Paddy Bush und die Musik Madagaskars (Teil 2)

Foto: Forum Schlossplatz/Nadine Schneider

Auf der Leinwand erscheint ein Bild aus den Love & Anger“-Sessions: Dave Gilmour ist zu sehen, und er selbst an der Marovany. „Hier seht ihr eine andere Version von Paddy“, meint er mit einer augenzwinkernden Anspielung auf seine physiognomische Veränderung. „Mein Vater hat beim Akkordeonspielen immer den Mund weit offen gehabt und im Rhythmus geatmet. Das sah wirklich ein wenig doof aus. Ich habe mir schon als Kind geschworen: Wenn ich mal Musiker werde, dann mache ich das nicht!“ Nun, Paddy hat auf dem Foto den Mund weit offen. Und dann erklingt „Love & Anger“, das er stolz als das erste Stück aus der Geschichte der Popmusik ankündigt, in dem ein traditionelles madagassisches Instrument verwendet wurde.
Paddys Marovany-Bau blieb nicht ohne Folgen. 1992 war ein schwieriges Jahr für die Bush-Familie, denn Mutter Hannah starb. „Kate und ich waren in tiefer Verzweiflung“, erinnert er sich. „Ich hatte in Paris gerade eine CD mit dem Projekt Spondo um Hughes de Courson und Ivan Lantos gemacht. Sie riefen mich an, dass ich nochmals rüberkommen sollte, damit sie von mir ein Foto fürs CD-Cover machen könnten. Ich sträubte mich, denn ich war so verheult von der ganzen Trauer, dass ich nicht fotografiert werden wollte, aber sie bestanden drauf. Als ich dann da war, sagte der Toningenieur der Band zu mir: ‚Du, da ist ein madagassischer Musiker, der im New Morning gespielt hat und der hat gehört, dass du eine Marovany nachgebaut hast. Er möchte dich kennenlernen.“
Dieser Musiker war kein anderer als Justin Vali, der im Begriff war, einer der Stars der gerade blühenden Weltmusikszene zu werden. Die beiden verstanden sich blendend, und Paddy nahm Justins aktuelle CD „Rambala“ mit nach England, wo er sie Kate vorspielte. „Wir waren beide immer noch im Zustand tiefer Verzweiflung und hörten diese Musik, in der uns die Sphäre der Fröhlichkeit wieder berührte. Die tiefe, ehrliche Fröhlichkeit, die die Madagassen haben, nichts Aufgesetztes. Kate hat sich sofort in das Stück  ‚Soratra Masina‘ verliebt. Am Ende singt Justin einen Vers, der bedeutet: ‚Lass Fröhlichkeit aus uns zu euch hinüberfließen.‘ Kate war völlig fixiert auf diese Phrase, sie liebte sie so sehr. Und sie sagte zu mir: ‚Paddy, bring Justin hier her, ich will unbedingt mit ihm arbeiten.“

Der Bugatti-Rennwagen des Zither-Gottes

Foto: Forum Schlossplatz

Der Rest ist Legende. Im Studio entstand „Eat The Music“, eigens für Justin geschrieben, der nicht nur Valiha spielte, sondern schließlich auch den Chorus sang. Paddy schätzt, dass sich die Auskopplung vier Millionen Mal verkauft hat, wohl wissend, dass nur einem Bruchteil der Leute der madagassische Hintergrund des Songs bewusst war. Für Paddy war das der endgültige Startschuss für ausführliche geographische und musikalische Exkursionen in die Seele Madagaskars. Um für die Valiha einen neuen Kontext zu kreieren, der sie in die Popmusik des Landes hineinbringen sollte, produzierte er mit Justin die Scheibe „The Sunshine Within“. Ein Stück, auf dem alle existierenden Valiha-Varianten vorgestellt werden, gelangte zu Berühmtheit im madagassischen Fernsehen, wurde für Werbeclips verwendet. Über eine Reise zu Justin Valis Familie und seinem kulturellen Umfeld auf dem Hochplateau drehte er 1994 mit dem Filmemacher Christian Passuello die Dokumentation „Rambala“, die er in einem wunderbar singenden Französisch moderiert (hier ein Ausschnitt: http://www.christianpassuello.com/films/rambaladm.html). Und zwei Jahre später begab er sich für die Doku „Like A God When He Plays“ auf die Suche nach dem halbmythischen Marovany-Virtuosen Rakotozafy (diesen Film gibt es hier komplett).
„Rakotozafy hat ein riesiges Instrument gebaut, es sieht aus wie ein Bugatti-Rennwagen. Er stammte aus einer Gegend, die in Madagaskar einen ähnlichen Ruf hat wie bei uns die Umgebung des Dracula-Schlosses. Als wir sagten, dass wir dahin gingen, hat man uns etwas ironisch viel Glück gewünscht. Ich fragte: ‚Warum?‘ Sie sagten: ‚Dort praktizieren sie Hexerei. Sie tun dir Sachen ins Essen und können dich verrückt machen. Wenn ich du wäre, dann würde ich da nicht hingehen.‘ Dass Paddy sich mit seinem Team trotz der Warnungen in das Gebiet wagte, hat sich gelohnt. Die Doku ist eine bewegende Reise zum Grab seines Vorbilds. Rakotozafy starb schon in den 1970ern unter sehr traurigen Umständen. Sein Sohn brach auf der Bühne zusammen und das hat den Musiker seelisch zerstört. Innerhalb weniger Wochen starb er an Herzversagen. Paddy kam gerade rechtzeitig zu einer Zeremonie, in der der Musiker in einem Famadihana geehrt wird. Dabei wird der Leichnam kurz dem Grab entnommen, damit die Lebenden Kontakt herstellen können und so neue Kraft und Inspiration von den Ahnen finden. Paddy sucht auf seine Weise den Kontakt auch in Aarau: Seine zweite Live-Einlage während des Vortrags ist dem „Zither-Gott“ gewidmet.

