Melancholisch kommt dieser Song daher, die Stimmung ist gebrochen romantisch. Ich mag diese zu Herzen gehende Stimmung. „Never be mine“ erinnert mich an die Mornas der kapverdischen Musik, die ich sehr liebe. Die Stimmung einer Morna ist melancholisch und nachdenklich, der Text voller Sehnsucht, Heimweh und Verlangen [1] – und genau so ist auch dieser Song von Kate Bush.
Es geht um ein Begehren, das aber besser ein Traum bleiben sollte – das ist die offensichtliche Deutungsvariante. Kate Bush gibt diese Interpretation selbst in verschiedenen Interviews.
„It’s that whole thing of how, in some situations, it’s the dream you want, not the real thing. It was pursuing a conscious realisation that a person is really enjoying the fantasy and aware it won’t become reality. So often you think it’s the end you want, but this is actually looking at the process that will never get you there. Bit of a heart-game you play with yourself.“ [2]
Noch deutlicher und präziser sagte sie es in einem anderen Interview so:
„It’s a desire to have something you can’t have, but in a lot of cases if the dream came true it would be horrible. The dream holds the fascination and power.“ [3]
Für Graeme Thomson [4] ist dies der „ewige Kampf zwischen Traum und Vorstellung, das Ringen zwischen Verstand und Instinkt, zwischen dem, was wir wissen und dem was wir fühlen.“
Wie so oft bei Kate Bush ist die erste Interpretation wie eine Folie, die über möglichen Untiefen liegt. Mehrere Rezensenten haben eine zweite Variante herausgelesen und herausgehört, die der verlorenen Liebe. Karen Clements [5] meint „Bush expresses the terrible pain of rejection with haunting vocals and the bittersweet sounds of Uillean pipes“. Und auch Martin Townsend [6] geht in diese Richtung – offenbar nach doch etwas tieferer Beschäftigung mit dem Song: „It’s first verse – an account of walking home through the burning stubble and seeing her lover’s face ‚ghostly in the smoke‘ – could only be plucked from real life, and brilliantly underlines the sense of a love lost in the very moment that it’s won. The vocal work of the Trio Bulgarka and the mournful tones of Spillane’s Uilleann pipes combine quite beautifully here.“
Ich selbst hatte lange eine dritte Variante im Sinn. Die Stimmung hat mich sehr stark an „The Fog“ erinnert, Es gibt ja auch Gemeinsamkeiten – siehe dazu weiter unten. Ich habe „Never be mine“ jahrelang so „gefühlt“, als ob hier die Protagonistin von einer anderen (ländlich-irischen) Lebensweise fasziniert ist. Sie ist sich aber auch bewusst, dass dies nur als Traum funktioniert. Ich gebe zu – eine etwas abwegige Analyse. Ich stehe nicht mehr dazu ;-).
Rob Jovanovic bleibt in seiner Biographie [7] wie so oft bei der Interpretation von Songs sehr an der Oberfläche. „Behäbig, bleibt trotz der vielen dort zusammenkommenden Einflüsse aus Irland, Deutschland und Bulgarien wenig überzeugend.“ Meine Meinung ist, dass er den Song nicht versteht. Er sieht noch nicht einmal die Folie, er sieht nur eine musikalische Reflexion und kann sie nicht mit dem Inhalt in Verbindung bringen. Und welchen deutschen Einfluss kann er meinen? Dass der Deutsche Eberhard Weber den Bass zupft?
Eine genauere Analyse lässt sich gut mit einem Durchgang durch das Lied Zeile für Zeile verbinden. Danach wird klarer sein, wie „Never be mine“ zu verstehen ist. „I look at you and see […]“ – der Beginn ist ruhig. Klavier,
Percussion, ein Streicherakkord, all das verbindet sich zu einer zarten und romantischen Stimmung. Bei „smoke“, „smell“, „Will now mean you and here“ kommen irische Flöten dazu. Wie in „The Fog“ erinnern sie an Heimat, es ist ein geerdeter Klang, tief im Volksmusikalischen verwurzelt. Vielleicht hatte ich genau aus diesem Empfinden heraus jahrelang die dritte Interpretation im Kopf. Der Text ist voller sprachmächtiger Bilder und fast schon Lyrik.
