Geisterstunde auf der Sturmhöhe

heathcliff

© Yanni Chi/deviantart

Von Beate Meiswinkel

Von wegen wildromantisches Yorkshire… der Wind heult, der Regen peitscht, es ist stockdunkel, und wie üblich ist es kalt hier auf dem Hochmoor. Saukalt. Nicht, dass man als Geist etwas spüren könnte; unerfreulicherweise kann man sich aber erinnern. Meine sterbliche Hülle hat es in ihrem Sarg wenigstens relativ trocken. Mein Geist allerdings steckt hier draußen fest, und Schuld an allem ist einzig und allein Heathcliff.
Heathcliff… was habe ich mir dabei nur gedacht! Mit meinem Mann, dem wohlhabenden Langweiler Edgar, hätte ich ein beschauliches, ereignisloses und langes Leben führen können. Doch ich konnte mir meine große Liebe einfach nicht aus dem Kopf schlagen. Fragt nicht, es ist eine lange, traurige Geschichte. Jedenfalls bin ich jetzt tot, und bevor Heathcliff und ich im Tode nicht wieder vereinigt sind, ist mir der Zugang zur nächsten Ebene verwehrt, denn einst haben wir uns ewige Treue geschworen. Von eilfertigen Eiden im Liebestaumel kann ich daher nur dringend abraten. Ganz egal, wie verknallt ihr seid – lasst es!
Man hat als körperloses Wesen auf Erden nur wenige Freuden. Eine davon ist die Heimsuchung der Lebenden. Wobei man leider gewissen Einschränkungen unterworfen ist. Für den Spuk steht uns Geistern nur ein relativ kleines Zeitfenster zur Verfügung, die Stunde zwischen Mitternacht und ein Uhr morgens. In dieser sogenannten Geisterstunde ist es nicht nur möglich, den Lebenden zu erscheinen und Angst und Schrecken zu verbreiten, man kann auch unbelebte Gegenstände bewegen. Dies wiederum ist nur unter Anwendung höchster Konzentration möglich, was ungemein anstrengend ist. So ist für das durchschnittliche Schlossgespenst ein klassisches nächtliches Spukprogramm mit Heulen, Zähneklappern und Kettenrasseln in etwa das Äquivalent zu einem Halbmarathon. Sehr motivierend in diesem Bereich wirken starke Antriebskräfte wie Rachedurst, Mordlust und schiere Boshaftigkeit, oder, wie in meinem Fall, eine ordentliche Portion Wut im Bauch.
Warum ich sauer bin? Weil mein ach so gramgebeugter Herzallerliebster mich einfach nicht zur Kenntnis nehmen will! Da rüttelt man an Türen und trommelt auf das Dach, und er beschwert sich über das stürmische Wetter. Man heult und wehklagt, und er macht den alten Hofhund dafür verantwortlich. Man klopft ans Fenster und kratzt an den Scheiben, und er lässt die Bäume vor dem Haus beschneiden.
Kate BushJede Nacht komme ich über das Moor zur Sturmhöhe zu Heathcliff. Aber der feine Herr ist ja viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um mich zu bemerken! In der ersten Zeit hat er heiße Tränen vergossen und sich an die Brust geschlagen – reiner Egoismus und Selbstmitleid! Hätte er sich auch nur einmal wenigstens ein wenig auf meine Anwesenheit konzentriert, hätte er mitbekommen müssen, dass ich den Dialog zu ihm suche. So eine Unterhaltung würde uns doch beiden gut getan haben, aber nein – Schluchz und Heul in einem fort. Mit der Zeit hat er sich dann mit der Situation abgefunden. So schnell ist man vergessen – aber nicht mit mir! Höchste Zeit, dass Heathcliff das Zeitliche segnet. Damit allerdings ist in nächster Zeit nicht zu rechnen, so pumperlgesund wie er aussieht! Und da er keinerlei Bestrebungen hegt, sich selbst zu entleiben, muss ich eben etwas nachhelfen. Beispielsweise, indem ich ihm einen zünftigen Schrecken einjage, wenn ich ihm mit nichts als meinem Leichentuch am Leibe erscheine und ihm mit weit aufgerissenen Augen meine kalten weißen Geisterhände um den Hals lege.
Von dieser Idee bin ich ganz entzückt, und, oh Gunst der Stunde, heute steht das Fenster einen Spaltbreit offen! Mühelos wie ein Windhauch schwebe ich ins Innere des Hauses. Drüben am Kamin, den Rücken mir zugewandt, sitzt Heathcliff im Ohrensessel und blickt ins Feuer. Ja, so schön gemütlich hätte ich es auch gerne mal wieder! Aber warte nur, gleich ist es aus mit der Beschaulichkeit! Ich fege also schwungvoll um den Sessel herum, erhebe die Arme, reiße die Augen auf, öffne den Mund – und muss leider feststellen, dass der impertinente Ignorant tief und fest eingeschlafen ist. Ja ist denn das die Möglichkeit?

„Heeeaaaathcliffff“, röchle ich aus voller Kehle. „Ich bin’s! Cathy!“

Heathcliff antwortet mit einem dröhnenden Schnarchen. Sein Mund steht offen, im rechten Mundwinkel entdecke ich einen winzigen Speichelfaden, der sich feucht glänzend an seinem schlecht rasierten Kinn entlang schlängelt. Meine Güte, ist das ekelhaft! Ich kann den Blick nicht davon abwenden – doch Augenblick mal! Es schimmert so silbrig, so ätherisch… Als Geist erkenne ich: das ist gar keine schnöde Spucke, sondern reinste Lebensenergie, die den Körper verlässt! Behutsam strecke ich meine gespenstigen Finger aus, um danach zu greifen und ziehe ein wenig daran. Siehe da, das Fädchen wird länger und länger. Beharrlich zupfe ich, und da der Schlaf und der Tod eng miteinander verwoben sind, hole ich auf diese Weise Stück für Stück Heathcliffs Seele hervor. Wenn es mir gelingt, seinen Geist vom Körper zu trennen, sind wir wieder vereint – und ich kann dem Nichtsnutz endlich die Meinung sagen!
In meinem Eifer ziehe ich wohl ein wenig zu euphorisch und löse damit einen weiteren heftigen Schnarcher aus. Bei dem barbarischen Ratzen erschrecke ich so sehr, dass ich versehentlich das Ende der Silberschnur loslasse, die prompt in Heathcliffs klaffenden Mund zurück schnalzt. Heathcliff schreckt kurz in seinem Ohrensessel zusammen und macht Anstalten zu erwachen. Noch während ich mich zurück in meine ursprüngliche Positur des Grauens werfe, sackt er mit einem Seufzer in den Tiefschlaf zurück. Aus der Ferne höre ich die Friedhofsglocke ein Uhr schlagen und verblasse. Mist Mist Mist!
Was soll’s. Ich war nahe dran. Und morgen gibt’s eine neue Geisterstunde.

1 Kommentar

  1. Großartig geschrieben – sehr einfühlsamer Einblick in die Psyche eines frustrierten Geistes. Ich habe selten so gelacht. 1000Dank dafür, Beate! 🙂

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