Bekanntermaßen entstanden viele Songs für das Album „The Red Shoes“ in einer für Kate schmerzlichen Phase. Der Tod ihrer Mutter, die Trennung von Del Palmer, eine generelle Desillusionierung vom künstlerischen sowie privaten Leben erschwerten Schreib- und Produktionsprozess. Einige Songs haben darunter gelitten, bei anderen hat sie es geschafft, Enttäuschung und Schmerz musikalisch zu einem Meisterwerk zu kanalisieren. „The Song Of Solomon“ zählt für mich definitiv zu letzteren. Der sonst so treffsichere Graeme Thomson sieht ihn als „gefährlich nahe an steriler Hintergrundmusik“1, was ich nicht nachvollziehen kann.
Kate ließ sich hier von einer im wahrsten Wortsinn heiligen Quelle inspirieren, vom Hohelied Salomos aus dem Alten Testament. Diese Sammlung von Liebeshymnen in acht Kapiteln feiert die Sexualität in grandiosen Metaphern, sowohl Mann als auch Frau sprechen, allerdings hat die Sphäre der Frau ein großes Übergewicht. Später ist der Aspekt der körperlichen Liebe sowohl im Juden- als auch Christentum umgedeutet worden als die Beziehung der Kirche zu Gott, was in der Aufklärung wieder revidiert wurde. Bei Kate tritt das Sehnsuchtselement in den Vordergrund: „Das Lied eines jeden, der den Pfad des einsamen Herzens geht“. Es ist ein Lied der verzweifelten Suche nach Liebe und der Bereitschaft zu bedingungsloser Hingabe. Man kann über die Direktheit erschrecken: „Don’t want your bullshit, just want your sexuality. “ Im Gegenzug kündigt die Sängerin an, dass sie für den Geliebten die „rose of sharon“ und die „lily of the valleys“ sein wird, Begriffe für die Schönsten unter allen Blumen, und dass sie mit der Macht eines Hurricanes zu ihm kommen wird. Direkt aus dem Bibeltext zitiert Kate aus dem zweiten Gesang die Stelle: „Er erquickt mich mit Äpfeln, denn ich bin krank vor Liebe! Seine Linke liegt unter meinem Kopf, und seine Rechte umfasst mich.“2
„The Song of Solomon“ ist mit seiner starken, unverblümten Sprache aus weiblicher Sicht eine Fortsetzung des Titelstücks aus „The Sensual World“, aber ihm fehlt die erotische Erfüllung. Man spürt das an der Tonlage: In Molly Blooms Monolog singt Kate mit eher tiefer, entspannter Stimme, hier durchgängig in hohem bis sehr hohem Register – das verzweifelte Drängen kommt dadurch wunderbar zum Ausdruck. Unterstützt wird sie vom Trio Bulgarka. Die in die Schlussstrophe (eine Art nachgelieferte Bridge) eingepassten Harmonien der Bulgarinnen stammen noch aus den Sessions zu „The Sensual World“. Sie verstärken den sehnsuchtsvollen Charakter, gleichzeitig erhält der Song dadurch einen pastoralen Touch. Das passt, denn viele Szenen im Hohelied sind Hirtenszenen. Diese Stelle im „Song Of Solomon“ ist für mich der emotionale Höhepunkt des gesamten Albums „The Red Shoes“. Man findet auch keinen vokal intensiveren Moment auf dem Werk: Hier regieren die Stimmen – die paar Fender Rhodes-, Klavier- und Percussion-Tupfer sind Nebensache, wie eigentlich im ganzen Song. In der einen Halbton nach unten gerückten Version auf „Director’s Cut“ hat Kate den Refrain noch intensiviert: Die Anfangssilben im Chor klingen fast aggressiv. Schön, die Idee, in der Bridge dann die bulgarischen Stimmen etwas freier stehen zu lassen.
Das Hohelied hat viele Musiker in der abendländischen Musikgeschichte inspiriert, von Johann Sebastian Bach bis Ralph Vaughan Williams. Dass sich aber jemand erfolgreich an eine Coverversion von Kates „Song Of Solomon“ wagt, ist kaum vorstellbar – neben einigen misslungenen Vokalversuchen gibt es eine nette aber harmlose Instrumentaladaption von Alphan Music, mit einer Spieluhr im Zentrum.3 Aber auch die wird der Aussage des Originals nicht gerecht. Denn Kates „Song Of Solomon“ ist eines der großartigsten Bekenntnisse zur Liebe, die es in der Popmusikgeschichte gibt.
(Stefan)
1 Grame Thomson: „Under The ivy – The Life & Music Of KAte Bush“, Omnibuss Press 2012, S. 258
2 zitiert nach: http://staff-www.uni-marburg.de/~naeser/hohelied.htm
3 https://www.youtube.com/watch?v=LBPPNtcAHTY
Neueste Kommentare