Paddy im Interview: Violinen mit Armen und Beinen und das Geheimnis der Cutty Sark (Teil 1)

Paddy und Stefan im Forum Schlossplatz, wo nach dem Vortrag die Gelegenheit zum Interview bestand.

Die Schlusstakte von „The Red Shoes“ verklingen, Paddy beantwortet ein paar Fragen und ich blicke unruhig auf meine Uhr. Er sei etwas müde, denn um in die Schweiz zu kommen, war er sehr früh aufgestanden, hat man uns am Anfang schon gesagt. Zudem hat er deutlich die vorgesehene Zeit seines Vortrags überschritten. Im Geiste schreibe ich das versprochene Interview schon ab, oder stelle mich darauf ein, dass ich mich mit einem Viertelstündchen begnügen muss. Doch nach etlichen Handshakes und Selfies mit den Gästen stellt mich Eva Keller ihm vor, und er setzt  überhaupt keine zeitliche Begrenzung. Er hat nur eine Bitte: Eine Tasse Tee möchte er gerne haben. Und so sitzen wir in gemütlichen Ledersesseln in einem hohen Raum mit einem bemalten Fries unter der Decke und starten. Vielmehr: Paddy startet, denn wie sich schnell herausstellt, kann man diesen unvergleichlichen Geschichtenerzähler wenig lenken und erst recht nicht stoppen. Aus dem befürchteten Viertelstündchen werden sagenhafte 70 Minuten, während derer ich meinen Fragezettel bald wegwerfe und einfach zuhöre. Wie wir auf das Eingangsthema kommen, ist mir im Nachhinein schleierhaft: Weit holt Paddy aus über die Unterschiede des Musizierens zwischen den 1920ern und 1960ern. Die Uilleann pipes (der irische Dudelsack) und die sardischen Launeddas klingen auf alten Aufnahmen sehr kantig, Staccato-haft, in den Sechzigern sei dann plötzlich ein Flow in die traditionelle Musik hineingekommen, an vielen Orten der Welt unabhängig voneinander. Ein Bewusstseinssprung, wie mit den Affen, die Kartoffeln waschen, werfe ich ein. Ja, oder wie mit den Schafen in Wales, die gemerkt haben, dass sie über das cattle grid rollen können und dann in die Gärten der Nachbarn eingedrungen sind, um sie zu verwüsten, sagt Paddy. Das wird ein lustiges Gespräch, denke ich mir. Und nutze eine Sekunde, in der er am Tee nippt, um ihn zu fragen, wie er denn ursprünglich zur Musik gekommen ist.

Paddy: Auf der Seite meiner Mutter gab es viele traditionelle Musiker aus Irland. Mein Großvater war auch ein Instrumentenbauer. Sie waren arm, um also Zugang zu bestimmten Dingen zu bekommen, mussten sie sie selbst herstellen. Und ich vertrete die gleiche Sichtweise: Einige Dinge, an die du nicht rankommst, musst du dir eben selbst bauen.

Keltische Musik war also der Startpunkt für dich?

Paddy: Es war das Folkrevival der 1960er, das für mich den Ausgangspunkt bildete. Ich machte meine erste Feldaufnahme von traditioneller englischer Tanzmusik als ich dreizehn war. Ich hatte ein Tonbandgerät, das unglaublich viele Batterien verbrauchte, aber Aufnahmen von fantastischer Qualität machte. Das war noch das Zeitalter vor den Kassettenrekordern. Ich habe traditionelle Musik immer geliebt und hatte immer eine sehr fixierte Sicht auf Musik als die einzig wahre Religion. Aber es kamen eben immer wieder Dinge vorbei, die meinen Glauben komplett zerstört haben. 1960 sangen wir alle Folksongs ohne Begleitung. Als ich dann zum ersten Mal bulgarische Musik gehört habe, konnte ich das nicht glauben. Diese Tiefe der Gefühle hat mich erschreckt! Es war, als ob unsere eigene Musik keine Gefühle hätte! Trotzdem muss ich sagen, dass einige der bulgarischen Texte nicht an die Melodien herankommen. Es kann also passieren, dass du wegen einer Melodie anfängt zu weinen, aber wenn du dann den Text übersetzt, dann ist das überhaupt nicht interessant. Als ich es schaffte, das Trio Bulgarka zu einer Zusammenarbeit mit Kate zu bewegen, kam ich im Studio an und die Damen nahmen mich in ihre Arme und fingen ganz nahe an meinen Ohren an zu singen. Sie haben nicht aufgehört, bis ich in Tränen ausbrach. Das war ihre Art, danke zu sagen. Das werde ich nie vergessen, diese unglaublich schöne Musik. Doch das Gleiche war mir eben früher auch mit der irischen Musik meiner Familie passiert. Die Familie meiner Mutter kam aus dem County Waterford im Südosten. In London ging ich in eine Schule, die voll mit Söhnen irischer Eltern war. Einer dieser Jungen war der irische Fiddler Kevin Burke, der Tanzmusik aus Sligo spielte (Anmerkung des Autors: Kevin spielte später bei der irischen Supergroup Planxty und ist der Fiddler auf „Violin“). Ich will die Musiker aus Waterford nicht verunglimpfen, aber mein Gott, dieser Typ konnte spielen! Ich ging eines Tages an der Schule entlang, und aus dem Gebäude kam diese Musik. Ich dachte, ich würde halluzinieren. Kevin war ein Wunderkind, er war damals gerade 15, 16 Jahre alt und spielte diese komplexe, phänomenale irische Fiddlemusik. Der Flow war unglaublich, die Komplexität der Rolls und Triolen verblüffend. Ich wurde süchtig nach dem Fiddlestil aus Sligo. Zwei Jahre habe ich gebraucht, um gerade einmal eines der grundlegenden Ornamente zu lernen, den Roll. Nur unter großen Mühen machte ich Fortschritte. Aber ich hatte die Vorstellung, dass es doch toll wäre, an einer der irischen Tanzmusikwettbewerbe teilzunehmen, einfach zum Spaß. Also fragte ich Kate, ob sie ein paar Akkorde auf dem Klavier lernen würde. Es gab diese fantastischen Aufnahmen von traditioneller irischer Tanzmusik mit einem Klavier im Hintergrund. Alle Folkies haben sie gehasst, das Piano war für sie des Teufels, es musste eine Gitarre dabei sein bei den Puristen. Da gab es diese Frau namens Bridie Lafferty und sie spielte ein grauenhaftes Piano zu der unglaublichen Fiddle, oft in einer völlig anderen Tonart. Also fragte ich Kate: „Kannst du bitte lernen, wie Bridie Lafferty zu spielen? Mein Vater zeigte ihr daraufhin einige Akkorde auf dem Klavier, eigentlich nur zwei, und sie hat das unglaublich schnell kapiert, ganz anders als ich auf der Geige.

