Ein klassischer Irrweg: Die Sitar schwirrt mit dem Piano um die Wette, Kate singt eine Melodie, die leicht arabesk klingt. Zumindest ich habe die Einflüsse für diese magische Songminiatur beim ersten Hören irgendwo in Asien oder dem Orient vermutet. Doch die Hintergründe sind ganz abendländisch: Kate, die immer eine Ader für klassische Musik hatte und hat, huldigt hier dem englischen Komponisten Frederick Delius (1862-1934), einer der außergewöhnlichsten Tonmaler der Spätromantik. Die Spezialität des deutschstämmigen Komponisten waren Tondichtungen, die von einer tiefen Liebe zur Natur sprechen, da ist sie ihm ja durchaus seelenverwandt.
„Delius“ ist allerdings keine abstrakte Hommage, sondern bezieht sich ganz ausdrücklich auf die letzten sechs Lebensjahre, die vom exzentrischen Regisseur Ken Russell 1968 im Schwarz-Weiß-Film „Song Of Summer“ eingefangen wurden [1]. 1928 reiste der damals blutjunge Musiker Eric Fenby von seiner Heimat Scarborough zu Delius‘ letztem Wohnsitz im französischen Grez-sur-Loing bei Paris, um ihm bei der Ausführung seiner letzten Werk zu helfen. Delius war zu diesem Zeitpunkt als Folge einer Syphilis-Erkrankung bereits gelähmt und erblindet und zudem „a moody old man“. Die Kompositionssessions gestalteten sich unglaublich schwierig: Delius, so zumindest macht uns Russell das glauben, sang seinem jungen Gehilfen mit brüchiger Stimme unentzifferbare Melodien vor („ta-ta-ta“), dieser hatte dann noch rumzurätseln, in welcher Tonart er sie notieren sollte („in B, Fenby!“). Paddy verkörpert Delius hier in seiner unnachahmlich witzigen Art. Dass unter den schwebenden Vokallinien ein pluckernder Roland-Rhythmus liegt, ist eine Kuriosität mehr. Der Rhythmus wurde sozusagen nur skiziiert, nicht ausgearbeitet.
Kate zitiert dann im Text mehrere bekannte Kompositionen, allen voran den „Song Of Summer“[2], an dessen Fertigstellung Fenby schon beteiligt war. Das absteigende Viertonmotiv des Orchesters ist dann auch genau die Tonfolge von Sitar und Klavier (in Kates Fassung erheblich schneller). „To be sung of a Summer, Night on the Water“ geht auf zwei Lieder zurück, die Delius 1917 ohne Text für Chor geschrieben hat [3], Fenby hat sie dann 1938 für Streichorchester unter dem Titel „Two Aquarelles“ gesetzt.
„Delius“ funkelt als kleiner Fremdkörper zwischen der Single „Babooshka“ und dem Bill Duffield-Epitaph „Blow Away“ auf Never For Ever und ist in seiner ätherischen Eigenwilligkeit fast ein Gegenentwurf zum Charakter des störrischen Greises Delius. Schön ist ein Dokument aus der Russell Harty-Show auf BBC2 vom 25.11.1980, in der Kate auf den nun seinerseits alten Eric Fenby trifft, um über Delius zu diskutieren [4]. Fenby hat ihr Tribut als „gracious“ bezeichnet – sie war sehr geschmeichelt. (Stefan)
[1] https://www.youtube.com/watch?v=zN6sAkxByaY
[2] https://www.youtube.com/watch?v=JUgfHSINV7Y
[3] https://www.youtube.com/watch?v=ePOz8ruthFQ
[4] https://www.youtube.com/watch?v=UTAvwX_eJco
1 Kommentar
Sehr schön! „Ätherische Eigenwilligkeit“ ist eine Bezeichnung, die gut zur Musik von Delius passt – und Kate Bush hat das hier einfühlsam aufgegriffen.