Paddy im Interview: Kate arbeitet an einem neuen Projekt

Foto: Stefan Franzen

Im zweiten Teil des Interviews mit Paddy geht es nochmal um die Musik Madagaskars, um Paddys musikalischen Projekte, um seinen Beitrag zu den Before the dawn-Konzerten und die wichtigste Frage überhaupt – wie sieht es mit einem neuen Kate-Projekt aus?

Kehren wir nochmal zur madagassischen Musik zurück. Du bist einer der wenigen Europäer, wenn nicht der einzige, der die madagassischen Instrumente spielt. Was macht es für Europäer so schwierig, sie zu spielen? Sind das wirklich bloß die Rhythmen?

Paddy: Die Rhythmen sind unglaublich schwierig. In traditioneller europäischer Musik gibt es immer eine Wechselbeziehung zwischen den Beats und den betonten Noten der Melodie. Du schlägst also automatisch mit dem Fuß den Takt. So aber funktioniert madagassische Musik nicht. Die Betonung des Beats kann sich verschieben. Die Madagassen verstehen das, Leute von auswärts nicht. Die Madagassen schlagen den Takt an einer ganz anderen Stelle als da, wo die Europäer den Rhythmus hören. Es dauert unglaublich lange, bis man lernt, wie man die Betonung verschiebt. Nur wenn du madagassische Perkussion studierst, kannst du das schaffen. Die Musik der Tromba wird immer von einer Rassel namens Kaiamba begleitet, ein verschobener Rhythmus. Du denkst, du hörst die starke Zählzeit, aber der Rhythmus liegt auf dem nächsten Beat. Vielleicht zählen sie für einen 12/8-Takt also vier Gruppen von drei. Die erste Note des Songs ist oft gar nicht hörbar, die letzte Note einer Melodie kann die erste sein. Eine magische Symmetrie. Ich habe zwei Alben mit einem sehr talentierten madagassischen Musiker namens Paskaal Japhet produziert. Ein sehr cleverer Perkussionist und Komponist. Als Bezahlung für die Produktion bat ich ihn, mir die Rhythmen in all meinen Lieblingsstücken seit den 1980ern zu markieren. Das war die Hölle!  Keines der Stücke, die ich gelernt hatte, hatten die Rhythmusbetonung dort, wo ich sie vermutet hatte. Den Paddy, den du heute vor dir siehst, ist ein bisschen wie ein Phönix, der aus der Asche aufgestiegen ist. Denn ich hab die madagasssiche Musik drei mal aufgegeben. Das letzte Mal, das ich sie aufgegeben hatte, war ich so desillusioniert, dass ich stattdessen anfing, Glasbearbeitung zu lernen. Eine Sache, die die Ahnenverehrung begleitet, ist die: Für deine Probleme verschreibt man dir bestimmte Perlen. Die Ahnen kennen deine Probleme, und wenn du an einer Zeremonie teilnimmst, dann werden sie dir verschiedene Perlen verschreiben, und die haben fantastische Namen. Es ist wie Schmuckmedizin. Die Namen, die sie tragen, sind etwa: „Lass dich nicht herumschubsen“ oder „König der Welt“ oder „Zusammenhalt“, es gibt Hunderte von ihnen und die Madagassen kennen sie alle auswendig. Doch seltsamerweise sind sie alle aus Plastik. Diese Perlen beschützen dich, geben auf dein Vieh acht, bringen Liebe in dein Leben, bewahren dich vor dem Bösen. Doch auf meiner gesamten Reise habe ich nie eine einzige Perle aus Glas gesehen. Plastik ist halt billiger. Wenn du also deine Liste von verschriebenen Perlen mit auf den Markt nimmst, dann gehst du in den Teil wo sie Kräutermedizin verkaufen. Viele Leute tragen diese Perlen, aber niemals aus Glas. Als die madagassische Musik mir also zum dritten Mal eine Niederlage zufügte, habe ich sie komplett aufgegeben, zwei Jahre lang, und ich habe mich total auf die Herstellung von Perlen aus Glas konzentriert. Die wurden sehr erfolgreich in Madagaskar. Ich hatte eine hochbegabte Lehrerin namens Diana East. Ihr brachte ich die madagassischen Plastikperlen und fragte sie, wie man die aus Glas machen könnte.

