Das Song-ABC: Mother Stands For Comfort

Dieser Song scheint ein Mysterium zu sein. Irgendwie läuft er unter dem Radar. Graeme Thomson [1] zum Beispiel widmet dem Song in seiner Biografie genau dreieinhalb Zeilen, und das in einem Buch von 459 Seiten!
Mother Stands For Comfort ist der vierte Song auf der ersten Seite des Erfolgsalbums Hounds Of Love. Es ist das einzige Stück dieser ersten Seite, das keine Single geworden ist. Der Song ist wohl einfach zu ungewöhnlich. Schon allein das Thema sperrt sich gegen eine Single: Der Song handelt von einem Sohn, der ein schreckliches Verbrechen begangen hat, und davon, wie seine Mutter ihn beschützt. Ein schwarzer Schwan unter lauter Schwanenprinzessinnen! Mother Stands For Comfort ist ruhig, zurückgenommen, fast psychopathisch emotionslos in der Instrumentation. Die Stimmung ist abgekühlt, erfroren. Jemand verlässt sich auf die bedingungslose Liebe seiner Mutter, ganz egal was er getan hat. Ich liebe Mother Stands For Comfort, es ist ein Song, der problemlos auf Bushs vorherigem Album The Dreaming hätte sein können. Aber wie für fast alle Titel dieses Albums gilt auch hier: für eine Single ist er zu abgründig.
Kate Bush „war schon immer eine Weberin lyrischer Rätsel, ihre Songs sind ein Wandteppich des Tiefsinnigen und des Eigenartigen“ [10, meine Übersetzung]. Mother Stands For Comfort zeigt Kate Bushs beispiellose Fähigkeit, so ganz unterschiedliche Themen wie das Mütterliche und das Makabre zu mischen und „eine psychologische Tiefe zu zeigen, die ebenso verstörend wie tröstlich ist“ [10, meine Übersetzung].
In seiner erfrorenen Stimmung klingt der Song so, als wenn er auch auf die zweite Seite in die Suite The Ninth Wave passen würde. Auch diese Suite balanciert Licht und Dunkelheit aus, so wie es dieser Song tut. In der Stimmung spiegelt er für mich Waking The Witch, er hat eine ähnlich spröde Kantigkeit. Aber er wirkt wie ein fremder Alien auf der A-Seite des Albums, die Seite, die Kate Bush mit Hounds Of Love übertitelt hat. Hounds of Love, das sind die Jagdhunde der Liebe und ihr treibender Rhythmus ist das beherrschende Element sämtlicher anderer Songs auf der A-Seite (so „Sound Chaser“ [9]). Mother Stands For Comfort ist ein eisigkalter Blick auf die Jagdhunde der Liebe von der bösen, toten Seite aus.

Kate Bush ist in mehreren Interviews auf den Inhalt des Songs eingegangen. Sie bezeichnet ausdrücklich den Protagonisten als „Son“, also als männliche Person. Aus dem Text des Songs geht das nicht klar hervor. „It’s really about the power of maternal love and that in the song, the son has done something criminal, and uh it’s irrelevant in a way what he’s done, because it’s the mother wanting to harbor her son and keep him safe. That’s her concern to look after her child, rather than the morality of the situation. Her love is much more important to her than what’s right or wrong“ [4]. Liebe kann verschiedene Gestalten annehmen, hier geht es um eine eher abseitige Art der Liebe, eine Liebe ohne moralische Grenzen. „There are many different kinds of love and the track’s really talking about the love of a mother, and in this case she’s the mother of a murderer, in that she’s basically prepared to protect her son against anything. ‚Cause in a way it’s also suggesting that the son is using the mother, as much as the mother is protecting him. It’s a bit of a strange matter, isn’t it really? (laughs)“ [5]. Auf eigenen Erfahrungen beruht das laut Kate Bush nicht. „No, certainly not on that level! But I have read reports, heard of things–through news, etc.– in the past, where that has happened“ [7].
