12 Kate-Momente: August

© bugi

Herbst 2019. In der Bretagne, genauer gesagt in St. Nazaire, wo sich die alten U-Boot Bunker befinden, 1941/42 von den Deutschen im besetzten Frankreich erbaut. Heute befinden sich in einem Teil der Anlagen Museen. Zum Beispiel das Escal‘ Atlantic. Früher legten an den Transatlantikkais von St. Nazaire die Ozeandampfer an, heute wird im U-Boot Bunker die Geschichte der Ozeanriesen zu neuem Leben erweckt und man kann wie in einem Nachbau die legendäre „Normandie“ betreten und erkunden. Irgendwann steht man auf dem Oberdeck an der Reling, hört den Wellenschlag, spürt den Wind, riecht das Meer, sieht die imaginären Wellen und kann den Blick über den Atlantik schweifen lassen – und steht direkt vor einem Rettungsring. Ein Rettungsring ist für mich für immer mit den Live-Konzerten zu Before the dawn verbunden. Vielleicht, weil auf den Plakaten Kate in Rettungsweste so abgebildet ist, als ob sie in einem Ring schwimmt, bestimmt aber deshalb, weil man zu den Konzerten das Rescue-Kit erwerben konnte, das einen aufblasbaren Rettungsring inklusive der Aufschrift „Get out of the water“ von „Hello Earth“ beinhaltete. Mein Kate-Moment.

Bedrohung und Zärtlichkeit: Zur Dialektik der Gefühle im Werk von Kate Bush

WordCloud: © Eberhard Gill

Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.
Friedrich Hölderlin

Von Eberhard Gill

Die Musik von Kate Bush, der englischen Sirene, hat mich mit ihrer Verführungsgewalt schon in manch bedrohliche Situation gebracht. Zeit, dachte ich mir, mich etwas distanzierter und analytischer mit ihrem Werk zu befassen. Und da sie 2018 das Lyrikbuch „How to be invisible“ mit ausgewählten Songtexten veröffentlicht hat, knöpfe ich mir seit einigen Monaten jedes Wochenende einen ihrer Songtexte vor. Den schaue ich mir dann sehr gründlich an, denke über zugrundeliegende Strukturen und Wortwahl nach, höre den Song mehrfach und intensiv, lese die Besprechung im Song-ABC auf der Morningfog-Webseite, setze mich mit den Lesermeinungen in SongMeanings auseinander und lasse mich von den Kommentaren auf Youtube inspirieren.
Dabei bin ich kürzlich über eine verblüffende Auffälligkeit gestolpert. In „Deeper Understanding“ ist von einer „little black box“ die Rede, vielleicht einem Computer, der dessen Benutzer in die Einsamkeit und Isolation treibt. Also etwas Kleines, Unscheinbares, scheinbar Nettes und gleichzeitig etwas Gefährliches. Und eine Seite weiter vorne im Buch war im Song „A Coral Room“, einem Song über die Trauer nach dem Tod der Mutter, zärtlich und intim von einem „little brown jug“ die Rede. Und dann gab es doch, erinnerte ich mich, auch in „And Dream of Sheep“ das „little light“, das an der Rettungsweste einer Frau leuchtet, die alleine hilflos im Ozean treibt. Und es gab den „little kiss“ in „This Woman’s Work“, dieses zärtliche „give me that little kiss, give me your hand“, in dem das Leben des Kindes und der gebärenden Mutter auf Messers Schneide steht. Jedes Mal ist dieses Wort „little“ mit so viel Zärtlichkeit [1] verbunden. Und stets geht es dabei um Gefahr oder Bedrohung. Sollte dahinter etwa ein allgemeines Prinzip im Werk von Kate Bush stehen?    
Als Wissenschaftler muss ich so eine gewagte These natürlich überprüfen. Und nach vielen Stunden mühsamem Texteditierens und statistischer Analysen bin ich tatsächlich einen Schritt weitergekommen. Dazu habe ich zunächst eine Datei erstellt, die die Texte aller von ihr geschriebenen Songs umfasst: 117 Songs, 24.691 Worte auf 121 Seiten in 11-Punkt-Schrift. Schon alleine dieses Ergebnis jagte mir einen Schauer über den Rücken. Wie viele Fans so etwas wohl besitzen? Und was diese Datei wohl für verborgene Schätze der Erkenntnis birgt? Aber nach so einem Zwischenergebnis beginnt dann erst die eigentliche Kernerarbeit zum Wörtchen „little“ und meiner These.

Kate hat das Wort „little“ in 27 ihrer Songs verwendet (23 Prozent der gesamten Songs). Insgesamt taucht es 53-mal auf, also im Schnitt etwa zweimal in diesen Songs. In der Reihenfolge der von ihr am meisten verwendeten Worte ihres Werks nimmt „little“ den Platz 24 ein. Übrigens wird diese Reihenfolge angeführt vom Wort „Out“, das 188-mal vorkommt und dem Wort „Love“, das mit 180-mal am Zweithäufigsten verwendet wird. Das Wort „little“ wird in 34 verschiedenen Zusammenhängen gebraucht: in 24 Prozent der Fälle abstrakt, wie etwa in „little lines“, in 47 Prozent der Fälle im Zusammenhang mit Personen, wie etwa in „little girl“, und in 29 Prozent der Fälle im Zusammenhang mit einem Ding, wie etwa in „little brown jug“.
Die Spanne der Gefühle, die mit „little“ assoziiert werden können, ist enorm und reicht von Unsicherheit über einen Wunsch bis zu Schutz und Rettung und tatsächlich ist es ganz häufig das Gefühl der Zärtlichkeit, das mit „little“ ausgedrückt wird. Die Gefahren, Bedrohungen und vielleicht der Horror, der in diesen „little“-Songs lauert, reicht vom Risiko in einer Beziehung oder deren Ende über Waffen und Krieg bis hin zu psychischer Krankheit und Tod. Aber gibt es tatsächlich einen Zusammenhang zwischen der Zärtlichkeit des Wörtchens „little“ und einer bedrohlichen Situation im Song? Dazu habe ich bei jeder Verwendung des Wortes „little“ die vorhandenen Korrelationen zu einer Bedrohungslage auf einer Werteskala eingeschätzt. So entstanden dann 53 Korrelationswerte, deren Verteilung ich mir angeschaut habe. Es hat mich sehr überrascht, dass die Werte klar in zwei Gruppen auseinanderfallen. In der ersten Gruppe (29%) gibt es keinen oder nur einen schwachen Zusammenhang zwischen Zärtlichkeit und Bedrohung. In der zweiten Gruppe (71%) ist jedoch der Zusammenhang deutlich bis sehr stark. Kate Bush verwendet also tatsächlich das Wort „little“ meistens und eindeutig im Zusammenhang mit Bedrohung.
Wem das noch nicht spannend genug ist, der kann sich nun noch den zeitlichen Verlauf dieses Zusammenhangs von Zärtlichkeit und Bedrohung über die Spanne Ihrer Alben anschauen und so einen Einblick in ihre Entwicklung als Künstlerin bekommen. Dieser Verlauf zeigt nämlich eine Kurve ähnlich der Maxwell-Verteilung, d.h. spärliche Verwendung im frühen Werk, dann aber ein schneller steiler Anstieg zu einem Maximum, also häufigster Verwendung, gefolgt von einem flachen langsamen Abfall. Was heißt das nun konkret? In ihrem ersten Album „The Kick Inside“ von 1978 kommt das Wort „little“ kaum vor und ist nicht verbunden mit Bedrohung. Sie muss diesen Zusammenhang nach Fertigstellung Ihres ersten Albums gefunden haben, denn in „Lionheart“ kommt beides schon deutlicher vor. Am häufigsten jedoch hat sie das Wort und dessen besonderen Zusammenhang im Zeitraum von 1980 bis 1985 benutzt, nämlich in den Alben „Never for Ever“ und „Hounds of Love“.  Im Album „The Dreaming“, das auch in diesen Zeitraum fällt, benutzt sie es wenig, was auch verständlich ist, da dieses Album ihr „wütendstes“ Album ist. Und da bleibt für Zärtlichkeit nun mal wenig Platz. Danach besteht der starke Zusammenhang von Zärtlichkeit und Bedrohung in ihrem Werk zwar weiter, wird aber immer weniger eingesetzt. In ihrem bislang letzten Album „50 Words for Snow“ kommt es gar nicht mehr vor.
Aber was sagt das nun über ihre Lyrik, ihr Werk und ihre Gedankenwelt? Beide, das Wort „little“ und die Bedrohung, könnten ja nicht unterschiedlicher sein. Hier das kleine unscheinbare Wörtchen „little“, ganz konkret, klein, marginal und fast zu übersehen und dort die abstrakte Bedrohung, die sich über den ganzen Song zieht wie unheimliche, dunkel dräuende Gewitterwolken, die Unheil verheißen.
Hat sie dieses Wort eingesetzt um die Verletzlichkeit, die dem Wort innewohnt, der übermächtigen Bedrohung entgegen zu setzen? David gegen Goliath? Sicher nicht, denn Dualismus spielt in ihrem komplexen Werk keine Rolle. Dafür denkt sie viel zu differenziert. Benutzt sie das Wort in einem dramaturgischen Sinn, um mit dem Verletzlichen die Bedrohung nur noch unausweichlicher zu machen? Franz Kafka hatte sich solch eines Stilmittels bedient, als er im Dom-Kapitel des Romans „Der Prozess“ schreibt „Eine hohe, starke, an einer Säule befestigte Kerze … vermehrte vielmehr die Finsternis.“ Auch das scheint mir nicht plausibel, denn es ist zu zweckmäßig, zu berechnend und schlicht zu kurz gesprungen. Symbolisiert das Wort etwa „Rettung“ aus der Gefahr und man sollte es als eine Konkretisierung von Friedrich Hölderlins Zeilen „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“ aus seiner Patmos-Hymne sehen? Ich denke, mit solch simplen Auswegen wird man weder Hölderlin gerecht noch tut man Kate Bush einen Gefallen. Niemand wird bei Kate Bush gerettet.

