Das Song-ABC: Joanni

abcDieser Song ist einer derer, die auch von den Fans weniger beachtet werden. Zuerst konnte auch ich mich nicht so richtig mit ihm anfreunden – es hat gedauert, bis er „gezündet“ hat. Aber er muss für Kate Bush etwas Besonderes sein, er hat seinen Weg in die „Before the dawn“-Show gefunden. Es ist also an der Zeit, sich seiner subtilen Komplexität zu widmen.
„Joanni“ ist eines der Lieder von Kate, die sich mit einer realen Person der Vergangenheit beschäftigen. Diese zeitgeschichtlichen Lieder finden sich auf vielen ihrer Alben (Beispiele sind „Houdini“, „Delius“, „King of the Mountain“). In ihnen wird jeweils ein ganz konkreter Aspekt einer Person bzw. eine ganz konkrete Person textlich und musikalisch beleuchtet. Das Wesen einer Person, der Bedeutungsinhalt einer Situation wird wie durch ein Brennglas gebündelt und konzentriert. Es geht um die Erleuchtung eines Mythos.
Joanni handelt von Johanna von Orleans. Es ist ein Lied über eine fast schon sagenhafte Gestalt der Historie. Ein junges Bauernmädchen von göttlichen Visionen getrieben bezaubert ein Heer, führt es zum Sieg. Dann verraten, verbrannt, rehabilitiert, heiliggesprochen. Eine Heiligengestalt, eine Heldengestalt. Das Lied versucht, einen Moment der Faszination wiederzugeben.
Im Booklet ist auf der Joanni-Seite Kate Bush abgebildet, wie sie den Betrachter anschaut. Sieht sich Kate ein bisschen wie Joanni? Schildert sie sich in diesem Lied selbstironisch als das (immer noch) junge, kriegerische, von ihrer Musik besessene Mädchen, das ihre Fans mitreißt und sich das selbst nicht richtig erklären kann?
Die dargestellte Sicht ist die eines Beteiligten auf dem Schlachtfeld, der zuerst schildert, dann jubelt, dann mitmarschiert. Der Ton wandelt sich von neutraler Darstellung des Geschehens über Begeisterung zur Hingabe. Die Musik ist dabei durchsichtig und ruhig, enthält aber viele eingewobene Details im Hintergrund. Das ganze Lied ist gestaltet wie eine Mini-Oper über Faszination.
Der Beginn erinnert ein bisschen an den Stil von „Massive Attack“. Ein ruhig pulsierender Rhythmus erscheint aus dem Nichts, die Musik schwillt an, Spannung baut sich auf. Es lässt an Filmmusik und an eine Aufblende denken, Erwartung liegt in der Luft. Etwas beginnt ganz eindeutig.
Die Strophen sind kurze Situationsbeschreibungen. In der ersten Strophe wird das Schweigen und Verstummen beim Auftreten von Johanna geschildert. Die musikalische Umsetzung ist voll bebender, sich in der nächsten Strophe (wenn die Waffen nicht mehr schweigen) noch steigernder Erwartung. Jede Strophe endet mit einer verzückten, beinahe ungläubigen Betonung der Unglaublichkeit („Who is that girl?“). Man kann die Aufregung mithören und mitfühlen. Ich fühle das Außerordentliche (Goldene), das sich in Johanna von Orleans verbirgt.
Die Stimme springt hier zwischen Tönen hin und her. Es ist keine richtige Melodie, eher kann man es als ein Rezitativ oder ein Melodram beschreiben, als Sprechgesang. Hinreißend, wie Kate Bush bei „all the cannon are firing“ das „firing“ singt! So viel Emotion in einem Wort…. dieses Beben, dieser Anflug von Furcht, dieses Zittern, ein Hauch von Begeisterung, von Vorfreude – dazu dieser Tonsprung nach oben – wie sie diese Gefühle weiterträgt Wort um Wort: Ich liebe diese Stelle. Kate Bush findet für jede Situation, für jede Emotion eine eigene Stimme. Da ist nichts Stereotypes, keine Oberflächlichkeit.
Der Refrain dagegen ist melodisch und jubelnd. Die Beobachtung geht in Enthusiasmus, Bewunderung und Begeisterung über. Die Stimme wird herausgerissen aus dem Sprechgesang und mitgerissen. Johanna wird beschrieben in ihrer Rüstung (so taucht sie auch in fast allen Heiligendarstellungen auf), aber hier wird auch jubilierend die Verkleinerungsform „Joanni“ benutzt. Johanna ist bei aller Verehrung immer noch ein junges Mädchen. Im Schlussteil singt Kate dann in merkwürdig „knarzigen“ Tönen. Ist dies der Gesang des mitgerissenen Soldaten? Ich höre das Vorwärtsmarschieren, das Knarren der Rüstungen, das Mitsummen.
In die Musik verwoben sind hier Stimmfetzen, einige fast unverständliche Worte auf französisch. Jeanne d’Arc gab an von himmlischen Stimmen besessen zu sein, neben der Stimme des heiligen Michael waren das die Stimmen der heiligen Katharina und der heiligen Margarita [1]. Dieser französische Text bezieht sich genau auf die historischen Tatsachen  – es sind die Stimmen, die Joanni hört, die sie als kleine Schwester (zukünftige Heilige) anreden, die vom Feuer reden (in dem sie schließlich sterben wird). „Les voix, les voix de feu, / Chante avec nous petite soeur, / Les Vox, les voix, les voix !“ Die Stimmen sind auch ein Blick in die Zukunft, es ist eine verhüllte Todesankündigung. Hier zum Schluss des Songs überlagern sich die Erzählperspektiven der Soldaten und die von Joanni. Alle sind eins in der Vision.
Joanni – eine Minioper über die Macht der inneren Stimmen. Eine Minioper darüber, wie das eigene innere Glühen bei anderen Menschen Faszination und Ekstase auslöst. Bei genauer Betrachtung ist es ein sehr ungewöhnliches und unkonventionelles Lied. Alle sind eins in einer Vision – vielleicht ist auch deshalb dieser Song auf die Setlist für „Before the dawn“ gekommen.
Achim/aHAJ)

