Es gibt Songs, bei denen die Geschichte um ihre Entstehung herum spannender ist als der Inhalt. „Love and anger“ gehört für mich dazu. Für diesem Text war ich versucht, ihm die Überschrift „Ein Lied sucht seinen Sinn“ zu geben, denn das trifft es sehr genau. Ich werde den Inhalt und eine etwaige Bedeutung daher nur streifen.
„This song! This bloody song!“ [1] Dieser Ausruf von Kate Bush zeigt, dass er für sie ein unter Schmerzen geborener Titel gewesen ist. Vielleicht hat daher Kate Bush in Interviews so umfassend Auskunft über die Entstehung gegeben. Die Basis für den Song entstand ganz zu Beginn der Arbeit am Album. „It was one of the most difficult to put together, yet the first to be written.“ [1]. Zuerst war da eine musikalische Idee, die zu einem ersten Rohling ausgebaut wurde. Dann ruhte die Arbeit daran. „The song started with a piano, and Del put a straight rhythm down. Then we got the drummer, and it stayed like that for at least a year and a half.“ [6]. Die Musik war da, die Melodie, aber die Worte fehlten. „I get a sound and I throw it in a song and I can’t turn it into a word later because it’s actually stated itself too strongly as a sound.“ [3]. Sogar die Keimzelle des Songs ist Kate Bush noch genau in Erinnerung. „[In] Love and Anger, the bit that goes ‚Mmh, mmh, mmh‘ was there instantly and, in itself, it’s really about not being able to express it differently.“ [3].
Worum geht es? Das wollte sich für Kate Bush einfach nicht erschließen. Der Sinn dieser Musik erschien ihr schwer fassbar. Für die Komponistin war das eine Qual. „It was so elusive, and even today I don’t like to talk about it, because I never really felt it let me know what it’s about.“ [2]. Andere hörten diesen Rohling und fragten nach dem Sinn. Kate Bush hatte aber einfach keine Antwort „[When] people ask me what it’s about, I have to say I don’t know because it’s not really a thought-out thing. It was so difficult for me to write that: in some ways, I think, <it’s> about the process of writing the song: I can’t find the words; I don’t know what to say. This thing of a big, blank page, you know: it’s so big…It’s like it doesn’t have edges around it, you could just start anywhere.“ [3]. Auch im Nachhinein konnte sie diese Frage nicht recht beantworten. Aber sie ist ehrlich: „It doesn’t really have a story. It’s just me trying to write a song, ha-ha.“ [1]. Der Song kam dann voran mit der Hilfe und der Unterstützung anderer Musiker. „It’s just kind of a song that pulled itself together, and with a tremendous amount of encouragement from people around me.“ [2]. Ihr Bruder Paddy Bush, Dave Gilmour und John Giblin trugen dazu bei, dass es voranging. „Paddy and Dave Gilmour, who put overdubs on it, had so much trouble with it. They kept on asking, What’s it about? and all I could say was, I dunno but, uh, doesn’t it feel, uh, cohesive to you? Well, I started bringing musicians in to see if they could bring it to life and John Giblin, the bass player, just said, This is great! and came up with something fresh right away. It was so nice having someone put all this enthusiasm into a song I’d almost given up on.“ [4].
Die letzte Zeile des Songs kann dann auch als Dank an die Helfenden interpretiert werden: „But just you wait and see, someone will come to help you.“ [8]. Insbesondere der exotische Flair der Valiha brachte den Song stimmungsmäßig voran. Schließlich war Kate Bush dann doch einigermaßen mit dem Ergebnis zufrieden. „I think putting the Valiha on was very important. It’s a beautiful sounding instrument – it looks a bit like a Zither, and it’s from Madagascar. It sounds like sunshine – it has this really happy, bubbly sound. I think that really helped to give the song a different perspective. It’s a very straightforward treatment – drums, bass, guitar, piano – and I think for me it’s one of the more straightforward songs on the album. A chirpy little number.“ [6].