Kate Bush arbeitet in diesem Song einen krassen Gegensatz heraus. Da ist eine Mutter, das Musterbeispiel an Fürsorge und Sicherheit – aber sie gewährt einem Mörder Schutz, der sie wohl auch psychologisch manipuliert. Das ist als Thema für einen Song weit von der Komfortzone entfernt. Die mütterliche Figur als Verbündete beim Verbrechen, das stellt unsere Wahrnehmung von Moral in Frage. Der Song betrachtet die Grenzen, bis zu denen mütterliche Liebe gehen wird, um ein Kind zu beschützen – und stellt sie zur Diskussion. Kate Bush zeigt uns die Ereignisse nach dem Mord. Da sie uns nicht wirklich aufklärt, bleibt es uns überlassen, uns die Vorgeschichte vorzustellen und zu überlegen, wer getötet wurde und warum ein Junge zum Mörder werden konnte. Und wir werden auch im Unklaren darüber gelassen, ob die Mutter wirklich so ist wie geschildert. Der Song ist die Sicht (und die Einbildung) des Sohnes, die Wirklichkeit könnte völlig anders sein. Wir bekommen nur einen Blick in seine (wirre) Seele und keinen in ihre.
Um das Abgründige dieses Songs besser zu verstehen, werde ich die Beziehung Mutter – Sohn anhand des Textes genauer anschauen. Ich folge dabei einem Gedankengang, den „Sound Chaser“ im Bush-Forum niedergeschrieben hat [9]. „She knows that I’ve been doing something wrong, But she won’t say anything.“ Hier stellt sich sofort eine entscheidende Frage: Ist die Mutter wirklich im Unklaren über das Verbrechen? Schließlich geht es um Mord („Mother will hide the murderer.“). Das Schweigen der Mutter ist der zentrale Aspekt, den Kate Bush in diesem Song hervorhebt. Die Mutter bleibt stumm und macht sich damit mitschuldig an den Verbrechen ihres Kindes. Das ist eine kraftvolle Aussage, unausgesprochene Dinge haben genauso viel Gewicht wie das gesprochene Wort.
„She thinks that I was with my friends yesterday, But she won’t mind me lying“ Diese etwas paradoxe Zeile vertieft diese Aussage noch und geht tiefer auf das ein, was in der Mutter vorgeht: Sie denkt, das ich bei meinen Freunden war, nie würde sie mich einer Lüge bezichtigen. Der Mutter ist nur der Schutz ihres Kindes wichtig. Sie verschließt ihre Augen vor dem, was passiert. Sie hält die Aussage ihres Kindes für wahr, auch wenn die Tatsachen dagegen sprechen. Mutter bildet den geschützten Raum um den Sohn. Die Realität und die Beziehung zu ihrem Sohn sind in ihrem Kopf getrennt.
„Mother stands for comfort / Mother will hide the murderer.“ Auch diese Zeile ist bemerkenswert, weil sie aufzeigt, das der Protagonist ebenso wie die Mutter auf zwei Ebenen denkt. Mutter steht für Schutz, das ist eine Aussage in der ersten Person. Mutter wird den Mörder verstecken – auf einmal wird in die dritte Person gewechselt. Das ist eine De-Personifizierung, das ist schizophren. Der Sohn distanziert sich von seiner Mörder-Natur, betrachtet die wie etwas Fremdes. Ganz klar entzieht er sich der Verantwortung, der Schuld. „Mutter wird den Mörder verstecken“ – diese Zeile hallt durch das ganze Lied, es ist ein Refrain, der die Erzählung zusammenhält und sich in die Psyche des Zuhörers einbrennt. In einem Satz fasst er die Essenz des Songs zusammen: Beschützerinstinkte kollidieren mit unseren Moralvorstellungen und das ist nur auszuhalten, wenn man schizophren darauf reagiert.
„It breaks the cage, and fear escapes and takes possession / Just like a crowd rioting inside / Make me do this, make me do that, make me do this, make me do that“ Die Distanzierung des Sohns geht weiter, er gibt die Schuld an seinem Verhalten einem diffusen „It“. Irgendwas Böses (der Wahnsinn, die zweite Natur?) bricht aus und  hat die Person übernommen. In einem unheimlichen Bild wird geschildert, wie es der Sohn empfindet, wenn dieses Böse in ihm um sich greift. Es ist wie eine Menschenmenge aus inneren Stimmen, die im Inneren randaliert und ihn die Taten begehen lässt. Diese Zeilen legen das innere Chaos offen, das der Protagonist erlebt. Es ist ein Kampf um Kontrolle, während widersprüchliche Emotionen und Impulse im Protagonisten streiten.
