„Night of the Swallow“ ist eines der eher ruhigen, auf den ersten Blick weniger experimentellen Stücke auf dem Album „The Dreaming“. Allerdings besitzt es Besonderheiten, die es zu einem sehr wegweisenden Song gemacht haben, deren Bedeutung und Einfluss über das Bush-Universum hinausgehen. Graeme Thomson fasst das so zusammen [1]: „[Der Song] steckt voller dunkler Vorahnungen, Licht und Schatten bilden ein geschlossenes Ganzes und barocke Balladenkunst geht mit traditionellen keltischen Instrumenten eine bestechend schöne Verbindung ein.“ Diese damals neue und überraschende Einbeziehung von traditionellen Instrumenten und Stilformen wurde von Kate Bush auch auf späteren Alben aufgegriffen. Sie war damit eine Wegbereiterin für andere Künstler, die dieses neue Stilmittel aufgriffen. Der Song folgt auf dem Album auf „The Dreaming“, es ist ein bruchloser Übergang. Hier vermischen sich zu Beginn Didgeridooklänge mit irischen Klängen, Australien weicht Irland, beide Songs besinnen sich auf die Tradition. „Night of the Swallow“ kann am ehesten als Ballade bezeichnet werden. In der Stimmung erinnert es mich immer an „Oh England my Lionheart“ vom Album „Lionheart“. Auch dort schimmert die Tradition durch die Pop-Folie.
Das Klammern in einer Beziehung, die zu große Enge, die Suche nach einer Befreiung (sei sie noch so riskant) – dies ist für Kate Bush das eigentliche Thema [3]: „Yes, unfortunately a lot of men do begin to feel very trapped in their relationships and I think, in some situations, it is because the female is so scared, perhaps of her insecurity, that she needs to hang onto him completely. In this song she wants to control him and because he wants to do something that she doesn’t want him to she feels that he is going away. […] Of course, from the guys point of view, because she doesn’t want him to go, the urge to go is even stronger. For him, it’s not so much a job as a challenge; a chance to do something risky and exciting.“ Offenbar hat Kate Bush über diese Thematik intensiv nachgedacht [3]: „It’s almost on a parallel with the mother and son relationship where there is the same female feeling of not wanting the young child to move away from the nest.“ Es handelt sich natürlich um eine ausgedachte Situation, aber nach Kate Bush nicht ohne Beziehung zur Realität [3]: „But although that woman’s very much a stereotype I think she still exists today.“ Im Song ist das feinfühlig umgesetzt. Der Gesang der Frau ist zu Beginn fast ein verzweifeltes Schreien bzw. Rufen, hochemotional. Es wird dann weicher, und zärtlicher, manchmal fast flehend. Der Song ist hier ist ruhig und balladenhaft. Den Mann kennzeichnet im Refrain eine ganz andere Stimmfärbung, der Gesang ist ruhig, beschwichtigend, leise Trommeln im Hintergrund. Im Chorus wird es dann ausgelassen, tänzerisch, voranstürmend, beschwingt-euphorisch, sehr irisch. Der Chorus steigert sich zum Schluss fast hymnisch beschwingt. Der Drang nach Freiheit bricht sich Bahn. Der Mann vergleicht sich dabei mit einer Schwalbe und hier zeigt sich das tiefe Eindringen von Kate Bush in eine Thematik. Dieser Vogel ist das Symbol für das sehnsüchtig erwartete neue Leben, für Wachstum und Fruchtbarkeit mit der Hoffnung auf vorteilhafte Veränderungen [4]. Sie ist das Sinnbild für Auferstehung, Licht, Erneuerung in Reinheit. Sie ist schnell, lebhaft, kühn bei Gefahr und voller Finten in den Flugkünsten. Dies trifft sehr genau zu auf den Charakter und die Sehnsüchte des Mannes. Neben dieser positiven Symbolik gibt es aber auch eine negative Seite [4]: die Schwalbe kann auch für Täuschung und Selbstbetrug stehen. Dies drückt sogar ein Sprichwort aus – eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Hier spiegeln sich die Befürchtungen der Frau wieder.
