
Rob Jovanovic meint, dies sei der vielleicht lockerste und optimistischste Popsong, den Kate Bush je geschrieben hat [1]. Für ihn vermittelt der Song „ansteckend gute Laune und klingt richtig rockig“ [1]. Und wirklich – „Rubberband Girl“ ist schwungvoll und geht sofort ins Ohr, er klingt so fröhlich, wie man es von Kate Bush selten kennt. So etwas auf dem düsteren Album „The red shoes“, kann das wahr sein? Es ist in der Tat ein sehr tänzerischer Song, der geradeheraus daherkommt. Im Chorus gibt es verstärkende Effekte (Begleitstimmen, wie ein Chor), aber die Melodie ist identisch. Zum Schluss („Rub-a-dub-a-dub ….“) wird der Song immer wilder, dann kommt ein Bläserchor dazu mit für Kate Bush eher ungewöhnlichen Bläsereinsätzen [1]. Es folgt eine fast ekstatische Steigerung, wie ein immer stärkeres Schwingen am Gummiseil. Permanent wird ein Rhythmus fest durchgehalten. Graeme Thomson merkt an, der Song sei „in seiner lebhaften Art ein trügerisches Einstiegsstück, das auf einem gleichbleibenden Grundton dahindengelt und dessen trockener, beständiger Groove verrät, dass es auf die Schnelle im Studio geschrieben wurde“ [2]. Er hält ihn für einen mutigen Versuch, der aber letztlich nicht geglückt sei [2]. Leider führt er nicht aus, was ihn zu diesem Urteil führt. Unterschiedliche Einschätzungen, unterschiedliche Wertungen: es lohnt offenbar, hier etwas tiefer zu schauen.

In “Rubberband Girl” steht das Gummiband als Symbol für die Flexibilität, für das Rettungsseil. Es ist für Kate Bush ein Symbol dafür, mit den Widrigkeiten des Lebens umzugehen: „Well, it’s playing with the idea of how putting up resistance… um… doesn’t do any good, really. The whole thing is to sort of go with the flow.“ [3] Im Song geht es in verschiedenen Bildern um diese Themen. Schon zu Beginn wird die zentrale Botschaft ausgesprochen: „You see I try to resist“. Dies wird dann noch durch eine Aussage verstärkt und bekräftigt: „A rubberband bouncing back to life / A rubberband bend the beat / If I could learn to give like a rubberband / I’d be back on my feet“. Es endet mit dem Wunsch, das so auch umzusetzen und so widerstandsfähig wie ein Gummiband zu werden („Oh I wanna be a rubberband girl“). Hier ist vordergründig viel Fröhlichkeit in der Musik, ein Tanzlied scheint es zu sein, es klingen im Text keine Zweifel auf. Es gibt aber sehr viele Elemente im Hintergrund, Stimmen kommen aus allen Richtungen, das ist Chaos und Desorientierung. Ganz so einfach ist es also nicht, das Lied ist für mich ein bißchen Pfeifen im Walde. In der Zeit der Entstehung des Albums gab es schwerwiegende Ereignisse im persönlichen Umfeld, die Mutter von Kate starb überraschend, Freunde starben, sie trennte sich von ihrem Freund Del Palmer. Das Thema Widerstandsfähigkeit hat Kate Bush wahrscheinlich stark beschäftigt. Fröhliche Musik über nicht ganz so fröhlichen Texten schien ein Mittel zu sein, damit umzugehen (man höre sich z.B. „Eat the music“ an bzw. lese meine Analyse im Song-ABC dazu). Das Hängen an diesem Gummiband hat für mich aber noch weitere Aspekte – es hat etwas von einer Marionette, die an Fäden fremdgesteuert wird. Auch dies passt zur Situation – wer schon einmal eine schwere Krise durchlebt hat, kennt dieses Gefühl gut, keine Kontrolle mehr über sich selbst zu haben. Zum Schluß verwandelt sich das fröhliche Tanzlied in eine aus den Fugen geratende Musik. Wie ist die Steigerung zu deuten? Gerät das Gummiband außer Kontrolle? Ist das Freude am Spiel? Ist das ein gutes oder ein schlechtes Ende? Wie oft bei Kate Bush hinterlässt der Schluß eines Liedes ein ambivalentes Gefühl und beantwortet Fragen nicht. (Ich finde das toll.)
