Das Song-ABC: Sat In Your Lap

Sat In Your Lap ist einer der bedeutendsten Songs von Kate Bush. Er stößt die Tür zu einer neuen Welt auf. Entstanden ist der Song im Spätsommer des Jahres 1980. Zeitlich sind wir hier in der „Lücke“ zwischen den Alben Never for ever und The Dreaming. Sat In Your Lap ist das erste Zeichen des Stilwandels, der sich mit dem neuen Album dann Bahn brechen wird. Es ist notwendig, sich mit dem zu befassen, was in dieser Zeit passiert ist, um diese Entwicklung nachzuvollziehen.
Zur Entstehungsgeschichte des Albums The Dreaming findet sich eine gute Zusammenfassung in der Biographie von Graeme Thomson [1]. Kate Bush fühlte sich offenbar zunehmend eingeengt durch die Art, in der die ersten drei Alben entstanden waren. Unzufriedenheit ist auch zu spüren über die Art, wie sie früher gesungen hat, Selbstzweifel waren da. Ein grundsätzlicher Wechsel musste her, eine Weiterentwicklung, ein Abbiegen vor einer möglichen Sackgasse: „I couldn’t go on forever as the little girl with the ‚hee-hee‘ squeaky voice“ [2]. Eingeengt fühlte sie sich offenbar auch immer mehr dadurch, dass sie nicht die volle Kontrolle über ihre Musik hatte, auch dies änderte sich mit dem neuen Album [3]: „[…] and I think that perhaps the biggest influence on the last album [hier ist The Dreaming gemeint] was the fact that I was producing it so I could actually do what I wanted for the first time.“ Kate Bush befand sich also an einem aus ihrer Sicht kritischen Punkt ihrer Karriere. Alles musste sich ändern.

Einen wichtigen Anstoß gab die Zusammenarbeit mit Peter Gabriel. Kate Bush war während der Aufnahmesessions für Gabriels drittes Soloalbum dabei, sie arbeitete als Backgroundsängerin bei No Self Control und Games Without Frontiers mit. Bei diesen Sessions wurde auch der charakteristische Drum-Sound für In The Air Tonight von Phil Collins entwickelt. Kate Bush war sofort von den dabei eingesetzten technischen Innovationen und den Ergebnissen fasziniert: „This whole new world struck me with awe“ [8]. Es muss eine erregende Erfahrung gewesen sein [4]: „Seeing Peter working in the Town House Studio, especially with the engineers he had, it was the nearest thing I’d heard to real guts for a long long time. I mean, I’m not into rhythm boxes – they’re very useful to write with but I don’t think they’re good sounds for a finished record – and that was what was so exciting because the drums had so much power.“
Die Integration der neuen Sounds war für Kate Bush wie eine Initialzündung [5]: „I felt as if my writing needed some kind of shock, and I think I’ve found one for myself. The single [Sat In Your Lap] is the start, and I’m trying to be brave about the rest of it.“ Der Umgang mit diesen Rhythmusmaschinen änderte grundsätzlich ihre Herangehensweise an die Musik in der Kompositionsphase: „I’m sure lots of things that I’m trying to do won’t work, but I found that the main problem was the rhythm section. The piano, which is what I was used to writing with, is so far removed from the drums. So I tried writing with the rhythm rather than the tune.“ [5]
Diese elektrisierenden Erfahrungen führten dann zur allerdings nur kurzen Zusammenarbeit mit dem Toningenieur Hugh Padgham, der diesen Sound mit entwickelt hatte. Das erste Ergebnis war die Single „Sat in Your Lap“, die dann später auch auf dem Album erschien.
Ideen für eine neue Herangehensweise waren da, aber noch fehlte der Funke, der alles entzünden sollte. Nach dem ganzen Trubel um das Album Never For Ever befand sich Kate Bush in einem Zustand großer mentaler Erschöpfung. Es gab nur kleine Ideen, aber nichts Handfestes für ein nächstes Album. Sie verbrachte sechs Monate damit, sich zu erholen, lange zu schlafen, sich mit der Familie zu treffen [8]. Die Beschäftigung mit den neuen elektronischen Möglichkeiten brauchte bloß noch einen Auslöser, um den kreativen Prozess zu starten, der dann schließlich zum Album „The Dreaming“ führen sollte.

