Manche Lieder haben es etwas schwer. „Constellation of the heart“ erschien 1993 auf dem Album „The red Shoes“, der Song wurde wenig beachtet, auch bei den Fans bekam er keine besondere Aufmerksamkeit. Wenn ein Kommentator überhaupt näher auf diesen Song einging, dann negativ. Ein typisches Beispiel ist Rob Jovanovic in seiner Biographie: „[Der Song] war der zweite Song auf der Platte, der ein wenig so klang, als ob Prince ihn verfasst hatte – obwohl der damit wieder nichts zu tun hatte. Falls Kate damit versuchen wollte, die amerikanische Funkszene zu erobern, war das gründlich danebengegangen – falls nicht, dann auch.“ [1].
Wie so oft bei Jovanovic wird eigentlich nicht auf den Song eingegangen. Er legt ein unterstelltes Zielszenario zugrunde und misst den Song dann an dieser von ihm aufgestellten These. In einem Punkt muss ich Jovanovic aber Recht geben. Man kann diesen Titel als eine Art Verbeugung vor dem Stil von Prince verstehen. Der Titel des Songs ist vielleicht sogar auch von Prince inspiriert. Es gibt einen Prince-Song „Condition of the heart“ auf dem Album „Around the world in a day“ von 1985 [2] und diese Ähnlichkeit im Titel ist doch auffallend.
Sind diese eher negativen Einschätzungen berechtigt? Für mich beruhen sie auf einem etwas oberflächlichen und flüchtigen Blick. Das Album „The red Shoes“ ist ein von Selbstzweifeln und Verlustgedanken durchzogenes Werk. Viele der Lieder kreisen um die Angst vor Veränderungen und der Zukunft. „Constellation of the heart“ klingt eher fröhlich-funkig, finden sich die dunklen Grundströmungen des Albums da wieder? Was will uns dieser Song im Kontext des Albums sagen?
Fangen wir mit dem Inhalt (nach [3]) an. In der Geschichte geht es offenbar um eine Raumfahrt zu fremden Welten. Der Bordcomputer (meine Interpretation!) hat seine Aufmerksamkeit weg vom Himmel nach innen gewandt, weil dort und nicht im Himmel das zu lösende Problem festgestellt wurde („We take all the telescopes / And we turn them inside out / And we point them away from the big sky“). Der Captain (gesungen von Kate Bush) liegt offenbar im Schlaf (vielleicht eingefroren, auf langen Weltraumreisen wäre das eine Methode, die Strecken zu überstehen) und wird vom Bordcomputer geweckt: „Well we think you’d better wake up captain / There’s something happening up ahead / We’ve never seen anything like it“. Der Captain verlangt nach mehr Informationen, ohne will er sich dem Problem nicht stellen. Aber es gibt keine weiteren Informationen, er muss handeln. Diese zentrale Strophe ist ein virtuoser Zwiegesang zwischen Bordcomputer und Captain. Der Captain wird gezwungen, sich mit der „Bedrohung“ zu befassen („What am I supposed to do about it? / We don’t know, but you can’t run away from it / Maybe you’d better face it“).
Graeme Thomson ist von der Komplexität dieses Zwiegesangs ganz angetan. „[Er] besticht durch Gesangsstimmen in kaum je dagewesener Verflechtung, ein Labyrinth aus syntaktisch verschränkten Frage-und-Antwort-Spielen zwischen Kate Bush, Paddy und Colin Lloyd Tucker“. [4]. Die Zeiten sind nicht mehr so unbeschwert wie früher. Der folgende Satz bringt die Situation auf den Punkt: „She can’t run away, like in HOL, she has to stand and face it […].“ [10]. Der Captain hat Angst, dass dieser Blick ins Innere etwas ist, das schmerzen wird: „What am I gonna do? / It is gonna hurt, it is gonna hurt me bad?“ Der Bordcomputer versucht, die Angst zu nehmen. „Who said anything about it hurting? / It’s gonna be beautiful / It’s gonna be wonderful / It’s gonna be paradise“. Der Captain nimmt das an, wendet sich der Situation (dem Leben?) mit allen seinen Ängsten und Zweifeln zu, es ist eine Art Weg zum Himmel. Per aspera ad astra – über raue Pfade gelangt man zu den Sternen.
„Constellation of the heart“ ist ein für Kate Bush typischer Song mit wechselnden Perspektiven. Die Strophen des Bordcomputers werden von einem Chor aus Männer- und Frauenstimmen gesungen („We take all the telescopes“ usw.), der Captain wird von Kate Bush verkörpert. Den Refrain „The constellation of the heart“ singt ebenfalls Kate Bush, in einem sehr zärtlichen Tonfall. Es ist unklar, ob sie hier in ihrer Rolle als Captain spricht. Für mich singt sie hier selbst und kommentiert damit den Zwiegesang zwischen Bordcomputer und Captain. Dies ist etwas, was Kate Bush betrifft, sie singt es, es ist ihr Herz, ihr Inneres.
