Das Song-ABC: Why Should I Love You?

Es gibt Songs, deren Entstehungsgeschichte nebst der Anekdoten, die sich um sie ranken, ein Traum für Analysten sind. Solch ein Song ist „Why Should I Love You?“. Einer der auffälligsten Momente auf dem Werk The Red Shoes – nicht zuletzt deshalb, da es sich hier um ein Teamwork zweier Alphatiere der Popmusik handelt. Und dies zu einem Zeitpunkt, in dem sie – Daisy Jones von VICE weist darauf hin1 – in völlig unterschiedlichen Lebensphasen steckten: Kate noch unter dem Eindruck des Todes ihres Gitarristen Alan Murphy, sowie der sich langsam abzeichnenden Trennung von Del Palmer, Prince in überschwänglicher Laune, nachdem er sich von der dunklen Phase des Black Album spirituell befreit hatte. Ob über Kates transatlantisches Tête-à-tête mit Prince nach dem frühen Tod des Querkopfs aus Minnesota noch ein paar Details mehr ans Licht kommen? Wir wissen ja schon eine Menge.
Aus direkter Quelle gibt es Infos darüber, wie es überhaupt zum Teamwork kam, denn Del Palmer selbst hat die Geschichte 1993 im Homeground-Fanzine2 zu The Red Shoes erzählt. Kate besuchte 1990 ein Prince-Konzert der „Nude Tour“ in der Wembley-Arena – nicht ganz uneigennützig, denn sie wollte abchecken, ob das Stadion auch für eines ihrer eigenen Konzerte taugen würde (!). Kurz vor Beginn des Konzerts überreichte ihr ein Bote des Prinzen einen Notizzettel, auf dem sich der Amerikaner als Fan zu erkennen gab. Die so Verehrte fing – kreatives – Feuer und versuchte Prince backstage abzupassen, aber seine Majestät war schon entwischt. Die Zusage für eine Zusammenarbeit gab es aber kurz darauf per Telefon.
wsily400Um die verschachtelte Genese des Songs nachvollziehen, betreten wir jetzt zunächst Kates Studio. Es ist ein Glücksfall, dass das Rohmaterial für den Song vor einiger Zeit geleakt wurde, und so wissen wir, welche Klänge Kate gen Paisley Park schickte3. Die fast siebenminütige Prima Materia unterscheidet sich ganz wesentlich vom Song der CD-Version: Nicht nur die Textstruktur ist noch eine ganz andere, es gibt auch einen Chorus, für den der rhythmische Unterbau wechselt und der sich dadurch hymnisch abhebt. Die Refraingestalt der CD-Fassung erklingt hier nur flüchtig von 5‘28“-5‘43“, wird aber für unsere Geschichte wesentlich werden. Wollte Kate Prince eine Spielwiese zum Austoben bieten? Oder ist das die Songlänge, wie sie sie ursprünglich zu veröffentlichen gedachte? Glaube ich nicht, aufgrund der vielen Wiederholungen. Was sie sich von Prince wünschte, darüber gibt es wiederum verschiedene Aussagen: Sie selbst äußerte lediglich, sie hätte an Gitarrenspuren gedacht.4 Paul Sinclair dagegen vermutet, sie hätte vorgesehen, dass er über den Textabschnitt „The fine purple…“ Vocals legen solle.
Del Palmer im „Homeground“ wiederum ist es zu verdanken, dass wir über die weiteren Ereignisse des kreativen Austauschs Kenntnis haben: Vom anfänglichen Entsetzen darüber, dass zunächst nur das unberührte Demoband aus Paisley Park zurückkam, bis zum Enthusiasmus über das später eintreffende Paket mit Princes kreativen Früchten. Die „Fine Purple“-Passage ließ er unberührt. Vielleicht, weil ihm das in Hinsicht auf die Textnähe seines eigenen Hits „Purple Rain“ zu offensichtlich gewesen wäre? Herausgepickt hat er sich offensichtlich nur den oben erwähnten Schnipsel der Demoversion ab 5‘28“, und ihn mit Spuren aus Vocals, Keyboards, Gitarren und Bässen vollgeschichtet. Wie sich die Vollversion seines Materials anhörte, darüber lässt sich bisher nur mutmaßen. Kate selbst bat laut Princes Toningenieur Michael Koppelman die Amerikaner darum, das Material zu vernichten6 . Aber ob sie das auch taten? Einiges über den problematischen Charakter von Prince enthüllen die amüsanten Anekdoten auf Koppelmans Blog von 2005, inklusive der diebischen Freude des Engineers über die Fehler seiner Majestät beim Einsingen der Vocals. Denn es heißt ja tatsächlich: „of all the people in the world“ statt „All of the people…“