Dieser Auslöser kam von einer ganz unerwarteten Seite. Kate Bush besuchte ein Konzert von Stevie Wonder und dieses Konzert setzte offenbar auf einen Schlag alles frei, was sich unterbewusst gebildet hatte: „When I went to see the Stevie Wonder gig and it was incredible, it was really good. And the next night I went into our home studio and wrote the song in a couple of hours and that was it, one of the quickest songs I’ve ever written“ [9]. Dieses Konzert lässt sich genau identifizieren, da es Zeugenaussagen dazu gibt, dass Kate Bush mit Freunden als Gast dabei war [10]. Es war das Konzert am 6. September 1980 in der Wembley Arena. Der Zeitpunkt ist bemerkenswert, denn zwei Tage später wurde das Album Never For Ever veröffentlicht [13] und damit begann dann wieder die Tretmühle der Promotion. Vielleicht trug dieser Releasetermin auch mit dazu bei, dass sich Kate Bush in einer Art euphorischen Aufbruchsstimmung befand.
Sat In Your Lap ist von einem vorantreibenden Sog erfüllt, wilde Trommeln, hektisches Klavier und später hektische Bläser, so etwas wie Peitschentöne, Töne wie aus einem Stammesritual – Rastlosigkeit. Es ist ein Song ohne Innehalten. Die Gesangsstimme ist tiefer als früher, zurückgenommen, ebenfalls von Ruhelosigkeit getrieben. Manchmal gibt es fast opernhafte Töne. In einer ganz anderen Tönung Einwürfe, hoch gesungen, wie Kommentare („Some say that knowledge is something that you never have“). Anklänge an Stammesrhythmen sind hier besonders deutlich, hier zeigt sich der Einfluss der Zusammenarbeit mit Peter Gabriel und des dort entwickelten Schlagzeugsounds.
Kate Bush war sich bewusst, dass sie mit diesem Song ganz neue Wege begonnen hatte. „I was really frightened about the single for a while. I mixed the song and played it to people, and there was complete silence afterwards, or else people would say they liked it to me and perhaps go away and say what they really thought“ [5]. Aber trotz der Neuheit und den neuen Tönen – es wurde eine recht erfolgreiche Single und überbrückte so gut die Zeit zwischen den Alben. Der Song wurde am 21. Juni 1981 veröffentlicht und erreichte die Nummer 11 in den Single Charts in Großbritannien [12].
In diesem Song geht es [1] um die Erkenntnis, es geht um das Streben nach spirituellem Fortschritt. „Ist Erkenntnis etwas Angeborenes, Instinktives, Sexuelles […], oder kann man sie nur durch lebenslanges Suchen und Streben […] erlangen und selbst dabei möglicherweise versagen?“ [1]. Hier wird das Kernthema des ganzen folgenden Albums angesprochen, darum geht es, das hat Kate Bush mit diesem Song und dem Album versucht zu beantworten. Erzählt wird auch von schöpferischer Frustration, was wohl dazugehört.
In Interviews hat Kate Bush recht offen über die Bedeutung dieses Songs gesprochen. „I think it’s also about the way you try to work for something and you end up finding you’ve been working away from it rather than towards it. It’s really about the whole frustration of having to wait for things – the fact that you can’t do what you want to do now, you have to work toward it and maybe, only maybe, in five years you’ll get what you’re after. [4]
Auch die Frustration über ihre Situation zu der Zeit ist zu spüren. „For me there are so many things I do which I don’t want to – the mechanics of the industry – but I hope that through them I can get what I really want. You have to realise that, say, you can’t just be an artist and not promote“ [4].
Die musikalische Struktur des Songs [6] ist sehr vielgestaltig. Besonders auffällig ist der Wechsel der Taktarten. Die Verse („I see the people working …“) stehen in einem tänzerischen 3/4-Takt. Der Refrain „“Some say that knowledge ……“) ist dann voranschreitender 4/4-Takt, mit kurzen Einschüben von 2/4-Takt. Der Chorus („I must admit …“ ) ist wieder 3/4-Takt. Die abschließende Coda („Some say …“) beginnt wieder mit 4/4- und 2/4- Takt und geht ab „In my dome …“ and „I held a cup of wisdom“ wieder in den 3/4-Takt über. Diese Wechsel bilden für mich die Zerrissenheit auch in der musikalischen Struktur ab.
Notiert ist das mit sechs b-Vorzeichen, das scheint ein Ges-Dur zu sein. Das ist eine Tonart, die maximal weit vom vorzeichenlosen C-Dur der Klarheit entfernt ist. Die Botschaft des Songs ist ja auch gerade Unklarheit. Der Ges-Dur-Akkord dominiert den Anfang des Verses und in der Coda den Schluss. Der Des-Dur-Akkord (Subdominante von Ges-Dur) bestimmt Refrain und Chorus (also die Mitte des Songs). Dabei ist ein „F“ dabei als Zusatzton, das ist weit weg von Ges-Dur. Auch die Tonartenstruktur ist also zerrissen und bildet zwei Perspektiven ab.
Zur symbolischen Analyse der Tonarten beziehe ich mich auf Beckh [7]. Ges-Dur ist eine überaus geIstige Tonart: „Ein Übergang von der Sinneswelt in die geistige Welt, ein Übergang, der über die Schwelle führt, die Wachen und Schlafen, Leben und Sterben, Tagesansicht und Nachtansicht der Welt, Sinneswelt und geistige Welt voneinander trennt.“ Ges-Dur steht für „Mysterienerlebnisse“. Es ist eine Tonart der Suche nach Erkenntnis und genau darum geht es in diesem Song ja auch.