Wie alt war sie da?

Paddy: Sie muss da ungefähr zehn Jahre alt gewesen sein und ich fünfzehn. Was passierte, ist, dass es ihr langweilig wurde darauf zu warten, dass ich mal irgendwann den Fiddlepart spielen konnte. Denn ich habe einfach zu spät angefangen. Wenn du anfängst Geige zu spielen, dann brauchst du einen Onkel, der dir eine Kopfnuss gibt, wenn du falsch spielst. Und du musst jung anfangen, damit sich die Knochen in deinem Handgelenk noch ein bisschen verformen können und du nicht das Gefühl in allen Fingern verlierst, wenn du spielst. Mit all diesen Problemen hatte ich zu kämpfen. Kate wurde also überdrüssig mich zu begleiten, sie rann davon und fing an, ihre eigenen Sachen zu schreiben. So kam sie zum Songwriting! Es hat für uns alle mit der keltischen Musik angefangen und sich dann in eine völlig andere Richtung entwickelt.

Aber die irische Musik kommt ja immer wieder hoch in ihren Songs, etwa in „Night Of The Swallow“ oder im „Jig Of Life“, wo sich Irisches mit einer griechischen Melodie verknüpft. Dieser Song interessiert mich sehr, da er einer meiner Liebelingssongs von Kate ist. Hast du diese Melodie entdeckt?

Paddy: Oh ja, habe ich, eine Melodie aus dem Anastenaria-Ritual. Ich erzähl dir, wie der „Jig of Life“ zustande kam: Anastenaria ist ein außergewöhnliches Ritual, dass in Nordgriechenland und Bulgarien praktiziert wird. Das Verblüffende ist, dass diese alten Leute auf dem Feuer tanzen, und zwar minutenlang. Es ist nicht wie der jamaikanische Feuertanz, den ich im Fernsehen gesehen habe, wo die Leute einfach mal drei kurze Schritte übers Feuer tänzeln und das war‘s. Diese Leute schlurfen richtig in den Flammen herum. Dass sie das können, liegt am Timing mit der Musik und an ihrem tiefen Glauben. Dieses Ritual geht weit, weit zurück bis in dionysische Zeiten. Ich verfiel diesem Rhythmus, der auf der Tupan gespielt wurde. Eine außergewöhnliche Trommel, bei der ein dünner Schlegel auf der Seite ruht und der andere Schlegel spielt, das gibt einen rasselnden Effekt wie bei der Snare Drum. Für mich hört sich das an, als würde das ganze Haus knarren und sich bewegen. Dazu tanzen die Leute und halten diese wunderschönen Ikonenbilder im Namen des Heiligen Konstantin.

Wie hat sich dann die ursprüngliche Musik aus den Ritualen zu dem entwickelt, was wir auf „Hounds of Love“ hören? Hast du das arrangiert?

Paddy: Ich habe es nach Irland mitgenommen und es einer Gruppe von irischen Musikern gelehrt. Bill Whelan wurde als Produzent ausgewählt, um sie zu gruppieren. Meine Aufgabe war im Grunde, drei Tage nach Irland zu gehen und Bill Whelan diese Melodie beizubringen.