Was hat dich dann doch wieder zur Musik zurückgebracht?

Paddy: Eines Tages ist etwas passiert. Ich spielte bei einer Aufnahme mit einer Rassel mit. An der Rassel zeigt sich, ob du madagassische Rhythmen verstehst oder nicht. Wegen dieser verschobenen Zählzeiten wurde ich jedes Mal, wenn ich die Musik hörte, ängstlich, denn ich verstand sie nicht. Ich fühlte mich wie ein Heuchler, als würde ich diese Musik nur imitieren, wie ein Chinese, der einen Elvis Presley-Song singt, nur dass das hier auch noch in einem spirituellen Kontext geschah. Sie sagten zu mir: „Paddy, wir sehen ja, dass du die Rhythmen nicht verstehst. Aber was du mitbringst, ist Liebe! Und die hören wir, wenn du spielst. Und eines Tages wirst du die Rhythmen verstehen.“ Eines Tages also spielte ich mit der Rassel und mir fiel etwas auf, was ich zuvor nicht bemerkt hatte: Der Rhythmus der Rassel schien sich zu verschieben. Und irgendetwas in mir, was nicht intellektuell war, fand seinen Weg. Ich fühlte mich, als würde ich zuhören und nicht, als würde ich es beeinflussen. Ich wurde mir bewusst, dass ich eine unglaubliche Ignoranz gegenüber der Formbarkeit von Rhythmus hatte. Die ganze Zeit kamen meine Wurzeln aus der Folkmusik zurück und zwangen meinen Fuß, den Takt falsch zu schlagen. Und ich fragte meine madagassischen Freunde: „Wie könnt ihr da den Takt klopfen und hier spielen? Und sie lachten einfach. Aber als es das erste Mal klappte, da war es mehr als magisch. Der ganze intellektuelle Scheiß wurde ausgeblendet und plötzlich hatte ich eine ganz andere Beziehung zum Rhythmus. Es hat alles verändert. Ich habe erneut die Stücke von Pascal angehört und bekam keine Angst mehr. Denn ich konnte den Beat hören und er war schon vor dem Einsatz der Rassel da. Er ist an einem unsichtbaren Platz. Endlich hat der Rhythmus zu mir gesprochen. 25 Jahre habe ich gebraucht, um die madagassische Musik zu verstehen. Die Musik in Madagaskar unterscheidet sich von Region zu Region so stark, dass die Menschen die Traditionen ihrer Nachbarregionen nicht verstehen. Sie verwenden die gleichen Rhythmen und Skalen, aber sie können sie nicht verstehen. Als Justin zum ersten Mal die Musik der Vezo-Fischer aus dem Südwesten hörte, dachte er, dass es nicht ein Solist auf der Marovany sei sondern zwei. Der Gitarrist hat ihn darauf aufmerksam gemacht: „Justin, das ist ein einziger Typ, der das spielt!“ Justin pfiff durch die Zähne und schaute ziemlich verzweifelt. Die Leute vom Hochplateau verstehen nicht unbedingt die Rhythmen aus dem Süden und umgekehrt. Aber es gibt eine Art magische Brücke zwischen der Musik der Küstenregion und der des Hochplateaus, und das ist Rakotozafy. Jeder liebte Rakotozafys Melodien. Die Merina-Leute sagten: „Ok, er ist nicht von hier, aber er hat wirklich sehr schöne Melodien.“ Das gleiche gilt für die Leute an der Küste: Sie denken, er lebt noch, obwohl er 1970 gestorben ist.

Wie siehst du deine Rolle als Produzent von madagassischer Musik? Wolltest du mit den Alben, die du für Justin und Paskaal Japhet gemacht hast, die madagassische Musik in die Zukunft bringen, sie zugänglicher für Europäer und vielleicht sogar für die madagassische Jugend machen?

