Das Song-ABC: An Architect’s Dream

Ungewöhnlich beginnt dieser Song. Ein Mann spricht – ohne Begleitung durch Musik – zu sich: „Yes, I need to get that tone a little bit lighter there. Maybe with some dark accents coming in from the side. Hmm… that’s good“  [1]. Der Mann ist ein Maler, und folgerichtig wird dieser Text auch von einem Maler gesprochen, von  Rolf Harris. Dann beginnt der eigentliche Song. Aber ist das nicht eher eine Meditation, eine dahingeworfene, genialische Improvisation? Ist es nicht eher ein impressionistisches, dahingetupftes Bild? Die Protagonistin beobachtet den Straßenmaler, darum geht es vordergründig im Text. Aber für mich singt Kate Bush auch über sich selbst und über ihre Art des Komponierens:  „[…] and also there one gets the impression, that she is singing about herself. About how the light changes while you are trying to catch it, and in the end the most satisfying part is the spot that wound up in the canvas by mistake.“ [2]
Nach der gesprochenen Einleitung setzt instrumental eine sich durch das ganze Lied ziehende Begleitung aus Rhythmusinstrumenten (Drums, Shaker) in Achteln ein. Es klingt wie das Ticken der Zeit – oder versinnbildlicht, wie der Pinsel des Malers Farbklecks um Farbklecks auf die Straße setzt. Ich höre Konzentration in diesem Rhythmus (vielleicht, weil ich selbst bei konzentriertem Arbeiten ähnliche Folgen vor mich hin summe).
Das Lied ist in cis-Moll geschrieben, streng im 4/4-Takt. Die dominierende Akkordfolge ist cis-Moll/Fis-Dur. Diese Akkorde wechseln über weite Strecken einander ab und verschleiern die Tonart (cis-Moll? Fis-Dur?) [1]. Cis-Moll ist die Sehnsuchtstonart, sie eröffnet in uns allen verborgene Quellen der Sehnsucht [3]. Fis-Dur ist die Tonart des Sonnenuntergangs, hier leuchten in der Musik die Sterne auf. Sie steht für den Übergang von der Sinnenwelt in die geistige Welt, sie hat etwas tief Ruhevolles, nach dem Gleichgewicht suchendes [3].
Die Begleitung durch die Grundakkorde ist ein ganz langsames Hin-und-Her-Wiegen. Meist bestimmt ein Akkord den ganzen Takt. Eine fast hypnotische Ruhe und Versunkenheit wird so erzeugt. „Watching the painter painting“ – voller Faszination beobachtet die Protagonistin den Maler. Die Musik nähert sich malerischen Stilmitteln an – die Akkorde erwecken das Bild von breiten Farbflächen, auf die der Rhythmus seine impressionistischen Lichtpunkte setzt.
An einigen Stellen gibt es eine fast aufgeregte Verdichtung – z.B. auf „And it’s the best mistake he could make“ – bestehend aus um cis-Moll und Fis-Dur kreisende, erweiterte Akkorde in Achtelnotenketten. Weitere dieser Akkordfolgen folgen ab „on a pavement“ in „Whenever he works on a pavement“ und ab „the light is changing“ in „And all the time the light is changing“. Das Herzklopfen ist zu spüren, wenn etwas Unvorhergesehenes während des Malens geschieht. All dies ist zärtlich gesungen, innig. Bei „Curving and sweeping / rising and reaching / I could feel what he was feeling“ wird es fast tänzerisch, die Protagonistin wird spürbar mitgerissen. Kate Bush ist fasziniert von Malerei, es ist eine Kunstart, die sie nicht beherrscht und gerade deswegen so bewundert. Für Kate Bush ist das Komponieren mehr wie Film, hier entfalten sich Bilder in der Zeit – genau diese Schnittstelle zwischen Malerei und Film wird in diesem Song thematisiert. Der Akt des Entstehens eines Gemäldes – das ist ähnlich wie das Komponieren, von Zufall und Glück (und Vorsehung) bestimmt.
„I love paintings… I love paintings. I really get a buzz out of seeing a beautiful painting, and it’s something I can’t do. But I suppose in a way, I think of it being more of a kind of moving image…what I do, because it’s connected with the unfolding of time. It’s much more like a movie where, in a lot of ways it is visual for me.“ [4]
Weitere subtile Verknüpfungen sind zu finden. Die verdichtete Herzklopfen-Akkordfolge gibt es auch bei der instrumentalen Stelle, die nach „So the lovers beginn with a kiss“  beginnt. Glückliche Zufälle gibt es nicht nur in Malerei und Musik, sie gibt es auch in der Liebe. Das Herzklopfen ist gleich, wenn etwas unerwartet Gutes passiert.  Interessant ist die Stelle, in der es um den Songtitel geht. Zur Textzeile „an architect’s dream“  gibt es vor „dream“ eine kurze Pause und dann eine fast dramatische Betonung auf „dream“. Was durch Kunst und Natur entsteht hat die Qualität eines wahr gewordenen Traumes. Dies fügt eine fast metaphysische Ebene dazu. Der Maler und sein Werk sind Sinnbild für das Leben an sich, die Schöpfung, die unablässige Evolution. Für die Freimaurer ist Gott der große Architekt des Universums, was  vielleicht den etwas geheimnisvollen Titel des Songs erklären könnte [5]. Der „Deal with god“ ist gelungen – Protagonistin und Maler sind eins, verstehen einander.
Zum Ausklang läuft der tickende Rhythmus aus, Donner ist schwach zu hören und ganz leise Vogelstimmen. Das Lied ist in den Gesamtkontext der Sky-Seite von „Aerial“ integriert. „The Painter’s Link“ wandelt sich dann wieder nach H-Dur, die sonnenwarme Realität wendet sich wieder ins Mystische [1].  „An Architect’s dream“ ist offenbar das erste Lied dieser Seite gewesen, die Keimzelle des Konzeptalbums. Es entstand 1998, während sie mit ihrem Sohn Albert schwanger war [6]. Die Freude über dieses vielleicht unerwartete Ereignis spiegelt sich im ganzen Song wieder. Faszination. Zärtlichkeit, Glück, Bewunderung, Freude, Wärme, die Wechselbeziehung zwischen Kunst und Natur – all das sind die Inhalte. Diese Gefühle waren vielleicht so intensiv, dass sie zur Entfaltung eines ganzen Albums geführt haben. Und auch das ist für mich ein glückliches, faszinierendes Ereignis.     (© Achim/aHAJ)

[1] Kate Bush: Aerial (Songbook), London 2006. Faber Music Ltd. S.77f
[2] Nils Hansson: „Surrealistic Washing“. Dagens Nyheter. 09.11.2005.
[3] Hermann Beckh: Die Sprache der Tonart in der Musik von Bach bis Bruckner. Verlag Urachhaus. Stuttgart 1999. S.268 (cis-Moll) und S.102ff (Fis-Dur).
[4] Hugo Cassavetti: „C’est Lenoir“, Interview Radio France, 11.11.2005.
[5] diverse Quellen. z.B. http://freimaurer-wiki.de/index.php/Bible_moralisee (gelesen 28.08.2017)
[6] N.N.: „I’m not some weirdo recluse“. The Guardian. 28.10.2005

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