Das Wechselspiel zwischen den zwei Perspektiven erlaubt es Kate Bush, eine existentielle Fragestellung kurz und knapp zu beleuchten. Eine Sicht ist dazu da, um die Situation voranzutreiben und die entscheidenen Fragen zu stellen. Die zweite Sicht wird dazu genutzt, die Antworten zu finden. Hier übergibt uns Kate Bush ihre Schlussfolgerungen als Rat.
Musikalisch sind die Ebenen nicht sehr herausgearbeitet bzw. voneinander abgesetzt. Es geht im gleichen Rhythmus und der gleichen Stimmung weiter. Der Song erscheint daher auf den ersten (zweiten) Blick eintönig und konventionell – und das kann man ihm durchaus zum Vorwurf machen. Im Text gibt es klare Verweise auf andere Songs. Es wird zurückgeschaut auf „The big sky“ vom Album „Hounds of love“: „We take all the telescopes / And we turn them inside out / And we point them away from the big sky“. Wir sind acht Jahre später, die Zeit der Unbeschwertheit ist vorbei. Der Blickwinkel wandelt sich. Statt verträumt nach außen zu schauen geht der Blick nun nach innen.
„The lyric describes telescopes being turned inside out and pointed towards the heart, “away from the big sky“, which is a direct reference to the track The Big Sky and seemingly a disavowal of old subjects.“ [11] „Just being alive, it can really hurt“ – diese Zeile ist eine zentrale Aussage aus dem Song „Moments of pleasure“ vom selben Album – ein Song über den Verlust, dem man im Leben nicht ausweichen kann. Bei solchen Verweisen überlege ich, ob für Kate Bush ihr ganzes Werk ein zusammenhängendes Kontinuum ist. Lieder stehen nicht einzeln, sie greifen Themen auf, die das Leben von Kate Bush bestimmen, sie kommentieren sich untereinander.
Es gibt keine Aussagen von Kate Bush dazu, ob der Song von einer literarischen Quelle angeregt wurde. In einem britischen Forum wurde die Vermutung geäußert, dass der Roman „The black corridor“ von Michael Moorcock eine Inspiration gewesen sein könnte [10]. „It is about a journey through space where eveyone is in suspended animation for the trip when the captain is awoken by the ship’s computer. He deals with the crisis and decides to stay awake for the rest of the trip. Gradually he begins to lose his mind. Check the book out and you’ll see the connections, particularly the first page.“ Vielleicht ist der Song aber auch vom SF-Klassiker „2001“ beeinflusst. Auch hier wird eine Crew von Astronauten im Kälteschlaf durch das All befördert, der Captain sieht sich mit großen Problemen konfrontiert, die durch den wahnsinnig gewordenen Bordcomputer hervorgerufen wurden. Dieser Film endet ebenso wie der Song in einer Art Paradies/Himmel-
Die bei Kate Bush oft „sprechende“ Tonart ist schwer festzulegen. Notiert ist das in einem e-Moll, aber die Tonart ist verschleiert, es taucht auch der E-Dur-Akkord auf [3]. Die Strophen werden von einem stereotyp wiederholten Akkordablauf über zwei Takte bestimmt: Em7 – Hm7 – Hm7/D – E7sus4 [3]. Abweichungen gibt es im Refrain zum Text „Constellation of the heart“: Esus4 – Dsus4 – Asus4 – Am – G – Em jeweils über vier Takte. Das ist noch unklarer in der Tonalität, es ist vielleicht ein A-Dur, dass dann wieder in das e-Moll hinübergleitet [3]. In der Coda ertönt dann das „The constellation of the heart“ zur ersten Akkordfolge. Das Sternbild des Herzens ist sozusagen bei der Protagonistin angekommen [3].
Die Deutung der Tonarten ergibt keine eindeutigen Hinweise für eine Interpretation, was für Songs von Kate Bush eher ungewöhnlich ist. Der Tonart e-Moll ist vor allem der Ausdruck der Klage eigen. Sie hat aber noch eine andere Seite, die sich bis zum Ausdruck des Erhabenen steigern kann [5]. A-Dur, das sind „die lichten Höhen“. Charakteristisch ist der dieser Tonart innewohnende Niederstieg von den Höhen des Überirdischen zu den Tiefen des Irdischen [5]. Der Abstieg in die Klage des e-Moll geschieht am Ende des Refrains. Vielleicht geben diese nur angedeuteten Tonarten einfach dieses diffuse Gefühl des Unbehagens wieder, das mit schwierigen und emotional belastenden Situationen verbunden ist.
