O Heathcliff, Where Art Thou?

Fotos: HarperCollins

Von Beate Meiswinkel

Der englische Schriftsteller Michael Stewart erzählt in seinem Roman „Ill Will“ die unbekannte Geschichte des mysteriös-suspekten Antihelden aus Emily Brontës „Wuthering Heights“

„Jetzt wäre es unter meiner Würde, Heathcliff zu heiraten.“ Diese aus dem Zusammenhang gerissenen und nur für das Ohr ihrer Vertrauten Nelly bestimmten Worten sind es, die ihren Liebsten von Wuthering Heights vertreiben. Von dem, was sie über ihre unerschütterliche Liebe zu ihm, ihre Seelenverwandtschaft und den wahren Grund ihrer Verlobung mit dem vermögenden Edgar Linton sagt, hört der zutiefst gekränkte Heathcliff nichts mehr. Drei Jahre lang bleibt er verschwunden, bis er als gemachter Mann zurückkehrt: wohlhabend und gut gekleidet, doch noch immer von unbezähmbar wildem Wesen, das ebenso anziehend wie sinister ist. Was hat Heathcliff in diesen drei Jahren erlebt? Wohin hat es ihn verschlagen, und wie ist er zu seinem Vermögen gekommen?
Der preisgekrönte Buchautor Dr. Michael Stewart hat sich mit seinem dritten Roman „Ill Will – The Untold Story of Heathcliff“ diesen Fragen gewidmet. Seine Leidenschaft für die Brontë-Geschwister und ihr literarisches Werk, insbesondere für Emily und ihre „Sturmhöhe“, begann bereits in seiner Kindheit, und zwar mit dem Kate Bush-Song: „1978 war ich sieben Jahre alt, und da war diese irre Frau, die ihre Arme durch die Luft schwenkte“, erzählte Michael lachend in seinem Interview mit dem Historia Magazine. „Wuthering Heights war an der Spitze der Charts, es lief überall im Fernsehen. Ich ging immer wieder im Kopf den Text durch. Ich verstand ihn nicht so ganz, besonders die Zeile über Cathy am Fenster… wo war sie? Warum nahm sie nicht die Tür?“ (Independent). Seine Mutter, die in der Abendschule ihren Englischabschluss nachholte, las Wuthering Heights und erzählte ihrem kleinen Sohn die Geschichte, die ihn vollkommen gefangen nahm.
Stewart, der an der Universität von Huddersfield kreatives Schreiben unterrichtet, lebt seit vielen Jahren in Thornton. In unmittelbarer Nachbarschaft befindet sich das Geburtshaus der Brontë-Geschwister, was seine Faszination noch verstärkt haben dürfte. Besonders der markante Romancharakter Heathcliff beschäftigte ihn so sehr, dass er begann, dessen unerzählte Geschichte zu schreiben. Dafür nahm er durchaus aufwändige Recherchen auf sich; so wanderte er die Strecke von 65 Meilen (ca. 105 km) von Top Withens nahe Haworth in West Yorkshire nach Liverpool an der englischen Westküste, um die Reise von Cathys Vater Mr. Earnshaw von Wuthering Heights in die Stadt nachzuverfolgen. Drei Tage war er unterwegs, um sich in den Landbesitzer einzufühlen, der seinen beiden Kindern statt der erhofften Geschenke das verwahrloste Waisenkind Heathcliff mit nach Hause brachte: „Ich hatte ein Diktiergerät dabei und schrieb diesen Abschnitt, während ich ging (…) Wenn man durch eine Landschaft wie Yorkshire wandert, wandert man durch die Geschichte.“ (Historia Magazine)
Auch Stewarts Recherchen der Lebensweise des 18. Jahrhunderts waren eine neue Herausforderung – seine bisherigen Werke sind eher zeitgenössisch. Für seinen ersten Roman „King Crow“ (2011) erhielt er den Not The Booker Prize der britischen Tagszeitung The Guardian. Einige seiner Drehbücher wurden ebenfalls ausgezeichnet, unter anderem mit einem BBC-Award.
Im Zusammenhang mit der Frage nach Heathcliffs Herkunft stieß Michael auf ein finsteres Kapitel der Geschichte: die Sklaverei. Liverpool war in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts einer der bedeutendsten Handelshäfen für Sklaven. War Heathcliff etwa ein Sklavenkind und sollte als billige Arbeitskraft auf der Farm eingesetzt werden?
Heathcliff ist zwischen 16 und 17 Jahren alt, als er Wuthering Heights hinter sich lässt, um nach Liverpool zurückzukehren. Er ist auf der Suche nach seinen Wurzeln und begegnet Emily, der Tochter eines Wegelagerers, die behauptet, sie könne mit den Toten sprechen. Die beiden tun sich zusammen, um den Norden von England zu durchstreifen und sich mit Lug und Trug zu bereichern. Der Romantitel „Ill Will“, der sich mit Feindseligkeit, Missgunst oder Groll übersetzen lässt, lässt sowohl die Motivation als auch die Wesenszüge der beiden Protagonisten erahnen. Auch die Erzählsprache unseres Autors scheint nicht gerade zimperlich zu sein: „Ich wollte keinen Pastiche schreiben“, erklärte Stewart dem Historia Magazine. „(…) Außerdem wollte ich die Grobheit von Wuthering Heights wiederherstellen. Das Buch löste in der viktorianischen Gesellschaft einen Skandal aus. Man bezeichnete es als barbarisch, gewalttägig, es galt als unmoralisch. Von Joseph und Nelly erfahren wir, dass Heathcliff eine schmutzige Sprachweise besaß. (…) Emily konnte diese Worte nicht schreiben, da sie gegen die damaligen Sitten verstießen, sie wäre nicht veröffentlicht worden. Aber ich kann das tun. Es ist interessant, dass Shakespeare solche Begriffe verwenden konnte, so wie ich heute. Emily aber durfte das nicht.“
Dass er seine weibliche Hauptfigur nach der Romanautorin benannte, ist nicht Michaels einzige Hommage an die Brontës. So hat er die sogenannte Brontë-Gedenkstein-Initiative ins Leben gerufen, um einen Themenweg durch die Moore nahe der Heimatstadt der Geschwister anzulegen, mit Gedenksteinen für Emily, Anne, Charlotte und ihren Bruder Branwell. Während die Schwestern zu ihren Lebzeiten übrigens ausschließlich unter männlichen Pseudonymen publizierten, veröffentlichte der Bruder unter seinem eigenen Namen. Frauen hatten sich im 18. Jahrhundert mit Heim und Herd zu befassen und nicht mit Schriftstellerei.

„Ill Will“ wurde im März dieses Jahrs bei HarperCollins Publishers veröffentlicht und ist sowohl als gebundene als auch als Taschenbuchausgabe sowie als E-Book erhältlich. Ein Interview mit Michael Stewart ist in Vorbereitung. Auch eine Buchrezension folgt.

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