Das Song-ABC: Wuthering Heights

abc„Wuthering Heights“ – ein Donnerschlag von einem Lied. „Wuthering Heights“ – der Raketenstart für die Karriere von Kate Bush. Was soll ich über ein Lied schreiben, das etwas so Besonderes ist? Die sachliche Annäherung fällt schwer, wenn etwas so in eine Aura von Größe eingehüllt ist. Aber man muss ja nicht immer nur sachlich sein.
Bei jedem Wiederhören überrascht mich die wilde Originalität. „Wuthering Heights“ war damals so anders, so verquer, so besonders – das hat mich vom ersten Hören an beeindruckt. Selbst nach 35 Jahren klingt dieses Lied „neu“. Es würde heute noch genauso viel Aufsehen erregen wie damals. Es ist ein Titel, der sich ganz vehement allem entgegenstellte, was zu dieser Zeit angesagt war (1).
wh400Der Song bezieht sich auf den Roman „Wuthering Heights“ von Emily Brontë. Das Findelkind Heathcliff wächst bei der Familie Earnshaw auf dem Gutshof Wuthering Heights auf, der auf einer windgepeitschten Anhöhe im Hochmoor von Yorkshire liegt. Als Jugendlicher verliebt sich Heathcliff in seine Ziehschwester Cathy. Cathy heiratet jedoch den wohlhabenden Edgar Linton, der das feudalere, im fruchtbaren Tal gelegene Herrenhaus Thrushcross Grange bewohnt. Tief gekränkt läuft der Junge davon. Nach drei Jahren kehrt Heathcliff als gut aussehender und reicher junger Mann zurück und versucht, Cathy wieder für sich zu gewinnen. Ihre alte Liebe zu Heathcliff flammt wieder auf. Doch Cathy ist schwanger und nicht zu einer Aufgabe ihrer Ehe bereit. Sie wünscht sich Heathcliff als Freund und Vertrauten, den auch Edgar akzeptieren soll. Aus Zorn und Frustration nimmt Heathcliff Rache an den Earnshaws und Lintons, indem er beide Familien terrorisiert und in den Ruin treibt. Zuerst heiratet er gegen Edgars Willen dessen Schwester und misshandelt sie in der Ehe. An dem daraus folgenden Konflikt zwischen Edgar und Heathcliff zerbricht Cathy. Sie stirbt im Kindbett; ihre Tochter, die ebenfalls den Namen Catherine trägt, überlebt. Am Schluss ist Heathcliff Herr über beide Häuser. Aus Geiz vermietet er Thrushcross Grange, welches er eigentlich aus Rache abreißen lassen wollte, an den jungen Lockwood. Als dieser Mieter bei seinem Begrüßungsbesuch eine Nacht auf Wuthering Heights verbringt, hat er eine mysteriöse Vision: der Geist Cathy Earnshaws erscheint ihm des Nachts am Fenster und fleht um Einlass. Heathcliff erleidet einen Schock durch diesen Bericht, der eine plötzliche, drastische Wende in seiner Person hervorruft. Seine Energie ist verbraucht. Er kann vor Entkräftung nicht mehr essen, trinken und schlafen. Am Ende verfällt er einer nicht erklärten Verzückung und stirbt eines Nachts im Zustand der Ekstase. Das Fenster an seinem Bett steht offen. (2)(3)
Inspiration für den Song waren die letzten Minuten einer Verfilmung des Romans. Welche Verfilmung es war ist unklar, die Quellen widersprechen sich. Die meisten der Verfilmungen beschränken sich auf die erste Hälfte des Romans bis zu Cathy Earnshaws Tod. Am wahrscheinlichsten ist daher eine BBC-Miniserie von 1967, da sie das Ende des Romans werkgetreu abbildet. Kate Bush war von dieser Schlussszene sofort fasziniert (4): „Ich hatte nur noch das Ende des Films mitbekommen. Es war wirklich gruselig, denn es gibt da diese Hand, die durch das Fenster kommt und dieses Geflüster. So etwas mochte ich schon immer, wissen Sie. Es ging mir einfach nicht aus dem Kopf. Ich musste einfach einen Song darüber schreiben.“ Mitgespielt haben hier wohl auch zwei persönliche Bezüge. Der Vorname der Romanheldin ist auch der Vorname von Kate (eigentlich Catherine) Bush. Zudem hat die Sängerin den Geburtstag 30.Juli mit Emily Brontë gemeinsam.
