
Nach dem exaltierten, ungewöhnlichen „Wuthering Heights“ zeigt dieser Song als zweite Single aus „The Kick Inside“ eine ganz andere Seite. Eine ruhige, stimmungsvolle Ballade erklingt. Klavier und Streicher dominieren. Eine fast besinnliche Stimmung zieht sich durch den Song.

Dieser Kontrast zu „Wuthering Heights“ war eine bewusste Entscheidung. Schon hier zeigte sich, dass Kate Bush von Anfang an ein ganz klares Bild von ihrer Musik und den Mechanismen der Vermarktung darum hatte. Von Anfang an ist dieses Statement da – von mir wird es keine Wiederholung des ewig Gleichen geben.
„I’d like people to listen to it as a songwriting song, as opposed to something weird, which was the reaction to ‚Wuthering Heights.‘ That’s why it’s important. If the next song had been similar, straight away I would have been labeled, and that’s something I really don’t want. As soon as you’ve got a label, you can’t do anything. I prefer to take a risk.“ [1]
Diese Ballade ist meilenweit weg von geisterhaftem, schrillem Gesang. Mit ihren ersten zwei Singles schon spannt Kate Bush einen ganzen Kosmos von Möglichkeiten auf. Kates Stimme ist hier tief, ruhig, fast fraulich – und das, obwohl dieses Lied von einer Sechzehnjährigen gesungen wird. Der Song stammt aus ersten Demo-Sessions im Jahre 1975.
„Maybe another interesting thing about this album is that two of the tracks, ‚The man with the child in his eyes‘ and ‚Saxophone Song‘ were recorded about three years ago. This was in fact my initial plunge into the business, as they say, with the help of Dave Gilmour from Pink Floyd. I managed to get through to him through a contact of my brothers‘ and at that time he was looking around for unknown talent. He came along and heard me and we put some things down and he put up the money for me to make my first demo in a proper recording studio with arrangements. I owe to him the fact that I got my contract and that I’m where I am now. Two of these original tracks that we had on the demo are on the album, so maybe that helps with the variation.“ [2]

Es gibt vielfältige Interpretationsmöglichkeiten über das, worüber hier im Lied erzählt wird. Ein Lied über einen unsichtbaren Begleiter, wie ihn Kinder oft haben? Oder vielleicht doch über einen sehr viel älteren Freund? Passiert da etwas Anstößiges? Wie so oft bei Kate ist es doppelbödig. Es wird dem Hörer überlassen, wie tief und abseitig er den Text auslegen will. Kate selbst gibt in Interviews höchstens harmlose Andeutungen von sich – und die Abgründe lässt sie aus.
„The inspiration for ‚The man with the child in his eyes‘ was really just a particular thing that happened when I went to the piano. The piano just started speaking to me. It was a theory that I had had for a while that I just observed in most of the men that I know: the fact that they just are little boys inside and how wonderful it is that they manage to retain this magic.“ [2]
Diese von Kate Bush selbst angegebene Deutung erscheint mir aber am plausibelsten. Es spricht eines der Hauptthemen an, das sich wie ein roter Faden durch das Bush-Universum schlängelt. Männer und Frauen sind sich eigentlich fremd, aber sie können nicht voneinander ablassen. Besonders schön sagt dies Kate Bush zu diesem Song in einer anderen Quelle: „I just noticed that men retain a capacity to enjoy childish games throughout their lives, and women don’t seem to be able to do that.“ [3]
Harmonisch ist das Lied eine Mischung aus e-Moll und G-Dur [4]. G-Dur enthält nach Beckh [5] stark das Element des Seelisch-Empfindenden, des Fühlenden. Es ist die Tonart der sprießenden Blütenfülle der Maienzeit, die Liebesoffenbarung im Werden der Natur. G-Dur ist anmutig, bescheiden, lieblich, innig, oft auch kindlich, unschuldig. E-Moll ist gemäß Beckh [5] klagend, aber auch erhaben, es ist die Tonart der „hellen Träume“, Das Bewusstsein für Tonarten war offenbar bei Kate Bush von Anfang an da. „The Man with the child in his eyes“ ist ein überraschend reifer Song für eine Sechzehnjährige. „Wuthering Heights“ führte die dämonische Wildheit und die Kompromisslosigkeit vor, die in Kate Bush steckt, dieser Song im Gegensatz dazu das Nachdenkliche, fast etwas Grüblerische. Zwei Seiten einer Medaille aus Gold. (© Achim/aHAJ)
[1] Harry Doherty: The Kick Outside. Melody Maker. 03.06.1978
[2] TKI promo cassette 1978
[3] N.N.: Bird In The Bush. September 1978. http://gaffa.org/reaching/i78_bitb.html (gelesen 30.06.2017)
[4] “Kate Bush Complete”. EMI Music Publishing / International Music Publications. London. 1987. S.119
[5] Hermann Beckh: Die Sprache der Tonart in der Musik von Bach bis Bruckner. Verlag Urachhaus. Stuttgart 1999. S.119 ff
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