Paddy Bush war auch Jahrzehnte danach noch stolz darauf, am ersten Stück der Popmusik mitgearbeitet zu haben, in dem ein traditionelles madagassisches Instrument verwendet wurde [7]. Nach vielen Schmerzen hatte es das Stück dann doch auf das Album geschafft und Kate Bush war einigermaßen zufrieden „There were so many times I thought it would never get on the album. But I’m really pleased it did now.“ [2]. Einen Sinn hatte sie schließlich doch noch zusammengezimmert, aber in der Nachbetrachtung ist immer noch eine gewisse Unzufriedenheit zu spüren. „Relationships revolve around love and anger. Being in love makes you very angry sometimes and there’s two sides to everything. I must be honest though, I’m not really sure what I’m trying to say here.“ [5].
Der Song endet dann mit einem beinahe triumphierenden „Yeah!“ (hurra, endlich geschafft) und einem Lachen, aus dem vielleicht Erleichterung herauszuhören ist. Ich finde es sympathisch, dass dieser Gefühlsaufbruch nicht herausgeschnitten wurde. Von Anfang an geplant erscheint er mir nicht. Love and anger, Liebe und Wut, das hat Kate Bush wahrscheinlich beim Nachdenken über diesen Song empfunden, Liebe zur musikalischen Idee, Wut über die Schwierigkeiten. Im Video zum Song werden diese zwei Seiten dann durch das Aufeinandertreffen von Balletttänzern und wirbelnden Derwischen symbolisiert [12]. Wahrscheinlich wegen seiner Eingängigkeit und musikalischen Unkompliziertheit wurde der Song wohl als Single veröffentlicht. Eine Single muss eben nicht besonders tiefgründig sein.
Die musikalische Gestaltung ist recht eingängig und einfach. Der Song steht in einem durchgehenden 4/4-Takt und ist in reinem F-Dur komponiert. Es gibt nur Dur-Akkorde, hauptsächlich Tonika, Dominante, Subdominante der Tonart [8]. Nach Beckh ist F-Dur die Naturtonart, die sich über die Schwere des Irdischen erhebt [9]. Es ist erstaunlich, dass sich so etwas Eingängiges dann doch als so sperrig erwiesen hat.
Bei den Biographen wird der Song nur kurz gestreift. Jovanovic hebt hervor, dass David Gilmours Gitarre dem Titel im Refrain großartige Kraft und Stärke verleiht [10]. Graeme Thomson [11] ist kritischer. Der Song klingt für ihn wie eine weniger gelungene Version von „The big sky“, „einem anderen eher lästigen Song. Es beginnt ebenso reduziert und endet schließlich in einem extremen rhythmischen Getöse.“ Das ist harsch, aber nicht ganz falsch. Vielleicht wusste Kate Bush auch nicht, wie sie den Song beenden sollte. Das Lachen zum Schluss setzt schließlich einen guten emotionalen Schlusspunkt. Beim Hören des gesamten Songs kommt mir aber der Gedanke in den Sinn, dass die Komponistin bei den Arbeiten zu diesem Album vielleicht etwas die Leichtigkeit verloren hat. Komponieren ist nicht immer nur Genie, es ist auch harte Arbeit. Nach Abschluss darf man auch erleichtert sein. © Achim/aHAJ
[1] Len Brown: „In the Realm of the Senses“. New Musical Express, 07.10.1989. [2] WFNX Boston, Herbst 1989
[3] Steve Sutherland: „The Language of Love“. Melody Maker, 21.10.1989.
[4] Phil Sutcliffe: „Iron Maiden“. Q, November 1989.
[5] N.N.: „Love, Trust and Hitler“. Tracks, November 1989 [6] Tony Horkins: „What Katie Did Next“. International Musician, Dezember 1989.
[7] Stefan Franzen: „Paddy Bush und die Musik Madagaskars (Teil 2)“. http://morningfog.de/?p=4907 (gelesen 27.09.2019)
[8] Kate Bush: The Sensual World [Songbook]. EMI Music Publishing Ltd., London 1990. S.9ff
[9] Hermann Beckh: Die Sprache der Tonart in der Musik von Bach bis Bruckner. Verlag Urachhaus. Stuttgart 1999. S.149ff
[10] Rob Jovanovic, Kate Bush. Die Biographie. 2006. Koch International GmbH/Hannibal. Höfen. S.172
[11] Graeme Thomson: Kate Bush – Under the Ivy. Bosworth Music GmbH. 2013. S.314
[12] Maria Montgomery Sarnoff: „Perfect Vision“. Option, März 1990.
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