Kate und das Eigenleben ihrer Songs (I)

ruthbackWenn Kate Bush im August erstmals seit 35 wieder ein Konzert geben wird und dabei der Songzyklus „The Ninth Wave“ vom 1985er Album „Hound of Love“ im Mittelpunkt stehen wird, ist es natürlich spannend zu sehen, wie Kate selbst ihr damaliges Album bewertet hat. Für das „Fachblatt Musikmagazin“ (das bis 1998 existierte) hat im November 1985 der Journalist Andreas Hub das Glück gehabt, Kate interviewen zu können – unter besonderen Begleitumständen, wie er damals selbst beschrieb. Im August 1985 wurde Hub der Interviewtermin avisiert – und kurz drauf wieder abgesagt. Im September dann der zweite Anlauf – ein Interview zur Funkausstellung in Berlin. „Wunderbar, dachte ich, setzte mich ins Auto, eine Vorabkassette der neuen LP „Hounds Of Love“ im Recorder, und fuhr los – nicht wissend, dass zur gleichen Zeit alle 25 Interviews ersatzlos abgeblasen wurden, Stern und andere hochkarätige Publikationen eingeschlossen. Treffpunkt Steigenberger Hotel Berlin, ich pünktlich und immer noch nichtsahnend, sie natürlich nicht da, von der Plattenfirma auch keiner“, schrieb Hub damals. Und natürlich wohne sie auh gar nicht in dem Hotel. Und während der Mann am Empfang das sagte, passierte, ws jeder aus dem Abba-Film zur Australien-Tour kennt: „Im selben Augenblick öffnet sich neben mir eine Fahrstuhltür – und sie steht vor mir. Kein Manager, niemand, der mich abwimmelt, dazwischen. Ich sage ‚Hallo, ich möchte gerne ein Interview mit dir machen!‘ Sie sagt, sehr englisch, sehr höflich, sehr bestimmt: ‚Tut mir leid, ich habe alle Interviews abgesagt, weil ich keine Zeit habe.‘ Aber sie bleibt wenigstens einen Moment stehen und rennt nicht vorbei. Du hast keine Chance, aber nutze sie…“ Also drückt Hub auf die Tränendrüse: „‚Hör mal, auf diesen Moment habe ich sieben Jahre gewartet und hab‘ jetzt 1000 km Autofahrt auf mich genommen. Können wir das Interview nicht trotzdem machen?‘ Sie wieder, sehr englisch, sehr höflich und ein bisschen gerührt: ‚Warte hier – ich guck‘ mal eben, was wir machen koennen…‘ Nach fünf Minuten kommt sie wieder, komplimentiert mich unter einem Schwall von Entschuldigungen an einen Tisch – und legt los, erst 20 Minuten, schließlich fast eine Stunde.“ Und so kam Andreas Hub zu dem nachfolgenden Interview, dass wir hier mit seiner Genehmigung aus gegebenem Anlass noch einmal veröffentlichen dürfen. Und weil das Interview nicht nur 20 Minuten gedauert und etwas länger geraten ist, erscheint es hier in vier Teilen. Im ersten Teil geht es unter anderem um den Song „Hello Earth“.

Andreas Hub: Nachdem ich ein Interview der amerikanischen Zeitschrift „Keyboard“ mit dir gelesen hatte, erwartete ich eigentlich eine reine Fairlight-LP. Stattdessen gibt es eine Menge akustische Parts und sogar wieder ganz ruhige Klavierstücke, fast so wie auf deiner ersten LP.

KATE BUSH: Interessanter Eindruck… Mir kommt es nämlich ganz anders vor. Ich finde, es ist mein bisher am wenigsten vom Piano geprägtes Album geworden, weil ich beim Komponieren mehr oder weniger ganz auf den Fairlight umgestiegen bin. Alles, was man jetzt an Piano hört, habe ich erst hinterher zugefügt.

Du hast, genau wie bei „The Dreaming“, wieder selbst produziert…

KATE: Ja, ich habe nach dem letzten Album mein eigenes Studio eingerichtet, und dadurch sind die Grenzen zwischen Komponieren, Aufnehmen und Produzieren noch fließender geworden. Das ganze ist ein sehr organischer Prozess, weil alles nebeneinander und gleichzeitig passieren kann. Es gibt keine Demos im eigentlichen Sinne mehr. Ich nehme etwas auf der 24-Spur-Maschine auf und arbeite damit weiter, so dass das Demo im Prinzip schon das spätere Master ist.

