Das Song-ABC: Hammer Horror

abchh2Viele Songs von Kate Bush haben mit Filmen zu tun und beziehen sich auf Filmszenen.
Das Kino muss für Kate Bush eine Quelle der Inspiration sein. Unter diesen Songs ist „Hammer Horror“ einer der theatralischsten.
Ein dramatischer Beginn, Filmmusik setzt ein, wie aus einem Horrorfilm: „Hammer Horror“ beginnt. Dann kommt die Stimme dazu, die geheimnisvoll über der dunklen Grundierung schwebt und dann höher und schneller wird. Faszinierend und sehr ausdrucksvoll ist dies, der Beginn setzt ein Ausrufezeichen. Schau her, ich bin etwas Besonderes.
Die Hammer Studios sind ein englisches Filmunternehmen, das in den 60ern und 70ern zahlreiche romantisch anmutende Horrorfilme produzierte [1]. Das Lied ist inspiriert vom Film „Der Mann mit den tausend Gesichtern“, in dem James Cagney den Stummfilmdarsteller Lon Cheney bei seiner Interpretation des Glöckners von Notre Dame spielte [1].
Mehrere Ebenen werden hier verwoben: die Geschichte des Glöckners, die Darstellung durch Lon Cheney, die Darstellung von Lon Cheney durch James Cagney, der Blick des Zuschauers darauf und dessen Gedanken. Im Text werden alle diese Elemente zu einer neuen, komplexen Einheit zusammengefügt.
Der Glöckner von Notre Dame als Symbol der Dunkelheit („You stood in the belltower, But now you’re gone. So who knows all the sights Of Notre Dame?“) wird mit dem Thema der Zweitbesetzung (“I’m the replacement for your part”) verknüpft. Schuldgefühle und die Schatten der Vergangenheit kommen dazu (“Rehearsing in your things, I feel guilty. And retracing all the scenes, Of your big hit, Oh, God, you needed the leading role. It wasn’t me who made you go, though.”) Die Protagonistin hat die Rolle eines anderen übernommen, fühlt sich bedrängt von Schuldgefühlen. Ist der Andere noch da in den Schatten? Verfolgt er sie? Oder sind das nur überspannte Fantasien? Alles wird verwoben zu einer düsteren Szene. Bei den ersten Aufnahmen setzte Kate Bush alles daran, in die richtige Stimmung für diesen Song zu kommen. Das Studio war verdunkelt und die Mitglieder der Band mussten sie erschrecken [2]. Wie auch immer es gemacht wurde, es ist gelungen – manchmal bebt die Stimme fast wie vor Furcht, ich kann ein Zittern und ein Beben spüren. „Hammer Horror“ ist so ein Lied der tausend Gesichter und der tausend Stimmungen.
Der Chorus ist schnell und treibend mit verschiedenen Stimmfärbungen, am Ende des 2. Chorusabschnitts gibt es Töne, die schon „Never For Ever“ anklingen lassen. Zum Schluss des Liedes verklingt die Musik fast atonal, tiefer Trommelwirbel, ein Gong ertönt: Vorhang auf – jetzt beginnt die Vorstellung!
All das ist delikat harmonisiert, die Grundtonart (ein Es-Dur?) ist vage und verschleiert. Das Fundament ist unklar, selbst die Melodie hat keinen sicheren Boden unter den Füßen. Es-Dur ist die Tonart des Sich-Emporkämpfens, des Sich-Emporringens [3]. Genau darum bemüht sich die Protagonistin des Songs, aber es ist für sie gefühlt ein ebenso unsicheres Terrain wie es die Harmonien für die Melodien sind.
Der Song kommt mir beim Hören vor wie eine Ouvertüre. Er fasst die Handlung eines Films zusammen, der gleich beginnen wird. Der Vorhang ist noch geschlossen, der Kinobesucher wird eingestimmt. Aber was genau kommt, das weiß der Zuschauer noch nicht. Wieder haben wir eines dieser offenen Ende an einem Album von Kate Bush. Dieser Gong am Schluss sagt für mich, dass die ersten zwei Alben nur der Start waren. Der richtige Film kommt erst noch.
Achim/aHAJ)

Literatur
[1] Rob Jovanovic, Kate Bush. Die Biographie. 2006. Koch International GmbH/Hannibal. Höfen. S.95
[2] Graeme Thomson: Kate Bush. Under the ivy. 2013. Bosworth Music GmbH. S.145
[3] Hermann Beckh: Die Sprache der Tonart in der Musik von Bach bis Bruckner. Verlag Urachhaus. Stuttgart 1999. S.40

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