Auch musikalisch ist der Song sehr interessant [5]. Er steht im einem durchgängigen 4/4-Takt, es gibt ganz kleine Einsprengsel anderer Taktarten (3/4 und 5/4). Notiert ist der Song in h-Moll. Sehr häufig kommt aber auch der H-Dur-Akkord vor, der nicht zum harmonischen System gehört, es mischen sich h-Moll und H-Dur. Aus h-Moll kommen die Akkorde h-Moll, G-Dur, A-Dur und fis-Moll vor, aus H-Dur die Akkorde H-Dur und E-Dur. Ebenso gibt es den cis-Moll-Akkord, der zu beiden harmonischen Systemen gehört. Der Song beginnt und endet mit H-Dur. Chromatisch aufsteigende Akkordketten (E-Dur, F-Dur/Cis-Dur, fis-Moll) verbinden die beiden Welten. Dies geschieht auf „I won‘t let you do it – das steht im 3/4-Takt – und auf „I won‘t let you go through with ist – das steht im 5/4-Takt. Reines H-Dur herrscht von „Meet them over at Dover“ bis „the Water“ bzw. „to malta“. Im Booklet ist das als „Refrain“ gekennzeichnet. Von „With a hired plane“ bis „before the morning“ gibt es dann reines h-Moll, ebenso weiter von „Give me a break“ bis „like a swallow“. Im Booklet ist das als „Chorus“ gekennzeichnet. Die Welt des Mannes ist damit in klar getrennte harmonische Bereiche getrennt, ein h-Moll-Bereich folgt auf einen H-Dur-Bereich. In der Welt der Frau sind H-Dur und h-Moll vermischt. Der Grundton beider Tonarten ist gleich, es schwankt zwischen Dur und Moll – zwei Seiten einer Medaille. Die beiden Tonarten passen in ihrer Bedeutung (gemäß [6]) sehr gut zur Thematik des Songs. H-Dur ist nicht mehr ganz im Irdischen, es ist die Vorahnung des Herübergehens, das Licht vor Sonnenuntergang, die Verklärung, steht für etwas Überirdisches. Es ist auch die Tonart der höchsten Liebe (in „Tristan und Isolde“ endet so z.B. der „Liebestod“). Es ist die Tonart der letzten Verklärung. H-Moll steht dagegen für Empordrängen, für ein Emporstürmen mit Abgrundgefahr. Die Tonarten sagen klar, dass der Frau und der Mann bei allen Unterschieden in den Charakteren in tiefer Liebe miteinander verbunden sind (H-Dur). Diese Beziehung wird aber „angegriffen“ durch das h-Moll, das für Freiheit, Herausforderung und die Suche nach Gefahr steht – nicht ohne Grund geht der Gesang des Mannes von H-Dur in h-Moll über.
„Night of the Swallow“ ist Kate Bushs erster Song mit einem starken irischen „Akzent“. Es ist der irische Dudelsack zu hören, die Uilleann Pipes. Das Lied war das erste von zwei (das andere war „Sat in Your Lap“), das für das Album aufgenommen wurde [7]. Es wurde hauptsächlich im Frühling 1981 in den Abbey Road Studios in mehreren Sessions an dem Song gearbeitet. Die irische Musikergruppe kam in Irland zusammen, wo Bush über Nacht mit ihnen zusammenarbeitete. Nachdem sie die Aufnahme um sieben Uhr morgens beendet hatte, flog sie zurück nach London, um das Lied zu mischen. Aufgenommen wurde der Song mit Stuart Elliott, Del Palmer und den irischen Musikern Bill Whelan, Liam O’Flynn und Dónal Lunny der Gruppe Planxty und Seán Keane von The Chieftains. Kate Bush hatte lange auf eine Gelegenheit gewartet, diesen irischen Touch einzusetzen [8]: „I’ve wanted to work with Irish music for years, but my writing has never really given me the opportunity of doing so until now. As soon as the song was written, I felt that a ceilidh band would be perfect for the choruses.“ In ihren Anfangsjahren war Kate Bush freigiebiger mit Informationen über ihre Arbeit, sie sprach bereits im Juli 1981 über das Lied [9]: „She has more or less completed five tracks, one of which involves the Irish folk band, Planxty. She asked the group if they would be interested in working with her, they said yes, she flew to Dublin, found she had a ’strong feeling for Ireland‘ (mum has Irish blood), and together they came up with ‚Night of the Swallow‘.“
Die Zusammenarbeit mit den irischen Musikern hat Kate Bush sehr zugesagt [9]: „They’re fantastic musicians with open, receptive minds, which is unusual for people who work with traditional folk music.“ Vielleicht hat dies dazu geführt, dass sie auch später ungewöhnliche Kooperationen (Trio Bulgarka!) nicht gescheut hat. „Night of the Swallow“ ist ein komplexer Song, der sich anmutig durch viele wechselnde Stimmungen schlängelt. Er kombiniert perfekt ganz unterschiedliche Dinge – Schönheit, Schmerz, Enthusiasmus und auch eine gewisse Unheimlichkeit. Diese Stimmungswechsel werden verstärkt durch die Verwendung von bewegend-schwungvoller irischer Musik, die als Kontrast zur rauen Seite der Geschichte benutzt werden. Er ist durch diese Verwendung der irischen Musik wegweisend gewesen. Für mich besonders schön ist, dass diese Neuheit nicht herausgestellt wird, sondern wie ganz selbstverständlich und organisch integriert daherkommt. © Achim/aHAJ
[1] Graeme Thomson: Kate Bush – Under the Ivy. Bosworth Music GmbH. 2013. S.242
[2] Kris Needs: „Dream Time in the Bush“. ZigZag 1982
[3] Paul Simper: „Dreamtime is over“. Melody Maker. 16.10.1982
[4] Clemens Zerling, Wolfgang Bauer: Lexikon der Tiersymbole. Kösel Verlag. München 2003. S.273ff
[5] „Kate Bush Complete”. EMI Music Publishing / International Music Publications. London. 1987. S.127ff
[6] Hermann Beckh: Die Sprache der Tonart in der Musik von Bach bis Bruckner. Verlag Urachhaus. Stuttgart 1999. S.171ff (H-Dur) und S.181ff (h-Moll)
[7] https://en.m.wikipedia.org/wiki/Night_of_the_Swallow (gelesen 18.10.2018)
[8] Kate Bush: „About the dreaming“. KBC Issue 12. Oktober 1982
[9] Ian Birch: „What I did on my holidays“. Smash Hits. 23.07.1981
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