Es ist wirklich und wortwörtlich nicht zu beschreiben, ich mach’s einfach trotzdem – als Anker hier für mich. Da draußen gibt es Trilliarden Artikel, fast alle tief herzbewegt, lesen sie die doch auch – ich muss bei den meisten ein Tränchen verdrücken.
Es war das Unwahrscheinlichste, was Glam und mir im Leben widerfahren ist, wahrscheinlich. Kate Bush kündigt mal eben einfach so Live-Termine an, Als ob sie das 2x im Jahr tut. Kate Bush, die seit über 35 Jahren Lieder unserer jeweiligen Seelen singt, aber seit Jahrzehnten eben auch persönlich abgetaucht ist. Ein Fabelwesen, einerseits, andererseits täglich gehört und gefühlt. Beweis, wir sehr ein Künstler in seinem Werk lebt und lebendig ist, jenseits der eigenen Person oder gar Celebrity – ganz offen les- und fühlbar, und doch so weit weg. Mit Generalstabsplan und viel Glück tatsächlich Tickets ergattert – gleich für zwei Tage hintereinander, denn wir sind uns sofort einig, dass wir beim ersten Mal viel zu aufgeregt sein werden, um wirklich etwas mit zu bekommen – eine weise Entscheidung, im Nachhinein betrachtet.
Die kleine Gruppe Gefährten am ersten Abend in der Einlassschlange vor dem Hammersmith Apollo – inmitten einer wirklich bunt gemischten, enthusiasmierten, ungläubig blickenden Schar von Mitfans aus aller Welt. Keiner kann sich vorstellen, gleich das zu erleben, was man in Hunderten Beschreibungen schon gelesen hat.
Im Saal wirklich gute Plätze, nicht zu nah, aber sehr gute Sicht. Panik, Atemnot, Überforderung. Lars hat sicher jetzt noch blaue Flecken, wo ich ihm immer ans Bein gepackt habe. Das Licht geht aus, die Musik fängt an, der Vorspann von Lily beginnt – und heraus kommt – unfassbar: die wahre echte Kate Bush, atmend, lebend, singend: “Lily, oh Lily, I don’t feel safe, I feel that life has blown a great big hole through me!”
Sie strahlt, sie ist stolz und stark, barfuß und reifer, runder, und wunderschön. Die Stimme ist stärker als ich sie mir jemals vorgestellt habe, und Kates Präsenz ebenfalls, kein bisschen verhuscht oder schüchtern und aufgeregt, sondern ruhig, liebevoll, selbst-bewusst, ganz bei sich.
Ich bin völlig überwältigt – wenn ich könnte, würde ich mir die Brust aufreißen, um alles alles in mich aufzunehmen, so bleibt mir nur übrig, Augen, Ohren, Nase und Mund so weit wie möglich aufzusperren – ich fürchte ich sehe aus wie ein sterbender Goldfisch. Die selbe Luft wie Kate Bush!
Im ersten Teil singt sie ein paar unbekanntere Lieder und ein paar der Hits, Hounds of Love und Running up that Hill – es ist so unglaublich herzzerfetzend intensiv, diese Lieder, die mich seit Jahren begleiten, in tiefem Leid und großer Freude, die mit mir an so vielen Orten waren – seelisch wie andersweitig, von Kate Bush live zu hören. Sie werden sich das nicht vorstellen können. Nach vier Liedern bin ich bereits übervoll, aber das wahre Konzert soll erst noch beginnen – ich frage mich ernsthaft, wie ich den Abend überleben soll. Sprichwörtlich wie der legendäre Mann mit dem Minzblättchen bei Monty Pythons.
Mit einem Knall beginnt The Ninth Wave, die zweite Seite der Hounds of Love. In der eine Frau in Seenot gerät, und sich ein Kaleidoskop aus Liedern entspinnt, das assoziativ irgendwo zwischen Wachen und Traum, Todesnähe und Wiedergeburt mäandert. Der Angst vor Tod und Alleinsein, der Liebe und Sehnsucht nach den geliebten Menschen, aber auch des Bewusstsein der fundamentalen Abgeschiedenheit des einzelnen und der vorgeblichen Unmöglichkeit, jemals die Brücke zu dem Anderen zu überschreiten.