Paddy: Ich denke, das stimmt. Ich sehe meine Rolle als Produzent wie ein unsichtbares Bindeglied zwischen dem Musiker und seiner Musik. Justin oder Pascal sind vertraut mit der Arbeit in einem Vielspurstudio. Ich wollte nicht, dass sie sich zu sehr mit der technischen Seite befassen. Alle frühen Alben von Kate sind ja entstanden wie die Malerei in der Decke der Sixtinischen Kapelle. Da passiert so viel auf den verschiedensten Ebenen! Die 1970er waren voll mit Alben, die im Studio zusammengesetzt wurden, das war das Handwerk, das wir gelernt haben. Madagassische Musiker mit ins Studio zu nehmen und mit ihnen das Gleiche zu tun, hat ihre Musik in einer Art und Weise befreit, zu der sie vorher nicht fähig gewesen wären. Aber ich muss sagen, auch wenn es fantastisch ist, die Sixtinische Kapelle im Studio zu malen, ist es kein Ersatz für eine wirklich herausragende Liveperformance, wie zum Beispiel einige Sachen, die ich im Vortrag  gespielt habe, zum Beispiel Justin Renés Akkordeon. Kein Multi-Tracking, kein Hall, nichts. Für mich ist es eine atemberaubende, fantastische Sache, dass es Musiker gibt, die zu so etwas fähig sind, mit nichts anderem als ihrem Instrument. Sie nehmen dich an einen Ort mit, und egal, wie viele Sixtinische Kapellen du gestaltet hast, das kannst du nicht vergleichen mit so mancher Musik in Madagaskar. Für mich hat das die Musik von allen anderen Orten der Welt verdorben, nichts klingt so gut, wie die madagassische Musik. O.k., nicht alles aus Madagaskar klingt fantastisch. Es gibt furchtbares Zeug. Ein Genre, das Justin liebt und ich nicht ausstehen kann. Eine Art milde klassische Musik, in der mehrstimmiger Gesang vorkommt, der sehr schmalzig ist, für mich eine Folter. Aber Justin liebt es und ich schaue ihm gern zu, wie er darauf reagiert! Und es gibt auch schlimme Popmusik. Ich habe davon gesprochen, wie bedroht madagassische Tradition ist, da die Musik von woanders so beliebt ist. Aber die Madagassen spielen immer noch ihre madagassische Musik. Sie spielen sie auf Gitarren und Keyboards, und statt der Rassel haben sie nun einen ganzen Schlagzeugaufbau. Doch die Musik, die sie damit mache,n ist immer noch ein Teil der lebendigen Tradition, sie spielen sie halt auf westlichen Instrumenten.

An dieser Stelle macht Paddy einen langen Exkurs über die madagassische Spiritualität, der in einer unglaublichen Anekdote gipfelt: Als eine große Anzahl von Riesenschildkröten aus einer Aufzuchtstation gestohlen wurde, hat er diese mithilfe eines Mediums wiedergefunden, das ihm den exakten Aufenthaltsort des Diebesgutes auf der Insel La Réunion verriet. Die Polizei wollte den Angaben zunächst gar nicht nachgehen, doch die mit einer Nummer gekennzeichneten Tiere waren tatsächlich dort. Ich schwanke mittlerweile zwischen Faszination über seine Geschichten und einem ständigen Unbehagen über die fortgeschrittene Zeit. Schließlich wartet seine Freundin Eva Keller schon lange auf die Abfahrt…Und so wage ich die Schlusskurve mit einigen wenigen Fragen zur Gegenwart und Zukunft.

Paddy, du hast heute Abend im Vortrag „Love And Anger“, „Eat The Music“ und „The Red Shoes“ gespielt, sehr hörbare Einflüsse auf die Musik von Kate. Wie sieht es heute aus? Bist du immer noch als musikalischer Ratgeber für sie tätig?