Ich möchte dich unbedingt etwas über deine seltsamen Instrumente fragen, die man ja auch auf Kates Alben hört, wie zum Beispiel das ominöse Strumento de Porco auf „Kashka From Bagdad“ und „Egypt“ (hier zeigt Paddy es bei 13‘06). Mit den ganzen Instrumenten, die du gebaut hast, hättest du ja eigentlich viel mehr CDs veröffentlichen können als du es getan hast. Sind das also eher Auftragsarbeiten für andere Musiker gewesen?

Paddy: All diese Instrumente habe ich gebaut, als ich Instrumentenbau studiert habe. Das waren alles Projekte aus Leidenschaft. Was das Strumento de Porco angeht: Sie wollten, dass wir eine Kantele bauen, eine finnische Kastenzither. Aber das war mir zu simpel, ich wollte etwas Komplizierteres bauen. Ich schaute ein mittelalterliches Stundenbuch aus Italien durch und fand eine Illustration, auf der ein Engel ein Instrument spielte, das da „Strumento De Porco“ genannt wurde und tatsächlich die Form eines Schweins hatte, im Grunde war es ein Psalterium. Es ist verrückt: In London liegt seit den 1960ern ein Schiff aus dem 19. Jahrhundert namens Cutty Sark in den Docks, ein Klipper, der im Einsatz war, um Tee aus China zu transportieren. Ich liebte dieses Schiff, und eines Tages ging ich dort spazieren und sah, dass sie Restaurierungsarbeiten vornahmen. Sie ersetzten einige Stücke, die in die Planken hineingehen, um sie wasserfest zu machen. Sie brachen die alle raus und arbeiteten sich immer weiter im Rumpf nach unten vor. Es wurde Abend und niemand war mehr in der Umgebung zu sehen. Also kletterte ich rein, mit dem Schatten dieses gigantischen Schiffsrumpfes über mir, und ich stahl fünf oder sechs dieser Stücke, die aus Eisenholz gefertigt waren, ein so hartes Holz, das jede Säge davon stumpfe Zähne bekommt. Die Rückseite des Strumento de Porco ist aus dem Holz der Cutty Sark gemacht. Das habe ich bisher niemandem erzählt. Naja, die Teile lagen da halt rum und ich dachte, sie schmeißen sie ohnehin weg. Das war eine wertvolle Quelle: Holz, das vielleicht Hunderte von Malen nach China und zurück gereist war, über die verrücktesten Meere der Welt.

Würdest du sagen, das war das verrückteste Instrument, das du gebaut hast?

Paddy: Möglich. Aber es hat einen schönen, sanften Sound, es klingt manchmal fast wie eine elektrische Klingel, denn es wird ja mit kleinen Hämmerchen gespielt.

Hast du denn deine Instrumente mal ausgestellt?

Paddy: Die Dinge haben sich auf eine etwas seltsame Weise verselbstständigt. Es war sehr frustrierend, diese Instrumente zu bauen. Unsere Standards für die Konstruktion waren sehr hoch, denn diese Instrumente waren seit ihrer Originalzeit nicht mehr gebaut worden, wir waren die ersten, die eine Rekonstruktion versuchten. Um die Unverhältnismäßigkeit zwischen der Zeit des Baus und dem Ergebnis zu verändern, fing ich an, Instrumente mit anderen Materialien zu bauen, Materialien, mit denen es schneller ging. Ich baute zum Beispiel eine ganze Serie von Instrumenten aus Filz, die sahen aus wie Barockinstrumente, waren aber dazu gemacht, um mit ihnen zu schmusen, Kuschelinstrumente. Es war wunderbar, diese Instrumente zu bauen und sie unglaublich schönen Frauen zu schenken. Die saßen dann da und haben diese schönen Instrumente gestreichelt, die ich in nur wenigen Tagen fertig bauen konnte. Ich baute also plötzlich Instrumente, die Arme und Beine hatten. Eines Tages bot man mir an, eine Ausstellung in der White Chapel Art Gallery zu machen, das war 1975 oder 1976. Ich habe wirklich eine Menge ungewöhnlicher Instrumente gemacht. Violinen mit Armen und Beinen, für die ich ein Kamasutra geschrieben habe. Es war ein Riesenspaß, diese Ausstellung zu machen. Das Tolle an Ausstellungen ist: Nicht jeder weiß, dass du der Künstler bist. Du kannst also rumstehen und die Reaktionen der Leute auf deine Arbeiten beobachten. Das ist eine schöne, indirekte Kommunikation mit den Menschen. Also: Das Strumento de Porco ist nicht das verrückteste Instrument, da sich gemacht habe! Und einige davon bringen nicht einmal Musik hervor. Aber sie machen die Menschen glücklich – oder bringen sie zum Lachen. © Stefan Franzen

Schreibe einen Kommentar

Deine Email-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Bitte ausfüllen. Danke. * Time limit is exhausted. Please reload CAPTCHA.