Ohne Zweifel ist dies ein Höhepunkt im Schaffen von Kate Bush. Der letzte Titel des Albums „Never for ever“ beginnt mit dramatischen Akkorden. „Outside gets inside“ singt Kate Bush dazu, mit einem fast unmerklichen Beben von Angst in der Stimme. So beginnt „Breathing, das „herausragende Meisterwerk des Albums“ [1]. Graeme Thomson kann seine Begeisterung kaum zügeln. Zum ersten Mal sei Kate Bush „eine wirkliche Verbindung aus Experiment und Emotion“ gelungen, das ist für ihn „eine überwältigende Kombination“ [1]. Der Song war die erste Single-Auskopplung aus „Never for ever“ und erreichte Platz 16 in Großbritannien.
Auch Kate Bush selbst war mit „ihrer kleinen Sinfonie“ zufrieden, wie sie in mehreren Interviews nach Erscheinen des Albums bestätigte: „From my own viewpoint that’s the best thing I’ve ever written. It’s the best thing I’ve ever produced. I call that my little symphony, because I think every writer, whether they admit it or not, loves the idea of writing their own symphony. The song says something real for me, whereas many of the others haven’t quite got to the level that I would like them to reach, though they’re trying to. Often it’s because the song won’t allow it, and that song allowed everything that I wanted to be done to it.“ [2]
Und wirklich – der Song hat etwas symphonisches, er entwickelt seine Geschichte in klassischen Schritten, von der Einleitung hin bis zur Schlussnote. „Breathing“ ist ein emotionaler Kommentar über die ganz realen Gefahren, die von einem möglichen Nuklearschlag in unserer verwundbaren Welt ausgehen. Wie so oft bei Kate Bush kam dabei der Anstoß dazu von etwas, was sie im Fernsehen/Film gesehen hatte: „[..] in the case of Breathing, most of the information came from a documentary about a man who had been following up the negative results of nuclear products.“ [3]
Es ist ein charakteristisches Muster bei Kate Bush, dass dann nur persönliche Betroffenheit und Berührtheit den Kompositionsprozess anregt. „Breathing“ ist daher trotz seiner Thematik kein typischer politischer Song.
„When I wrote the song, it was from such a personal viewpoint. It was just through having heard a thing for years without it ever having got through to me. ‚Til the moment it hit me, I hadn’t really been moved. Then I suddenly realised the whole devastation and disgusting arrogance of it all. Trying to destroy something that we’ve not created–the earth. The only thing we are is a breathing mechanism: everything is breathing. Without it we’re just nothing. All we’ve got is our lives, and I was worried that when people heard it they were going to think, ‚She’s exploiting commercially this terribly real thing.‘ I was very worried that people weren’t going to take me from my emotional standpoint rather than the commercial one. But they did, which is great.“ [2]
Das Nuklearschlag-Thema wird nicht auf die ganze Menschheit bezogen – es wird auf eine Person heruntergebrochen und damit emotional zugänglich. Der Text gibt die Sicht eines Embryos im Mutterleib wieder, der nicht nur das Nikotin einatmen muss, das seine Mutter inhaliert, sondern in einer Welt nach dem Atomschlag auch strahlendes Material. Das ungeborene Kind hat schon einmal in einer früheren Inkarnation gelebt und weiß, wie schön die Erde war. Jetzt in dieser postapokalyptischen Welt möchte es nicht geboren werden: „It has all its senses: sight, smell, touch, taste and hearing; and it knows what is going on outside the mother’s womb. And yet it wants desperately to carry on living, as we all do, of course.“ [4]
Das ist eine bedrückende Geschichte, in der sich Politik und Krieg, die schrecklichen Auswirkungen auf die Menschen und spirituelle Aspekte (Wiedergeburt) vermischen. Beim Schreiben hatte Kate Bush die Befürchtung, dass der Song zu negativ sein würde. Aber es ist Hoffnung darin – er ist eine warnende Botschaft aus der Zukunft.
„I was worried that people wouldn’t want to worry about it because it’s so real. I was also worried that it was too negative, but I do feel that there is hope in the whole thing, just for the fact that it’s a message from the future. It’s not from now, it’s from a spirit that may exist in the future, a non-existant spiritual embryo who sees all and who’s been round time and time again so they know what the world’s all about. This time they don’t want to come out, because they know they’re not going to live. It’s almost like the mother’s stomach is a big window that’s like a cinema screen, and they’re seeing all this terrible chaos.“ [2]
Diese Bilder finden sich auch im Video wieder. Kate Bush schwebt in einer großen Blase, wie ein Baby im Mutterleib, dem vermeintlich sicheren Ort.Der Song schafft es, dies so in eine Form zu gießen, dass alle diese Einzelheiten und Assoziationen mitschwingen und spürbar sind. Die persönliche Betroffenheit und die gefühlten Emotionen nehmen Form an.