Entstanden ist der Song im Schein des Vollmonds in einer Sommernacht 1977. Kate Bush las den Roman und schrieb den Song, bevor sie das Buch ganz zu Ende gelesen hatte. Sie macht sich die Leidenschaft, die Gewalttätigkeit, die Abgründe der Romanheldin zu Eigen (4). Der Song fasst die Essenz des Romans in vier Minuten zusammen, besser als es jede Verfilmung bisher geschafft hat. Zu Beginn erklingt in der Introduktion neben dem Klavier die Celesta. Ein gläserner Klang, das Klopfen an das Fenster. Das ist himmlische Musik – die Celesta dient in der klassischen Musik oft zur Symbolisierung überirdischer Situationen. Es öffnet sich ein Fenster in eine Gegenwelt. Dann setzt die Stimme ein, ganz hoch, schrill, irreal – die Protagonistin des Romans kehrt als Geist wieder.
Der Text der ersten Strophe ist voller Erinnerung an die gemeinsame Vergangenheit. „Out on the wiley, windy Moors we’d roll and fall in green“ beschreibt die Kindheit der beiden, das Spielen im Moor. Cathy und Heathcliff sind seelenverwandt, wild. eifersüchtig, lebensgierig: „You had a temper like my jealousy, too hot too greedy.“. Liebe verwandelt sich in Hass und ist von ihr doch nicht zu trennen: „How could you leave me, When I needed to possess you? I hated you. I loved you, too.“. (2) Komponiert ist dies in A-Dur, der Tonart des Lichten, Überirdischen, der Tonart der „lichten Höhen“, die „von allem Zauber der Romantik umwoben“ ist (5).
„I’m coming back, love, cruel Heathcliff, my one dream, my only master.“ Im Tod bekennt sich Cathy zu ihrer wirklichen Liebe Heathcliff. Sie ist nach Hause, nach Wuthering Heights, zurückgekehrt und bittet am Fenster um Einlass: „Heathcliff, it’s me, Cathy, I’ve come home. I’m so cold, let me in-a-your window.“. Die Welt der Toten ist dunkel und kalt ohne die wahre Liebe: „Ooh, it gets dark! It gets lonely, on the other side from you.“. Darum holt sie seine Seele zu sich. „Ooh! Let me have it. Let me grab your soul away. You know it’s me–Cathy!“ (2) Diese Zeilen stehen in b-Moll, das als die „Todestonart, als Tonart des Sterbens“ gilt. B-Moll, das sind „Todesgedanken, Todesempfindungen“, es ist die „eigentliche Tonart des Sterbens, des harten Todeskampfes“ (6). Heathcliff erkennt Cathy und stirbt in Verzückung über die letztliche Vereinigung mit ihr. Dieser Kontrast A-Dur zu b-Moll bestimmt auch den Schluss von Richard Wagners Lohengrin, in dem eine große Liebe tragisch endet. Ganz allmählich blendet sich der Song schließlich aus, verdämmert in der Ferne. Beide Seelen entschwinden.
Es gibt viele Taktwechsel, besonders im Chorus (2/4, 3/4, sonst 4/4, 2/4). Dadurch entsteht ein Rhythmus, zu dem man nicht richtig tanzen kann, es ist unwirklich, neben der Welt. Die Melodie springt über zwei Oktaven hin und her, ohne Fixpunkt, ohne richtigen tonalen Schwerpunkt. Diese Gestaltung sprengt den Rahmen der Konvention genauso wie es die Liebe zwischen Cathy und Heathcliff tut. Passiert hier in „Wuthering Heights“ also etwas Unheimliches – wie die Geistererzählung nahelegt – oder geschieht hier ein Geraderücken einer gestörten Ordnung?