Ich habe diese Platte 1986 nach dem Tod meiner Schwester über Monate mehrmals am Tag gehört und bin damit auf viele Reisen gegangen. Sie ist in meiner DNA. Und stellen Sie sich vor, das jetzt in einem unglaublich aufwändigen theatralischen Rahmen bebildert zu bekommen, mit Suchhubschraubern im Saal, skelettösen Fischmenschen, einer Videoeinblendung, in der Kate als Ertrinkende in einer Rettungseste singt, während unten die Traumebene gespielt wird. Wie Kate (live auf der Bühne) versucht, sich ihrer Familie mitzuteilen (Watching you without me) diese sie aber naturgemäß nicht wahrnehmen, wie sie die Genese eines Sturms aus dem All beobachtet und versucht die Seeleute vor der Katastrophe zu warnen, und wie sie am Ende gerettet?/wiedergeboren? zurückkehrt und vollen Herzens singen kann: “D’you know what? I love you better now!”
Ich weiß nicht, wie oft ich bis hierher, bis zur Pause, schon aus vollem Herzen geweint habe, vor Glück, vor solcher Schönheit, voller Ergriffenheit. In der Pause sprechen wir alle nicht viel, wir sind überwältigt und betäubt.
Der zweite Teil, A Sky of Honey, ist ebenfalls eine zweite Hälfte eines Albums, Aerial. Eines Tages Reise vom Nachmittag in den Abend über die Nacht bis hin zum Morgengrauen. Jetzt also Luft und Licht statt wie vorher Wasse und Dunkelheit. A Sky of Honey ist viel elegischer als die vorhergehenden Lieder, ein Genuss, Anlass zum Träumen, zum Philosphieren über den Zusammenhang von Natur, Erleben und Kunst, oder anders herum, illustriert von in Großaufnahmen von fliegenden Vögeln, wechselnden Himmeln und einem Maler (Kates Sohn Bertie) der versucht, die Natur nachzumalen, dabei aber immer wieder von ihr überholt wird. Aber auch hier immer wieder einsetzende Bedrohung, Grausamkeit, inmitten des fast wollüstigen Genusses von Licht, Lebensfreude und wechselnder Tagesstimmung. Auch hier wieder: viele Tränen angesichts solcher Schönheit, aber auch Verstörung, weil man manches (beim ersten Mal und ohne Diskussion mit den Gefährten) nicht verstanden hat. Wie albern, man sollte es verfühlen, und nicht verstehen wollen.
Ebenfalls: eine Holzgliederpuppe, die sich am Ende selbständig umher bewegen kann, eine Kate, die sich immer mehr in einen schwarzen Rabenvogel verwandelt bis zu einem furiosen, nur Zehntelsekunden dauernden furiosen Finale, und Birkenstämme, die senkrecht durch das Piano donnern. Wie übrigens auch eine einelne kleine weiße Feder, die wie zufällig von hoch oben auf das Piano schwebt. Und das ganz exakt an jedem Abend.
Als Zugabe ein unglaublich intimer Moment mit Kate alleine am Piano: “Among Angels”:
I can see angels around you.
They shimmer like mirrors in Summer.
There’s someone who’s loved you forever but you don’t know it.
You might feel it and just not show it.
Wer da keine Tränen hat, hat kein Herz. Die letzte Zugabe “Cloudbusting” – befreiend, auch für den letzten Rest der (Glücks-)Tränen, während alle mit Kate Bush zusammen singen – “I just know that something good is gonna happen!” – and it did.
Es war so viel Liebe im Raum, von der Bühne herab, aus dem Publikum herauf, innerhalb des Publikums – könnte man das in Flaschen abfüllen, es gäbe keine Kriege mehr!
Völlig erschöpft und angefasst und auch verstört ging es nach Hause, und ich gebe zu, dass ich mir an einigen Stellen mit Kate nicht einig war – dafür war ich viel zu angespannt gewesen, möglichst nichts zu verpassen, und dazu waren ihre Lieder und Bilder zu sehr auch meine eigenen geworden, und es bedurfte eines langen Nachtgesprächs, um das für mich zu klären.
Um so göttlicher, noch einen zweiten Abend mit ihr zu haben – alles richtig gemacht!
Am zweiten Abend viel entspannter, viel offener, und vielleicht lag es nur an der eigenen Verfassung, der gesamte Abend schien noch viel herzlicher und liebevoller und offener und grandioser, ich konnte viel mehr da sein und genießen. Das Publikum schien mir noch viel enthusiastischer und Kates Gesang noch viel runder und voller, und so manches Bild auf der Bühne setzte sich doch noch mit den anderen zusammen. So viel Liebe in den Details und in den Querverweisen, welch grandiose Band und Backgroundsänger, was für eine Person, Frau, Künstlerin, Sängerin, Performerin, Produzentin und: Seele!
Was ein Privileg, drei volle Stunden lang in der Gedankenwelt von Kate Bush eintauchen zu dürfen! Und das gleich zwei Mal – diese beiden Abende werden mich in diesem Leben nicht mehr verlassen.
(Mit freundlicher Genehmigung von www.luckystrikes.me)
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