Es ist ein ganz zarter Faden, der sich durch Kates Werk spinnt, für manche(n) vielleicht gar nicht wahrnehmbar: die Inspiration aus alter englischer Consort Music, aus der Epoche der Renaissance – consort ist der allgemeine Fachbegriff für Ensembles in dieser Zeit, die aus den Instrumenten einer Familie zusammengesetzt sind. Man kann die Tracks bequem an einer Hand abzählen, in denen sie sich dieser Klangsprache verschrieben hat: „Oh England, My Lionheart“ – „The Infant Kiss“ – „Bertie“. Darüber hinaus gibt’s ein paar Einsprengsel, die auf diese musikalische Epoche hindeuten, zum Beispiel die Bridge vor der letzten Strophe von „Hammer Horror“ oder der an Countertenöre dieser Epoche erinnernde Knabengesang in „All The Love“ und „Snowflake“.
Kate scheint die englische Renaissancemusik mit einer abhanden gekommenen Kindheit in Verbindung zu bringen. In „Oh England, My Lionheart“ malt sie mit extrem hoher Stimme rührende, naive Bilder, man könnte durchaus sagen, aus der Sicht eines Kindes, und sie gruppiert dazu Cembalo und ein Blockflötenconsort. In „The Infant Kiss“ schwingt ebenfalls – in diesmal sehr doppelbödiger Art und Weise – die Sehnsucht nach dem Kindlichen mit. Als Begleitung hört man ein Ensemble aus Gambeninstrumenten (engl.: viol1), die im England der elisabethanischen Zeit bei Komponisten wie John Dowland sehr beliebt waren.
Und sie bilden auch den musikalischen Rahmen für Kates „Kinderlied“ par excellence: ihre von mütterlichen Freuden durchtränkte Hymne auf ihren damals noch kleinen Sohn Bertie. Susanna Pell und Richard Campbell bedienen hier die sonor tönenden Kniegeigen. Laut Graeme Thomson wurden die beiden Solisten bei einer Aufführung der Bachschen Matthäuspassion ausfindig gemacht.2 Hinzu tritt Eligio Quinteira, der mit seiner Renaissancegitarre den harmonischen und rhythmischen Rahmen zugleich vorgibt. Das Instrument ist ein viersaitiger Vorläufer unserer Konzertgitarre. Ich habe allerdings den Verdacht, dass Del Palmer den Sound bei der (Nach-)Produktion durch einen FIlter gejagt hat, denn Quinteiros Gitarre hat hier im Vergleich zu seinen eigenen, „naturbelassenen“ Aufnahmen einen helleren, fast Cembalo-artigen Charakter. In der Bridge „(You give me joy…“), wo er in höheren Lagen spielt, wird das noch deutlicher. Robin Jeffrey komplettiert das Ensemble: Er steuert in den Refrains und am Schluss dezente Percussion bei, wie sie in der damaligen Epoche üblich war.
Die Rhythmenabfolge ist dabei interessant: „Bertie“ fängt mit einem 4/4-Takt an, man könnte von einer „Allemande“ sprechen, im Refrain wechselt das Metrum in einen schnellen Dreiertakt, was auf die Renaissance übertragen eine belebte „Courante“ sein könnte. Kates helle, vergnügte Stimme ist zu diesem spielerischen Unterbau die ideale Ergänzung. Hier gibt’s keine verschiedenen Deutungsebenen, keine Dramen oder schauerlichen Gestalten – in „Bertie“ singt eine beseelte, glückliche Mutter. Das ist meilenweit weg von der abgründigen Seite des „Infant Kiss“. Ich interpretiere das so: Die verlorene Kindheit, die Kate in „Oh, England…“ und „The Infant Kiss“ beschwört, kommt nun mit der nächsten Generation zurück. „Bertie“ ist für mich ein unbeschwertes Kleinod, im Zentrum der ersten „Aerial“-CD eingebettet in die reichlich schwerere Kost von „π“ und „Mrs. Bartolozzi“. Schade, dass es in diesem Consort-Stil (bisher?) so wenig Material von Kate gibt. Abschließende Frage: Ob dem nun fast erwachsenen Albert McIntosh das Lied peinlich ist? (Stefan)
1 http://www.earlymusicworld.com/id30.html
2 „Under The Ivy“, S. 294
Neueste Kommentare