Sexualität und Erotik sind immer wiederkehrende Themen in den Songs von Kate Bush. Schon ihr Debütalbum kommt einem mehrfachen Tabubruch gleich. Wie setzt Kate das Thema um? Wie ändert sich ihr Blick auf das Thema im Laufe ihrer musikalischen Entwicklung? Fragen, die hervorragend in den „Kaffeeklatsch“ passen. Heute mit Beate, Fan der ersten Stunde und früher Mitherausgeberin des deutschen Fanzines „Irgendwo in der Tiefe“.
Reden wir über Kate Bush und Sex. Mal sehen, ob wir da Experten sind. Es ist 1978, Kate besingt eine Ikone der englischen Literatur und auf der gleichen Scheibe geht es in „Strange Phenomena“ um den „punctual blues“. Ich könnte jetzt nicht behaupten, dass ich 1978 als 14-jähriger Junge auch nur ansatzweise einen blassen Schimmer hatte, worum es da eigentlich geht. Wie war das bei Dir?
Beate: Als Mädchen, als Teenager war Sex und Sexualität etwas, das noch sehr abstrakt war und unter verschiedenen Aspekten eher ungeschickt vermittelt wurde. In den grellen Überschriften von Jugendzeitschriften, eher verhalten-verkniffen im Elternhaus und sachlich-steril im Biologieunterricht. Zotig und irgendwie geschmacklos von Seiten gleichaltriger Jungs. Und mit immenser ängstlich-faszinierter Erwartungshaltung hinter vorgehaltener Hand, tuschelnd mit Freundinnen. Dass man sich dem Thema auch unverbrämt poetisch, neugierig, offen fasziniert und dennoch mit mystischer Tiefe nähern kann, war für mich in verschiedenen Formen der Kunst möglich. In Theaterstücken, im Ballett, in der Malerei, Literatur. Natürlich auch in der Musik. Es dauerte eine Weile, bis sich dies erschloss und wirkt daher noch immer nach. Besonders in Kates Musik. Ihr Umgang mit dem Thema Sex und Erotik in ihrer Arbeit, besonders auch auf den ersten Alben, ist sehr vielschichtig, hat seinen Ursprung in der Welt von Träumen und Vorstellungen und fließt, ähnlich wie Jahre später in The Sensual World, in die Wirklichkeit, ins Lebendige.
Wann und wie hat sich dir erschlossen, dass in Kates Texten sexuelle Bilder, Anspielungen oder gar sehr deutliche Ansätze enthalten sind?
Spät. Sehr spät. Vor allem deshalb, weil ich mich Kate in der Anfangszeit über ihre Musik und nicht über die Texte genähert habe. Vermutlich stehe ich damit aber nicht alleine. TKI ist ja voll von Anspielungen. In Feel it taucht die Textzeile „So keep on a-moving in, keep on a-tuning in, Synchronize rhythm now“ auf, in Wow gibt es mit „hitting the vaseline“ Andeutungen von schwulem Sex, ein Jahr später handelt Kashka from Baghdad von einem verliebten Männerpaar. Hat man das Ende der 70er Jahr einfach überhört?
Beate: Oh, ich glaube nicht, dass Kate hier überhört wurde, man ging glaube ich (etwa in Interviews) einfach nicht direkt darauf ein. An Kates Geste im „Wow“-Video – sie tätschelt sich an der entsprechenden Textstelle ja symbolisch das Hinterteil – soll die BBC ja meines Wissens Anstoß genommen haben. Im Gegenzug gab es keinerlei Probleme, Kate als Person als Sexsymbol in Szene zu setzen oder „verkaufen“ zu wollen. Das ist ein klein wenig paradox, aber auch recht typisch. Beim künstlerischen Ausdruck errötet man, während gleichzeitig relativ skrupellos entsprechende Fotos favorisiert wurden. Man denke an das berühmte pinke Top…
…bei dem es dann allerdings auch Versuche gab, es aus dem äh…Verkehr zu ziehen. Trotzdem muss es doch 1978 ein Tabubruch gewesen sein – sie singt über Menstruation und schwule Liebe. Das hat so zuvor in Popsongs noch keiner gewagt und selbst noch Jahre später wurden Songs von der BBC mit zu eindeutigem Inhalt boykottiert. Oder ist es vielleicht deshalb kein Tabubruch gewesen, weil sie nicht provozierend, sondern sehr natürlich mit dem Thema Sexualität umgeht?