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Wenn das alles nicht zutrifft, was ist es dann, was ihr an dieser Verbindung so wichtig ist, dass sie sie immer und immer wieder bemüht? Ich sehe hier zwei Gründe. Der erste Grund ist einfach, wenn auch alles andere als lapidar. Wenn wir bedroht sind, versuchen wir diese Situation mit unterschiedlichen Strategien zu meistern. Analytische Geister fokussieren sich auf die Gefahr, gehen im Kopf alle Optionen durch und entscheiden sich für die Variante, die zum besten Verhältnis von Nutzen zu Aufwand führt; Mutige nehmen die Gefahr scharf in den Blick, krempeln die Ärmel hoch, ballen die Fäuste und stellen sich ihr; ängstliche Gemüter ziehen den Kopf ein und hoffen, dass die Welt eine andere sein wird, wenn sie ihre Augen wieder öffnen; für Depressive und Trauernde verblasst die ganze Welt in bleiernes Grau. Allen gemeinsam ist die Verengung des Blicks auf die Bedrohung selbst. Die Anwesenheit des Wörtchens „little“ bei Kate Bush verweigert sich dieser Fokussierung und dieser einseitigen Bewertung. Gerade im Terror, indem man nichts anderes mehr sieht, hört, denkt und fühlt, ist da dieses „little“: die Erinnerung, die Person, das Handeln, das Objekt, auf das so zärtlich geschaut wird. Kate Bush verweigert sich der Fixierung auf die Bedrohung und beansprucht Raum für die Zwischentöne. Da ist mehr als diese Bedrohung, die vielleicht sogar etwas Attraktives und Anziehendes haben kann. Diese Bedrohung ruft die Zärtlichkeit geradezu hervor. In „Hello Earth“ (einem Song, den ich nur selten höre, da seine Schönheit für mich fast zu schmerzhaft ist) ist die Protagonistin existenzieller Bedrohung und Tod ausgesetzt, schwebt im Weltall losgelöst von der Erde und betrachtet die Erde liebevoll wie ein Spielzeug und verwebt dies mit Erinnerungen an ihre Kindheit „Peek a boo, peek a boo, little earth“. In „Army Dreamers“ wird der „little soldier“ im Sarg heimgebracht und die Katastrophe hat sich bereits ereignet.
Wenn man aber genauer hinschaut, ist da noch mehr zu entdecken: ein zweiter Aspekt, der in manchen „little“-Songs auftaucht. Schön kann man das im Song „A Coral Room“ beobachten. Hier ist zunächst von dem „little brown jug“ die Rede, den die verstorbene Mutter so gerne hatte. Wenige Zeilen später zerbricht dieser kleine Krug und es heißt „Oh little spider climbing out of a broken jug“. Die Bedrohung kommt dem mit Zärtlichkeit betrachteten Objekt gefährlich nahe. Die Bedrohung, der Tod, kriecht aus diesem Krug. Das „little“ hat das Objekt geändert und ist nun nicht mehr auf den Krug bezogen, sondern auf die kleine Spinne. Die Bedrohung nähert sich diesem mit so viel zärtlicher Trauer bedachten Objekt an und nimmt es beinahe ein. Die Bedrohung rückt der Zärtlichkeit gefährlich auf den Leib.

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Ähnliches, aber noch weiter gehend, passiert in „Deeper Understanding“, wo die „little black box“, also vielleicht der Computer, einerseits Zugang zu den Informationen der Welt ermöglicht, zum Freund wird und einen gleichzeitig in die Isolation und Einsamkeit treibt. In diesem Bild verschmelzen Zärtlichkeit und Bedrohung vollständig, sind nicht mehr zu unterscheiden, bedingen sich in fortlaufendem Wechsel gegenseitig.
Die Bedrohung kann also im Extremfall selbst in die Zärtlichkeit schleichen, wie in „little black box“. Macht die Bedrohung dann die Zärtlichkeit zunichte, etwa wie ein Pac-Man, der wehrlose kleine Pünktchen auffrisst? Nein, das ist zu dualistisch gedacht. Die „little black box“ ist beides: sie symbolisiert den Weg in die Einsamkeit und den Weg zum Alles-Wissenden, zum Mit-Allem-Verbunden-Sein. Sie ist die Metapher der Ambivalenz. Beides kommt hier in einem einzigen Bild zusammen.
Lange habe ich danach gesucht, was denn eine Synthese von Zärtlichkeit und Bedrohung sein könnte, deren gegenseitige Durchdringung und Verschmelzung. Dieses Problem kann man sogar noch allgemeiner fassen, unabhängig von Kate Bush und unabhängig von diesen beiden Begriffspaaren, nämlich mit der Frage: Was ist die Synthese von Gefühlen? Die Antwort finde ich bei Kate Bush: die Synthese von Gefühlen macht diese Gefühle ambivalent, also mehrdeutig. Sie macht sowohl die Zärtlichkeit als auch die Bedrohung ambivalent. Ambivalenz ist also die Synthese in der Dialektik der Gefühle bei Kate Bush. Es ist freilich keine philosophische Synthese wie bei Georg Wilhelm Friedrich Hegel, sondern eine poetische Synthese: nicht abstrakt, sondern konkret, nicht zwangsläufig, sondern dynamisch, nicht erhebend, sondern schillernd.
Diese Ambivalenz macht die Poesie und Tiefe ihres Werkes aus. Diese Ambivalenz mutet sie nun uns Hörern zu. Damit müssen wir leben. Und so wie Kate Bush auf dieser Ambivalenz besteht, so blicke ich mit Zärtlichkeit auf ihr Werk, das eine solche Bedrohung für mich darstellt.

[1] Wenn jemand anderes als Kate Bush jemals in der Lage war stimmlich und vor allem gestisch die Zärtlichkeit auszudrücken, die dem Wörtchen „little“ in ihren Songs innewohnt, dann war es der Musiker Maxwell in seiner Live-Version in 1997 von „This Woman‘s Work“.

Happy Birthday, Kate

Es ist mal wieder so weit: Katemas kann beginnen. Und die Spannbreite dessen, was man zwischen Moving von The Kick Inside und Among Angels von 50 Words for Snow zur Feier des Tages hören und genießen kann, ist wahrlich beeindruckend. 62 Jahre wird Kate heute alt. Mit dem Debüt Ende der 1970er Jahre hat sie seitdem in jedem Jahrzehnt mindestens ein Album veröffentlicht. Es wird Zeit für die Musik fürs neue Jahrzehnt, um wohl behütet durch die 2020er Jahre zu kommen. Happy Birthday.

Singt Kate mit Big Boi auf seiner neuen LP?