„Am I the cat that takes the bird? To her the hunted, not the hunter.“ Das ist ein weiterer Hinweis auf die Ambivalenz der Hauptperson. Für mich wird deutlich, dass der Protagonist Geborgenheit sowohl als Zufluchtsort als auch als Gefängnis empfindet („it breaks the cage“). Ist der Protagonist die Katze oder der Vogel? Der Schutz der Mutter bietet eine Atempause vor den inneren Dämonen, führt aber auch zu einer Unfähigkeit, sich den Konsequenzen seiner Handlungen zu stellen. Der Sohn ist sich aber sicher, die Mutter wird ihn beschützen. Die Komplexität dieser Beziehung wird spürbar und veranschaulicht den raffinierten Umgang des Liedes mit der menschlichen Psychologie.
„Mother hides the madman-“
Wieder diese Distanzierung, der Wechsel in die dritte Person. Der Erzähler ist sich seines Wahnsinns anscheinend bewusst, verdrängt sie aber. Kommt hier noch eine manipulative Komponente dazu? Manipuliert er seine Mutter, bewusst oder unbewusst? Wie kann er sich sonst so sicher sein?
„Mother will stay mum.“
Und hier haben wir ein schönes, tiefes Wortspiel. Selbst die Worte haben hier in diesem Song eine doppelte, schizophrene Natur. Mutter bleibt Mama, ungeachtet der Tat ihres Kindes. Und Mutter wird Stillschweigen bewahren („mum“ = Mama, „to stay mum“ = „den Mund halten“, „Mum’s the word“ = „Nichts verraten! / Kein Wort darüber!“).
Es ist die Einprägsamkeit solcher Zeilen, die Bushs geniales Songwriting auszeichnet. Jede dieser Textpassagen fügt dem emotionalen Aufbau des Songs eine weitere Schicht hinzu und macht ihn komplexer. Immer tiefer werden wir hineingezogen und dazu gezwungen, uns mit den Abgründen zwischen Richtig und Falsch, Liebe und Schutz, Ehrlichkeit und Manipulation auseinanderzusetzen. Und Kate Bush lässt uns dabei allein, nie löst der Song die Spannung auf, die er aufbaut.
Nun könnte man fragen, wie das denn auf die Hounds Of Love-Seite des Albums passt. Aber der Text ist voller Verweise auf das Konzept der Hound, der Jagd, so „Sound Chaser“ in [9]. Da steht „hide“ (verstecken), da steht „It breaks the cage“ und „escapes“ (ausbrechen, flüchten), es gibt „Cat“ und „Bird“ (Jagd-Motiv, der Vogelkäfig). Da findet sich „Hunted not the hunter“ (Gejagter, nicht der Jäger) mit seiner Vertauschung der Rollen gegenüber den anderen Songs. Mother Stands For Comfort ist ein dunkler Vertreter, es sind böse „Hounds“, es ist eine düstere, abgründige Form „Of Love“. 

Kate Bush malt dazu meisterlich eine Klanglandschaft, die beunruhigend und einzigartig ist. Die Drums von Stuart Elliott und der Bass von Eberhard Weber tragen stark zur Wirkung bei. Ein skeletthaftes Schlagzeugmuster im Rhythmus eines Schaukelstuhls, nur Kick und Snare, bildet die Grundlage, auf der das gesamte Percussion-Muster, Klavierakkorde und eine gewundene Kontrabassmelodie aufgebaut sind. Die meisten anderen Sounds wie zerbrechendes Glas stammen höchstwahrscheinlich vom Fairlight. Dazu kommen ein nahezu gehauchter Gesang und klagende Backing Vocals von Kate Bush. Ein sehr fremdartig klingendes, geisterhaftes Fairlight bestimmt die Chorus-Passagen. Die Chorus-Passagen sind sehr zärtlich gesungen, die Strophen dagegen in einem anderen Tonfall, eher erzählend. Zum Schluss gibt es hohe Kate-Stimmen, die Vokalisen singen. Sie klingen wie klagende Schreie, ein bisschen verrückt, psychotisch, irrational. Sind das die Stimmen im Kopf? Ganz am Ende ertönt nur noch das Fairlight, dieser Schluss ist merkwürdig und abrupt. Alles in dieser Komposition spiegelt den Wahnsinn der Geschichte wieder. Kate Bush hatte genaue Vorstellungen, was sie musikalisch wollte. Für sie schrie der Basspart förmlich nach Eberhard Weber. „Yes, I do love the bass, it’s a very beautiful instrument and, there’s no doubt, it does put a very strong mark on the track with the player’s personality really coming through. And, it depends, but often there are some tracks that are asking for someone’s particular style. And on this album I felt that Hello Earth and Mother Stands For Comfort were very much in the style of Eberhard Weber, actually it was partly Del’s suggestion. I’ve been a fan of his for a long time and a few years ago we brought him over for Houdini on The Dreaming. This time he came over specially from Munich, and stayed two days to do the two tracks“ [6].
