In Wagners Oper „Götterdämmerung“ geht es um Verrat, Täuschung und Maskerade – ….. Moment! Was hat die Götterdämmerung mit „Babooshka“ zu tun? Ich muss für den Zusammenhang doch weiter ausholen und von vorn anfangen.
„Babooshka“ – fast jeder wird diesen Titel im Ohr haben. Neben „Running up that hill“ und „Wuthering heights“ zählt er zu den bekanntesten und erfolgreichsten Songs von Kate Bush. In vielen Ländern erzielte er hohe Chartspositionen, in Großbritannien z.B. erreichte er den Platz 5 in den Single-Charts. Es ist ein sehr schwungvoller Titel, der seine Abgründe hinter Fröhlichkeit versteckt.
Mit markanten Akkorden beginnt der Song. Es geht es um das Verlangen einer Frau, die Loyalität ihres Ehemanns zu testen. Dazu nimmt sie den Namen Babooshka an und schickt ihm Briefe, in denen sie ihm eine jüngere Frau vorspielt. Sie fürchtet, dass er in ihr nicht mehr die Frau sieht, die sie mal war und sich so jemanden wie dieses jüngere Ebenbild zurückwünscht („Just like his wife / But how she was before the tears / And how she was before the years flew by / And how she was when she was beautiful“). Sie treibt es weiter und weiter und in ihrer Paranoia stellt sie die Falle auf – sie arrangiert ein Treffen. Ihr Mann trifft sich mit Babooshka, sie erinnert ihn an das frühere Ich und an das vergangene Wesen seiner Frau („Uncanny how she reminds him of his little lady / Capacity to give him all he needs / Just like his wife before she freezed on him / Just like his wife when she was beautiful“). Er verfällt diesem früheren Ich, dieser Babooshka („He shouted out, I’m all yours Babooshka“). Die Frau hat mit ihrer Paranoia die Beziehung zerstört, denn ohne diese Verkleidung wäre er wohl nicht auf die Idee gekommen, seine Frau aufzugeben. Hätte sie ihm diese Zuwendung offen gegeben – alles wäre gut geworden. So wird aus einer nostalgischen Erinnerung an die Vergangenheit ein Betrug. Es ist eine im Grunde traurige Geschichte über das Altern und die Abnutzung des Bewährten. Kann man dies durch einen Wechsel der Identität – also durch eine Täuschung – aufhalten? Zum Schluss hört man das Geräusch zersplitternden Glases – etwas zerbricht. Mangel an Vertrauen zerstört die Beziehung.
Kate Bush bezeichnet das nicht als Love Song, für sie ist der Inhalt eindeutig traurig, weil hier die Frau durch ihre Paranoia die Beziehung ruiniert. „I suppose I would say that I have written some love songs but I wouldn’t term that as one. Really I’m very annoyed at the way that the woman is behaving in this song because it is so stupid and in fact she’s just ruining the whole situation which was very lovely – and it’s only because of what’s going on in her brain that she does these things so – suspicion, paranoia all these naughty energies again and it’s really quite sad I think.“ [2] Der Song reiht sich damit ein in den Reigen komplexer Beziehungen des Albums, über denen der Albumtitel „Never for ever“ wie ein unheimliches Omen schwebt.
Woher kommt der Name „Babooshka“? Babushka bedeutet in der russischen Sprache Mütterchen, Oma, aber das hatte Kate Bush nicht im Sinn. Es lag allein am Klang, der so gut passte. „[…] well apparently it is grandmother, it’s also a headdress that people wear. But when I wrote the song it was just a name that literally came into my mind, I’ve presumed I’ve got it from a fairy story I’d read when I was a child.“ [3] In einem weiteren Interview erläuterte sie es noch genauer. „Well, it was very strange, because as I was writing this song the name just came and I couldn’t think where I’d got it from and I presumed it was from a Russian fairytale – it sounded like the name of a princess or something and it was so perfect for the music, it had all the right syllables and the right feel, so I kept it in.“ [2]
Der Ursprung war also wohl das russische Weihnachtsmärchen „Babuschka und die drei Könige“ (in [4] kann es in einer deutsche Fassung gelesen werden). Als das Lied – wohl in der Rohfassung – geschrieben war, passierten laut Kate Bush viele kleine „incredible coincidences“. „And after having written the song a series of incredible coincidences happened where I’d turned on the television and there was Donald Swan singing about Babooshka. So I thought, „well, there’s got to be someone who’s actually called Babooshka.“ So I was looking through Radio Times and there, another coincidence, there was an opera called Babooshka.“ [3] Diese Kinderoper „Baboushka“ (mit „ou“) aus dem Jahr 1979 basiert auf dem Märchen, Donald Swann ist der Komponist [5].