Hat US-Rapper Big Boi von Outkast für sein neues Album The Big Sleepover, das er gemeinsam mit Sleepy Brown aufgenommen hat, einen Song mit Kate Bush eingespielt? Das deutet er zumindest in einem neuen Interview an. Seit Jahren spricht Big Boi immer wieder in Interviews über Kate und darüber, dass es sein größter Wunsch wäre, mit ihr gemeinsam einen Song aufzunehmen.

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Kate sehr Nahe gekommen ist Big Boi mindestens zwei Mal: er war 2014 bei einem der Before the dawn-Konzerte in London und hat sich anschließend Backstage mit Kate getroffen. Drei Jahre später twitterte er begeistert, dass er mit Kate Essen gewesen wäre (Just Had Dinner with Kate Bush ! mind-blowing) und präsentierte das Foto einer handsignierten Before the dawn-LP (Dearest Big Boi, so great to see you). Zwischendurch war Big Boi an der BBC-Doku über Kate in 2014 beteiligt und hat sich in Videos geradezu hymnisch über Songs wie Running up that Hill geäußert. In dem neuen Interview mit Lyndsey Parker von SeriusXM wird er erneut über seine musikalische Vorliebe zu Kate befragt. Lyndsey, offenbar selbst Kate-Fan, die wie Big Boi eigens aus den USA für ein Kate-Konzert nach London angereist war, fragt Big Boi zum Schluss, ob er nicht schon längere Zeit versucht habe, Kate aufzuspüren und schiebt noch ein „Is she going to be on the Big Sleepover-Album?“ hinterher. Big Bois mehrfach wiederholte Antwort: Warte ab (stay tuned). Selbst auf den Hinweis „don’t play with me. If she is, I’m going to lose my mind“ bleiben Big Boi und der mit interviewte Sleepy Brown bei ihrem „stay tuned“ – was hoffen lässt. Vollkommen unklar ist noch, wann das neue Album erscheinen soll. Beworben wird es bereits seit Herbst 2019, aktuell ist die erste Single („Can’t Sleep“) erschienen.  

Kate zu Pone: „It blew me away“

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Lebenszeichen von Kate sind aktuell rar, aber es gibt sie. „Ich habe gerade die erstaunlichste E-Mail meines Lebens ehalten“, hat vor wenigen Tagen Guilhem Pone Gallart auf Facebook geschrieben. Gallart ist französischer Produzent, der unter dem Namen Pone das kostenfreie Album „Kate & Me“ veröffentlicht hatte – eine Hommage in elf Songs an Kate. Eine Besonderheit: Pone hat aufgrund einer schweren Krankheit die Musik ausschließlich mit der Bewegung seiner Augen komponiert und produziert. „Für mich ist Kate Bush die größte Künstlerin der letzten 40 Jahre“, schreibt Pone auf seiner Internetseite zu seinem Album. Diese Bewunderung, die er für Kate aufbringt, spürt man den elf Songs an. Allein für die knapp 30-minütige Version von Under the Ivy lohnt es sich, das Album zu hören. „Und was Kate betrifft, hoffe ich, dass sie mir nicht zu böse sein wird, dass ich ihre Stimme zu sehr verändert habe und mir bei ihrem musikalischen Werk einige Freiheiten herausgenommen habe. Ich hoffe eher, dass es sie amüsiert“, schreibt Pone auf seiner Internetseite. Da lag er dann wohl falsch. Kate war nicht amüsiert, sondern offensichtlich mehr als nur angetan von der Neuabmischung der elf Songs:

Dear Guilhem,
I’ve only just become aware of your album, ‚Kate and Me’. I listened to it tonight and it blew me away. It’s very difficult to put into words how moved I am by this work and how great my admiration is for you. The challenges you have overcome in order to accomplish this creation are simply astounding. You absolutely have my blessing if you want to release this album in order to raise money for your charity.
Wishing you every success with all your projects.
With very best wishes.
Kate Bush


Mal eben von Kate eine Mail zu bekommen, ist das eine, dann aber noch die Erlaubnis, für caritative Zwecke (ungefragt) ihre Songs nutzen zu dürfen – Volltreffer.

Das Song-ABC: The Big Sky

„The big sky“ wurde als vierte Single aus dem Album ‚Hounds of Love‘ ausgekoppelt und erreichte Platz 37 in Großbritannien [1]. Verdient hätte er eine höhere Platzierung, denn er zeichnet sich durch unwiderstehlichen Schwung und Drive aus. Graeme Thomson nennt ihn „das ungezogene Kind des Albums“ [2], eine wunderbar treffende Bezeichnung. Auch für Kate Bush stach der Song aus dem Album heraus: „The Big Sky is an example of a real freak on the album, in that it consistently changed until we got there in the end.“ [7] „The big Sky“ ist ungestüm. Von Beginn an wird der Zuhörer mitten ins Geschehen geworfen und von dieser vorwärtstreibenden Rhythmusmaschine mitgerissen. Es ist einer dieser Songs von Kate Bush, die sich in ein fast orgiastisches Klangchaos hineinsteigern und die kein Ende finden können. Folgerichtig wird zum Schluss ausgeblendet. Für Graeme Thomson ist es ein fast perfekter Popsong, er „verbindet betörende kindliche Unschuld – sozusagen das klingende Äquivalent eines großen Buntstiftgemäldes – mit einer unterschwelligen Angst vor drohender Gefahr in Gestalt einer Sintflut (‚Build me an ark“).“ [2] In der Maxi-Version wird diese „hippie-artige Stimmung“ [2] von Kate Bush noch auf die Spitze getrieben. In die Mitte des Songs ist eine Art „Wolkenvergleichswettbewerb („That cloud looks like …“) mit Freunden und Familie und albernen Stimmen a la Monty Python“ [2] eingeschoben.

Das Kindlich-Unschuldige hat seinen Ursprung in der Jugend von Kate Bush, als sie stundenlang in den Himmel geschaut hatte, um die sich ändernden Formationen der Wolken zu beobachten (wie es fast alle Kinder gern tun). „I used to do it a lot when I was a kid, we’d go out somewhere and sit up and look at the sky. And if you watch the clouds long enough, they take on different shapes, you can see dinosaurs in them, or castles.“ [3] Als Erwachsene verliert man diesen unbefangenen Blick: „I think we forget these pleasures as adults. We don’t get as much time to enjoy those kinds of things, or think about them; we feel silly about what we used to do naturally. [8] Diese zwei Standpunkte bilden die Basis, auf der sich die Geschichte entwickelt. 
Während der Komposition wohnte Kate Bush auf dem Land. Aus ihrem Arbeitszimmer hatte sie freien Blick in die Landschaft. „And at the time I was writing this album, we were living in the country and my keyboards and stuff were in this room overlooking a valley and I’d sit and watch the clouds rolling up the hill towards me. And there is a lot of weather on this album. The countryside was a big inspiration at this time, and it’s always changing, it’s a very different perspective from living in the city, sometimes you hardly see the sky above the buildings at all.“ [3] Die Kompostion des Songs gestaltete sich überraschend schwierig. Die Endfassung war „Lichtjahre von der ursprünglichen Demoversion entfernt“ [2]. Kate Bush beschreibt das so: „‚Big Sky’ was very difficult to write. I knew what I wanted to finish up with, but I didn’t seem to be able to get there! We had three different versions and eventually it just kind of turned into what it did, thank goodness.“ [3]
Offenbar bestand die Hauptschwierigkeit darin, die beste Form für den Inhalt zu finden. „It was just a matter of trying to pin it down. Because it’s not often that I’ve written a song like that: when you come up with something that can literally take you to so many different tangents, so many different forms of the same song, that you just end up not knowing where you are with it. And, um… I just had to pin it down eventually, and that was a very strange beast.“ [7] Als das dann geschafft war, musste noch die richtige Stimmung für den Gesang gefunden werden. Die Perfektionistin Kate Bush griff dabei zu allen Mitteln: „Well, the hardest thing is sort of being psyched up in the right way to do the vocal with the right emotional feeling. And the hardest thing for me is to be able to feel relaxed enough to be uninhibited. So sometimes I do get just a little drunk, and at other times I like to do them with Del, because I feel much more relaxed than if there’s an outside engineer there. I mean, I do become quite sensitive when I start singing. […] I might be getting drunk on that one — the ad libs on the end, that was where I had to get drunk.“ [6]