Des-Dur als Gegenpol ist geheimnisvoller. „Ein eigenartiger Abgrund zwischen Höhe und Tiefe scheint sich in dieser Tonart aufzutun.“ Des-Dur ist nicht mehr eine „Tonart des Abgrunds, sondern einer in der Tiefe des Irdischen erlebten höchsten geistigen Höhe. In alten Mysterien sprach man in diesem Sinne vom „Schauen der Sonne um Mitternacht“. Hier haben wir also eine Tonart, in der es um das Finden einer mystischen, kaum begreifbaren Erkenntnis geht. Suche nach Erkenntnis, das mystische Finden von Erkenntnis, es sind die perfekten Tonarten für das Thema des Songs.
Ursprünglich war nicht geplant, Sat In Your Lap in das Album The Dreaming aufzunehmen. Schließlich lag mehr als ein Jahr dazwischen. Aber zum Glück ließ sich Kate Bush überzeugen. „We weren’t going to put it on initially, because we thought it had been a single such a long time ago, but a lot of people used to ask me if we were putting Sat In Your Lap on the album and I’d say no, and they would say ‚Oh why not?‘ and they’d be quite disappointed. So, as the album’s completion date got nearer and nearer, I eventually relented. I re-mixed the track and we put it on. I’m so glad I did now, because it says so much about side one, with its up-tempo beat and heavy drum rhythms–it’s perfect for the opening track.“ [11]
Sat In Your Lap ist ein toller Song, vorantreibend, hypnotisch, mit sehr persönlichem Inhalt. Musikalisch stößt er das Tor zu einer neuen Welt auf. Er ist der Keim für The Dreaming und auch für Hounds of Love. Was für einen Sprung hier Kate Bush gemacht hat, das kann man wunderbar hören, wenn man zum Beispiel das auf andere Art wunderbare Babooshka unmittelbar davor hört. Ich liebe Sat In Your Lap (und auch das wirklich skurrile Video dazu). © Achim/aHAJ

[1] Graeme Thomson: Kate Bush. Under the ivy. 2013. Bosworth Music GmbH. S. 223ff
[2] Robin Smith: Getting Down Under With Kate Bush. Unbekannte Quelle. 1982. (http://gaffa.org/reaching/i82_smi.html – gelesen 11.08.2023)
[3] N.N.: The New Music. 3./4. August 1985.
[4] Paul Simper: Dreamtime is over. Melody Maker, 16. Oktober 1982.
[5] John Shearlaw: The Shock of the New. Record Mirror. September 1981.
[6] „Kate Bush Complete”. EMI Music Publishing / International Music Publications. London. 1987.  S.145ff
[7] Hermann Beckh: Die Sprache der Tonart in der Musik von Bach bis Bruckner. Verlag Urachhaus. Stuttgart 1999. S.102ff (Ges-Dur) und S.232ff (Des-Dur)
[8] „What I Did On My Holidays“. Interview mit Ian Birch, Unbekannte Quelle. Juni 1981 (http://gaffa.org/reaching/i81_wid.html – gelesen 11.08.2023)
[9] Dreaming Debut. Radio 2, 13.09.1982
[10] https://myvintagerock.com/2015/02/02/stevie-wonder-wembley-arena-6th-september-1980/ (gelesen 11.08.2023)
[11] „The Dreaming“, Poppix, Sommer 1982
[12] https://en.m.wikipedia.org/wiki/Sat_in_Your_Lap (gelesen 20.03.2024) [13] https://de.m.wikipedia.org/wiki/Never_for_Ever (gelesen 20.03.2024)

1 Kommentar

    • Bettina auf 28. März 2024 bei 10:22
    • Antworten

    Kleine Anmerkung: 1981 statt 1991. Danke für den interessanten Beitrag! 😊

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