Das Song-ABC: Oh To Be In Love

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„Oh to be in Love“ wurde von Kate Bush zuerst im Sommer 1976 als Demo-Version aufgenommen [1], da war sie 17 oder 18 Jahre alt. Seine offizielle Premiere hatte der Song dann auf dem Debutalbum „The Kick inside“. Die Demo-Version ist auf zahlreichen Bootleg-CDs und auf der Bootleg 7‘‘-Single „Cathy Demos Volume Two“ zu finden [1], das als Hinweis für Sammler. Als Single wurde er nicht veröffentlicht, aber er schaffte es auf eine EP mit vier Tracks für den brasilianischen Markt, die EP ‚4 Sucessos‘ [1]. Meines Wissens ist es der einzige Song von „The Kick inside“, den Kate Bush nie live gesungen hat. Warum eigentlich nicht? Er hat Charme, er ist ganz lebensnah. Aber er ist vielleicht lebensnaher, als es ein normales Pop-Publikum damals gewohnt war. Auf dem Album reiht sich der Song ein in eine Folge von Liedern, die verschiedene Facetten der Liebe betrachten. Vielleicht bilden „Feel It“, „Oh To Be In Love“ and „L’Amour Looks Something Like You“ eine Art Einheit, aber sie lassen sich auch einzeln gut betrachten.
In „Oh to be in Love“ kommen zwei Menschen zusammen zu einem Date. Die ersten beiden Strophen schildern die Situation aus der Sicht der Protagonistin. Aus dem Text spricht ein bisschen ein „Was mache ich hier?“-Gefühl („How did I come to be here, anyway? / It’s terribly vague, what’s gone before“). Offenbar war es eine Zufallsbekanntschaft, etwas Spontanes („I could have been anyone / You could have been anyone’s dream“). Der Text ist voll von Zweifeln, von Unsicherheit über die Situation. Der folgende Chorus („Oh, to be in love / And never get out again“) wird zweimal gesungen. Hier ist ist eine männliche Stimme dabei – Frau und Mann haben zusammengefunden. Zwischen den beiden Chorus-Passagen nimmt ein musikalisches Zwischenspiel die Musik der Strophen auf. Es ist eine wortlose Strophe, Worte sind offenbar nicht mehr nötig.
In der dann nach dem zweiten Chorus folgenden dritten Strophe hat sich die Welt verändert. Alles sieht anders aus und neu („All the colours look brighter now / Everything they say seems to sound new“). Liebe hat die Welt verwandelt. Mit einem weiteren Chorus klingt der Song aus.
„Oh to be in Love“ ist ein zärtlicher Titel, fast eine Ballade, aber mit viel vorwärtstreibender Energie. Das Balladenhafte und Romantische wird durch dezente Chorbegleitung in den Strophen unterstrichen. Auch die für spätere Songs von Kate Bush so typischen exotischen Instrumente sind schon zu finden – Paddy Bush spielt Mandoline. Passender für ein zärtliches Ständchen geht es nicht. Musikalisch ist der Song sehr interessant – zur Analyse orientiere ich mich an [2]. Der Song ist in Ges-Dur komponiert, aber verwendet die Tonart auf unkonventionelle, etwas ungewöhnliche Weise. Dur-Akkorde herrschen vor, aber auch leitereigene Moll-Akkorde werden verwendet. Der B-Moll-Akkord erklingt z.B. auf den Schlusstönen von „It‘s terrible vague what‘s gone before“ und „Why did you make it so unreal?“. Der Es-Moll-Akkord erscheint im Chorus.

Leiterfremde Dur-Akkorde aber heben die Musik heraus aus der Normalität und geben dem Song etwas von bebender Erwartung, von Spannung. Der verminderte Dreiklang auf F zum Beispiel ist durch einen E-Dur-Dreiklang ersetzt, der der Tonart ganz fremd ist. Statt des leitereigenen As-Moll-Akkords erklingt der As-Dur-Akkord. Das erste Mal erscheint dieser „fremde“ Akkord auf dem „hits“ in „As the light hits you“. Im Chorus erklingt dieser Akkord auf dem „Love“ in der ersten und zweiten Zeile „Oh to be in love and never get out again“, in der dritten dieser Zeilen erklingt auf dem „Love“ der leitereigene As-Moll-Akkord. Die Spannung und Ungewissheit der ersten zwei Chorus-Zeilen ist weg. In dieser dritten Zeile ist zudem die Singstimme eine Oktave höher und die Melodie auf dem „Love“ ist ausgeschmückter.
Wenn man die Tonartenbedeutungen gemäß Beckh [3] heranzieht, dann muss man bewundern, wie feinsinnig dies Kate Bush hier hinbekommen hat. Ges-Dur ist die Tonart der errettenden Liebe, der über die Schwelle führenden Venus. As-Dur ist das Licht in der Finsternis. „Ein Licht beginnt aufzuleuchten, wo wir bisher nur Dunkel vermuteten“ – so beschreibt es Beckh. E-Dur schließlich steht für Herzenswärme, Herzensinnerlichkeit und Liebeswärme. Passendere Tonarten für diese Geschichte sind kaum denkbar. Ich bewundere es jedesmal, wie treffsicher und subtil Kate Bush schon auf ihrem ersten Album die Tonarten verwendet, das ist schon außerordentlich. 
„Oh to be in Love“ ist erstaunlich reif für eine so junge Sängerin. Ich bewundere seine sensible Darstellung davon, wie sich ein Zufalls-Date in Liebe verwandelt. Zur Interpretation möchte ich nicht zu sehr ins Detail gehen, das würde etwas pornographisch. Ich fasse die Strophen als die Gedanken der Protagonistin auf. Zuerst ist die Situation unsicher, es ist ja ein Zufallsdate. Wie wird es ausgehen? Dann kommt der erste Chorus, sie haben Sex miteinander. Offenbar kommen Beide zum Höhepunkt (die veränderte Färbung auf dem dritten „Oh, to be in love / And never get out again“). Das Zwischenspiel ist ohne Worte, jetzt macht sich die Protagonistin keine zweifelnden Gedanken mehr. Ein zweiter Chorus folgt (noch einmal Sex), wieder mit Höhepunkt. Ein gutes Date, wie die Protagonistin in der dritten Strophe bestätigt!
„Oh to be in Love“ ist eine hinreißend realistische Schilderung des Zusammentreffens zweier Menschen. Der Song ist eine erstaunlich präzise Schilderung und schafft es, sein Thema ohne jeden erhobenen Zeigefinger zu präsentieren. Der Song ist unplakativ, direkt und ehrlich – einfach schön! © Achim/aHAJ

[1] https://www.katebushencyclopedia.com/oh-to-be-in-love (gelesen 26.05.2020)
[2] „Kate Bush Complete”. EMI Music Publishing / International Music Publications. London. 1987.  S.134f
[3] Hermann Beckh: Die Sprache der Tonart in der Musik von Bach bis Bruckner. Verlag Urachhaus. Stuttgart 1999.  S.106 (Ges-Dur), S.198f (As-Dur), S.263 (E-Dur)

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