Das Song-ABC: Oh England My Lionheart

abcEin Krieg ist beendet („The soldiers soften, the war is over.“), ein abgeschossener Militärpilot kommt in seinem Sarg zurück in sein geliebtes England („Dropped from my black Spitfire to my funeral barge.“). Das Lied ist ein Strom von Erinnerungen, Bildern, Emotionen. Jemand kommt nach Hause, aber es ist nur noch eine Zwischenstation auf einem Weg ohne Rückkehr, es ist die Wehmut des endgültigen Abschieds. Das Lied endet mit einen „I dont’t want to go“.
Ein zurückhaltendes Arrangement, Klavier, Flöten, Cembalo, berührender Gesang – das Lied verströmt ein beinahe mittelalterliches Flair [1]. Überall im Text finden sich England-Verweise (London Bridge, Shakespeare, die Themse, der Tower und seine Raben), alles ist von Sehnsucht geprägt. Kates Gesang aber lässt alles Zuckersüße an dem Titel verfliegen [1]. Diese melancholische, ganz ruhige und romantische Ballade hat damals sofort mein Herz für das Album gewonnen. Der Song ist eine Erinnerung an alles Gute und Schöne, alles in Text und Musik beschwört die Vergangenheit und die Heimat hervor. Diese perfekte Kombination aus Musik und Text ist tief bewegend, sie bedient sich unvergesslicher Bilder, verortet Erinnerungen in Zeit und Raum [2]. Aber wer tot ist der muss gehen – und da hilft kein noch so emotionales „I don’t want to go“. Wenn ich genau hinhöre auf den Rhythmus – es ist ein ruhiges, langsames Dahinschreiten. Hinter der Beschwörung der Vergangenheit versteckt sich ein Trauermarsch. Zu diesem Song wird der Sarg des Piloten zum Grab getragen. Mit dem letzten „I don’t want to go“ senkt sich die Melodie, hinunter in die Erde, es ist zu Ende. Es ist ein Lied über den Tod.
„Oh England my Lionheart“ ist für Kate Bush eine ganz persönliche Herzensangelegenheit. Für das Persönliche spricht, dass der Text im Booklet handschriftlich abgedruckt ist. Kate mag den Titel nicht mehr, möglicherweise deckt er doch zu viel aus dem Inneren auf. Er ist aber eindeutig das Zentrum des Albums, nicht ohne Grund spiegelt sich dies im Namen des Albums wieder. Kate verortet sich hier in ihrer Heimat und in ihren musikalischen Traditionen, mit voller Hingabe. Das geht vielleicht wirklich nur als Totenklage, um nicht kitschig zu werden.
Aber wie so oft bei Kate Bush – eine zweite Ebene ist denkbar. Mit ihren ersten zwei Alben tritt sie heraus aus ihrer kleinen Welt in die Öffentlichkeit. Trägt sie hier in diesem Song auch ihre Kindheit zu Grabe? „I don’t want to go“.
Achim/aHAJ)

[1] Rob Jovanovic, Kate Bush. Die Biographie. 2006. Koch International GmbH/Hannibal. Höfen. S. 93f
[2] Graeme Thomson: Kate Bush. Under the ivy. 2013. Bosworth Music GmbH. S. 153

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