[1] W.Bauer, I.Dümotz, S.Golowin,H.Röttgen: Bildlexikon der Symbole; München 1980; S.462 ff.

Eberhard Weber: (S)Eine deutsche Jazz-Geschichte

eweberweber2-400Mehr als 20 Jahre hat der deutsche Jazz-Bassist Eberhard Weber von 1982 bis 2005 Kate Bush immer wieder musikalisch bei ihren Studioproduktionen begleitet. In seinem neuen Buch „Résumé“ (sagas.edition, ISBN10: 3944660048; ISBN-13: 978-3944660042; 19,99 Euro, gebunden, 252 Seiten) verrät Weber, dass er ursprünglich auch bei Kates Live-Auftritten fest eingeplant war. Dass Kate in der Biografie überhaupt vorkommt, mag zwei Umständen geschuldet sein: Weber hält regelmäßig Kontakt zu Kate, beschreibt sie als „eine bewundernswerte, außergewöhnliche Frau“. Und: wenige Monate nach Kates „Before the dawn“-Konzerten bot sich der Verweis auf die Zusammenarbeit mit ihr geradezu an. Dabei ist das schon die große Ausnahme in „Résumé“. Weber konzentriert sich in seiner Biografie nicht darauf, mit wem er wann wo zusammengespielt hat, um durch die Hintertür deutlich zu machen, dass er es war, der das Bass-Spiel revolutioniert hat. Starallüren scheinen ihm vollkommen fremd: „Nicht nur einmal bin ich darüber erschrocken, was ich im Internet alles über mich gefunden habe. Platten mit Musikern, an die ich mich nicht mal erinnere, hätte ich eingespielt“, schreibt er gleich zu Beginn amüsiert. Dementsprechend mager fällt dann auch selbst seine Discografie aus. Stattdessen nimmt er anhand seiner Lebens-Biografie den Leser mit auf eine äußerst spannende Zeitreise durch die Geschichte des deutschen (und später auch internationalen) Jazz. Von seinen Anfängen in der Nachkriegszeit bis zu den 68ern, seinem musikalischen Durchbruch und den ausgedehnten Tourneen – Weber war wissbegierig und vor allem ein Aufbegehrender. Er schafft es, anhand kleiner Beispiele deutlich zu machen, welch harte Arbeit hinter seiner Leidenschaft steckte, vom Kampf mit Equipment und Sound bis zum durchaus nicht leichten Musikeralltag. Besonders sympathisch: den 68er Geist des Aufbegehrenden konnte sich der heute 75-Jährige erhalten. Noch heute kann sich Weber über die europäische Mentalität aufregen, nahezu ausschließlich im Vier-Viertel-Takt zu denken oder der Musik nicht den Raum zu geben, der ihr gebührt: „Wieso geht ein Fan einer bestimmten Formation, von der er sämtliche Aufnahmen besitzt, für teures Geld in deren Konzert, um dort nicht zuzuhören? Unentwegt singt er sogar noch mit und klatscht in die Hände, im Idealfall im Takt. Mir kann niemand weismachen, dass man Musik hören kann, indem man ständig herumhampelt und gar bei langsameren Stücken albern das Feuerzeug schwingt.“ Vielleicht ist Weber aber einfach auch aus der Zeit gefallen, macht Musik in einem ähnlichen Kosmos wie Kate Bush, die bei ihren Konzerten um genau diese Konzentration auf die Musik und ein Fotografierverzicht gebeten hatte.