Kate Bush hat den Inhalt des Märchens bzw. der Oper noch gut im Kopf. „Apparently she was the lady that the three kings went to see because the star stopped over her house and they thought ‚Jesus is in there‘. So they went in and he wasn’t. And they wouldn’t let her come with them to find the baby and she spent the rest of her life looking for him and she never found him.“ [3] Kate Bush hat hier noch vergessen, dass die Babushka auf ihrer Suche nach dem Jesuskind die Weihnachtsgeschenke bringt [4].
Eine weitere kleinere „incredible coincidence“ war dann die Krönung. „And also a friend of mine had a cat called Babooshka. So these really extraordinary things that kept coming up when in fact it was just a name that came into my head at the time purely because it fitted.“ [3]
Vielleicht haben alle diese Dinge den Inhalt des Songs mit beeinflusst. Als „Babuschka“ werden fälschlicherweise die Matrjoschka-Puppen bezeichnet, diese bunt bemalten, ineinander schachtelbaren, eiförmigen russische Puppen mit Talisman-Charakter [6]. Hier verbirgt sich auch in einer Person eine andere Person, ein anderes Ich. Die Babuschka aus dem Märchen ist ebenfalls auf der Suche nach dem Glück und findet es nicht. Laut Colin Irwin [7] gibt es zudem eine Verbindung zu einem Volkslied, das vielleicht den Inhalt beeinflusst hat: „Babooshka is similarly based on a song called Sovay Sovay.“ [7]
„Sovay Sovay“ ist ein traditioneller englischer Folk Song [8]. Eine Frau verkleidet sich als bewaffneter Räuber. Sie überfällt ihren Freund und verlangt all sein Geld und Gold. Schließlich verlangt sie auch den goldenen Ring, den er von Sovay (eine Form von „Sophie“) als Geschenk bekommen hat. Er aber weigert sich, selbst wenn ihm das das Leben kosten würde. Schließlich gibt sich Sovay zu erkennen und sagt ihm, dass sie ihn getötet hätte, wenn der den Ring weggegeben hätte. Auch hier geht es um eine Frau, die ihrem Mann nicht vertraut, die ihm eine Falle stellt. Ich frage mich, was nach dem Ende von Babooshka passiert. Erschiesst sie ihn? Schließlich hat er den Test nicht bestanden – anders als der Mann in „Sovay Sovay“.
Das sehr erotische Video trug maßgeblich zum Erfolg der Single bei. Kate Bush tanzt mit dem Kontrabass (der den Mann symbolisiert), zuerst in Schwarz und mit einem Schleier, später dann in einem russisch-orientalisch angehauchten Amazonen-Dress. Die Buntheit der Babuschka-Puppen spiegelt sich diesem Kostüm wieder. Es ist inspiriert von einer Illustration, die Chris Achilleos 1978 für das Cover des Buches „Raven – Swordmistress of Chaos“ geschaffen hatte [1]. Colin Irwin ist vollkommen fasziniert: „The double-bass is alternately the object of her lust and her fury; she wraps herself around it, she grinds against it, she beats the hell out of it, she wrings its neck, she claws it, she slithers down its neck, she blows in its ear. Her face pouts and spits and leers and jeers and dreams and schemes and ravishes; and all the while bottom jerks and thrusts from one end of the studio to the other. It’s the most erotic thing I ever saw.“ [7]
Kate Bush dagegen findet sich überhaupt nicht sexy. „I’ve decided I can’t judge. People say the ‚Babooshka‘ video is sexy, but all I can see is that I haven’t turned my foot out or fully extended my arm or there’s a bit of make-up smudged or you can see there’s a gap between my teeth.“ [11] Das Video ist es natürlich nicht allein, auch die musikalische Gestaltung trägt zur Wirkung entscheidend bei (Noten aus [9]).
Den ganzen Song über wird strikt ein 4/4-Takt durchgehalten, was entscheidend zur Tanzbarkeit beiträgt. Notiert ist es in Es-Dur, der Es-Dur-Akkord spielt auch eine zentrale harmonische Rolle. An einigen Stellen wird als Abweichung der es-Moll-Akkord benutzt – auf dem „ka“ des zweiten „Babooshka“ in der Einleitung (sonst dominiert der Es-Dur-Akkord die Einleitung), auf „she send him scented letters“ sowie im Refrain und in der Coda auf dem „All“ in „All yours Babooshka“ (auf dem „ka“ des zweiten „Babooshka“ geht es in den Es-Dur-Akkord über, der auch die Coda beschließt).
Eine doppeldeutige Rolle spielt das „All yours“. Im Refrain ist es eine Grußformel von ihr an ihn in den Briefen. Die Code beginnt dagegen mit „He shouted out, I’m All yours Babooshka“ – das ist keine Grußformel, hier bedeutet es „Ich bin Dein“, von ihm an sie. Die Geschichte wendet sich ins Gegenteil.
