Es ist schwierig, vom gleichnamigen Album einen Song auszuwählen – da funkeln so viele Diamanten. Aber der Titelsong ist doch ein besonders prächtiges Juwel. Er beschließt das Album und setzt den Schlusspunkt.
Klavier, ganz sanfte Orchesterklänge, die Stimme – „The Kick Inside“. Ein ganz ruhiger Titel, melancholisch, in sich selbst versunken. Traurigkeit, Wehmut und Abschied durchziehen das ganze Lied. Der Text thematisiert eine Inzestbeziehung („Your sister I was born“). Die Schwester wird schwanger von ihrem Bruder und begeht Selbstmord. Das Lied enthält den Abschiedsbrief [1]. Der Text entschuldigt sich für diesen einen süßen Moment, der mit seinen Konsequenzen alles zerstört hat („I’m giving it all in a moment for you“). Die Protagonistin sieht sich in einer Situation, die sie nur aus alten Sagen kennt, in der Bruder und Schwester wie selbstverständlich Kinder miteinander haben („Didn’t we cry at that old mythology he’d read“). In der griechischen Mythologie ist Gottvater Zeus so gezeugt worden und mit seiner Schwester Hera zeugte er die weiteren Götter. Aber England 1978 ist nicht das sagendurchwobene Griechenland der Antike. Konsequent opfert die Protagonistin mit ihrem Schritt ihr ungeborenes Kind, Zeus wird das verstehen („I“ll send your love to Zeus“).
Liebe endet in einer Katastrophe. Ein Wiedersehen wird es erst dann geben, wenn „the sun and the moon meet on yon hill“ – also niemals. Ein ähnlich schreckliches und endgültiges „Niemals“ mit fast gleichen Worten beschließt z.B. auch die erste Staffel der Fernsehserie „Game of thrones“ und die dazugehörende Buchvorlage.
Ganz unerwartet endet der Song, die Melodie bricht auf einer Note mittendrin einfach ab. Ein offenes Ende, eine Wendung in Moll (ins Dunkel) auf dem letzten Ton, ein Hinaustreten. Die Protagonistin hat den Abschied vollzogen. Als Hörer steht man da und ist plötzlich und unerwartet allein, der Schmerz dringt nach einer Schrecksekunde ein. Ich möchte hineingreifen und der Protagonistin meine Hand reichen – aber es ist zu spät. Das ist grandios.
Schon in ihrem ersten Album setzt Kate Bush mit diesem Song ein Stilmittel ein, dass viele ihrer Alben kennzeichnen wird. Der letzte Song endet wie mit einer Frage. Das Album endet offen und unaufgelöst. Die Zukunft ist unsicher und wie es weitergeht, wird sich zeigen. (© Achim/aHAJ)
[1] Rob Jovanovic, Kate Bush. Die Biographie. 2006. Koch International GmbH/Hannibal. Höfen. S.71
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