Die musikalische Umsetzung – Details aus [4] – tragen zu dieser Ambivalenz bei. Die Grundstruktur ist tänzerisch vorantreibend, durchgängig wird der 4/4-Takt beibehalten. Notiert mit das mit 5b, ein Des-Dur. Die Melodie ist reines Des-Dur, es kommen z.B. alle Tonarttöne absteigend von Des bis zum Des eine Oktave tiefer vor (auf „I feel they‘ve got a lot more sense than me“, „ I gotta land with my feet firm on the ground“ und „I could learn to give like a rubberband“). Dies ist alles sehr einfach in der melodischen Struktur. Die Melodie z.B. hat keinen einzigen leiterfremden Ton. Die Melodie wird begleitet durch Veränderungen des As-Dur-Akkords (der Dominante in Des-Dur). Die Akkordfolge (immer über zwei Takte) ist dabei As7sus4, As7, As6sus4, As6. Dies ist eine Akkordfolge, die das harmonische Dur-Moll-Schema verrückt bzw. verlässt. Das permanente „Gehämmer“ auf dem Grundton As erzeugt einen getriebenen, fast manischen Eindruck. As7 ist ein Septakkord, der als sehr spannungsreich empfunden wird. Das As6 ist die Sixte ajoutée (frz. „hinzugefügte Sexte“) [9], ebenfalls dissonant klingend. Dazu kommen die SUS-Akkorde (das Folgende zitiert aus [5]). „SUS ist eine englische Abkürzung für suspended und bedeutet ´außer Kraft gesetzt´. Diese Akkorde heißen so, weil bei ihnen die Terztöne sozusagen ´außer Kraft gesetzt´ werden, bzw. weil es bei diesen Akkorden keine Terzen gibt. […] Beim SUS4 wird die Terz durch eine reine Quarte ersetzt […]. Bei SUS2 Akkorden fliegt die Terz für die Sekunde heraus. […]. Somit kann man folgende Regel aufstellen: sus4 = reine Quarte & große Sekunde, sus2 = große Sekunde & reine Quarte.“ SUS-Akkorde haben gemäß [5] „nichts mit Dur- oder Moll-Akkorden zu tun, sie sind eigenständige Akkorde, die noch nicht einmal aufgelöst werden müssen!“ Sie werden „häufig in der Pop-Musik verwendet, da sie sich sehr reibend anhören“ [5]. Bemerkenswert ist, das SUS-Akkorde von Kate Bush selten verwendet werden. Es kam ihr hier also wohl auf die hypnotisch-manische Wiederholung reibender, harter Akkorde an, die durch den beibehaltenen Grundton fast aufdringlich und verstörend wirken. Die benutzten Tonarten (nach Beckh [6]) unterstützen die Deutung, dass es in diesem Song um das Überstehen von Katastrophen geht. Es sind Tonarten der Hoffnung. Des-Dur steht für etwas Höheres, Helleres, Lichtes, es ist das Schauen der Sonne um Mitternacht, es ist eine in der Tiefe des Irdischen erlebte höchste geistige Höhe. As-Dur ist nicht die Grundtonart, aber durch die hypnotische Wiederholung dieses Akkordes hat er ebenso eine zentrale Bedeutung. Es ist gemäß Beckh das Licht in der Finsternis, die mystische Tonart. „Wir sehen uns auf einmal in mystische Tiefen des eigenen Innern, des Innersten der Welt hineingeführt, ein Licht beginnt aufzuleuchten, wo wir bisher nur Dunkel vermuteten“ [6].

