Jede(r) kennt das: Man weiß in einer bestimmten Situation, dass man Liebe hätte geben sollen, aber es war einfach nicht möglich. Dieser Schmerz über nicht angekommene, nicht zu erwidernde, verpasste, fehlgeleitete, verlorene Liebe trifft den, der sie nicht geben kann, vielleicht sogar am meisten. Aus diesem Schmerz hat Kate Bush einen ihrer – zumindest für mich – intensivsten Songs gemacht. Kate umarmt verschiedenste musikalische Stilistiken von Klassik über Jazz bis Experimentalpop und baut eine ihrer unvergleichlichen Klangcollagen zu einem bewegenden Klagegesang.
Die Grundstimmung dafür legt ein lautloses, männliches Hauchen zusammen mit einem chromatischen Motiv auf dem Piano, ein seufzender Atemzug, der im Stück immer wieder auftaucht. Der singende Bass von Del Palmer erinnert an die Spielweise von Eberhard Weber, und er führt zur Stimme von Kate hin. Sie hat in diesem Stück einen niedergeschlagenen, verzweifelten, verletzten Ton, und sie schwingt sich am Ende der Strophen zu fast orientalisch klingenden Melodiewindungen empor. Dazu passt auch der Text. Interpretiert man ihn ganz wörtlich, sieht man zunächst eine Sterbebettszene: Alte Freunde beweinen die Dahinscheidende, um die sie sich zu Lebzeiten viel zu wenig gekümmert haben. Dann abstrahiert Kate: „Only tragedy allows the relief of love and grief never normally seen.“ Nur in Extremsituationen können wir die Liebe und den Kummer rauslassen, die sonst zurückgehalten werden, weil wir uns schämen, zu starke Gefühle zu zeigen.
In der letzten Strophe wird es persönlich, hier spricht Kate ohne Zweifel von sich selbst: „The next time I dedicate my life’s work to the friends I make.“ Sie opfert sich und ihre Kunst für ihre Freunde auf, doch die verstehen sie nicht. Die Angst, die ihr das bereitet, ist nicht nur die Angst der Isolation im zwischenmenschlichen Bereich, sondern auch die Furcht der Künstlerin, als „weird“ abgeurteilt zu werden. Ironischerweise ist das ja gerade nach der Veröffentlchung von „The Dreaming“, auf dem „All the love“ ja zu finden ist, ganz massiv passiert.
Um die Wirkung zu steigern, hat Kate in verschiedenen Songs immer wieder zu einer fremden vokalen Sphäre gegriffen, etwa der georgische Chor in „Hello Earth“, oder die bulgarischen Stimmen in „Song Of Solomon“. Hier ist es auch so: Der Chorknabe Richard Thornton singt als Bridge zwischen Strophen und Refrain die Zeile „we needed you to love us too, we wait for your move“. Während diese Zeile gesungen wird, kommt der Rhythmus zum Erliegen, nur röchelnde Fairlight-Seufzer in verschiedenen Tonlagen begleiten die helle Jungenstimme, die wie ein verletzter Geist aus dem Jenseits mahnt. Es ist die vielleicht eisigste Stelle im gesamten Werk von Kate Bush. Daraufhin setzt der Refrain ein, der wiederum ein einziger Seufzer ist: „All the love you should have given“. Die Verzweiflung über die nicht gegebene Liebe wird so groß, dass sie keine Worte mehr findet und nur noch hilflos „all the love, all the love, all the love“ stammelt.
Den Abspann des Songs hat Kate mit einem genialen Kniff versehen. Zum einen rhythmisiert sie nun den Gesang des Chorknabens, zum anderen gibt es eine endlose Parade von Abschiedsgrüßen, die sie auf dem Anrufbeantworter gesammelt hatte. „So now when they ring, I get my machine to let them in“, heißt es am Ende der vorangegangenen Strophe. Zwischen sich und ihre Freunde hat sie eine Maschine geschaltet – die Angst vor dem Kontakt hat über die Bereitschaft zur Kommunikation gesiegt.
„All the love“ ist ein unter die Haut gehendes Psychogramm – über die Unfähigkeit und die verpassten Gelegenheiten, Emotionen zu zeigen. Aber es ist auch ein Hinweis auf die bedrohte Privatsphäre einer Künstlerin, die den Rückzug brauch,t um schöpferisch zu sein. Die eine solche Menge an Liebe, wie sie Fans von ihr fordern, unmöglich geben kann. Auf dieser Deutungsebene ist diese großartige Ballade auch ein heimlicher Verwandter von „Get Out Of My House“. Last but not least: Eine Coverversion, die die Atmosphäre von „All the love“ kongenial auf alte Instrumente überträgt, hat Alphan Music geschaffen. (Stefan)
Feb 08 2015
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