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Ich mag diese Aussage, weil sie die angebliche Perfektionistin in einem ganz anderen Licht zeigt. Manchmal benötigt ein Song eben ganz viel Spontanität, um zu wirken. Auch was sie in der Schlusspassage gesungen hat und wie sie es gesungen hat – es war spontan (ad libitum). Es ist eine Seite, die man von Kate Bush als außenstehende Person nicht kennt, die aber ihre musikalischen Mitstreiter oft in Erstaunen versetzt. Del Palmer gibt da freimütig Auskunft. „Yeah, but what so many people don’t realize is that Kate is an amazing ad libber. The Big Sky is a really good example, that whole end section is just ad lib all the way through. I remember on the third album, the song The Wedding List, I can remember going in there and the engineer saying to me, ‚Man! You should hear what she’s doing here!‘ I mean, they took about six or seven tracks of Kate ad libbing and you could have used any one of them, they were all just amazing. And people don’t generally think of Kate as someone who does a lot of ad libbing, they think of her as being totally produced with everything completely worked out and contrived. But that’s by no means the case.“ [6]
Musikalisch ist der Song recht einfach gehalten [4]. Es ist ein reiner, tanzbarer 4/4-Takt, die Tonart ist ein F-Dur, der d-Moll-Akkord (die Mollparallele von F-Dur) spielt eine wichtige Rolle. F-Dur ist nach Beckh [5] die Naturtonart, sie ist anmutig, poetisch. Es ist zugleich die fromme, religiöse Tonart. Sie erhebt sich über die Schwere des Irdischen. Gleichzeitig ist sie aber auch voll Humor, es ist die humoristische Tonart. Natur, Poesie, Humor, das passt zum vordergründigen Eindruck des Songs. Gibt es auch Frommes, Religiöses? D-Moll ist nach Beckh [5] die Grabestonart, es ist eine Tonart des Todes. Wie passt dies zusammen? Wie so oft bei Kate Bush verbirgt sich unter einer leichten, unschuldigen Oberfläche ein Abgrund. Der Text handelt von einer (kindlichen?) Person, die in die Wolken schaut und die Veränderungen der Wolken bestaunt. Offenbar ist das alles ganz unschuldig. Das F-Dur deutet darauf hin. Aber kündet der Song nicht von einer Katastrophe, einer Art Sintflut? Im Text finden sich Zeilen wie „This cloud, this cloud / Says „Noah / Come on, build me an Ark / And if you’re coming, jump… / ‚Cause we’re leaving with the big sky“.

Damit hätten wir auch die Tonartbedeutungen „religiöses F-Dur“ und „d-Moll als Todestonart“ erfasst. Ich sehe das so, dass die Protagonistin eine Katastrophe kommen sieht und auf das rettende Schiff/Luftschiff wartet. Und in der Tat – Kate Bush unterstützt in einer beiläufigen Bemerkung diese Deutung: „The song is also suggesting the coming of the next flood — how perhaps the „fools on the hills“ will be the wise ones.“ [8] Nur die Unschuldigen haben einen Blick für das Unheil. Die „Normalen“ sehen nichts, sie schauen in die falsche Richtung. Die ersten Zeilen des Songs sagen das ganz deutlich: „They look down / At the ground / Missing / But I never go in now / I’m looking at the big sky“. Und wie so oft, die Unschuldigen (Narren) finden kein Gehör: „You never understood me / You never really tried“. Die ersten Zeilen des Songs klären die Sache, nüchtern wie eine Tatsachenbeschreibung. Kommt die Rettung aus den Wolken? Kommen Aliens mit der Arche Noah, um zu retten? Im Video zum Song tritt Kate Bush in einem silbernen Anzug auf, der an eine Astronautin erinnert. Das Publikum schwenkt Fahnen wie zu einer Begrüßung. Ganz am Schluss sind in diesem Begrüßungskommitee zwei Giraffen zu sehen – wollen die mit auf die Arche? Dieses Video (Kate Bush führte selbst Regie [2]) erinnert zum Schluss an den Filmmitschnitt eines Begrüßungskonzerts. Zu Beginn sieht man Kate Bush, wie sie auf den Dächern in den Himmel schaut, mit Ferngläsern Ausschau hält. Offenbar ist am Schluss die Rettung in der Ferne zu sehen.
Wie fast immer war Kate Bush mit dem Video nicht ganz zufrieden: „It is very like making early albums: I feel a bit disappointed with the results, not having enough rehearsal, a big enough budget, etc., etc., but the shoots were so much fun.“ [9] Ich mag das Video sehr, es hat Schwung und Witz, es ist lebendig, es weckt den Wunsch nach Liveauftritten. Zur Darstellung der Massenszenen nahmen Mitglieder des Kate Bush Fanclubs teil, so war es fast wie ein richtiges Konzert und alle hatten offenbar viel Spaß. „It’s such a good feeling to work with a big group of people. I seem to like working with such crowds. […] Besides a large number of performers to fill a stage and give the effect of a live concert, we needed an avenue of people, from the Wright brothers to two astronauts, to simulate aviation history. The Wright brothers looked remarkably like Dave Cross and Peter FitzGerald-Morris, and one of the astronauts looked so like Jay… We also needed a large, enthusiastic crowd, so we asked Dave Cross to organise some members of the Club, and two hundred beautifully behaved people arrived on the day of the shoot. It was very moving, they filled us all up with energy — It made it feel like a real concert.“ [9]
Wie so oft verstecken sich bei Kate Bush unter der Oberfläche tiefe Gedanken. Hier ist für mich dies besonders drastisch, man muss schon genau hinschauen. Ein dahinrasender Popsong erzählt lapidar davon, dass wir die Katastrophe nicht kommen sehen oder nicht sehen wollen. Das ist in der heutigen Zeit aktueller denn je. © Achim/aHAJ

[1] https://en.m.wikipedia.org/wiki/The_Big_Sky_(song) (gelesen 19.07.2020)
[2] Graeme Thomson: Kate Bush. Under the ivy. 2013. Bosworth Music GmbH. S.268f und S.345
[3] „Classic Albums interview: Hounds Of Love“ mit Richard Skinner. Radio 1. 26.01.1992
[4] „Kate Bush Complete”. EMI Music Publishing / International Music Publications. London. 1987. S.64
[5] Hermann Beckh: Die Sprache der Tonart in der Musik von Bach bis Bruckner. Verlag Urachhaus. Stuttgart 1999. S.149ff
[6] Interview von Peter Swales mit Kate Bush und Del Palmer. Musician (unedited). Herbst 1985.
[7] Interview mit Tony Myatt. November 1985 [8] Kate Bush: „Hounds Of Love songs“. KBC Ausgabe 18.
[9] Kate Bush: „An Interview With Auntie Hetty“. KBC Ausgabe 20.

12 Kate-Momente: Juli

© bugi

Zugegeben, da ist keine Wolke am Himmel, die auch nur ansatzweise die Umrisse von Irland aufzeigt. Keine Arche, die Noah erbaut haben könnte oder noch bauen will.
That cloud, that cloud
Looks like Ireland
C’mon and blow it a kiss now
But quick
‚Cause it’s changing in the big sky
Es ist Mitte September 2018, irgendwo in der Nähe von Larmor-Baden in der Bretagne am Golf von Morbihan. Ich spaziere am Wasser entlang, die Wolken wirken eher bedrohlich.
This cloud, this cloud
Says Noah
C’mon and build me an ark.
Bei dem Anblick habe ich natürlich sofort The Big Sky im Kopf, höre das Didgeridoo aus dem Meteorological Mix und könnte stundenlang zu den Klängen am Wasser entlang spazieren.
That cloud is nothing but trouble.

