Von Michael Haskamp
Als ich gegen 18.30 Uhr Ortszeit am Hammersmith Apollo angekommen bin, hatte der Regen gerade aufgehört. Die Kulisse war beeindruckend: „Before The Dawn“ stand in großen roten Buchstaben quer über den Eingang angeschlagen, direkt daneben „Sold Out“. Vor dem Theater einige tausend Menschen, hunderte von Kamerateams und zwischendrin Lily Allen und Marc Almond, die aufgeregt wie Teenager Selfies vor der Halle machten.
Nach dem wider Erwarten recht unkomplizierten Einlass ging es am völlig überfüllten Merchandise-Stand, wo ich mich mit Postern und dem offiziellen Programm eingedeckte, vorbei in den Saal. 15, 10 und 5 Minuten vor Beginn der Show wurde per Durchsage freundlich darum gebeten, die Plätze einzunehmen; pünktlich um 19.45 Uhr ging es dann auch los – das Saallicht erlosch, die Menge jubelte und nach Eintreffen der Band und dem Einsetzen des Intros vom 1993’er Track „Lily“ (Mrs. Allen wird’s gefreut haben) kam Kate Bush von rechts zusammen mit ihren Background-Sängern und -Sängerinnen auf die Bühne. Die Hysterie entlud sich und mit tosendem Applaus, Schreien und Standing Ovations begann die Show. Beim Intro des zweiten Songs („It’s in the trees! It’s coming!“) erreichte der Jubel neue Höchstwerte, was das heißersehnte „Running Up That Hill“ allerdings erneut toppen konnte. Bei dessen Beginn realisierte ich irgendwie zum ersten Mal, dass ich gerade in einem Kate Bush-Konzert saß und mir rollte tatsächlich eine Träne übers Gesicht. „King Of The Mountain“ mochte ich schon immer, in der Live-Version war es für mich aber DAS absolute Highlight der ersten halben Stunde – atemberaubend, wirklich ganz, ganz große Klasse. Es war so unfassbar und unwirklich, Kate Bush live zu sehen – dank meines Platzes in der sechsten Reihe hatte ich eine phänomenale Sicht.
Nach den ersten 6 Songs fiel der Vorhang und eine knappe Stunde Musik begann, die ich mein Leben lang nicht vergessen werde: „The Ninth Wave“ wurde mit einem Film eingeleitet und anschließend in seiner ganzen theatralischen Dramatik chronologisch dargeboten. Kate Bush in Hintergrund-Filmen mit Rettungsweste im offenen Meer, ein simulierter Hubschrauber mit Scheinwerfern, der auf der Suche nach der Ertrinkenden über das Publikum flog, künstlicher Nebel und Kälte, gruselige Fish People und ein Schiffswrack auf der Bühne, Konfetti-Kanonen in die Menge, diverse Zaubertricks und bei „Watching You Without Me“ ein schwimmendes Wohnzimmer mit Kate’s Familie und herrlichstem britischen Humor. Nach dem fulminanten „Jig Of Life“ und dem kathedralischen „Hello Earth“ hielt nicht nur ich den Atem an, als die leblose Kate auf den Schultern der Fischmänner durch das Publikum getragen wurde – nur 4 Meter von mir entfernt. Die „Auflösung“ mit „The Morning Fog“ wurde wie ein Folksong mit der gesamten Band auf der Bühne zelebriert, bevor der Vorhang zu einer 20-minütigen Pause fiel und sich wohl jeder unter nicht endendem Applaus fragte, wie sie DAS später noch toppen wollte. Ich kann das Ganze nur stichpunktartig aufschreiben, aber muss mich wiederholen: das war das Beste, was ich in meinem ganzen Leben gesehen habe.
Und so viel sei vorab verraten: das Niveau der ersten Hälfte wurde spielend gehalten. „A Sky Of Honey“ begann nach der Pause mit bekanntem Vogelgezwitscher und hierbei wurden noch mehr Theater- und Musical-Elemente eingebracht, die die Musik absolut passend bebilderten und bereicherten. Kate’s Sohn Bertie, im ersten Teil der Show einer der Background-Sänger, übernahm hierbei sogar die Hauptrolle und überzeugte dabei auf ganzer Linie. Überall auf der Bühne gab es zu jeder Zeit neues zu entdecken und bestaunen (die Vögel! die Leinwand!), eine zum Leben erweckte Holzpuppe (der kleine Bertie, wie ich es interpretiert habe) sei hier nur als ein Beispiel genannt und unterstrich sowohl simpel als auch rührend die dargebotene Geschichte. Nachdem „Sunset“ sich wie erwartet als einer der Höhepunkte von „A Sky Of Honey“ erwies, steuerte der Teil auf sein furioses Finale hinaus: nach dem fiebrigen „Nocturn“ und dem im wahrsten Sinne des Wortes wahnwitzigen „Aerial“ „wuchsen“ Kate Bush schlussendlich riesige Flügel und mit dem letzten Takt wurde sie von der Bühne nach oben gezogen, als flöge sie davon – Sekunden später erlosch das Licht und hysterischer Jubel brach los.
Zugabe Nummer 1 war „Among Angels“ vom „50 Words For Snow“-Album – nur Kate am Klavier. Man hätte die sprichwörtliche Stecknadel fallen hören können – Gänsehaut am ganzen Körper und, um es erstmals überhaupt in diesem Text zu erwähnen, eine Stimme, die den gesamten Abend über kraftvoll und einfach sensationell dargeboten wurde. Der letzte Song nach knapp 3 Stunden war „Cloudbusting“ – die ganze Band und das ganze Team stand auf der Bühne, die Menge sang lauthals mit und mit Standing Ovations begann und endete ein Konzert, was keiner der Anwesenden jemals vergessen werden dürfte. Nachdem Kate Bush die Bühne verlassen hatte, wurde knapp 15 Minuten weiter applaudiert und getrampelt und niemand hat seinen Platz verlassen, obwohl das Konzert längst vorbei war – sowas habe ich vorher auch noch nie erlebt.
Fazit: es hätte allerhand schief gehen können nach 35 Jahren Bühnen-Abstinenz. Die Erwartungen waren immens und die Fallhöhe entsprechend hoch. Aber mit einer atemberaubenden Show voller Liebe zum Detail und einer unbeschreiblichen Präsenz hat Kate Bush alle, alle, alle überzeugt. Natürlich ist das alles wenig überraschend, wenn ich das als Hardcore-Fan sage und schreibe. Aber nach einem derart furiosen Auftritt müsste sich Madonna im Publikum recht blass vorgekommen sein. Chapeau, Kate Bush – es war ein Spektakel !!!
1 Kommentar
Madonna war ja bekanntlich auch nur zum feucht durchwischen gekommen :-).
Lieben Dank für die tolle Rezension.