Am Bass hören wir John Giblin und dieser Sound symbolisiert instrumental den männlichen Partner, wie es so oft der Bass tut auf den ersten Alben von Kate Bush (ohne [1] hätte ich das nicht bemerkt). Der Song endet mit einem Sample von zerbrechendem Glas, „one of the earliest examples of a sample created with the newly-available Fairlight CMI digital synthesizer [1].“ Die Beziehung zerbricht. Beziehungen sind fragil wie Glas.
Folgt man den Tonartenbedeutungen gemäß Beckh [10], so unterstützen die beiden Schwerpunkte Es-Dur und es-Moll die paranoide Geschichte. Es-Dur ist die Wiederaufwärtswendung zum Licht, es hat einen starken, positiven, kämpferischen Charakter. Die Frau kämpft, sie will die Wiedergeburt der Liebe. Es-Dur bedeutet auch Weihnachtsjubel, Weihnachtsfreude, Wiedergeburt des Lichts – passend zum Babushka-Märchen. Die Tragik des Schwellenübergang dagegen ist das es-Moll, es ist die Tonart des Verwelkens und Absterbens. Genau das bewirkt die Maskerade der Frau, sie verliert die Liebe ihres Mannes.
Typisch für „Babooshka“ sind diese schleichenden Übergänge von Es-Dur nach es-Moll. Dieser Übergang ist auch ganz charakteristisch für Wagners große Verrats-Oper „Götterdämmerung“. Es „bricht gleichsam ein großer Weltherbst herein, ein Welkwerden und Abfallen von vielem, was in der Menschenseele, im Menschenbewusst- sein der Vergangenheit einmal blühendes Leben war.“ [10].
Im Text zur wichtigsten dieser Stellen aus der „Götterdämmerung“ findet sich Folgendes [10]: „In langer Zeiten Lauf zehrte die Wunde den Wald; halb fielen die Blätter, dürr darbte der Baum; traurig versiegte des Quelles Trank: trüben Sinns ward mein Gesang“. Dies singt im Vorspiel der Götterdämmerung eine der drei Nornen, eine der nordischen Schicksalsgöttinnen – und ist es nicht so ähnlich wie das, was in „Babooshka“ geschieht?
Es gibt noch mehr Parallelen zwischen „Babooshka“ und der Götterdämmerung. Auch in der Oper geht es um Verrat, Täuschung und Maskerade. Göttervater Wotan reißt die Welt der Götter durch Verrat in den Abgrund. Siegfried betrügt seine geliebte Brünnhilde, als er die Erinnerung an sie durch einen Zaubertrank verloren hatte. Er nähert sich ihr in einer anderen Gestalt und erobert sie für einen Anderen. Näherung an den Geliebten in einer anderen Gestalt, Betrug – dies steht auch in großen Buchstaben über „Babooshka“. Vielleicht sind diese Dinge bei der Komposition mit eingeflossen, die Tonarten und Kernpunkte der Geschichte legen es mir nahe. Aber ich habe viel Fantasie und ich lese zu viel, man darf es ruhig auch Überinterpretation nennen. Vielleicht hat Kate Bush einfach nur ähnlich empfunden wie Richard Wagner – zwei genuine Komponisten begegnen sich.
„Babooshka“ ist ein Hit mit überraschend viel Tiefgang. Für mich hat er damals erst richtig die Begeisterung für Kate Bush geweckt. Der Inhalt ist traurig, aber die Coda endet im eher positiven Es-Dur – es geht vielleicht doch gut aus. Die Unsicherheit und Unaufgelöstheit aber bleibt. Auch Hit-Singles von Kate Bush behalten ihre Geheimnisse (und deswegen macht es auch so viel Freude, ihre Songs zu analysieren). © Achim/aHAJ
[1] https://en.m.wikipedia.org/wiki/Babooshka_(song) (gelesen 17.08.2018)
[2] NfE Interview – EMI (London)
[3] Peter Powell: Never for ever debut. Radio 1. 11.10.1980
[4] http://www.weihnachtsstadt.de/geschichten/sagen/babuschka-und-die.html (gelesen 17.08.2018)
[5] http://www.donaldswann.co.uk/pubchildren.html#children (gelesen 17.08.2018)
[6] https://de.m.wikipedia.org/wiki/Matrjoschka (gelesen 17.08.2018)
[7] Colin Irwin: „Paranoia and Passion of the Kate Inside“. Melody Maker. 04.10.1980.
[8] https://en.m.wikipedia.org/wiki/Sovay (gelesen 17.08.2018)
[9] „Kate Bush Complete”. EMI Music Publishing / International Music Publications. London. 1987. S.62ff
[10] Hermann Beckh: Die Sprache der Tonart in der Musik von Bach bis Bruckner. Verlag Urachhaus. Stuttgart 1999. S.124 und S.114f
[11] Phil Sutcliffe: „Labushka“. Sounds. 30.08.1980.
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