1982 war es, als sich die Zusammenarbeit mit Kate anbahnte. In einem Hamburger Hotel fand Weber nach Proben für eine Platte und einem Konzert abends einen Zettel: „Eine Frau Busch hat angerufen“, stand da drauf. Das Ergebnis: Weber spielte die Bass-Melodie für den Song „Houdini“ ein. Es folgte die Zusammenarbeit bei Songs von Hounds of Love, The Sensual Word und Aerial. Als Aerial 2005 aufgenommen wurde, keimte der Gedanke an Live-Auftritte offenbar schon. Weber schreibt: „An einem unserer gemütlichen Abende mit wunderbarem Essen und ein paar Gläsern Rotwein deute mir Kate an, dass sie mich gerne dabei hätte, sollte sie jemals wieder Konzerte geben.“ Die kamen für Weber leider zu spät – ein Schlaganfall kam 2007 dazwischen. Statt dem Anruf zur Teilnahme an den Shows kam eine Email von Kate: „Habe ich dir schon erzählt, dass wir deine atemberaubende Pendulum-CD vor wirklich jeder meiner Shows gespielt haben – mein absolutes Lieblingsalbum!“
Wer seine Lebenserinnerungen „Résumé“ betitelt, kommt natürlich nicht umhin, ein Fazit zu ziehen. Dem Umstand geschuldet, dass er nach seinem Schlaganfall 2007 den Bass nicht mehr bedienen kann, fällt das auf seine schwäbisch-humorvolle Art gewollt doppeldeutig aus und ist gleichzeitig eine Mischung aus Understatement und auch bitterer Erkenntnis: „Ich kann nicht Bass spielen. Aber ich weiß, wie’s geht.“ Der Leser kann ein anderes Fazit ziehen: Dank Weber weiß er jetzt auch wie’s geht.

Webers Beitrag auf den Alben von Kate: Houdini (The Dreaming, 1982), Mother Stands For Comfort, Hello Earth (Hounds Of Love, 1985), Never Be Mine, Walk Straight Down The Middle (The Sensual World, 1989), Pi, Prologue (Aerial, 2005).

The Red Shoes erscheint neu auf Vinyl

thered-480x480Die 1993 LP „The Red Shoes“ von Kate soll im April erneut auf Vinyl veröffentlicht werden – auf dem neuen Label Analog Spark. Das berichtet Paul Sinclair auf der Internetseite Super Deluxe Edition. Zum Start des neuen Labels, das sich auf die Wiederveröffentlichung analoger Aufnahmen spezialisieren will, erscheint zunächst Rodgers & Hammerstein’s Flmmusik „The Sound of Music“ als Vinyl- und SCAD-Version. Als zweite Veröffentlichung des neuen Labels ist Kates LP vorgesehen, die nach dem Durchbruch der CD 1993 nur in geringer Auflage auf Vinyl erschien und schnell vergriffen war und seit dem nicht neu auf Vinyl gepresst wurde. „Unser Ziel ist es, den Hörer so nah wie möglich an die Originalaufnahme zu bringen, indem wir die besten Quellen, Mastering Ingenieure und Presswerke nutzen“, schreibt Mark Piro, musikalischer Kurator von Analog Spark, auf deren Internetseite. Nutzen will man offenbar die originalen Analog-Aufnahmen, von denen bereits ein CD-Remaster zur Veröffentlichung von „Director’s Cut“ erstellt worden war. Mit dem Masterin wurde Toningenieur Ryan K. Smith vom New Yorker Tonstudio Sterling Sound betraut. Noch etwas unklar sind derzeit die Vertriebskanäle von Analog Spark und ob an eine Auslieferung auch in deutsche Plattenläden gedacht ist. Der Preis für die LP dürfte bei 25 US-Dollar liegen.