Für mich ist „Breathing“ perfekt durchgestaltet, die Musik unterstützt alle Emotionen in beeindruckender Form. Die Strophen sind eher dramatisch, der Unterton ist bedrohlich. Die Eingangsakkorde erinnern mich an die aufwühlenden Anfänge großer klassischer Sinfonien. Verstörende Taktwechsel – 2/4, 3/4, 4/4 – verstärken das Drama [5]. Ein d-Moll beherrscht die Harmonik, die Tonart des Grabes und des Todes [6]. Der Chorus dagegen ist eher weich, zärtlich, wiegend – voller Liebe für die Mutter, die Natur, das Leben. Hier ist auch die „Taktwelt“ mit ihrem reinen 4/4 noch in Ordnung [5]. Die Harmonik hier ist lichter – Fis-Dur-Akkorde („die Schwellentonart [6]) und B-Dur-Akkorde (Glaube, Hoffnung [6]) hellen die Stimmung auf und trösten.
Nach dem zweiten Chorus folgen die ernüchternden Erklärungen über die Bombe. In einer Überleitung erklärt eine männliche Stimme die Auswirkungen – den hellen Blitz, den Feuerball. die Pilzwolken und die verschiedenen Größen solcher Bomben. Diese Stimme ist im Hintergrund und kaum zu verstehen. Sie klingt wie eine amtliche Verlautbarung, die im Radio verkündet wird und die die Mutter nebenbei hört. Im Vordergrund geistern wabernde, tonal nicht zuzuordnende Akkordfetzen herum. Eine Sicherheit ist auch melodisch nicht mehr da. Dann fügt sich langsam wieder die Melodie des Chorus zusammen, ein zärtlicher Bass übernimmt die Kontrolle. Das ist ein tröstendes Wiegenlied in der Finsternis. Ganz allmählich aber verwandelt sich das in den dunklen Schluss. Das Wiegenlied rutscht ins Düstere ab und ändert sein Wesen – ein Totentanz. Ein hoffnungslos klingender Hintergrund-Chor singt sein Abschiedslied: „We are all going to die without!“. Leben ohne Atmen ist nicht möglich. Dieser Chor ist für mich ein Gesang der Sterbenden, der Gestorbenen, der Toten. Kate Bush selbst schreit dazu das Suchen nach Atem, nach Leben heraus, immer verzweifelter, nach Luft ringend. Aber es gibt keinen Ausweg. Die Luft entweicht (so klingt es) und mit einer dunklen, ersterbenden Schlussnote endet der Song. Ein letzter Herzschlag (Nuklearschlag?) – Tod. „Breathing“ ist „ein komplexes und intensives Stück voller Liebe, Schrecken und Vorahnung“ [1]. Ich möchte Graeme Thomson hier noch ergänzen: es ist gewalttätig und leidenschaftlich.
In den Interviews von 1980 wollte Kate Bush den Song nicht als zu negativ darstellen. Aber 1982 mit etwas Abstand (und mit einem sehr viel düsteren Album im Gepäck) revidierte sie ihre Einschätzung. Einen Schimmer von Hoffnung gibt es ihrer Meinung nach nicht: „Yes and I actually think Breathing was a very violent song too, just because it was so negative. I mean, they’re a lot of just awful imagery. I mean it’s really terrible, it’s so negative, without hope at all. And yet hope people seem to treat it on quite a normal level. […] It’s more or less saying that this baby that’s being born, that is a baby that’s perhaps has had several lives before, is about to be destroyed inside it’s mother, because it’s living off it’s mother, and it’s mother will die, and it will die even before it’s sees the day of light. And I think that’s really negative!“ [7]
Für mich schießt sie hier in der Wertung über das Ziel hinaus. Die Dur-Harmonik lässt im Chorus eine Spur von Hoffnung durchscheinen. Aber in der Gesamteinschätzung hat sie natürlich Recht. Das Lied endet ohne ein Happy End, es endet in der Todestonart. Gesanglich gelingt Kate Bush ein Durchbruch auf eine andere Ebene: auf dem Höhepunkt wird der Gesang zu einem Brüllen, voller Schmerz und Leid. Das weist schon in die Zukunft (z.B. auf „Pull out the pin“). Bisher war das Publikum einen eher hohen, feenhaften Gesangsstil gewohnt, jetzt erweiterte sich spürbar die gesangliche Vielfalt.
