Dieser Song vom Album „Never for ever“ ist einer der großen englischen Antikriegssongs, getarnt als Top20-Hit [1]. Lieder als politische Kommentare haben oft ein Manko – sie erheben den Zeigefinger, sind belehrend. Ich achte die gute Absicht, höre es mir aber nicht sehr gern an. Wie schreibt und komponiert man so etwas, ohne dass es aufdringlich, plakativ und übertrieben wirkt? „Army Dreamers“ zeigt, wie es geht.
Kate Bush ist in ihren Anfangsjahren oft vorgeworfen worden, sie sei politisch indifferent und eher auf der esoterischen Spur. „Ich schreibe nur dann über so etwas, wenn mich politisch motivierte Handlungen emotional berühren“, sagte sie in einem Interview zu „Never for ever“ [2]. Das Lied handelt von einem toten Soldaten, der von seiner Mutter betrauert wird. Eine Trauerfeier auf dem Flugfeld, sein Sarg wird hereingetragen von vier Soldaten. Sie denkt mit Wehmut an die Vergangenheit und an das, was aus ihrem Sohn hätte werden können. Geschickt werden so Muttergefühle – also eine sehr emotionale und persönliche Empfindung – mit einem politischem Statement verbunden. „It’s just putting the case of a mother in these circumstances, how incredibly sad it is for her. How she feels she should have been able to prevent it. If she’d bought him a guitar when he asked for it.“, erläuterte Kate Bush in einem Interview [3]. Zur Zeit des Albums kam nur Nordirland in Frage als Land, in dem britische Soldaten im Einsatz getötet wurden. Dieser ganz klare politische Bezug wird aber im Song verschleiert. Im Song ist neutraler vom B.F.P.O. (British Forces Post Office) die Rede.
Der Song beklagt den beständig hohen Preis, „den jeder Krieg von einer ganzen Generation junger und unterschätzter Menschen fordert: verhinderte Väter, Parlamentarier oder Rockstars, die nicht einmal die 20 erreichen.“ [4] Verlorene Leben, unerfüllte Potenziale, Trauer und Tod – das sind die Themen. Diese in den Tod führende Perspektivlosigkeit steht für Kate Bush im Vordergrund: „Es ist so traurig, dass es Jugendliche ohne Schulabschluss gibt, die keine andere Chance sehen, als zur Armee zu gehen, obwohl das eigentlich nicht ihr Wunsch ist. Das ist es, was mir Angst macht.“ [2]
Gesungen wird „Army Dreamers“ mit leicht irischem Akzent. „Der irische Akzent war wichtig, weil ich den Song auf sehr traditionelle Weise angepackt habe, und die Iren haben stets ihre Songs benutzt, um Geschichten zu erzählen. […] Ein irischer Akzent vermittelt eine gewisse Verletzlichkeit und wirkt poetisch. Und so kommt der Song dann auch anders rüber“, erläutert dies Kate Bush [2]. Aber das ist nur die halbe Geschichte. Der irische Akzent verstärkt subtil den Zusammenhang mit Nordirland. Auf einer anderen Ebene verstärkt er zudem den emotionalen Bezug – Kates Mutter hat irische Wurzeln. Vielleicht gab es in ihrer Umgebung ähnliche Vorfälle, vielleicht haben ihre Mutter oder Bekannte davon erzählt. Dieser Akzent macht es persönlicher, intimer.
„Army Dreamers“ lebt auch von seinen inneren Widersprüchen. Ein todtrauriger politischer Text wird mit einer sanften, träumerisch-tänzerischen Melodie kombiniert, einem Walzer. Dies gehört nicht zusammen, dies spiegelt die Gefühle der Zerrissenheit der trauernden Mutter wider und transportiert diese Zerrissenheit direkt zum Zuhörer. Dieser träumerische Walzer wird durch die starke Benutzung von gesampelten Sounds – das Laden von Gewehren, militärische Befehle – direkt mit der Szenerie verbunden. Die Mutter steht vor dem Sarg bei der militärischen Trauerfeier, Gewehre werden präsentiert, Ehrenbezeugungen für den Toten. Das dringt vor zur Protagonistin des Songs, aber sie ist ganz bei ihrem Sohn, zärtlich, sanft, wehmütig. In all ihrer Trauer ist der Mutter aber die Falschheit der Situation bewusst. Im Song heißt es „Give the kid the pick of pips / And give him all your stripes and ribbons / Now he’s sitting in his hole / He might as well have buttons and bows“ [5].
Bei der Art dieses Liedes war dies eine ganz unerwartete Hitsingle. Aber die Melodie ist eingängig, glänzend, meisterlich melodisch – ein Glücksfall. Es ist eine der Melodien, die ich nach einem Hören nicht schnell aus meinem Kopf bekomme. Kate Bush hat hier neue Mittel probiert – „It’s the first song I’ve ever written in the studio“ [3] – und gewonnen.
Der Song ist in h-moll notiert und schwankt ständig zwischen h-Moll und der parallelen Dur-Tonart D-Dur hin und her [5]. Die mögliche positive Gegenwelt steht dabei immer in D-Dur (Dur steht bei „Mammy’s hero“, bei „B.F.P.O“, bei den ganzen mit „should have been“ beginnenden Möglichkeiten) [5]. Dies ist wieder einmal – wie so oft bei Kate Bush – eine sehr subtile Nutzung der Tonarten. D-Dur ist „die Tonart des siegenden Helden, das Erreichen des höchsten Ziels, der siegreichen Überwindung, die eigentliche Siegertonart“, es ist die „sprießende, belebende Kraft, Wachstumskraft, Werdekraft.“ [6]. Ja – all das hätte aus dem Soldaten werden können. Aber all diese Möglichkeiten sind ins Dunkle gewendet. Das siegreiche, verheißungsvolle D-Dur wird in sein düsteres, trauriges Gegenstück h-Moll verwandelt. Auf die „Should have been“-Sätze in Dur folgen immer die mit „But“ beginnenden Sätze in Moll. Die Realität steht nicht in Dur.
(© Achim/aHAJ)
[1] Pat Gilbert: Army Dreamers, Mojo 10/2014. S.74
[2] Rob Jovanovic, Kate Bush. Die Biographie. 2006. Koch International GmbH/Hannibal. Höfen. S.120/121
[3] Colin Irwin: „I find myself inspired by unusual, distinct, weird subjects“. Interview im Melody Maker 4.10.1980.
[4] Graeme Thomson: Kate Bush. Under the ivy. 2013. Bosworth Music GmbH. S.213
[5] „Kate Bush Complete“. EMI Music Publishing / International Music Publications. London. 1987. S.61f
[6] Hermann Beckh: Die Sprache der Tonart in der Musik von Bach bis Bruckner. Verlag Urachhaus. Stuttgart 1999. S.180
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