Das Vorantreibende, Tanzbare des Songs hat wohl dazu geführt, dass er Platz 12 in den britischen Charts erreichte [1]. Die Hitqualitäten kamen erst während der Aufnahme zum das Album begleitenden Film ins Bewusstsein. „Originally, the first single was intended to be Eat The Music. but during the production of the film to accompany the album, Rubberband Girl seemed to be catching everyone’s imagination, and has proved to be a substantial chart success“ [8]. Graeme Thomson vermutet, dass er auf die Schnelle im Studio geschrieben wurde [2], was wohl teilweise der Wahrheit entspricht „Rubberband Girl is one of the few that worked first time – it just has a basic rock feel with a riffing guitar, the backing vocals went down first and then we tried various lyrics and lead vocal ideas.“ [8] Zu „Rubberband Girl“ existieren zwei Videos, das erste ist ein Ausschnitt aus dem Film, das zweite erfüllt mehr die Funktionen eines Promo-Videos. Kate Bush erläutert das damit, dass der Wunsch nach dem zweiten Video aus Amerika kam. „Well, I was actually asked to do so by America. […] And – it was quite an interesting experiment just to make more a kind of straight forward promo, which only took a day to shoot. So – it was, it was quite fun really“ [7].
Zum Schluss möchte ich noch einen Blick auf die völlig andersartige Version des Songs auf „Director‘s Cut“ werfen. Diese Version wurde in Fankreisen ziemlich kontrovers diskutiert, ich werde mich auf meine Sicht beschränken. Diese Fassung klingt vollkommen anders als die Ursprungsfassung, sie klingt wie live, ohne die druckvollen Studiobässe. Für mich klingt es so, als ob die Sängerin nach einen ganz langen Tag zu viel getrunken hat und vor sich hin singt. Es ist vielleicht die fünfte Zugabe nach einem langen Auftritt der Band in einen Pub, in dem alle – Publikum, Band, Sängerin – schon betrunken sind. Zum Schluss kommt eine immer stärkere Begleitung durch eine Harmonika dazu – als ob jemand aus dem Publikum spontan mitgemacht hat. Nimmt Kate Bush hier den Kontrast Studio-Version / Liveauftritt auf die Schippe? Veralbert sie das? Bei vielen Künstlern ist dieser Unterschied genauso schräg (weswegen ich mir nur von besonderen Künstlern Liveauftritte antue). Oder soll das ausdrücken, dass das Gummiband nicht mehr funktioniert, sondern nur noch der Alkohol? Graeme Thomson sieht das nüchterner, für ihn klingt diese von Grund auf neu eingespielte Fassung „im besten Sinne ungezügelt und befreit, Kate Bush a la Rolling Stones“, verspielt und spontan [2]. Kate Bush hatte überlegt, ob der Titel überhaupt auf das Album soll. „Es ist einfach nur ein alberner Popsong“ [2]. Also vermute ich, sie wollte sich einfach mal ein bisschen Spaß mit uns machen (Prost!). © Achim/aHAJ
[1] Rob Jovanovic: Kate Bush. Die Biographie. Höfen. Koch International GmbH/Hannibal. 2006. S.181
[2] Graeme Thomson: Kate Bush – Under the Ivy. Bosworth Music GmbH. 2013. S.320f und S.395
[3] Marianne Jenssen: „Rubber Souls“. Vox Nov. 1993
[4] Kate Bush: The red shoes (Songbook). Woodford Green. International Music publications Limited. 1994. S.7ff
[5] https://www.theorie-musik.de/akkorde/sus-akkorde/ (gelesen 10.10.2018)
[6] Hermann Beckh: Die Sprache der Tonart in der Musik von Bach bis Bruckner. Verlag Urachhaus. Stuttgart 1999. S.231ff (Cis-Dur) und S.198f (As-Dur)
[7] „MTV Most Wanted“ mit Ray Cokes. 22. Oktober 1993
[8] Interview in Future Music mit Del Palmer: „Well red“. November 1993
[9] https://de.m.wikipedia.org/wiki/Sixte_ajout%C3%A9e. (gelesen 15.11.2018)
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