Zum mit „This is where I want to be […]“ beginnenden Abschnitt erklingt im Hintergrund das Trio Bulgarka. Sie singen einen fremdartigen, langen Akkord, der sich zuerst überhaupt nicht nach Stimmen anhört. Es ist eine Tonfarbe, ein Einsatz von Stimmen als Instrument. In der Schlusszeile des Abschnitts „But I know that this will never be mine“ setzt das Trio auf „mine“ dann abrupt aus. „Mine“ – die Welt der Protagonistin – hat nichts zu tun mit der Welt, die durch das Trio illustriert wird.
Mit „Ooh, the thrill and the hurting […]“ beginnt eine wieder anders gestaltete Musik. Basstöne bestimmen den Rhythmus. Für mich symbolisieren sie das Herzklopfen des „thrill and the hurting“. Die Beziehung zwischen den beiden Personen bietet also Herzklopf-Potenzial – aber es ist nur eine Vorstellung, ein Wunschtraum, eine Imagination, keine Realität („I know that this will never be mine“).
Die nächste Strophe sagt ganz klar, dass die im Song angesprochene Person die Protagonistin nicht wirklich braucht. Dieser Wunschtraum ist einseitig. „That clumsy goodbye-kiss could fool me, / But I’m looking back over my shoulder / At you, happy without me.“ Begehren ist da, aber ohne Erwiderung. Verlorene Liebe? Durchaus möglich, nicht naheliegend. Aber die Protagonistin ist Realistin („At you, happy without me.“).
Im Schluss ab „Ooh, the thrill and the hurting“ kommen alle diese Einflüsse zusammen in einer Coda, die zum Ausklang fast ein bisschen verspielt wird. Der Tagtraum ist kein Albtraum. Ab „It will never be mine“ drängt sich das Trio Bulgarka immer mehr in den Vordergrund, jetzt mit fast verständlichen Passagen. Der Herzklopfen-Bass schließt sich an. Die Stimmung wird hypnotisch und versetzt den Zuhörer beinahe in Trance. Der Schluss endet einfach so auf einer Note – ein Schlusspunkt ist gesetzt, der Realismus hat sich durchgesetzt. Das ist keine Überraschung – der Titel sagt es ganz unmissverständlich: „Never be mine“.
Interessant sind die eindeutigen Rollen, die musikalischen Elementen zugeordnet werden. Die irischen Flöten sind verbunden mit der Erwähnung der anderen Person, mit Verwurzelung in der Heimat. Das Trio Bulgarka ist verbunden mit dem, was man sich ersehnt, dem Traum. Der Bass steht für das Herzklopfen, die emotionale Bewegung. Dabei spiegeln sich diese Elemente durchaus ineinander, wie Kate Bush erläutert. „On Never Be Mine all the Irish stuff was done, and then the girls came in. Two separate entities put together, but similar energies. And sometimes you can hear little Irish riffs and flavours in the Bulgarian music and vice-versa“ [2].
All das illustriert aufs Schönste die Macht des Traums. Das Lied ist „hopelessly romantic in its self-realization that the dream of love is often more powerful than the reality.“ [8]
Die Tonart ist ein c-Moll [9]. C-Moll hat einen starken, positiven, kämpferischen Charakter. Es ist diejenige Tonart, die am festesten auf dem Boden, am stärksten auf der Erde steht, ein Zeichen eigener Kraft und Stärke – aber auch manchmal ein Symbol für die Tragik des Irdischen [10]. Es ist die passende Tonart für den Realismus, der schließlich auch in diesem Traum siegt. Bezeichnend ist, wie c-Moll in anderen Songs von Kate Bush eingesetzt wird. In „The Fog“ steht c-Moll für das Grundvertrauen (in den Vater), in „Lily“ für den Rat der Heilerin, in „Running up that hill“ wird in dieser Tonart ein Wunsch an Gott gerichtet. Bei Kate Bush ist c-Moll die Klangwelt der Ratgeber, der Wissenden, der „guten Mächte“. Es ist die Sicherheit und der Schutz, der feste Grund unter den Füßen.