Aber das kann doch nicht immer so ganz reibungslos ablaufen. Wie viele Versionen gibt es von einer Idee, bis ein fertiges Stück daraus wird?

KATE: Erstaunlicherweise hat es nur zwei oder drei Stücke gegeben, die noch eine dramatische Äenderung erfahren haben. Die Basis für ein Stück habe ich meist sehr schnell, die Ideen kommen oft explosionsartig, ein paar Melodiefetzen, ein paar Textfragmente. Aber bis das Stück dann ganz fertig ist, kann es sehr lange dauern und hängt natürlich von der Komplexität eines Songs ab. In anderen Fällen habe ich die ganze Komposition fertig und bleibe dann plötzlich beim Text stecken.

Greifen wir mal ein Beispiel raus, den Titel „Hello Earth“. Da kommt erst eine sehr sanfte, von dir gesungene Melodie, während der von einem Chor gesungene Refrain dazu in einem sehr strengen und abrupten harmonischen Kontrast steht. Das hört sich sehr zusammengesetzt an, als wäre es nicht in einem Rutsch entstanden.

KATE: Die „Initialzündung“ kam hier mit der Idee zum Inhalt des Songs, die die Struktur bestimmte. Die Strophe habe ich zuerst aufgenommen und auf den Teil für den Refrain nur eine Pilotspur mit einem Piano bespielt. Dann kamen die Musiker von der irischen Gruppe Planxty dazu und dann der Chor.

Hattest du dafür immer echte Stimmen vorgesehen oder auch erst Stimmen aus dem Fairlight benutzt?

KATE: Es war immer klar, dass da ein echter Chor hinmusste. Nur die Auswahl der Sänger erwies sich als sehr schwierig. Dieser Refrain basiert auf einem Traditional, das ich irgendwann mal aufgeschnappt hatte. Was ich mir vorstellte, waren nicht so sehr klassische Chorstimmen, sondern welche, die irgendwie unheimlich und auch ein bisschen feierlich klingen mussten. Auf der anderen Seite gab es das Problem, keinen Druck auszuüben und die Leute so natürlich wie möglich singen zu lassen, weil gerade bei Chorgesang schnell eine posenhafte Künstlichkeit aufkommt. Zum Glück kannte ich über einen Gig, den ich mal mit dem London Symphony Orchestra hatte, einen Mann namens Richard Hickox, der unheimlich viel Erfahrung mit Chorstimmen hatte. Ich habe ihn die Sänger aussuchen lassen. Für mich war das ganze eine ungemein spannende Erfahrung, weil ich nie zuvor mit einem Chor gearbeitet hatte.

Klingt fast nach Mönchen, die sakrale Musik singen.

KATE: Klingt ziemlich religiös, was?

Mir scheint der Song in der Tat eine übertragene spirituelle Bedeutung zu haben. Ins Fade Out sprichst du ja auf Deutsch die Worte „Irgendwo in der Tiefe gibt es ein Licht.“

KATE: Ja, das Stück ist der Höhepunkt der zweiten Seite, die einen durchlaufenden Handlungsfaden hat (dazu später mehr). Es ist sowas wie ein Fiebertraum, das Delirium, bevor der letzte Song kommt, der ganz anders ist, von Hoffnung, Licht und dem anbrechenden Morgen handelt. „Hello Earth“ ist über den Punkt, an dem du nicht weiterkannst, wo du sehr schwach bist. Und da bist du vielleicht bereit, die Dinge zu akzeptieren, jetzt, wo du am Ende deiner Reise angekommen bist. Du hast die Wahl: Dich zu ändern oder weiterzumachen und zu sterben. Das hat natürlich auch eine religiöse Komponente. Aber es fällt mir schwer, darüber zu reden, bzw. das zu erklären. Während der Arbeit an den Stücken weiß ich sowas viel genauer, wahrscheinlich, weil ich mich im Moment des Entstehens viel stärker mit dem verbunden fühle, was da aus mir rauskommt. Wenn die Stücke dann fertig sind, wollen sie für sich selbst sprechen. Sie sind dann nicht mehr länger ein Teil von mir, sondern entwickeln ein Eigenleben.

(Mit bestem Dank an Andreas Hub.)

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