Das Song-ABC: All the Love

abcJede(r) kennt das: Man weiß in einer bestimmten Situation, dass man Liebe hätte geben sollen, aber es war einfach nicht möglich. Dieser Schmerz über nicht angekommene, nicht zu erwidernde, verpasste, fehlgeleitete, verlorene Liebe trifft den, der sie nicht geben kann, vielleicht sogar am meisten. Aus diesem Schmerz hat Kate Bush einen ihrer – zumindest für mich – intensivsten Songs gemacht. Kate umarmt verschiedenste musikalische Stilistiken von Klassik über Jazz bis Experimentalpop und baut eine ihrer unvergleichlichen Klangcollagen zu einem bewegenden Klagegesang.
Die Grundstimmung dafür legt ein lautloses, männliches Hauchen zusammen mit einem chromatischen Motiv auf dem Piano, ein seufzender Atemzug, der im Stück immer wieder auftaucht. Der singende Bass von Del Palmer erinnert an die Spielweise von Eberhard Weber, und er führt zur Stimme von Kate hin. Sie hat in diesem Stück einen niedergeschlagenen, verzweifelten, verletzten Ton, und sie schwingt sich am Ende der Strophen zu fast orientalisch klingenden Melodiewindungen empor. Dazu passt auch der Text. Interpretiert man ihn ganz wörtlich, sieht man zunächst eine Sterbebettszene: Alte Freunde beweinen die Dahinscheidende, um die sie sich zu Lebzeiten viel zu wenig gekümmert haben. Dann abstrahiert Kate: „Only tragedy allows the relief of love and grief never normally seen.“ Nur in Extremsituationen können wir die Liebe und den Kummer rauslassen, die sonst zurückgehalten werden, weil wir uns schämen, zu starke Gefühle zu zeigen.
In der letzten Strophe wird es persönlich, hier spricht Kate ohne Zweifel von sich selbst: „The next time I dedicate my life’s work to the friends I make.“ Sie opfert sich und ihre Kunst für ihre Freunde auf, doch die verstehen sie nicht. Die Angst, die ihr das bereitet, ist nicht nur die Angst der Isolation im zwischenmenschlichen Bereich, sondern auch die Furcht der Künstlerin, als „weird“ abgeurteilt zu werden. Ironischerweise ist das ja gerade nach der Veröffentlchung von „The Dreaming“, auf dem „All the love“ ja zu finden ist, ganz massiv passiert.
Um die Wirkung zu steigern, hat Kate in verschiedenen Songs immer wieder zu einer fremden vokalen Sphäre gegriffen, etwa der georgische Chor in „Hello Earth“, oder die bulgarischen Stimmen in „Song Of Solomon“. Hier ist es auch so: Der Chorknabe Richard Thornton singt als Bridge zwischen Strophen und Refrain die Zeile „we needed you to love us too, we wait for your move“. Während diese Zeile gesungen wird, kommt der Rhythmus zum Erliegen, nur röchelnde Fairlight-Seufzer in verschiedenen Tonlagen begleiten die helle Jungenstimme, die wie ein verletzter Geist aus dem Jenseits mahnt. Es ist die vielleicht eisigste Stelle im gesamten Werk von Kate Bush. Daraufhin setzt der Refrain ein, der wiederum ein einziger Seufzer ist: „All the love you should have given“. Die Verzweiflung über die nicht gegebene Liebe wird so groß, dass sie keine Worte mehr findet und nur noch hilflos „all the love, all the love, all the love“ stammelt.
Den Abspann des Songs hat Kate mit einem genialen Kniff versehen. Zum einen rhythmisiert sie nun den Gesang des Chorknabens, zum anderen gibt es eine endlose Parade von Abschiedsgrüßen, die sie auf dem Anrufbeantworter gesammelt hatte. „So now when they ring, I get my machine to let them in“, heißt es am Ende der vorangegangenen Strophe. Zwischen sich und ihre Freunde hat sie eine Maschine geschaltet – die Angst vor dem Kontakt hat über die Bereitschaft zur Kommunikation gesiegt.
„All the love“ ist ein unter die Haut gehendes Psychogramm – über die Unfähigkeit und die verpassten Gelegenheiten, Emotionen zu zeigen. Aber es ist auch ein Hinweis auf die bedrohte Privatsphäre einer Künstlerin, die den Rückzug brauch,t um schöpferisch zu sein. Die eine solche Menge an Liebe, wie sie Fans von ihr fordern, unmöglich geben kann. Auf dieser Deutungsebene ist diese großartige Ballade auch ein heimlicher Verwandter von „Get Out Of My House“. Last but not least: Eine Coverversion, die die Atmosphäre von „All the love“ kongenial auf alte Instrumente überträgt, hat Alphan Music geschaffen. (Stefan)