Im Wikipedia-Artikel über den Roman (3) finden sich dazu aufschlussreiche Informationen. Cathy sagt als junges Mädchen: „Ich bin Heathcliff“. Zwischen ihr und Heathcliff, so glauben beide, besteht eine unzerstörbare Einheit. Diese Beziehung ist erwachsen aus der Seelenverwandtschaft der wilden Kinder im gemeinsamen Erleben der ungebändigten Natur von Wuthering Heights, dem gemeinsamen Kampf gegen die Unterdrückung durch den Bruder von Cathy und der Verachtung der verfeinerten Lebensform auf Thrushcross Grange. Durch ihre Heirat mit Edgar und abfällige Worte über Heathcliff hat Cathy Verrat begangen und dieses Band zerrissen. Damit hat sie gleichsam ein ewiges Naturgesetz verletzt. Die schreckliche Rache Heathcliffs an den Familien Earnshaw und Linton nach dem Tode Cathys kann daher als ein Unheil interpretiert werden, das durch die Verletzung dieser natürlichen Ordnung entsteht. Heathcliff ist zum Ende immer mehr der Gehetzte und Gejagte, die verstorbene Cathy bestimmt als für ihn spürbare, jedoch unsichtbare Geistererscheinung sein Handeln mit. So erzählt er in einem Kapitel des Romans, dass diese Erscheinungen nicht seiner Fantasie entspringen, sondern – im Sinne der Realität des Romans – „real“ sind. Bezeugt werden die Erlebnisse durch den Rationalisten Lockwood.
Die Wandlung Heathcliffs vor seinem Tode im Roman und die Nutzung der Tonarten im Lied deuten für mich eindeutig auf ein positives Ende hin. Die Liebe zwischen den Kindern der nächsten Generation erinnert Heathcliff an seine Beziehung zu Cathy. „Sie lässt die harmonische Einheit, die durch den Verrat Cathys zerstört worden war, erneut aufleben und besänftigt gewissermaßen die Rachegeister. Möglich ist die Interpretation, dass es so auch zu einer Versöhnung mit dem Geist der verstorbenen Cathy kommt. Das offene Fenster an seinem Bett und Heathcliffs triumphierender, glückseliger Gesichtsausdruck im Tod weisen darauf hin, dass er schließlich Cathys Geist erblickte, als sie seine Seele ins Jenseits holte.“ (3) Zusammen mit Edgar findet Heathcliff seine letzte Ruhestätte im Grab neben Cathy. Die Toten, so wird im Roman gesagt, sind zur Ruhe gekommen. Es geht um Liebe – der ganze Text ist mit Zärtlichkeit gesungen (ein böser, rächender Geist würde anders singen). Die Liebe im Zauber von A-Dur erfüllt sich im Sterben in b-Moll. Der ganze Song ist eine Vision Heathcliffs in den letzten Minuten seines Lebens. Ein Bruch in der Natur wird endlich geschlossen. Sowohl Cathy als auch Heathcliff finden Frieden.
Alle so typischen Elemente von Bush-Songs sind hier schon enthalten. Inspirationen aus Romanen oder Filmen dienen als Zündfunke, komplizierte und nicht eindeutige Liebesbeziehungen werden thematisiert, das Geschehen ist mysteriös und auf den ersten Blick nicht erklärlich. Ein Schleier des Geheimnisses liegt über allem. Ins Herz treffend intuitiv werden die Tonarten verwendet. Die Emotionen brennen sich beim Zuhörer ein und lassen ihn nicht los.
Die Single wurde von der Plattenfirma EMI am 20. Januar 1978 in Großbritannien veröffentlicht und erreichte am 11. März die Position 1, die sie vier Wochen lang halten konnte. Kate Bush war damit die erste Frau, der es gelang, mit einer Eigenkomposition auf die Nummer-eins-Position in Großbritannien zu kommen (2). Ich kann es bis heute nicht richtig begreifen – wie kann so ein Lied ein Hit werden? Es ist noch heute ein Schlag in das Gesicht jeder Mainstream-Popmusik und zeigt zugleich, was sich Popmusik trauen kann. Es lässt noch heute das Herz erschauern. Vielleicht beruht genau darauf seine immense Wirkung.
Achim/aHAJ)

(1) Rob Jovanovic, Kate Bush. Die Biographie. 2006. Koch International GmbH/Hannibal. Höfen. S.68
(2) https://de.m.wikipedia.org/wiki/Wuthering_Heights_(Lied) (gelesen 09.08.2015)
(3) https://de.m.wikipedia.org/wiki/Sturmhöhe (gelesen 09.08.2015)
(4) Graeme Thomson: Kate Bush. Under the ivy. 2013. Bosworth Music GmbH. S. 118
(5) Hermann Beckh: Die Sprache der Tonart in der Musik von Bach bis Bruckner. Verlag Urachhaus. Stuttgart 1999. S.136ff
(6) Hermann Beckh: Die Sprache der Tonart in der Musik von Bach bis Bruckner. Verlag Urachhaus. Stuttgart 1999. S.231ff

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