Das Song-ABC: Wild Man

Dieser Song kommt entspannt und etwas geheimnisvoll daher, sein reiches Innenleben zeigt er auf den zweiten Blick. „Wild Man“ ist das erste Stück auf dem Album „50 Words for Snow“, das im weitesten Sinne als Popmusik gelten kann, wie Graeme Thomson [1] richtig anmerkt. Der Song wurde als einzige Single des Albums am 11. Oktober 2011 zum digitalen Download veröffentlicht und erreichte in den Charts in Großbritannien Platz 73 [9].
Bassgitarre, ein klarer Beat, Synthesizerklänge, eine „satte Backup-Stimme“ – für Thomson [1] fügen sich diese musikalischen Bestandteile „elegant und leicht zu einem Ganzen“. Die Strophen sind eine Art Sprechgesang, der „ein bisschen an das bedrohliche Flüstern von Grace Jones“ erinnert oder an „Yoko Ono, während das leicht orientalisch wirkende, durchlaufende Instrumentalmotiv an David Bowie in seiner Lodger-Phase erinnert.“ [1] „Wild Man“ ist ein Song, der viele musikalische Erinnerungsmomente miteinander verknüpft.
Die „satte Backup-Stimme“ gehört Andy Fairweather Low – auch das ein Faden in die Vergangenheit. Er wurde in den 1960er Jahren als Frontmann der Gruppe „Amen Corner“ bekannt, die einige erfolgreiche Singles in Großbritannien hatte. Ihre fünfte Single „(If Paradise Is) Half As Nice“ erreichte am 12. Februar 1969 für zwei Wochen Platz 1 in den britischen Charts [6]. Sie ist auch heute noch ein gern gespielter Klassiker im Radio. Kate Bush hatte schon beim Schreiben des Songs die Stimme von Andy Fairweather Low im Kopf. „But I think that Andy just has one of the greatest voices. I just love his voice. When I wrote the song I just thought, ‘I’ve got to get Andy to sing on this song because he sounds great.’ Which I think he does. He’s just got a fantastic voice.“ [5]

Der erste Vers baut in geheimnisvollem Ton die Szene auf: „They call you an animal / The Kangchenjunga Demon / Wild Man / Metoh-Kangmi“. Es geht um ein mythisches Wesen, den Yeti, wie Kate Bush es selbst erläutert. „Well, the first verse of the song is just quickly going through some of the terms that the Yeti is known by and one of those names is the Kangchenjunga Demon. He’s also known as Wild Man and Abominable Snowman.“ [5] Das Kangchenjunga-Massiv [10] ist der dritthöchste Berg der Welt, an der Grenze von Sikkim zu Nepal gelegen. Das Massiv besteht aus fünf in einer Kette angeordneten Gipfeln, die in der lokalen Sprache auch als die „Fünf Schatzkammern des großen Schnees“ bezeichnet werden. Der erste Versuch einer Besteigung geschah 1905 durch eine Gruppe um den okkulten Schriftsteller und Schwarzmagier Aleister Crowley. Die Expedition scheiterte, mehrere Menschen kamen ums Leben.
Esoterisch-magische Einflüsse finden sich ab und zu bei Kate Bush, man denke an „Lily“ und an „Them heavy people“ („They read me Gurdjieff and Jesu“). Aleister Crowley und der Yeti, das passt in diese Einflusslinie. Die Bestandteile des Songs fügen sich ineinander, „Fünf Schatzkammern des großen Schnees“ könnte dazu auch fast noch ein Alternativtitel des Albums sein.
Die Struktur von „Wild Man“ ist sehr vielschichtig. Leider gibt es zum Album „50 Words for Snow“ kein Songbook. Beim Text und seiner Strukturierung beziehe ich mich auf [2], die Tonarten des Songs wurden ausgiebig auf ‚Tapatalk’ [3] erforscht und diskutiert. Die strukturelle Abfolge beginnt mit Vers 1 – Pre-Chorus 1 – Chorus 1. Dies wiederholt sich dann mit Vers 2 – Pre-Chorus 2 – Chorus 1. Nach einer Bridge folgt ein Abschluss aus Chorus 2 und Vers 3. Den Strukturelementen sind dabei drei Stimmen zugeordnet. Wie schon in früheren Songs (insbesondere auf dem Album „The red Shoes“) verlässt Kate Bush das sichere Pop-Terrain des geradlinigen Erzählens und wechselt im Song die Perspektiven. Andy Gill [8] sagt das sehr schön: „The songs‘ abstruse fictional strategies of myth, fairy tale and time-travel also reflect her frustration with the restrictions of straight narrative.“ Die drei Stimmen klingen wie unterschiedliche Personen, die sich auf einer Expedition in die Berge befinden, offenbar auf der Suche nach dem Yeti.

Die erste Stimme (oder Stimmung) singt die Verse, die mit „They call you an animal“, „The schoolmaster of Darjeeling said“, und „You‘re not a longur monkey“ beginnen, diese Stimme ist ebenfalls für die Bridge („We found your footprints in the snow“) zuständig. Vers 1 beginnt mit leisen, mysteriösen Windgeräuschen, dann setzt die „orientalische Melodie“ ein. Eigentlich ist das keine Melodie, es ist eher eine Art Signal aus zwei Tönen. Dieses Signal begleitet die erste Stimme in den Versen ständig, nur in der Bridge fehlt es. Kate Bush singt diese erste Stimme, es ist kein Gesang, es ist ein Geflüster, es ist eher wie gehaucht. Ein Anflug eines fremdartigen Akzents ist zu spüren. Es klingt so, als ob an einem Lagerfeuer irgendwie in den Bergen des Himalaya ein Märchen erzählt wird, vielleicht von einem Sherpa, einem einheimischen Führer. Zum den Song beschließenden Vers 3 kommt noch eine Vokalise hinzu, die mich an den Summchor aus „Madame Butterfly“ erinnert. Diese Oper hat ebenfalls ein fremdartiges Sujet und behandelt den Konflikt Japan – westliche Welt. Auch in „Wild Man“ trifft eine zerstörerische westliche Welt auf eine asiatische Welt. Die erste Stimme erzählt von Sichtungen des Yeti, erzählt dabei von realen Orten aus dem Himalaya. Die Nennung dieser Namen in dieser Ballung klingt so fremdartig wie aus einen Märchen. Die Tonart hier ist schwer zu bestimmen, es scheint ein a-Moll zu sein [3]. Nach Beckh [4] ist a-Moll schwermütig, poetisch, es ist die Tonart des Zwielichts, die elegische Sehnsuchtstonart, die Tonart der schwermütigen Volksweise. Das passt gut zu diesem geheimnisvolle Wispern und Raunen der ersten Stimme.
Die zweite Stimme bestimmt die Pre-Chorus-Passagen, die mit „Lying in my tent“ und „They want to know you“ beginnen. Zur geflüsterten Stimme kommt nun eine hohe Singstimme dazu, die fast etwas geisterhaft klingt. Die Melodie ist hier weit weg von dem Zweiton-Signal, es ist eine romantische, schwingende Melodie. Vielleicht singt hier eine Frau, Mitglied einer Expedition in die Berge. Sie lässt sich auf die Geschichten ein und glaubt nun fast, den Yeti draußen zu hören. Vielleicht ist es aber auch nur eine Phantasie von ihr, eine Träumerei. Die Tonart wendet sich nach e-Moll, einer nach Beckh [4] sehr ambivalenten Tonart, die sich bis zum Ausdruck des Erhabenen steigern kann. Für das träumerische Nachsinnen über eine mystische Gestalt ist das passend. In den Chorus-Passagen – beginnend mit „While crossing the Lhakpa-La“ im Chorus 1 und „From the sherpas of Annapurna“ im Chorus 2 –  ändert sich die Stimmung. Es wird fast hymnisch, ein Chor aus einer Männerstimme (Andy Fairweather Low) und Kate Bush singt den Text. Offenbar erzählen hier Expeditionsteilnehmer von ihren Beobachtungen, von den Fußabdrücken im Schnee. Die Männerstimme ist nicht die Verkörperung des Yeti, wie vermutet wurde, Kate Bush selbst hat das herausgestellt: „Andy doesn’t play the hirsute beastie, he’s one of the people on the expedition into the Himalayas.“ [5]. Die Tonart ist nun ein fast begeistert klingendes E-Dur. Die Chorus-Passagen bedeuten jeweils eine Wendung hinein in eine optimistischere Sichtweise. E-Dur ist nach Beckh [4] die wärmste aller Tonarten, es ist die Sonnentonart. Sie steht für Herzenswärme, Herzensinnerlichkeit und Liebeswärme. Es-Dur „hat die Helligkeit einer Welt der Träume, des Dichterischen, der höheren Bilderschau, in der wir der gewöhnlichen Tageswelt gänzlich entrückt sind.“ Ist die Wendung ins Positive, Optimistische nur ein Traum?

Wild Man Comic Cover / Yirry Yanya
Das Cover des Comics „Wild Man“ von Yirry Yanya.