Kate inspiriert Filmemacher

katefilmKates Faible für Horror-Filme ist hinlänglich bekannt; dass viele ihrer Songs, Videos oder auch nur Promobilder Bezüge zu Filmen aufweisen, ist ebenfalls bekannt. Bislang relativ unbekannt war, ob Kates Musik umgekehrt auch Filmemacher inspiriert. Die einfache Antwort: Ja. Zum Internationalen Filmfestival in Rotterdam, das von 21. Januar bis zum 1. Februar lief, hatten die Macher eine ungewöhnliche Idee: sie haben 51 Regisseure und Drehbuchautoren gebeten, eine Playlist mit den Songs zu erstellen, die sie bei ihren neuen Filmprojekten inspirieren. „Kino und Musik haben innerhalb der Künste eine denkbar enge Beziehung. So ist es nicht verwunderlich, dass einige Songs Filmemacher besonders inspirieren“, schreiben die Festival-Macher. Ein paar Beispiele: Christoph Hochhäusler (Milchwald), Mitbegründer der Berliner Schule, hört gerne David Bowie und  Ben Russell (Let Each One Go Where He May), der experimentelle Filme macht, bevorzugt Lil Wayne. Manuel Mozos (Ruínas) hat ein Faible für die klassischen Soundtracks von Disney (Snow White, Dumbo and Bambi) während Kun-jae Jang (Hwioribaram) und Su Rynard (Kardia) Fans von Glenn Gould sind. Und Kate? „Es sei darauf hingewiesen, dass die Sängerin, die in den meisten Playlists aufgeführt wird, Kate Bush ist“, heißt es zur Umfrage in den Festival-News.

