Im Oktober 1989 stand ich mit weichen Knien vor dem Schaufenster meines Lieblings-Plattenladens. Mit großen Augen starrte ich sprachlos auf das Cover des neuen Kate Bush Albums. So lange, seit 1985 und seit „Hounds of Love“ nämlich, hatte ich auf ein weiteres Werk meiner Lieblingskünstlerin gewartet. Von einer bevorstehenden Neuveröffentlichung hatte ich nichts gewusst – die Überraschung und das Herzklopfen kann man sich daher vielleicht vorstellen…
Kate, die mit ebenso großen Augen zurückstarrte, hielt mir eine weit geöffnete Rosenblüte entgegen, wie eine Fee, die über einen geheimen Garten wacht und von Dingen weiß, von denen kein Sterblicher auch nur zu träumen wagt. Der Titel, „The Sensual World“, erschien mir wie eine einzige Verheißung, wie eine Aufforderung dazu, einzutreten in jenen verlockenden Feengarten, in diese noch unbekannte sinnliche Welt. Nun, fürs Erste betrat ich erst einmal den Plattenladen, und zwar mit einem überaus mulmigen Gefühl im Magen. Es war beinahe Angst, die ich empfand, was meine Vorfreude und Überraschung auf eher unangenehme Weise dämpfte. Das seltsam widersprüchliche Gefühl entsprang der Befürchtung, Kate Bushs neuestes Werk könne sich nach ihren früheren Alben als reine Enttäuschung entpuppen. Selbstverständlich kaufte ich trotzdem und jetzt erst recht das neue Album. Ich eilte nach Hause, legte es auf, hörte zu – und war überwältigt. Das, was ich nun erfuhr, was ich empfand, übertraf meine kühnsten Erwartungen.
Als junge Frau Anfang Zwanzig bewegte ich mich damals in einem eher männlich geprägten Umfeld. Ich hörte hauptsächlich harte Rockmusik und Heavy Metal. Meine Weiblichkeit war ein wenig erschlossenes Gebiet. Es gab viele Dinge, die ich daran ablehnte, aber natürlich konnte ich meinem eigenen Geschlecht nicht entkommen. Mit dem, was an diesem Abend zu Hause beim ersten Eintauchen in Kate Bushs sinnliche Welt mit mir geschah, hatte ich nicht gerechnet. Ich hörte zu, ich spürte, nein, gab mich hin, und auf einmal war ich erwacht. Der Dornröschenschlaf, der mich umfangen gehalten hatte, war beendet – nicht durch den Kuss des Prinzen, sondern durch die Lyrik und die Musik einer Künstlerin, der es gelungen ist, das Leben und dessen Sinnlichkeit zu erfassen, herauszuarbeiten, zu beschreiben, zu vertonen – sie auf unbegreifliche Weise greifbar zu machen.
Die Fee auf dem Cover, die mich mit ihrer voll erblühten Rose in ihren geheimen Garten einlud, gab mir etwas, das mir bis dahin gefehlt hatte: den Schlüssel zu meinem Frausein, zu meiner Weiblichkeit. Und zu meiner Verwunderung war dies etwas Wunderschönes! Jenen Schlüssel habe ich seither nicht mehr aus der Hand gegeben. Stattdessen bin ich selbst wie im Titelsong wie aus den Seiten eines Buches hervorgetreten – hinein, oder vielmehr hinaus in die Sinnlichkeit der Welt.
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