Faszinierend ist, wie der Bass eingesetzt wird. Er ist kein prägendes Rhythmusinstrument, er schleicht im Untergrund des Songs hin und her und formt von unten die Melodie des Songs. Auch der kalte, synthetisch klingende Sound wurde mit Bedacht gewählt. „Quite often I find synthetic sounds create a coldness, that if the track is lonely or sad or dark, sometimes you want that kind of coldness, that machine-like coldness, which is very specific. And with acoustic instruments you get a real – normally – a very warm, human presence and something that’s intimate and really there, something that breathes, you know, it’s not this kind of dead, cold, machine. And I feel that both are very usable, depending on what you want to say.“ [5] Hier aber hier war dieser Sound genau passend. „Well, the personality that sings this track is very unfeeling in a way. And the cold qualities of synths and machines were appropriate here“ [6].
Die Art und Weise, wie das traurige Klavier im Kontrast zum außerirdisch anmutenden Synthesizer steht, passt zu meinem Verständnis des Textes. Das Klavier ist sehr warm und traditionell, wohingegen der Synthesizer klingt, als würde er von einem anderen Himmelskörper ertönen. Beides ist ineinander verschlungen, die zwei Seiten des Songs lassen sich nicht voneinander trennen. Mutterliebe und Verbrechen sind untrennbar miteinander verbunden. 
Zur Analyse der musikalischen Struktur beziehe ich mich auf die in [2] abgedruckten Noten. Der Song steht in einem streng durchgehaltenen 4/4-Takt, was für mich gut zur eingefrorenen Starrheit des Texts passt. Die Gesangsmelodie enthält viele Töne, die über die Taktgrenzen hinweggehen, das erzeugt einen schwebenden, bodenlosen Zustand. Der Rhythmus ist starr, aber der Gesang verliert so den Boden unter den Füßen. Sehr häufig ist die Tonfolge e-g-e-g-e-g in der Melodie in den Strophen, z.B. „She knows that I‘ve been doing something wrong“. Diese pendelnde Tonbewegung ist für die Strophen charakteristisch. Später gibt es die umgekehrte Folge g-e auf „Mother“ ( …. will hide the murderer z.B.) in Chorus und Outro. Meine Folgerung: diese kleine Terz steht für die Mutter und für die Beziehung zwischen Mutter und Sohn. Zwei Töne, zwei Personen. Die Strophen sind eine Beschreibung der Situation des Protagonisten, die Chorus-Partien und das Outro beschreiben seine Sicht auf die Mutter.
Die Tonart ist ein a-Moll, fast überall gibt es nur Akkorde dieser Tonart. So starr wie der Rhythmus, so starr wird die Tonart eingehalten. Die einzige Abweichung ist der zweimal auftauchende B-Dur-Akkord (auf „lying“ in „but she won‘t mind me lying“ und auf „takes the bird“ in „Am I the cat that takes the bird“). Der B-Dur-Akkord wird auf dem letzten Ton der Silben wieder durch den leitereigenen C-Dur-Akkord abgelöst. B-Dur, das ist weit von a-Moll weit entfernt. Zur Symbolik der Tonarten beziehe ich mich wieder auf Beckh [3]. Die Tonart a-Moll ist schwermütig, poetisch. Sie steht für die romantische Zwienatur, die Zwielichtnatur, sie ist auch die Sehnsuchtstonart. Sie kann aber auch der Ausdruck finsterer Entschlossenheit sein. Offenbar ist diese Tonart genauso vieldeutig und zwiegespalten wie der Protagonist des Songs. B-Dur ist noch „nicht das Licht selbst, aber die Ahnung des Lichts, die Hoffnung des Lichts, der Glaube an das Licht“. Es ist die Liebestonart, sie steht für Glaubenszuversicht. Wird hier durch die Verwendung angedeutet, dass es ein bisschen Licht gibt in der Geisteswirrnis des Protagonisten? Ist da ein ganz kleiner musikalischer Schimmer von Hoffnung, von Liebe?