Zum Song hat sich Kate Bush glücklicherweise recht ausführlich geäußert. In einem Interview in der „Zeit“ [7] gibt sie die Grundrichtung zur Interpretation des Songs vor: „Die Geschichte, um die es geht, ist auf vielerlei Arten auslegbar. Vor allem ist es ein Lied, das von meiner Zuneigung für dieses arme, verfolgte Wesen handelt. Der Yeti ist ein scheues Individuum, das eben allein gelassen werden will. Ist das so schwer zu verstehen?“ Graeme Thomson [1] weist treffsicher darauf hin, dass das „Bewahren von Geheimnissen, der Schutz des Mythos, das Bedürfnis, nicht allem und jedem einen Namen zu geben und es in einen Käfig zu sperren, [..] ein klassisches Anliegen von Kate Bush [ist], das sie offenbar auch ganz persönlich betrifft.“ Andy Gill [8] sagt über das Album, dass die Songs alle voller Empathie für Figuren sind, die nur auf mythische Weise existieren. Es ist, als ob der Schnee diesen Wesen Schutz bietet und ihnen erlaubt, unter seiner Decke zu existieren. Dies trifft auch auf „Wild Man“ zu. Kate Bush hat dieser Sicht in dem Interview zugestimmt. „Someone else observed that a lot of the creatures are mythical, for want of another word, fantastical creatures – even a snowflake, if you think of it as a living thing.“ [8]. In der „Zeit“ [7] hat sie diese Gedanken noch weiter ausgeführt. Auf die Frage, ob nicht fast alle Rätsel, dank Google und Internet, ohnehin schon enthüllt seien, antwortete sie so: „Und ist das nicht schrecklich? Gerade diese Vorstellung hat mich zu einem Lied darüber bewogen, wie kostbar die Idee eines Fabelwesens ist. Es hat doch einen Grund, warum alle Völker solche Kreaturen haben, die ihre Fantasie beflügeln. Die Amerikaner gruseln sich zum Beispiel vor Bigfoot, ihrer Version eines Yeti. Es sind Symbole für etwas, das wir nicht durchschauen. Und es ist ein wunderbarer Zustand, nicht alles wissen zu können.“ Ihre ganze Anteilnahme und Sympathie gehört diesen geheimnisvollen Kreaturen, die nicht ganz zu unserer realen Welt gehören.
„Well, I don’t refer to the Yeti as a man in the song. But it is meant to be an empathetic view of a creature of great mystery really. And I suppose it’s the idea really that mankind wants to grab hold of something [like the Yeti] and stick it in a cage or a box and make money out of it. […] I think we’re very arrogant in our separation from the animal kingdom and generally as a species we are enormously arrogant and aggressive. Look at the way we treat the planet and animals and it’s pretty terrible isn’t it?“ [5]
Aber vielleicht sieht Kate Bush auch eine gewisse Wesensverwandschaft zwischen sich und dem Yeti, wie Graeme Thomson anmerkt. „In dieser originellen Umkehrung der archetypischen Geschichte von Jägern und Gejagten muss man keine großen interpretatorischen Sprünge unternehmen, um Kate Bush als „wilden Mann“ hoch in den metaphorischen Bergen wiederzuerkennen, der von der Meute gejagt seine Spuren im Schnee verwischt.“ [1]. Das ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Kate Bush ist eine solch augenzwinkernde Wendung durchaus zuzutrauen.
„Wild Man“ mag wie ein Popsong klingen, inhaltlich und gestalterisch ist er aber weit davon entfernt. Bisher hatte ich ihn nicht besonders beachtet, vielleicht lag das an seiner unspektakulären, ruhigen Art. Jetzt nach dieser näheren Beschäftigung mit diesem Song hat sich das geändert. „Wild Man“ ist genial gestaltete, wohl überlegte Schlichtheit. © Achim/aHAJ

[1] Graeme Thomson: Kate Bush – Under the Ivy. Bosworth Music GmbH. 2013. S.414
[2] https://genius.com/Kate-bush-wild-man-lyrics (gelesen 30.04.2020)
[3] https://www.tapatalk.com/groups/thehomegroundandkatebushnewsandinfoforum/wild-man-chord-progression-t20249-s20.html (gelesen 30.04.2020)
[4] Hermann Beckh: Die Sprache der Tonart in der Musik von Bach bis Bruckner. Verlag Urachhaus. Stuttgart 1999. S.78f (a-Moll), S.218 (e-Moll), S.263ff (E-Dur)
[5] John Doran: „A Demon In The Drift: Kate Bush Interviewed“. The Quietus. 13.11.2011
[6] https://de.m.wikipedia.org/wiki/Andy_Fairweather_Low (gelesen 16.05.2020)
[7] Christoph Dallach: „Sängerin Kate Bush ‚Ich bin doch kein Yeti!‘“. Die Zeit. 25.11.2011
[8] Andy Gill: „Kate Bush: The ice queen of pop returns“. The Independent. 18.11.2011
[9] https://en.m.wikipedia.org/wiki/Wild_Man_(Kate_Bush_song) (gelesen 16.05.2020)
[10] https://de.m.wikipedia.org/wiki/Kangchendz%C3%B6nga (gelesen 16.05.2020)

12 Kate-Momente: Juni

© bugi

September 2016. Ein kleiner Ort in der Provence, nicht weit von Avignon. Von außen ist die Anlage unscheinbar, ein Zaun, ein paar Absperrungen und plötzlich steht man in einer leeren Stierkampfarena. The empty bullring.

Das Song-ABC: The Empty Bullring

Der Song „The empty Bullring“ wurde am 14. April 1980 als B-Seite der Single „Breathing“ veröffentlicht, der ersten Singleauskopplung des Albums „Never for ever“ [1]. Es war das erste Mal, dass Kate Bush als B-Seite einen Song veröffentlichte, der nicht auf einem Album vertreten war. Für einen Nicht-Album-Song ist er gut gelungen, er ist auf keinen Fall ein Füllsel. Kate Bush und nur ein Klavier, ich mag diese Kombination. „The empty Bullring“ erinnert an Songs auf den beiden früheren Alben. Ich musste beim Hören an „Oh to be in Love“ denken, ohne Begleitung durch eine Band. Die Klavierbegleitung ist bei „The empty Bullring“ allerdings verspielter, verzierter.

Der Song wurde wahrscheinlich schon einige Zeit vor 1980 und damit vor der Arbeit am Album „Never for ever“ komponiert. Darauf deutet eine Aussage von Kate Bush selbst hin: „[The empty Bullring] is a song that I first had ideas for quite a few years ago.“ [2] Im Song geht es wie so oft bei Kate Bush um schwierige, etwas „verdrehte“ Beziehungen. Die Protagonistin ist in eine Person verliebt, die von einer sinnlosen (sinnlos gewordenen) Tätigkeit besessen ist. Kate Bush beschreibt diesen Kern des Songs so: „It is really about someone who is in love with someone who is obsessed with something that is pretty futile. They can’t get the person to accept the fact that it is a futile obsession.“ [2]
Diese Idee wird in einer Geschichte um einen Matador umgesetzt [2]. Der Matador wurde so schwer bei einem Kampf verletzt, dass er seitdem seinen Beruf nicht mehr ausüben kann. Aber in der Nacht klettert er aus dem Fenster, verlässt die Protagonistin, geht in die dann leere Stierkampfarena. Er kämpft gegen einen Stier, der nicht da ist. Er lässt seine Partnerin zurück und taucht immer wieder in eine längst vergangene Zeit ein. Er kann sich nicht lösen, er ist besessen. Er hat das verloren, wofür er gelebt hat: „The throw of the Rose / It’s all you lived for / But you’ve lost it all“ [3]. Für die Beziehung habe ich nicht viel Hoffnung.
Geschildert wird dies aus Sicht der Frau, die sich zurückgelassen fühlt: „leaving me here / Like Tamlain in her Tower“ [3]. Mit Tamlain verweist Kate Bush dabei auf ein Mädchen in einer traditionellen Märchengeschichte, das in einem Elfenbeinturm eingesperrt ist: „Tamlain is a girl in a traditional fairy story, who is locked up in an ivory tower.“ [2]. Die Geschichte bekommt dadurch einen märchenhaften Hauch, der einsame Matador in der Nacht, der Kampf gegen die Gespenster der Vergangenheit, die eingeschlossene, zurückgelassene Prinzessin.
Die Tonart ist offenbar ein C-Dur, kristallklar und nüchtern [3]. Die Protagonistin schildert die Besessenheit als Beobachterin. Illusionen macht sie sich nicht. In der Melodie kommen große Tonsprünge vor, die weit über eine Oktave hinausgehen. Die Gesangslinie ist oft stark verziert. Die Merkwürdigkeit der Geschichte – aber auch die Zuneigung der Protagonistin – zeigt sich im Gesang und der Begleitung, die nüchterne Schilderung in der Tonart. In solche Kleinigkeiten zeigt sich die Präzision, mit der Kate Bush komponiert und Emotionen vermittelt.
Ich mag an dem Song besonders, dass Kate Bushs junge Stimme so gut zur Geltung kommt. Die Aufnahme ist unmittelbar und direkt, man kann die Sängerin fast atmen hören. Es klingt so fast wie live. „The empty Bullting“ ist kurz, aber schön. Auch auf den früheren Alben hätte er sich gut gemacht. Ich frage mich, wie viele von diesen kleinen Köstlichkeiten Kate Bush noch in ihrem Archiv hat, die sie einfach nicht mehr auf einem Album unterbringen konnte. © Achim/aHAJ