In der Musik und im Gesang fehlt jeder Hauch von Verzweiflung, der ja bei der Verlorene-Liebe-Interpretation mindestens ansatzweise vorhanden sein müsste. Dies alles zusammen ist für mich Beleg genug dafür, dass die erste Interpretationsvariante die schlüssigste Variante ist und dass Kate Bush in ihren Aussagen zum Song wenig verschwiegen hat.
Ein weiteres Interview [11] zeigt auf, dass der Weg zum erzielten Ergebnis aber etwas komplizierter war. Offenbar war es nicht leicht, die ganzen Aspekte auf Anhieb zu integrieren, der Song entfaltete sich Stück für Stück auf dem Weg. An den Details wurde wieder und wieder gefeilt. „I wanted a sort of eastern sounding rhythm. I wrote it first on the piano, though the words were completely different, except for the choruses. I did it on the piano to a Fairlight rhythm that Del programmed [,,,]. We got Eberhard (Weber) over to play bass and he played on the whole song. When we were trying to piece it together later we kept saying it just doesn’t feel right, so we just took the bass out and had it in these two sections. You hardly notice it going out at all. I think the song has a very light feel about it, which helps the whole imagery. The Uilean pipes have a very light feel, and the piano is light .. I think it’s a nice contrast when the bass suddenly come in. […] The piano on this is an upright Bernstein that has a really nice sound – I think it has to do with proportions for us. We did have a big piano and it’s a small room, and it didn’t record well. The small piano sounds much bigger.“
Auch bei diesem Song zieht Graeme Thomson [4] ein treffendes Fazit. „Kate Bush ist hier etwas Fantastisches gelungen. Sie zeigt, wie uns das, was wir fühlen, gleichzeitig gefangen hält und befreit, so sehr wir uns vielleicht dagegen wehren mögen. Und wie anschaulich macht sie deutlich, dass unsere Sinne Assoziationen beflügeln und so darüber entscheiden, wie wir uns erinnern: ‚the smell of burning fields will now mean you and here!‘.“ Um die Assoziation vom Beginn wieder aufzugreifen: auch das spiegelt die Stimmung einer kapverdischen Morna wieder. „Never be mine“ ist textlich und musikalisch ein Wehmutsgesang. (© Achim/aHAJ)
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Musik_der_Kapverdischen_Inseln (gelesen 21.04.2017)
[2] Len Brown: In the Realm of the Senses. New Musical Express, 7. Oktober 1989
[3] N.N.: Love, Trust and Hitler. Tracks, November 1989
[4] Graeme Thomson: Kate Bush. Under the ivy. 2013. Bosworth Music GmbH. , S.303
[5] Karen E. Clements : Tales of Love. Cornell Daily Sun, 27. Oktober 1989
[6] Martin Townsend: Kate Bush: The Sensual World EMI EMD 1010. New Hi-Fi Sound, November 1989.
[7] Rob Jovanovic, Kate Bush. Die Biographie. 2006. Koch International GmbH/Hannibal. Höfen. S.174
[8] Brad Bradberry : Kate Bush – The Sensual World. Option, Jan/Feb 1990.
[9] Kate Bush: Songbook „The Sensual World“. EMI Music Publishing Ltd.. London 1990. S.45-47
[10] Hermann Beckh: Die Sprache der Tonart in der Musik von Bach bis Bruckner. Verlag Urachhaus. Stuttgart 1999. S.123-126
[11] Tony Horkins: What Katie Did Next. International Musician, Dezember 1989
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