was die Leute denken oder auch, ob es sich verkauft oder nicht.“ Inzwischen ist bei Pone aber noch eine ganz andere Motivation hinzugekommen: Menschen mit großen körperlichen Einschränkungen zu beweisen, dass alles möglich ist. „Es ist ein großes Privileg, dort, wo es sie nicht gibt, ein wenig Hoffnung spenden zu können“, schreibt Pone auf seiner Internetseite. Und: ‚Kate and me‘ ist wahrscheinlich das erste Album, das ausschließlich mit den Augen komponiert, produziert und gemixed wurde – und es ist kostenfrei abrufbar. „Und was Kate betrifft“, schreibt Pone zum Schluss, „hoffe ich, dass sie mir nicht zu böse sein wird, dass ich ihre Stimme zu sehr verändert habe und mir bei ihrem musikalischen Werk einige Freiheiten herausgenommen habe. Ich hoffe eher, dass es sie amüsiert.“
Tatsächlich ist das Album eher beeindruckend schön. Bewegt sich Pone beim Opener „It’s me Cathy“ eher noch am Original, das mit ein paar Rap-Einlagen angereichert wird, entwickelt er bei Songs wie „Can’t slow down“ oder „You and me“ eine ganz eigene musikalische Sprache. Natürlich spielt er mit den Songs, bei „Breathing“ wird das Atmen hörbar, „Leave it open“ wird auf die Textzeile „I can’t have it all“ reduziert, „Houdini“ ist kaum noch erkennbar, „And dream of sheep“ kommt plötzlich als verkappte Popnummer mit Saxophon-Klängen daher, “ Don’t push your foot on the Heartbrake“ wird als „Not tonight“ in einer vermeintlichen Live-Version präsentiert und mit einem „Wow“-Zitat angereichert. Höhepunkt des Albums ist der Song „Loin de tout ça“ – eine knapp 30-minütige (!) Version von „Under the ivy“ – die mag wirklich weit weg von allem sein, aber liebevoll nah an Kate.
Die Musik und weitere Infos gibt es hier.