[1] https://en.wikipedia.org/wiki/Breathing_(Kate_Bush_song) (gelesen 23.05.2020)
[2] Kate Bush. KBC Ausgabe 14. „Dear Friends“ und Interview
[3] „Kate Bush Complete”. EMI Music Publishing / International Music Publications. London. 1987. S.32 und 83

Blackbirds sing at dusk…

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Zwei Dinge gehören bei mir auf Reisen immer in den Koffer: der Fish People-Hoodie und das Nocturn-T-Shirt, beides von der Before the dawn-Tour. Den Hoodie habe ich beim Konzert in London erstanden, das T-Shirt später über den Shop erworben, weil ich anfangs nicht realisiert hatte, dass die abgebildeten Vogelflügel die Songlyrics zu Nocturn beinhalten. Für den Entwurf von Hoodie und Nocturn-T-Shirt war Jordan Atkinson verantwortlich, der beides für das Unternehmen Firebrand entwickelt hat. „Kate hatte darum gebeten, die Texte zu dem Lied Nocturn in Vogelflügeln zu illustrieren“, schreibt Atkinson auf seiner Internetseite und präsentiert als ersten Entwurf aber nicht die bekannten Flügel, sondern eine Amsel. Ganz schlüssig war dieser Entwurf nicht, weil die Amsel samt Textzeile „Blackbirds sing at dust“ nicht in Nocturn, sondern in Sunset auftaucht. Vielleicht ist das auch der Grund, warum sich der Entwurf nicht durchgesetzt hat, sondern statt dessen die beiden Flügel auf dem T-Shirt gelandet sind. Die sehen eher wie Flügel von Engeln aus. Beim Hoodie hat sich Atkinson hingegen an den Requisiten der Fish People orientiert, die während der Konzerte auch auf der Bühne genutzt wurden.
Von Atkinson stammt zudem das T-Shirt, das den Mondzyklus zu den einzelnen Daten der 22 Konzerte zwischen dem 26. August und 1. Oktober 2014 zeigt.

Träumerei in Weiß

Lange, sehr sehr lange hat es gedauert – genau genommen fast 38 Jahre – um mein Lieblingsalbum „The Dreaming“ als deutsche Testpressung zu finden, und nun ist sie endlich da.  Von außen betrachtet wirklich nichts besonderes. Eine LP mit weißen Labels, auf denen mit Kugelschreiber etwas vermerkt wurde (was das zu bedeuten hat, kann ich leider nicht sagen). Ihr fragt euch bestimmt, was denn daran so besonders ist, dass man fast 38 Jahre danach sucht, und ich habe zum besseren Verständnis mal ein wenig gegooglet: A test pressing is what you might expect it to be from its name: a vinyl record made to test the quality of the finished product before pressing thousands of records. Test pressings are made to ensure that the grooves themselves are clean, deep enough, and formed correctly when the master presses into the vinyl blank; that the grooves, label and center hole are not off-center; that the vinyl does not warp; things like that. Test pressings are supposed to be destroyed, and most of them are. A few that have cosmetic flaws (like an off-center label) but are playable may be sent to reviewers, program directors, and industry influencers to promote the record. Sometimes record distributors include them in orders to make up volume – distribution deals often have quotas about how many units are supposed to go out the door, and sometimes test pressings and other records get thrown into a delivery to make the number of pieces correct… but they are not supposed to be sold, just played in the store to promote the record, or bought back under an agreement that the distributor makes with the retailer to take back records that don’t sell. (yes its crazy – the distributor gives the retailer records that they dont expect the retailer to sell because the retailer is supposed to get a certain number of pieces in the order, and then the distributor later takes those same pieces back. Every now and then a store will sell a promo piece or a test pressing and the distributor and the label usually just look the other way. What comes to the quality of test pressings soundwise, they are supposed to be the best sounding copies of all, because the stampers wear out as more copies are being pressed. The test pressings are the first pressings made with those stampers.
Die Musterpressung (= Testpressung) erfolgt von den Presswerkzeugen (Pressmatrizen) an Anpreisung vor der eigentlichen Serienpressung, um die Qualität zu überprüfen und etwaige Fehler der Pressmatrize noch beseitigen zu können. Von einer Musterpressung werden etwa zehn bis 20 Stück gefertigt, oft auch nur eins bis fünf. 2002 hat der Kanadier Warren Hill zwischen Dutzenden anderen Platten eine Testpressung des ersten Albums von Velvet Underground gefunden. Der Kaufpreis: 75 Cent. Nur vier Jahre später war das Exemplar bei eBay mehr als 25.000 Dollar wert. Das ist mal eine lohnenswerte Preissteigerung, würde ich sagen! Happy Hunting! Michael Guth

12 Kate-Momente: Mai

© bugi

An Architect’s Dream. Watching the painter painting. Es ist eines der schönsten, traditionellen Feste der Provence: La Transhumance. Jedes Jahr im Frühjahr ziehen die Schafherden aus der Provence auf die Weideflächen der Alpen. Diese alte Tradition wird jeweils am Pfingstmontag gefeiert. Die regionalen Züchter versammeln sich in St. Remy de Provence mit ihren Herden. Mehr als 4000 Schafe, Lämmer, Schafböcke, Ziegen und Esel ziehen am Vormittag, begleitet von Schäfern in traditionellen Kostümen, um das Stadtzentrum herum. Dazu gibt es einen wundervollen Markt mit den Produkten der Bauern. Mittendrin, direkt vor der Kirche von St. Remy, bin ich vor vielen Jahren auf den Maler gestoßen, der die Szenerie eingefangen hat und der sich von dem Touristen, der um ihn herumsprang, überhaupt nicht irritieren ließ. Watching the painter painting…

Das Song-ABC: And So Is Love

„And so is Love“ ist ein Song, der für Kate Bush ungewöhnlich ist. Es ist ein ruhiges, melancholisches Lied mit einem einfachen Text, der keine zweite Ebene erkennen lässt. Der Song drückt Gefühle aus, unverstellt. Er enthält kein Geheimnis – jedenfalls keines, das ich entdecken kann. Kate Bush so zu erleben – das ist ungewöhnlich.
Für einen traurigen Popsong ist „And so is Love“ sehr stimmig geraten. Nach der Textzeile „It must be love“ setzt eine Gitarre ein und begleitet im Wechselgesang die Gesangsstimme. Im Hintergrund gibt es dazu einen Synthesizer-Teppich, der dann doch an andere Songs von Kate Bush erinnert. Es gibt weitere Popelemente. Der Chorus „Ooh baby live your life for love“ erinnert mich zum Beispiel an den Background-Gesang der Supremes zur Begleitung von Diana Ross. Zum zweiten „And so is love“ geht die Stimme hoch hinaus, das ist ein emotionaler Aufschrei. Aus dem Text und dem Gesang ist eine gewisse Resignation herauszuhören. 

