Das Song-ABC: Get Out Of My House

abcEin herzhafter Lachanfall war Graeme Thomson zufolge die Reaktion einiger Zeitgenossen auf diesen Song[1]. Fragt man jedoch hartgesottene Kate-Fans, rangiert er stetig hoch in der Gunst, findet sich in Favoritenlisten häufig unter den Top 10. Zu Recht: „Get Out Of My House“ ist ein fantastisches und zugleich beängstigendes Stück Popmusik, bei dem zeitweise die Grenzen zur musique concrète, zum Hörspiel aufgeweicht werden. Ich würde sogar soweit gehen, dass er etlichen Popkünstlern seit den 1980ern mit der Art und Weise, wie die Rhythmusspuren gebaut wurden, bewusst oder unbewusst als Blaupause gedient haben könnte. Dabei sprengt der Song eigentlich die technischen Möglichkeiten, die man 1981/82 in einem gemieteten Studio unter Zeitdruck umsetzen konnte. Es wird verständlich, wie innig sich Kate damals ein eigenes Klanglaboratorium gewünscht hat, doch in jener Schaffensphase war sie ja noch auf die Londoner Studios angewiesen, wo sie sich mit Del Palmer, Paul Hardiman und Haydn Bendall bis zu 20 Stunden am Tag einbunkerte. Die hermetische Isolation in einem Raum ohne Fenster mag die Paranoia von „Get Out Of My House“ noch befeuert haben.
Als Finaltrack setzt „Get Out Of My House“ dem ohnehin sehr gewagten Album „The Dreaming“ das Krönchen auf. Vom Aufbau her haben wir eine klassische Songstruktur mit Strophe, Bridge, Refrain und Coda. Wie diese allerdings soundtechnisch ausgestaltet sind, das hat nicht mehr viel mit dem herkömmlichen Popsong zu tun und reiht sich konsequent in die auf „The Dreaming“ verfolgten Gestaltungsprinzipien ein: Experimentelle Klangcollagen, bei denen das Drumkit zugunsten von Geräuschsamples auch mal zur Nebensache wird.
Martialische  Beats, der Schlachtruf „Eeyore“ aus der Kehle von Paul Hardiman und das dreitönige Leitmotiv auf Alan Murphys Gitarre bilden das Intro, bevor Kates Vocals einsetzen. Der letzte Offbeat des galoppierenden goomh4-400Viervierteltakts wird übermäßig betont, er ist auch zuständig für den Widerhaken im Groove – und in ihm versteckt sich das Sample einer heftig zugeschlagenen Tür. Sie wird auch gleich im Text thematisiert: „When you left the door was (slamming)“. Ein letzter Besucher verlässt das Haus, ein Gedanke stiehlt ihn hinweg, die Welt zieht ihn hinaus. Das Haus ist leer – und das bleibt es auch. Denn was nun folgt, ist die grandiose akustische Ausgestaltung einer Psychose. Dabei ist der eigentliche Protagonist das Haus, in dem die Heldin lebt, doch die Körpermetaphorik will es so, dass das lyrische Ich und das Haus organisch verschmelzen, in einem einzigen Bestreben: Niemand soll diesen „Körper“ jemals mehr betreten, „no stranger’s feet will enter me, I wash the panes, I clean the stains away.“ Diese totale Abschirmung gipfelt im wiederkehrenden Ausruf „With my key I lock it“, wobei das „lock it“ zeitlich mit der zugeschlagenen Tür zusammenfällt. Der Schlüssel als Motiv weist wiederum auf den vorangegangenen Track „Houdini“ hin. Auch in diesem Lied über den Entfesselungskünstler spielte ja das Motiv des gewollten Wegschließens eine zentrale Rolle.
Kate porträtiert sich mit den verschiedenen Färbungen ihrer Stimme als multiple Persönlichkeit: In den Strophen als Führerin durch die verwinkelten Abgründe dieses Geisterhauses / dieser Seele, „full of mess, full of mistakes and full of madness“ ist. In der Bridge ist sie die laszive Concièrge, die weder für Liebe noch Geld irgendjemanden hinein lässt, und sich mit der verhallten Zeile „I won’t letcha in“ zu einem Monster aufbläht. Der Refrain dagegen besteht nur aus der Titelzeile des Songs, der furienhaft, verzweifelt heulend, flehend und gebrochen bis zur Unerträglichkeit wiederholt wird. Natürlich kann man – oft ist das in anderen Interpretationen geschehen – hier auch eine sexuelle Konnotation sehen, oder schlicht und einfach Kates Reaktion auf die Schattenseiten des Berühmtseins: Das Bedürfnis nach Rückzug wird immer verzweifelter.
Nachdem die Räumlichkeit des Hauses mit vielen perkussiven Stereoeffekten, weit entfernten Stimmen und seufzenden Lauten aus dem Fairlight-Synthesizer ausgelotet wurde, kommt in der riesenhaften zweiteiligen Coda noch ein intimes Duett mit Bruder Paddy zum Tragen. Er umschmeichelt die Bewohnerin, bittet um Einlass (den sie ihm nicht gewährt) und will die Erinnerungen zurückbringen. Der Heathcliff aus „Wuthering Heights“, der „let me in your window“ fleht, hier begegnen wir ihm unter gänzlich anderen Vorzeichen. Doch Kate setzt noch eins drauf: Kate und Paul Hardiman lassen ihr „Eeyore“-Brüllen ertönen, ein Symbol für die hartnäckige, animalische Verweigerungshaltung eines Esels, das wiederum noch mit einem Konnakol überlagert wird (ein „Silben-Rap“, mit dem in der südindischen Musik rhythmische Abläufe memoriert werden). Spätestens hier sprengt Kate die damaligen technischen Möglichkeiten: Die Übereinandertürmung von Klangspuren sorgt dafür, dass man als Hörer schier die Orientierung verliert. Was die Visionärin in ihrem Innern hörte, ließ sich klanglich nicht mehr umsetzen.  (Stefan)

1 Kommentar

  1. Get out of My House gehört zu meinen Lieblingsliedern – schön und beängstigend zugleich. Er passt (wie das ganze Album The Dreaming) in keine Schublade und ist für mich kein Popsong im herkömmlichen Sinne. Musikalisch wie lyrisch ist der Song für mich ein Kunstwerk. Dass es hier um eine Person geht, die wegen schlechter Erfahrungen oder seelischer Verletzungen niemanden an sich heran lassen will und buchstäblich alle Türen zu ihrem ICH verschließt, ist relativ deutlich. Wenn ich über das ‚Warum‘ nachdenke, komme ich zu mehreren Schlussfolgerungen. Die Person wurde vielleicht sexuell missbraucht (hier stünde das Haus für den Körper). Die zunächst einschmeichelnde Männerstimme am Schluss, die dann furchteinflößend wird (I’ll turn into the wind, I’ll blow you a cold kiss…“) bedrängt die Person, ihn herein zu lassen. Sie bittet verzweifelt ‚Get out of My House‘ Bringt sie sich in Sicherheit, indem ihr Geist den Körper verlässt und zum Vogel wird und wegfliegt? Oder zum Esel, der alles stur über sich ergehen lässt?
    Oder ist die Protagonistin psychisch krank, hört Stimmen und lebt in ihrer eigenen Welt, zu der niemand Zutritt haben soll. In einer Wahnvorstellung wird sie zum Vogel oder einfältigen Esel…
    Ich bin mir nicht so sicher, ob mir jemand folgen kann…

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