Ich habe geschrieben, dass der Song in einer Art Paradies/Himmel endet. Das kommt direkt im Text vor: „It’s gonna be beautiful / It’s gonna be wonderful / It’s gonna be paradise“. Es gibt aber weitere direkte Symbole, die sich auf den Himmel oder eine andere Welt beziehen. Es findet sich die Zeile „Ooh find me the man with the ladder […] And he might lift me up to the stars“. Diese Leiter zu den Sternen könnte die Jakobsleiter sein. „Die Jakobsleiter oder Himmelsleiter ist ein Auf- und Abstieg zwischen Erde und Himmel, den Jakob laut der biblischen Erzählung in Gen 28,11 während seiner Flucht vor Esau von Be’er Scheva nach Harran in einer Traumvision erblickt. Sie stand auf der Erde und ihre Spitze reichte in den Himmel.“ [6]. Eine weitere geheimnisvolle Gestalt wird erwähnt: „Ooh and if you see the woman with the key […] I hear she’s opening up the doors to Heaven“. Es gibt eine keltische Göttin Epona. „Epona war […] eine Fruchtbarkeitsgöttin. Als solche entspricht sie der Großen Göttin. Epona wurde in ganz Europa verehrt. […] Ein Schlüssel in der Hand steht symbolisch für ihre Fähigkeit, das Tor zur Anderwelt zu öffnen.“ [7]. Hier musste ich auch spontan an Kate Bush selbst denken, an das Cover zu „The dreaming“ (sie gibt einem Schlüssel mit einem Kuss weiter) und die dazugehörende Textzeile aus „Houdini“: „With a kiss I’d pass the key“.
Auch die letzte mystische Gestalt hat einen Bezug zum Himmel: „Oh, and here comes the man with the stick […] He said he’d fish me out of the moon“. Dieser Stab ist ein altes Gottessymbol. „Im Alten Ägypten war der Krummstab das Herrschaftszeichen verschiedener Könige […] und Gottheiten […]. Er symbolisierte zugleich die Wiedergeburt und Regeneration. Im altägyptischen Totenbuch gehörte der Krumm- beziehungsweise Hirtenstab zum Ausrüstungsgegenstand von Osiris in seiner Funktion als Richter über die Toten. Mit dem Hirtenstab besaß Osiris die Macht, über den Eintritt in das Jenseits zu entscheiden und der Ba-Seele zur täglichen Wiedergeburt zu verhelfen.“ [8]
Der Song ist vielschichtiger, als er auf den flüchtigen Blick erscheint. Er handelt – verkleidet in eine ScienceFiction-Geschichte – von existenziellen Dingen. Wir müssen uns dem Leben stellen. Dass was wichtig ist, das findet sich in uns. Wir können eine Reise zu den Sternen machen, aber da sind unsere Probleme nicht. Wir können wegschauen, aber das ist nicht das, was das Leben von uns verlangt. „Without the pain, there’d be no learning / Without the hurting, we’d never change.“ Finde Dein Herz – das ist die Botschaft. Stelle Dich Deinem Leben. Musikalisch kann man den Song gut so charakterisieren: „[…] Constellation Of The Heart is a happy experiment with disco-funk.“ [9]. Über das „happy“ ließe sich streiten, für mich ist das – wenn überhaupt vorhanden – ein vorgetäuschtes Gefühl. Experiment mit Disco-Funk trifft es aber ganz gut, Hommage an Prince wäre noch passender.
Vielleicht hätte Kate Bush die Inhalte in einer anderen Lebenssituation präziser herausgearbeitet. Hier versteckt sich die Botschaft doch hinter dem etwas gleichförmigen musikalischen Gewand. Ron Moy sagt es ganz prägnant: „In short, the track itself lacks its own clear identity.“ [2]. Das beste Schlusswort findet sich aber in dem britischen Forum: „I know many of you don’t like this song, but it’s probably the most direct way she has explained a way to a more positive and healthy soul.“ [10]. Der Song ist vielleicht nicht Kate Bushs bestes Werk, es ist aber ein zutiefst ehrliches. © Achim/aHAJ
[1] Rob Jovanovic: Kate Bush. Die Biographie. Höfen. Koch International GmbH/Hannibal. 2006. S.183
[2] Ron Moy: Kate Bush and Hounds of Love. Aldershot. Ashgate Publishing Limited. 2007. S.119f
[3] Kate Bush: The red shoes (Songbook). Woodford Green. International Music publications Limited. 1994. S.7ff
[4] Graeme Thomson: Kate Bush – Under the Ivy. Bosworth Music GmbH. 2013. S.318
[5] Hermann Beckh: Die Sprache der Tonart in der Musik von Bach bis Bruckner. Verlag Urachhaus. Stuttgart 1999. S.218 (e-Moll) und S.139f (A-Dur)
[6] https://de.m.wikipedia.org/wiki/Jakobsleiter_(Bibel) (gelesen 12.04.2019)
[7] http://www.zadik-lamas.de/txt_Goetter.htm (gelesen 12.04.2019)
[8] https://de.m.wikipedia.org/wiki/Krummstab (gelesen 12.04.2019)
[9] N.N.: „Booze, Fags, Blokes And Me“. Q, 12/1993
[10] http://katebush.proboards.com/thread/1750/constellation-heart (gelesen 10.03.2019)
[11] https://www.katebushencyclopedia.com/constellation-of-the-heart (gelesen 11.03.2019)
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