Mit dieser eher dunklen Stimmung passt der Song zur Grundstimmung des Albums. Kate Bush selbst weicht einer Deutung aus. Zur Textzeile „Life is sad and so is love“ lässt sie sich immerhin zu einer Bemerkung hinreißen [4]: „It was a line from Joseph Campbell [ein amerikanischer Mythenforscher], and I’m not saying it’s something I believe – quite often there are things said in a song that I don’t believe at all, but they are beliefs of other people, and sometimes that’s very relevant.“ Das klingt eher wie das Abweisen einer Deutung.
Musikalisch ist der Song einfach gehalten, so wie es sich für einen Popsong gehört. Der Takt ist ein reiner 4/4-Takt ohne jede Abweichung, die Tonart ist ein klares g-Moll [1]. Auch diese Tonart ist stimmig, nach Beckh [2] ist g-Moll das Passende für Melancholie und Resignation. Es ist eine dunkle Tonart, in der die Hoffnung fehlt. Sie ist der Ausdruck von etwas Schmerzlich-Verklärtem, „unter Tränen Lächelndem“. Sie ist seelisch ausdrucksvoll, aber auch ein Ausdruck von Schicksalsernst.
Das Besondere am Song sind die prominenten Gastmusiker. In einem Interview gibt Del Palmer dazu Auskunft [3]. „This one seems to have the most effective band sound to me; we had Gary Brooker (from Procul Harum) on Hammond organ and Eric Clapton on guitar, and that was just a couple of months after his son died. I admired him for doing that – he’d promised to do it and he wanted to stick to his commitment. Eric only really plays in one style, but he’s a genius at what he does, so that was a highlight for me.“
Nach dem ersten Halbsatz ist zu vermuten, dass bei der musikalischen Gestaltung eine mögliche Live-Aufführung angedacht war. Die Gastmusiker deuten darauf hin, dass möglicherweise der amerikanische Markt anvisiert wurde. Ein bisschen über den Song lässt sich aus einem Interview mit Kate Bush entnehmen, in dem sie u.a. über die Zusammenarbeit mit Eric Clapton spricht [5]: „I really wanted to get at the rawness of relationships, the way things just burn at people but never quite erupt. And Eric just sensed that. The track couldn’t say it, it just had to unfold, holding the tensions until the voice goes up into the higher octave. He followed brilliantly, like it was a conversation. It feels like the guitar is answering the voice. I was so moved by what Eric played.“

„And so is Love“ wurde als letzte Single des Albums „The red shoes“ veröffentlicht. In Großbritannien erreichte sie Platz 26. Im Video dazu (Ausschnitt aus dem Album-Film „The Line, the Cross and the Curve“) singt Kate Bush das traurige Lied in einem hohen, dunklen Raum. Ihr Gesicht sieht ungeheuer verletzlich aus. Sie zündet eine Kerze an, aber das macht den Raum nicht heller. Draußen herrscht offenbar ein Gewitter. Eine Amsel flattert herum und versucht, durch ein Fenster zu entkommen. Zum letzten Teil des Songs fängt Kate Bush den Vogel vorsichtig ein. Aber anstatt ihn draußen freizulassen, lässt sie ihn drinnen frei. Er stößt sich am Fenster zu Tode und fällt auf am Boden liegende Noten. Kate Bush bettet ihn auf ein blutrotes Samttuch und küsst ihn zum Abschluss des Songs. Das Video gibt einige Anhaltspunkte zur Interpretation des Songs. Gefühle – „the rawness of relationships“ [5] – sind so etwas wie ein gefangener Vogel. Man kann sie fangen, anfassen, aber man kann sie nicht so einfach freilassen. Sie werden sich zu Tode stoßen. Es geht um „the way things just burn at people but never quite erupt“ [5].
Interessant ist für mich, dass eine Amsel im Video auftaucht. Die Amsel (englisch „Blackbird“) ist ein bei Kate Bush wiederholt auftauchendes Symbol. In „Waking the Witch“ wird im Text auf sie Bezug genommen, auf „Aerial“ ist ihr Gesang zentral. Die Amsel scheint für Kate Bush für die unterdrückten Gefühle zu stehen – erst der Gesang lässt sie heraus.
Die Biographen haben über den Song keine hohe Meinung. Vielleicht waren sie nicht gewohnt, dass Kate Bush einfach mal unverschlüsselt ihren Gefühlen Ausdruck verleiht. Insbesondere am Gastauftritt von Eric Clapton lassen sie kein gutes Haar. Graeme Thomson schreibt [6]: „Eigentlich ist es ein einfacher, melancholischer Popsong in Moll, doch er ist getrübt durch ein schrecklich konventionelles, amerikanisch anmutendes Arrangement, das versucht, die unverkennbare Bluesgitarre von Eric Clapton – für sich allein bereits ein äußerst gewöhnlicher Sound für ein Kate-Bush-Album – mit einem irritierenden Synthesizer-Effekt zu kombinieren.“
Ron Moy [7] meint: „The track is nothing more than moderate filler.“ Er bemängelt den Text und die musikalische Gestaltung ohne Geheimnis: „It may be ‚from the heart‘, but it cannot help but come across like a series of identikit phrases, and the musical backing does nothing to move the song out of the mundane.“ Den Gastauftritt von Eric Clapton hält er für verzichtbar: „[…] his blues fills could have been the work of any journeyman musician, so the purpose of this contribution remains unclear.“
Für „Director‘s Cut“ hat Kate Bush den Song noch einmal aufgenommen. Die neue Version unterscheidet sich nicht sehr von der alten Version. Es klingt weniger verzweifelt, eher ein bisschen abgeklärt. Der Chor erinnert mich nicht mehr an die Supremes, er ist ruhiger und klingt mystischer. Die resignative Zeile „and now we see that life is sad“ änderte sie zu „…. life is sweet“, denn: „Ich fand es so verdammt deprimierend! Diese bedrückende Zeile konnte ich nicht so lassen.“ [6].
Ich kann „And so is Love“ als das genießen, was es ist – eine melancholische Popnummer. Ich brauche nicht unbedingt ein Geheimnis. Möglicherweise hätte Kate Bush solche Songs in Mengen schreiben können, wenn sie gewollt hätte. Schade eigentlich, dass sie es nicht getan hat! © Achim/aHAJ

[1] Kate Bush: The red shoes (Songbook). Woodford Green. International Music publications Limited. 1994. S.13ff
[2] Hermann Beckh: Die Sprache der Tonart in der Musik von Bach bis Bruckner. Verlag Urachhaus. Stuttgart 1999. S.248ff
[3] „Well red“. Interview mit Del Palmer. Future Music. November 1993
[4] Roger Trilling: „A Tightly Wound Conversation With The Rubberband Girl“. Details. März 1994
[5] Tom Moon: „A Return to Innocence“. Philadelphia Inquirer. Januar 1994
[6] Graeme Thomson: Kate Bush – Under the Ivy. Bosworth Music GmbH. 2013. S.319, 396
[7] Ron Moy: Kate Bush and Hounds of Love. Aldershot. Ashgate Publishing Limited. 2007. S.116

Asteroid 27052: Katebush

Wenn Kommandeur Chris Hafield an Bord der Internationalen Raumstation zur Gitarre greift und Space Oddity von David Bowie in der Schwerelosigkeit singt, kann man schon mal neidisch werden – immerhin hat ja auch Kate mit Hello Earth den perfekten Song als potenzielles Cover für Astro-, Kosmo-, Taiko- und sonstige -nauten im Angebot.

Das Observatorium im südfranzösischen Calern.

„Astro-Alex“ Alexander Gerst hat Hafield noch getoppt, als er sich live von der ISS in ein Kraftwerk-Konzert eingeklinkt hat. Auch wenn Kates Lieder nicht unbedingt zu den am meisten gespielten außerplanetarischen Songs zählen, mischt Kate seit mehr als zwei Jahrzehnten im Weltall durchaus mit. Immerhin ist ein am 21. September 1998 entdeckter Asteroid des inneren Hauptgürtels nach Kate benannt. Der Asteroid „Katebush“ mit der Nummer 27052 ist im Durchmesser etwa vier Kilometer groß und wurde am französischen Observatorium Calern in Südfrankreich entdeckt – beteiligt war dabei auch das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Die Entfernung des Asteroiden zur Erde beträgt grob zwischen 180 und 480 Milliarden Kilometer. Wie die Erde kreist er ellipsenförmig um die Sonne. Die DLR-Wissenschaftler haben mit dem Asteroiden-Suchprogramm ODAS von 1996 bis 1999 rund 2000 Asteroiden entdeckt. Wer genau für den Namen des Astzeroiden verantwortlich ist, bleibt leider unklar. Aber die Begründung ist um so verständlicher: „Kate Bush (b. 1958) is a singer/song-writer/performance artist who has a haunting voice and presence when she performs. Her style has been described as ‚out of this world‘ and ‚almost alien‘. Her song ‚Hello Earth‘ is a beautiful ballad about our Earth as seen from space.“ Dass die Wissenschaftler, die in Südfrankreich für die Entdeckungen verantwortliche waren, über musikalischen Geschmack verfügten, wurde gleich mehrfach deutlich. Neben Katebush kreisen unter anderem auch Petergabriel, Pinkfloyd, ZZTop, Mariacallas und Mercedessosa als Asteroiden durch das Weltall.