Beate: Ja, das waren Tabubrüche, und es gab auch noch weitere, wenn man an den tragischen Titelsong The Kick Inside denkt, in dem es ja um eine verbotene Liebe zwischen Bruder und Schwester geht und der sich interessanterweise direkt an Room for the Life anschließt. Das gesamte Debutalbum ist tief durchdrungen von weiblicher Sexualität. Bereits auf Lionheart erweitert sich diese Perspektive dann. Auch das ist eine Besonderheit. Männliche Künstler zu der Zeit, gerade im Rockbereich, thematisierten Sex, teils provokant, teils platt und sexistisch. Kates Umgang mit dem Thema war und ist tatsächlich sehr natürlich und gleichzeitig sehr poetisch und tiefsinnig. Und er bleibt respektvoll, selbst wenn sie augenzwinkernd und voller Anspielungen damit umgeht.
Ändert sich dieser Blick auf das Thema, wenn Du beispielsweise die Lieder von The Kick Inside mit The Sensual World vergleichst?
Beate: Definitiv ja. Die Lieder, Texte und Musik, sind auf The Sensual World viel sinnlicher und erotischer und auch bewusster. Wir hören auf The Kick Inside noch viel mehr Neugier, ein großes ernsthaftes Interesse und auch eine gewisse Unschuld im positiven Sinne am Thema. Und viel verträumte Verliebtheit. Ab The Sensual World hören wir einer reiferen, erwachsenen Frau zu, die eine Welt erfährt, die von Sinnlichkeit und tiefer Empfindung durchdrungen ist, Ebene um Ebene. Der Satz „stepping out of the page into the sensual world“ scheint das gesamte Album zu durchziehen. Nicht nur in den Texten, sondern auch in den Stimmen und den Instrumenten. Man denke etwa an dieses „Zerfließen“ in The Fog, den Spannungsbogen des Trio Bulgarkas mit Dave Gilmours ekstatischer Gitarre in Rocket‘s Tale, das weiblich-männliche Spannungsfeld in Love and Anger, oder den erotischen Kitzel in Heads we‘re dancing… vom wunderbaren Titelsong gar nicht zu sprechen. In einer alten Rezension des Songs schrieb ein Musikjournalist übrigens, dass er sich zum Tanzen dazu weite Hosen wünsche. Wie empfindest du diesen Wandel in Kates Alben?
Reifer, erwachsener und erotischer trifft es auch in meinen Augen perfekt. Das Yes im Titelsong ist Erotik pur in drei unverfänglichen Buchstaben. Am meisten beeindruckt es mich immer, wenn sie dabei wie in Heads we‘re dancing eine unerwartete Geschichte erzählt oder wie in This Woman’s Work die Perspektive ins Ungewohnte verschiebt. Das sind nur zwei der vielen Songs von ihr, die ich oft sogar eher noch visuell wahrnehme und es ist wahrhaftiges Kino. Soweit das Thema Kate Bush und Sex. Sollen wir zum Schluss noch ‘nen Schneemann vernaschen?
Beate: Ja, das finde ich auch. Das Mhhh, yes… dieses Seufzen mit bewusstem Ausdruck von Genuss, von Sehnsucht und Erfüllung… wundervoll. Bringt uns zu diesem wunderbaren Schneemann-Thema. Die Geschichte an sich ist schon fantastisch… Sie baut einen Schneemann, der nachts in ihr Schlafzimmer kommt, der in ihr Bett zu ihr sinkt und schmilzt, während sie sich lieben. Diese Erzählung ist so vielschichtig. Das Verschmelzen, Dahinschmelzen, die gleichzeitige Ewigkeit des Augenblicks und dessen unaufhaltsame Vergänglichkeit. Es ist fast schmerzlich intensiv, Kate zuzuhören. Es drückt etwas aus, das wir alle schon erlebt haben, denke ich. Wenn man etwa jemanden bereits vermisst, obwohl man ihn noch in den Armen hält. Wie wunderschön ausgedrückt in diesem Bild… Was meinst Du?
Verschmelzen ist das richtige Stichwort. Sie verschmelzen und schmelzen dahin, suchen, finden und verlieren sich. Du kannst alles nachempfinden und an Menschen denken, die du geliebt und verloren hast. Gleichzeitig funktioniert er aber auch auf dieser vordergründigen Ebene der vollkommen abstrusen Geschichte vom Sex mit einem Schneemann und man kann sich vorstellen, wieviel Spaß sie bei der Aufnahme hatte. Das ist wirklich ein so unglaublicher Song der dich lachen lässt und gleichzeitig zu Tränen rührt. Wenn sie das Thema Liebe und Sexualität auf The Sensual World in Vergleich zu The Kick Inside reifer und erwachsener umgesetzt hat, muss man hier feststellen, dass sie bei diesem Lied eine Symbiose von Inhalt und Musik erreicht. Das ist Perfektion pur.
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