Man sieht, Mother Stands For Comfort ist sehr komplex. Es bleibt die Frage offen, was Kate Bush den Anstoß gegeben hat, diesen Song zu komponieren. Sam Liddicott stellt sich in seinem Essay über den Song auch diese Frage, kommt aber zu keiner eindeutigen Antwort. „I do wonder what started the process of Mother Stands for Comfort. Bush was often inspired by film, T.V. and literature, but I do not think there is any particular work that directed this track. It sort of makes me think of Bush writing songs for Hounds of Love and perhaps it was a cloudy day and quite moody. Alone with her thoughts, she came up with the incredible Mother Stands For Comfort!“ [11]. Bestimmt hat Kate Bush während der Komposition des Albums Filme geschaut, sie liebt das ja. „Sound Chaser“ hat mich auf eine Idee gebracht, welcher Film vielleicht dabei war: „[…] da ich den Song immer mit einer „Psycho/Norman Bates“-Atmosphäre verbinde (Kate –> Hitchcock-Fan)“ [9]. Ist der Song eine Reflexion über die Konstellation aus „Psycho“ von Hitchcock? Auch da gibt es diese den Mörder Norman Bates „beschützende“ Mutter, die immer stumm bleibt. Kate Bush war immer eine Hitchcock-Verehrerin: „Hitchcock was definitely a genius. His dreams must have been extraordinary. He must have plucked his ideas out of the sky, or had a private line to Mars“ [15]. Hitchcocks visueller Stil hat auch das Video zur Single Hounds Of Love geprägt. Die Grundkonstellation ist auf jeden Fall passend: „Norman Norman erwähnt sein Hobby, das Präparieren von Vögeln, und kommt auch auf seine Mutter zu sprechen. Er bezeichnet sie als „harmlos“, nur „manchmal ein bisschen bösartig“. Er äußert auch, dass er keine Freunde brauche, denn der beste Freund eines Mannes sei seine Mutter“ [14]. Auch die gespaltene Persönlichkeit von Norman Bates erinnert an den Protagonisten unseres Songs. „Einerseits sei er ein schüchterner, unauffälliger Mann, andererseits verkörpere der andere Teil seiner Persönlichkeit seine herrschsüchtige Mutter. […] Als Mrs. Bates begraben werden sollte, stahl er ihren Körper und konservierte ihn, um das Verbrechen gewissermaßen ungeschehen zu machen. So lebte er fortan mit seiner verstorbenen Mutter zusammen und sprach mit ihr, indem er ihre Stimme imitierte. Da er seine Mutter, auf deren Beziehungen er krankhaft eifersüchtig war, genaustens imitieren wollte, nahm er an, dass sie ihm gegenüber genauso empfinden und handeln würde. Wenn Norman sich für eine Frau interessierte, rebellierte die eifersüchtige Mutter in ihm und ermordete diese – in Frauenkleidern und Perücke“ [14].
Im Film ist Norman Bates eindeutig die Katze, die die Vögel (die Frauen) fängt, tötet und ausstopft. Im Song bleibt das offen: „Am I the cat that takes the bird?“. Wie im Song bekommen wir im Film bloß die Sicht des Sohnes auf die Realität und auf seine Mutter zu sehen, sie selbst bleibt stumm. Es gibt die Mutter nicht mehr, sie ist tot, existiert nur noch in der Einbildung. Vielleicht ist das in diesem Song auch so. Leider gibt es von Kate Bush zu solchen Ähnlichkeiten keine Aussagen, deswegen muss das als Idee stehen bleiben. Aber auf jeden Fall sollte sich der Protagonist des Songs vorsehen, im Film geht es nicht gut aus. Die tote Mutter übernimmt die Kontrolle über ihn, so der Text der Schlussszene [13]. Vielleicht denkt die Mutter im Song auch ganz anders über das Geschehen, wir bekommen ja nur die Sicht des  Sohnes zu hören, die Mutter bleibt stumm (tot?). Wäre der Schluss von „Psycho“ und damit die Sichtweise der Mutter nicht auch ein schönes Schlusswort für den Song?