„Breathing“ ist eines der wenigen Lieder, zu denen Kate Bush im Detail erzählt, wie er entstanden ist und was ihn inspiriert hat. Der Song entwickelte sich gleichsam von selbst: „That track was easy to build up. Although it had to be huge, it was just speaking — saying what had to be put on it.“ [2]. Dabei kam dann ein Steinchen zum anderen, eine Assoziation folgte auf die andere und all dies gab dem Lied schließlich seine Richtung. „I wanted to write a song, and I came up with some chords which sounded to me very dramatic. Then up popped the line, „Outside get inside,“ as I was trying to piece the song together, and I thought it would be good to write a song about a baby inside the womb. Then I came to a chorus piece, and decided that the obvious word to go there was „breathing“, and I thought automatically that it had been done before. But asking around, I couldn’t understand why it hadn’t, because it’s such a good word. Then „breathing“ and the baby turned into the concept of life, and the last form of life that would be around — that would be a baby that was about to be born after the blast. It was a very personal song. I thought at the time that it was self-indulgent, and it was something I just did for myself, really. For me it’s a statement that I hope won’t happen.“ [8]
Um diese Emotionalität zu erreichen, musste die Band den Background ein um das andere mal während der Aufnahmesessions wiederholen. Zuerst fehlte das Gefühl, alles klang zu perfekt und zu „rein“ – aber ohne Gefühl funktionierte es für Kate Bush nicht. Erst als die Musiker losließen, da hob der Song auf einmal ab. „I think the most exciting thing was making the backing track. The session men had their lines, they understood what the song was about, but at first there was no emotion, and that track was demanding so much emotion. It wasn’t until they actually played with feeling that the whole thing took off. When we went and listened, I wanted to cry, because of what they had put into it. It was so tender. It meant a lot to me that they had put in as much as they could, because it must get hard for session guys. They get paid by the hour, and so many people don’t want to hear the emotion. They want clear, perfect tuning, a ‚good sound‘; but often the out-of-tuneness, the uncleanliness, doesn’t matter as much as the emotional content that’s in there. I think that’s much more important than the technicalities.“ [2]
Das zeichnet Kate Bush aus. Sie muss dem Klang, den sie in ihrem Kopf hört, so nahe wie möglich kommen, bis schließlich „ein geheimnisvoller, magischer Moment voller Wahrheit entsteht.“ [1] Es wird oft übersehen, dass das Erzeugen von Magie Detailarbeit erfordert und Besessenheit. Es ist ein „wieder und wieder“, bis endlich dieser Moment der Wahrheit da ist. Eine besondere Inspiration war das Album „The Wall“ von Pink Floyd. Zuerst war dieses Album ein Schock (kann danach noch etwas gesagt werden?), dann schließlich ein neuer kreativer Anschub, der sich direkt auf „Breathing“ auswirkte. „It got to the point when I heard it I thought there’s no point in writing songs any more because they’d said it all. You know, when something really gets you, it hits your creative centre and stops you creating…and after a couple of weeks I realized that he hadn’t done everything, there was lots he hadn’t done. And after that it became an inspiration. Breathing was definitely inspired by the whole vibe I got from hearing that whole album, especially the third side. There’s something about Floyd that’s pretty atomic anyway.“ [9]
Kate Bush war zu „Breathing“ so offen und zugänglich wie selten. Ihre Worte erklären, wodurch dieser Song so lebendig ist. Jedes ihrer Worte spricht davon: „Breathing“ ist Herzblut und Leidenschaft. Es ist kaum möglich, sich dem zu entziehen, es geht so direkt ins Herz. (© Achim/aHAJ)
[1] Graeme Thomson: Kate Bush. Under the ivy. 2013. Bosworth Music GmbH, S.212-213
[2] Kris Needs: Fire in the Bush. Interview in ZigZag. 1980? (zitiert nach http://gaffa.org/reaching/i80_zz.html – gelesen 21.07.2016)
[3] Kate Bush im „Kate Bush Club Newsletter“ Ausgabe 14 (Herbst 1993).
[4] Deanne Pearson: The Me Inside. Smash Hits. Mai 1980
[5] “Kate Bush Complete”. EMI Music Publishing / International Music Publications. London. 1987. S.67-68
[6] Hermann Beckh: Die Sprache der Tonart in der Musik von Bach bis Bruckner. Verlag Urachhaus. Stuttgart 1999. S.150, 102, 247.
[7] The Dreaming Interview. Von der CBAK 4011 CD (picture disk)
[8] Kate Bush im „Kate Bush Club Newsletter“ Ausgabe 6 (Juli 1980).
[9] Colin Irwin: Paranoia and Passion of the Kate Inside. Melody Maker. 04.10.1980
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