Das Song-ABC: How to be invisible

abcLeicht und fast eingängig kommt dieser Song daher. Durchsichtig und klar ist er gestaltet. Er ist so beschwingt, dass er sich auch als Single gut geeignet hätte. Es ist eine „weitere Gruselgeschichte, die auf einem wunderbar elastischen, düsteren Rhythmus dahingleitet. Kate Bush ist die Hexe mit ihrem ‚Blindenschrift-Auge‘ und ihrem ‚Anoraksaum‘, jeder Windhauch und jedes fallende Blatt zeugt möglicherweise von einer unsichtbaren Macht, die die Welt durchströmt. Und kann es ein besseres Bild für ihre Musik geben, als eine Million Türen, von denen jede zu einer weiteren Million führt?“ [1].
Das Lied beginnt mit dem Wort „Ich“, die Sängerin spricht in der ersten Person. Sie singt davon, wie man aus den Augen anderer Leute verschwinden kann, wie man sich unsichtbar machen kann. Das Lied erzählt aber auch vom Wunsch danach, neue Wege und neue Möglichkeiten erkunden zu können. Es ist ein Eintauchen in die Welt des Übernatürlichen, der Geheimnisse, der verborgenen Möglichkeiten. Inhaltlich sind wir damit bei Themen, die sich wie ein roter Faden durch das Schaffen von Kate Bush ziehen.
Wie so oft bei Kate Bush gibt es eine literarische Beeinflussung. In einer Besprechung zu „Aerial“ [2] findet sich ein Verweis auf die Fantasy-Trilogie „His dark materials“ von Philip Pullman (Zitat: „How To Be Invisible is a great song with a possible hint of His Dark Materials, describing a secret recipe for not being seen.“). Aus einem Interview mit Del Palmer [3] erfährt man, dass der Schriftsteller offenbar mit Kate Bush Kontakt hatte. Del Palmer streitet nicht ab, dass es Beziehungen zwischen diesem Song und den Fantasyromanen geben könnte („Yes, it does I Suppose“). In der Trilogie wird die Geschichte eines jungen Mädchens (Lyra Belacqua) erzählt, das in einer magischen, feindlichen Welt zu sich selbst finden muss. In dieser Welt haben Personen die Eigenschaft, sich unsichtbar zu machen, indem sie sich quasi vor den Blicken anderer ausblenden. In dieser Welt können Menschen Türen zu anderen Welten öffnen. Da Kate Bush später den Song „Lyra“ zur Verfilmung des ersten Romans beisteuerte, erscheint es wahrscheinlich, dass sie sich auch vorher schon mit den Romanen beschäftigt hat. Die Themen des sich Findens, des Wanderns zwischen den Welten, die Stimmung des Übernatürlichen – das spiegelt sich wider.
Der eingängige Ton des Songs wird durch eine mysteriöse Beschwörung unterbrochen. Es ist Musik wie aus einer fremden Zeit. Mit ganz merkwürdigen Tönen (die an quietschende Türen erinnern) wird ein Zauberspruch gesungen. Ich musste sofort an die Beschwörungen der Hexen in Shakespeares „Macbeth“ (4. Akt, Szene 1) denken. Während dort mit Ingredienzen von Fabeltieren usw. gearbeitet wird, geschieht hier der Zauber mit Bestandteilen der Gegenwart. Das Auge der Blindenschrift wird verwendet, der Saum des Anoraks, der Blütenstil des Mauerblümchens, ein Haar der Türmatte. Dies sind alles Dinge, die mit dem Verbergen, dem nicht gesehen Werden, dem unsichtbar Werden zu tun haben: die Schrift der nicht Sehenden, der Anorak in dem man sich verstecken kann, das von niemanden beachtete Mauerblümchen, die Türmatte vor der alles verschließenden Tür. „Wallflower“, „Doormat“ und „Anorak“ – das sind umgangssprachlich Personen, die nicht beachtet werden. „Doormat“ ist eine Person, auf der alle nur herumtrampeln, ein „Anorak“ ist der typische Nerd, das Mauerblümchen wird links liegengelassen. Durch den Zauberspruch wird man unsichtbar, weil man sich in eine Person verwandelt, die übersehen wird.
In der zweiten Strophe singt Kate von den Millionen Korridoren, Türen und Möglichkeiten, die sich in der Welt des Unsichtbaren ergeben. Oder in der Welt insgesamt, wenn man unsichtbar ist? Geheimnisse deuten sich an, auch im musikalischen Ton. Aber auch die Gefahren werden geschildert (in der dritten Strophe), wenn man sich in das Unsichtbare begibt. Sind Geräusche draußen natürliche Geräusche, oder bewegt sich dort jemand im Verborgenen („Is that an autumn leaf falling? Or ist that you, walking home?“)? Die Stimmung des Liedes ist nun fast von Düsternis geprägt. Diese Passage wird durch einen geheimnisvollen und unwirklichen Frauenchor begleitet, der so klingt als ob die Hexen aus Macbeth jetzt in der realen Welt singen. Manchmal hört es sich an, als heule der Wind durch leere Gänge. Ganz zum Schluss des Songs gibt es wieder dieses Pfeifen, ein bisschen wie das Pfeifen in einem dunklen Wald. Das Labyrinth des Unsichtbaren ist betreten worden.
Die Strophe über die Millionen Korridore spielt mit Themen wie der Abkapselung von der Umwelt und dem Versenken in die eigene Vorstellungs- und Gedankenwelt. Es geht um eine „Loslösung von der Wirklichkeit zusammen mit dem relativen oder absoluten Überwiegen des Innenlebens“ (so 1911 vom Schweizer Psychiater Bleuler zum Themas Autismus, [4]). War Kate als Teenager nicht auch sehr introvertiert? Und scheute sie nicht jahrelang die Öffentlichkeit? Hochbegabungen und ein in sich selbst Zurückziehen sind nicht selten gekoppelt. Meiner Ansicht nach spricht viel dafür, dass sie hier auch ein Lied über sich selbst geschrieben hat, über ihre Situation in den zwölf Jahren vor „Aerial“, über ihr langjähriges Verschwinden, über ein dadurch mögliches befreites und selbstbestimmtes Leben. „How to be invisible“ ist Kate Bushs dargelegter Zauber, vor der Welt unsichtbar zu werden. Es ist aber auch ein Lied darüber, welche unbekannten Welten sich öffnen, wenn man so wie sie als Teenager den Schritt in die Musik wagt.
Das Schöne an „How to be invisible“ ist, dass es trotz dieser vielen verschiedenen Bezüge eine Einheit ist. Es zeichnet Kate Bush aus, dass sie fast spielerisch ganz gegensätzliche Elemente zu etwas Perfektem verschmelzen kann. Sie wirft merkwürdige Ingredienzen in ihren Kessel und heraus kommt ein Zauber. Genau das ist ihre Hexenkunst.
Achim/aHAJ)