Die Theatertruppe des Königs

Und nun folgen Klangbeispiele Schlag auf Schlag –  man wird sich klar darüber, welche Fülle an Klängen Madagaskars birgt. Viele der musikalischen Einblicke stammen aus der fünfteiligen Radioserie „World Routes“, die Paddy vor einigen Jahren mit der Musikjournalistin Lucy Duran für die BBC erstellt hat, und die auf der Seite von BBC Radio 3 immer noch komplett zu hören ist. Er stellt den großartigen Akkordeonvirtuosen Justin René vor. Ja, die Valiha werde durch die Gitarre und eben vor allem durch das durchsetzungsfähige, laute Akkordeon bedroht und verdrängt, aber diesen ansteckenden, „engelsgleichen“ Klängen könne sich niemand entziehen. Das Akkordeon im Beispielstück wird von einer Blechbüchsen-Rassel namens Kaiamba begleitet: „Ich bin durch die Hölle gegangen wegen dieses Rhythmus‘. Es gibt Babys, die diesen Rhythmus schon in der Wiege mit dem Fuß schlagen. Du musst zu einem Kolben in einem Motor werden, wenn du das exakt spielen willst. Die rhythmische Exaktheit madagassischer Musiker ist unglaublich.“
Mein persönliches Lieblingsbeispiel aus Paddys Fundus ist der Hira Gasy: Das Genre entstand im 18. Jahrhundert und wurde vom damaligen König persönlich ins Leben gerufen. „Sie waren Botschafter des Königs, sind auf dem Hochplateau herumgereist, um Verkündigungen des Palastes zu Gehör zu bringen. Heute reisen die verschiedenen Gruppen, die den Hira Gasy ausüben in allen Regionen Madagaskars herum und bekommen riesige Zuschauermengen.“ Monarchie gibt es auf Madagaskar nicht mehr, die Hira Gasy-Truppen kommentieren stattdessen mit beißender Ironie den Alltag, üben etwa Kritik an der Kirche, die sich mit der Ahnenreligion nicht immer verträgt. „Lass nicht zu, dass deine Ahnen in Düngemittel für Kartoffeln umgewandelt werden“, heißt es in dem Stück das wir hören: Schneidende, helle Stimmen, werden da von einem Ensemble begleitet, in rasender Präzision. Man kann sich die Massenwirkung dieser Musik sofort vorstellen.

Vier Hölzer und der Weckruf an den Waldgeist

Und Paddy führt weiter durch die madagassischen Musikwelten, weckt die Faszination für vier Frauen aus dem Süden, die aus nichts als vier Holzstöcken namens Atranatrana eine polyrhythmische Fülle herausholen. Er macht bekannt mit dem Musiker Sambiasy aus der Kriegerkaste des Antandroy-Volkes im Süden, der eine Marovany aus drei verschiedenen Hölzern spielt und die Waldgeister herbeiruft. Sein persönliches Lieblingsstück allerdings stammt von einem Zitherspieler namens Bekamby, den er mit dem BBC-Team während eines achtstündigen Tromba-Rituals traf. Wie sich Melodie und komplexe Rhythmik ineinander verschlingen, das lässt einen in der Tat nicht mehr los. „Selbst wenn ich 100 Jahre übe, das werde ich mir nie draufschaffen können. Ein Beispiel dafür, wie man als Hörer Feuer fangen kann, wenn man eine Melodie hört.“ Es besteht kein Zweifel: Viele der Zuhörer in Forum Schlossplatz haben Feuer gefangen nach den 90 Minuten. Und viele aus der „Generation Kate Bush“, die vielleicht nur aus Neugier über die prominente Schwester gekommen sein mögen, haben einen lebendigen Einblick in eine andere Musikkultur bekommen, dank der ansteckenden, warmherzigen Art des Referenten. Zum Ende erklingt „The Red Shoes“, ein Stück, das ja auch genau so zustande kam: weil sich da jemand von Paddy anstecken ließ. © Stefan Franzen

Mit herzlichem Dank an Paddy Bush, Eva Keller und Nadine Schneider vom Forum Schlossplatz!

…to be continued: Im Interview nach dem Vortrag erzählt Paddy unter anderem, wie Kate wirklich zum Klavier kam, er berichtet über seine Experimente im Instrumentenbau, erklärt, warum er vom Zitherspiel auf die Fertigung von Glasperlen umstieg, was ihn an der „Before The Dawn“-Show am meisten faszinierte – und er macht neugierig auf seine und Kates musikalische Zukunft.

2 Kommentare

  1. Wow, danke für diesen toll geschriebenen und faszinierenden Einblick in die Inspiration hinter Eat the Music. Paddy hat mich durch Kates Musik auch auf die vielfältigen Musiken der Welt neugierig gemacht.

  2. Vielen Dank, Stefan, für diesen wirklich interessanten Einblick in Paddys Vortrag und in seine Leidenschaft! Ich freue mich schon sehr auf das Interview.

Schreibe einen Kommentar

Deine Email-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Bitte ausfüllen. Danke. * Time limit is exhausted. Please reload CAPTCHA.