Paddy: Vor drei Jahren haben wir zusammengearbeitet. Für „Before The Dawn“ lud sie mich ein, einigen beteiligten Musikern bei bestimmten verwendeten Instrumenten mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Jetzt gerade arbeiten wir an völlig verschiedenen Sachen. Was Kates Projekt betrifft, darüber kann ich dir nichts sagen, das ist geheim. Das tut mir sehr leid! Ich selbst arbeite an zwei CDs, die 2018 veröffentlicht werden, eine neue CD mit Justin Vali und ein neues Bushtucker-Album mit meinem Freund Colin Lloyd-Tucker. Da freue ich mich sehr drauf, denn beim ersten Album hatten wir eine Plattenfirma, die nicht gerade aufrichtig war. Wir wissen, dass wir einen Haufen Platten verkauft hatten, und sie haben uns die exakten Zahlen verheimlicht. „Skypscraping“ war ein absolutes finanzielles Desaster. Dieses werden wir ganz unter unserer Kontrolle halten. Das Justin Vali-Album wird sich aus dem Material heraus entwickeln, das wir für die BBC gemacht haben. Wir haben ein paar Stücke für sie aufgenommen, die auf dem „10 Years of World Routes“ drauf sind. Mein Albtraum war es, dass die BBC mich fragen würde, live zu spielen. Lange im Voraus hatte ich ihnen gesagt, dass ich das niemals tun würde. Und dann kamen wir zum Festival und der Produzent sagte: „Würde es euch was ausmachen, eine Livenummer zu spielen? Und ich konnte mich selbst sagen hören: „Kein Problem!“ Da waren wir also und spielten dieses wunderbare Stück. Und in dem Moment fühlte ich, wie es im ganzen UK aus den Radios kam, im schottischen Hochland, im Süden, und wie es über den World Service der BBC in die ganze Welt ausgestrahlt wurde. Es war ein wunderschönes Gefühl, es fühlte sich richtig an. Im Unterschied zu allem, was ich in der Folk-Welt oder im Popmusikgeschäft getan hatte, ist das Musik, die etwas ganz Besonderes in sich trägt. Wenn du einmal eine Vorliebe für madagassische Musik entwickelt hast, dann klingt alles Andere nicht mehr so gut. Also: Diese beiden Sachen werden nächstes Jahr rauskommen.

Ich glaube jeder, der bei einer der „Before The Dawn“-Shows dabei war, wird sein Leben lang davon erzählen. Was hat dir an den Konzerten am besten gefallen?

Paddy: Kate hat die „Before The Dawn“-Shows vor allem gemacht, um das unglaubliche Talent ihres Sohnes Bertie zum Leuchten zu bringen. Ich bin wahnsinnig stolz auf ihn, er ist ein ganz außergewöhnlicher Mensch. Er studiert im Moment Physik in Oxford auf einem sehr hohen Level. Für mich ist er der perfekte Renaissance-Mann, es gibt nichts, was er nicht tun kann: Bertie kann schauspielern, er kann Instrumente spielen, er kann singen, tanzen und er kennt sich mit Astrophysik aus. Zum Geburtstag habe ich ihm die Feynman Lectures geschenkt, das sind sehr komplexe physikalische Theorien, Bücher so dick wie Telefonverzeichnisse voll mit Formeln. Ich habe sie ihm gekauft, um zu testen, wie ernsthaft sein Interesse an Physik tatsächlich ist. Er hat das in ein paar Tagen durchgeackert und alles verstanden. In diesen Konzerten gab Kate ihm also die Gelegenheit, seine Talente vorzustellen. Er hat eine große Zukunft.
Aber natürlich ging es in den Konzerten nicht nur darum, es gab auch andere wunderbare Momente, aber Kates Liebe für ihren Sohn war nur eines der Dinge. Die Zeitlupenfilme, die sie verwendete, als die den Flug der Vögel zeigte, Vögel, die spirituelle Wesen wurden. Diese wunderbaren slow motions, die perfekt mit ihrer Musik verschmolzen sind. Fantastisch. Und der Minimalismus und die Strangeness, die die Kulisse ausstrahlte, die Bühne hatte eine einfach umwerfende Atmosphäre. Die größte Magie in diesen Shows für mich war aber Kate, wie sie da am Klavier saß und sang. Das ist die wahre Kate Bush, die ich kenne. Die Muse, die bei ihr ankam, als sie zehn Jahre alt war. Die Beziehung, die sie zum Piano hat, ist etwas, das so grundlegend und tief ist. Sie ist eine wunderbare Tänzerin und Schauspielerin, aber die Krönung für mich war, wie Kate am Piano sitzt. Diese Momente aus den Konzerten gehen mir immer noch im Kopf herum. Das war so wunderschön. © Stefan Franzen

1 Kommentar

  1. Man könnte Paddy stundenlang zuhören, ein Mensch voller außergewöhnlicher Geschichten. Daß Kate’s neues Projekt geheim ist, verwundert nun ja gar nicht ;-).

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