[1] Graeme Thomson: Kate Bush. Under the ivy. 2013. Bosworth Music GmbH. S. 379
[2] Jim Irvin: Aerial. Mojo 12/2005
[3] „The Del Palmer Interview“. Homeground 78. S.16
[4] http://www.autismus-nordbaden-pfalz.de/autismus.htm (gelesen 30.12.2014)

Bilderbuch: How to be invisible (8/8)

© Jenny Lumelsky

© Jenny Lumelsky

You take a pinch of keyhole
And fold yourself up
You cut along a dotted line
You think inside out
You jump ‚round three times
You jump into the mirror
And you’re invisible

Bilderbuch: How to be invisible (7/8)

© Jenny Lumelsky

© Jenny Lumelsky

Is that the wind from the desert song?
Is that the autumn leaf falling?
Or is that you walking home?
Is that a storm in the swimming pool?

Bilderbuch: How to be invisible (6/8)

© Jenny Lumelsky

© Jenny Lumelsky

Corridors that lead to the world
Of the invisible
Corridors that twist and turn
Corridors that blister and burn

Bilderbuch: How to be invisible (5/8)

© Jenny Lumelsky

© Jenny Lumelsky

You stand in front of a million doors
And each one holds a million more

Bilderbuch: How to be invisible (4/8)

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© Jenny Lumelsky

I found a book on how to be invisible
On the edge of the labyrinth
Under a veil you must never lift
Pages that you must never turn
In the labyrinth

Bilderbuch: How to be invisible (3/8)

© Jenny Lumelsky

© Jenny Lumelsky

Eye of Braille.
Hem of anorak.
Stem of wallflower.
Hair of doormat.

 

Bilderbuch: How to be invisible (2/8)

© Jenny Lumelsky

© Jenny Lumelsky

And you’re invisible

Bilderbuch: How to be invisible (1/8)

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© Jenny Lumelsky

I found a book on how to be invisible
Take a pinch of keyhole
And fold yourself up
You cut along a dotted line
You think inside out

Wie man sich unsichtbar macht…

620htbi1Es ist schon drei Jahre her, da hat Jenny Lumelsky an der Bezalel Academy of Art and Design – der staatlichen Kunst- und Designhochschule in Jerusalem – ihre Abschlussarbeit vorlegen müssen. Entstanden ist ein wundervolles, kleines Bilderbuch, inspiriert vom Text zu dem Song „How to be invisible“ von Kate. „Ich liebe diesen Song, aber eigentlich finde ich alle Texte von Kate sehr inspirierend“, sagt Jenny, die heute in Tel Aviv lebt und als freischaffende Illustratorin und Grafik-Designerin tätig ist. Seit 2011 hat sie an mehreren Ausstellungen in Warschau, Stettin, Berlin, Jerusalem, Posen und Tel Aviv teilgenommen, schreibt eigene Kurzgeschichten, die sie bebildert und hat das Märchen von „Die Schneekönigin“ von Hans Christian Andersen neu visualisiert. Mit der freundlichen Genehmigung von Jenny Lumelsky folgen in den nächsten Tagen hier im Blog ihre acht Bilder zu „How to be invisible“, unmittelbar danach gibt es eine Analyse des Songtextes von Achim.