In einer letzten Etappe, die allerdings zwei Jahre dauern sollte, wurden Kates Anfangsideen zusammen mit Princes neuen Zutaten zurückgebastelt zu einem Kate Bush-Song. So zumindest beurteilt das Del Palmer. Eigentlich ist aber nur das Intro vom ursprünglichen Charakter übriggeblieben. Nach einer Minute herrscht der Discofunk Princescher Prägung, der allerdings wie ein genialer Geistesblitz ohne Vorankündigung – denn das Wort „LOVE“ ist ja noch nicht einmal zu Ende buchstabiert – über den Hörer hereinbricht. Wie sich Princes und Kates Vocals allein im „of“ der ersten Zeile melismatisch verzwirbeln: Das ist zum Niederknien. Unterfüttert ist ab jetzt alles von einem grandiosen E-Bass-Lauf, den Kate zum Ostinato für das ganze Stück erkoren hat. Princes immer wieder von neuem anrollende E-Gitarren-Passagen sind voll feiner Kantigkeit, seine Chöre von samtener Soulfarbe. Dass Kate für die „Finest Purple“-Passage einen schwarzen Sänger ersehnt hatte, darauf deutet dann doch hin, dass sie letztendlich den britischen Komiker Lenny Henry ins Studio bat: Sein Gesang ist aber nur ein matter Abglanz dessen, was bei Prince möglich gewesen wäre.
pksNach all diesen genealogischen Details des Songs nun eine abschließende Betrachtung: Kates erste, introartige Strophe mit den warmen Vokalpassagen des Trio Bulgarka gehört für mich zu den intensivsten Stellen auf The Red Shoes. Mit der Orgel und den sanften Drums bekommt es etwas Weihevolles. Textlich knüpft sie hier an „Song Of Solomon“ an: Eine fast religiöse Überhöhung der Liebe und des Geliebten, die in der zweiten Strophe durch die Jesus-Zeilen verstärkt wird. Warum sollte ich von allen Menschen auf der Welt gerade dich lieben? Letztendlich lässt es sich nicht erklären, warum man sich oft gegen alle Vernunft für jemanden entscheidet. „There‘s just something ‘bout you“, kann man da vielleicht nur stammeln. Und die edelsten Metaphern wie „fine purple“, „purest gold“ hervorholen, um die Gefühle zu beschreiben. Kate selbst hat den Song in seiner Urform als „R&B type“ beschrieben. Ich würde sogar noch weiter gehen: Es ist ihre Art von Gospel – und guter Gospel hebt die Trennlinie zwischen irdischer und himmlischer Liebe auf.
Aber dann – nachdem sich die anfängliche Faszination über den hineinstürzenden Funk à la Prince gelegt hat, nachdem die zweite Strophe nochmals die heilige Atmosphäre beschwört hat – dreht der Song immer mehr in den Leerlauf, entwickelt sich nicht mehr weiter. Es ist einfach ein – zugegeben großartiger – Showcase für die Multitracking-Spleens zweier Genies, die aber nie ihre befruchtende Kreativität miteinander im Studio gespürt haben. Man merkt überdeutlich, dass hier nicht kommuniziert, sondern konstruiert wurde, und zwar ein wundersames Klanggebilde zwischen Minneapolis, London und Sofia. Randnotiz: Homogener hört sich Kates Sidewoman-Revanche an, im Song „My Computer“ für das Prince-Album Emancipation (1996) – sicherlich gerade deshalb, weil sie sich von vorneherein auf Background Vocals beschränkte.
Noch einmal eine ganz andere Welt aus „Why Should I Love You“ hat Mike Scott gebaut: eine Rockhymne mit einer sich allmählich entfaltenden, dramatischen Strahlkraft, als Beitrag zur Kompilation Come Again (1997)7. Keine Frage, ich verehre Kate und ich habe den größten Respekt vor Prince. Aber wenn ich ganz ehrlich bin: Als Song im klassischen Sinne berührt mich die Version des Waterboys-Chefs tatsächlich mehr. (Stefan)

1 http://noisey.vice.com/blog/how-prince-met-kate-bush-and-made-why-should-i-love-you
2 Cloning Made Easy – recollections of The Red Shoes by Del Palmer, S.10 – Homeground Fanzine 1993, Novercia Ltd./Kindlight
3 https://www.youtube.com/watch?v=IbP-dapt09Q
4 Kates Notizen zu den Albumsongs im Homeground Fanzine 1993, Novercia Ltd./Kindlight, S.2-6
5 http://www.superdeluxeedition.com/feature/when-prince-worked-with-kate-bush/
6 https://lolife.com/2005/02/15/kate-bush/
7 https://www.youtube.com/watch?v=GeXr72TW-WQ

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