„It’s sad… when a mother has to speak the words that condemn her own of son… but I couldn’t allow them to believe that I would commit murder. (A pause) They’ll put him away now… as I should have… years ago. He was always… bad. And in the end, he intended to tell them I killed those girls… and that man. As if I could do anything except just sit and stare… like one of his stuffed birds. (A pause) Well, they know I can’t even move a finger. And I won’t. I’ll just sit here and be quiet. Just in case they do… suspect me“ [13]. Das Lied, ein eindringliche Mischung aus Familie und Tod, wirft immer mehr Fragen auf, je näher man hinschaut. Beantwortet wird keine davon. Mit beschwörenden Melodien und scheinbar harmlosen Texten stößt uns Kate Bush in die Untiefen einer komplexen Beziehung zwischen Mutter und Kind. Mother Stands For Comfort ist ein Song gefrosteter, außer Kontrolle geratener Emotionen, der uns in einen psychologischen Abgrund hineinstürzt und uns darin allein lässt. Es erstaunt (und beglückt) mich jedes Mal wieder, Kate Bush auf dem Album Hounds Of Love zu erleben. Es macht mich fassungslos, wie man ein so lebensbejahende Lieder wie The Big Sky und Jig of Life schreiben konnte, aber dann auch das erschreckende, abgrundtiefe Mother Stands For Comfort!
„I really admire Kate’s ability to make such beautiful art about culturally intense or taboo topics. Her music sounds like it comes from another universe but at the core it is always cleverly human. Only Kate can make such a cold concept feel so warm“ [8]. Langsam hat sich die Tiefe dieses Songs herumgesprochen, die Zeitschrift Mojo wählte ihn auf Platz 38 der besten Songs von Kate Bush [12]. Sam Liddicott sagt es sehr schön so – und dem ist nichts mehr hinzuzufügen: „On an album as varied and stunning as Hounds of Love, Mother Stands For Comfort underlines how Kate Bush is SUCH an immensely talented and varied creator“ [11]. © Achim/aHAJ

[1] Graeme Thomson: Kate Bush. Under the ivy. 2013. Bosworth Music GmbH. S.273
[2] „Kate Bush Complete”. EMI Music Publishing / International Music Publications. London. 1987. S.124f
[3] Hermann Beckh: Die Sprache der Tonart in der Musik von Bach bis Bruckner. Verlag Urachhaus. Stuttgart 1999. S.78ff (a-Moll) und S.245 (B-Dur)
[4] Night Flight, Unedited version, November 1985
[5] „Classic Albums interview: Hounds Of Love“. Interview mit Richard Skinner. Radio 1. 26.01.1992.
[6] Interview mit Peter Swales (unedited). Musician. Herbst 1985.
[7] N.N. (australischer Interviewer). Interview 2, CBAK 4011 .
[8] https://www.reddit.com/r/katebush/comments/r3j5t7/mother_stands_for_comfort_a_personal_analysis/?rdt=41441 (gelesen 14.04.2024)
[9] https://www.carookee.de/forum/Kate-Bush/86/Mother_Stands_For_Comfort.13942741.0.01105.html (gelesen 14.04.2024)
[10] https://songmeaningsfacts.com/mother-stands-for-comfort-by-kate-bush-unraveling-the-enigmatic-lyrical-tapestry/ (gelesen 15.04.2024)
[11] https://www.musicmusingsandsuch.com/musicmusingsandsuch/2020/11/27/feature-the-black-sheep-of-the-family-kate-bushs-mother-stands-for-comfort-from-hounds-of-love (gelesen 15.04.2024)
[12] https://www.mojo4music.com/articles/the-mojo-list/kate-bushs-50-greatest-tracks/ (gelesen 15.04.2024)
[13] https://the.hitchcock.zone/wiki/Scripts:_Psycho_(revised_draft,_01/Dec/1959)_-_part_8 (gelesen 18.04.2024)
[14] https://de.m.wikipedia.org/wiki/Psycho_(1960) (gelesen 22.04.2024)
[15] Ted Nico: Fairy Tales & Nursery Rhymes. Melody Maker. 24. August 1985

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