Das Song-ABC: Mrs. Bartolozzi

abcMehrfach lassen sich deutliche Parallelen zwischen Kate Bushs Klavierliedern und den romantischen Liedern von Franz Schubert ziehen. Um diese Ähnlichkeit zu veranschaulichen soll nun exemplarisch Kate Bushs Klavierlied „Mrs.Bartolozzi“ mit Franz Schuberts „Gretchen am Spinnrad“ Op. 2 verglichen und in Beziehung gesetzt werden.
Schuberts besondere Fähigkeit als Liederkomponist machte sich laut einer Aussage des romantischen Komponisten und Klaviervirtuosen Franz Liszt mitunter darin bemerkbar, dass er die Fähigkeit besitze, „Gefühle in begrenzte, aber scharf ausgeprägte Konturen“ zu fassen und „lyrische Inspirationen im höchsten Grade zu dramatisieren“. Auffällig ist hierbei, dass auch die Besonderheit von Kate Bushs Schaffen, von ihren Kollegen und Zeitgenossen auf eine ganz ähnliche Weise beschrieben wird. Die Journalistin Lisa Ortgies beschreibt im Rahmen einer Dokumentation des Senders ARTE Kate Bushs musikalische Inszenierung lyrischer Inspiration wie folgt: „Kate Bush has covered the story as if she was the spirit of the Bronte-sisters“. Auch die Autorin Celeste Fraser Delgado äußert sich zur Behandlung der menschlichen Gefühlswelt in Bushs Arbeiten:
„I think she is very different from american popstars because, most of them always sing the same kind of love song. What makes Kate Bush different is that she explores the complicated and contradictory feelings people have in the experience of love“.
Während Schuberts „Gretchen am Spinnrad“ einem Text von Johann Wolfgang von Goethe zu Grunde liegt, stammt der Liedtext zu Mrs. Bartolozzi von Kate Bush selbst. Doch scheint ein Vergleich der beiden Lieder auch insofern sinnvoll, da Bush sich immer wieder bei Goethes Faust bedient, wenn es darum geht, dass Menschen bei dem Versuch alles rational erfassen und ergründen zu wollen, scheitern. Zuerst sollte man sich die wichtigsten Merkmale der Klavierlieder Schuberts vor Augen führen, um deren Verwendung und Transformation in Kate Bushs Liedern besser zu verstehen.
Generell ist festzuhalten, dass die Melodik in Schuberts Liedern vor allem von kleinen Intervallschritten geprägt ist und eher selten größere Sprünge aufweist. Seine Lieder sind sehr kantabel und beinhalten meist ausgedehnte rezitativische Passagen. So bekommt die Verwendung von Sprüngen und ariosen Partien meist auch eine wichtige Bedeutung auf inhaltlicher und interpretatorischer Ebene. Gleichzeitig implizieren seine Lieder einen sehr opernhaften Gestus, der durch die Emanzipation der Klavierbegleitung verstärkt wird. Dies gilt auch für Bushs Kompositonsstil. Hiermit wurde bereits ein weiteres Merkmal des schubertschen Klavierliedes genannt. Der Klaviersatz dient nun nicht mehr ausschließlich der Harmonisierung einer Gesangsmelodie, sondern wird zum eigenständigen Partner der Gesangsstimme.
bartolozziOftmals dient der Klaviersatz als formgebendes Element auf rhythmischer Ebene, zeichnet Bewegungsabläufe ab oder bildet gar eine Nebenstimme zum Gesang. So kann auch die Nähe zwischen Sänger und Klavier als interpretatorisches Mittel genutzt werden. Was Franz Schuberts wie auch Kate Bushs Klavierlieder auszeichnet ist, dass sich beide bereits wohl bekannter Formern und Mittel bedienen, sie jedoch in ungewohnter, neuer Weise zum Einsatz bringen und diese in einen neuen Kontext stellen.
Ein weiterer typischer Charakter für das romantische Klavierlied ist seine von Terzabständen geprägte Harmonik. Der starke Wechsel zwischen Moll und Dur und der damit verbundene Wechsel der Stimmungen. Auch frühe Modulationen, die besondere Verwendung der Subdominante, der Verzicht auf harmonische Logik, Plagalschlüsse anstelle authentischer Kadenzen, auffällige Tonrepetitionen, Tonartendeutung und die Verwendung fester rhythmischer Bewegungsabläufe sind genretypisch.
Während Schuberts Gretchen am Spinnrad in Liebeskummer versunken die Fäden ihres bevorstehenden Schicksals spinnt, findet sich Kate Bushs Mrs. Bartolozzi beim Wäschewaschen mit ihrer neuen Waschmaschine wieder.
Beide Frauen schwelgen in schwermelancholischer Erinnerung an ihre Männer und sind eingebunden in hausfrauliche Tätigkeiten. In beiden Liedern stellt das Fenster als typisch romantisches Symbol die Verbindung zu nicht erreichbaren Welten, Sehnsüchten, Personen dar und zugleich die Situation einer isolierten Wartenden, die in diesem Kontext im Schatten ihres berühmten bzw. erfolgreichen Mannes steht.

„… Nach ihm schau ich zum Fenster hinaus…“ (aus Gretchen am Spinnrad)
„… Out of the corner of my eye I think I see you standing outside…“ (aus Mrs. Bartolozzi).

Um das Bild des romantischen Fensterblickes zu verstärken, fügt Kate Bush in ihrem Booklet direkt neben den zitierten Vers, das Bild eines alten Fensters ein, das dem Betrachter einen diffusen Ausblick in einen sommerlichen Garten ermöglicht. Im Zentrum des Gartens ist eine behangene Wäscheleine zu sehen.
Betrachtet man beide Lieder nun auch auf tonaler Ebende, so fällt auf, dass beide in der Tonart D-Moll, einer Tonart die der Schillingschen Encyclopädie nach zur Darstellung „schwermüthiger Weiblichkeit“ dient und „tiefe Trauer“ zum Ausdruck brächte. Es scheint also schlüssig, dass sich Schubert dieser Tonart hinsichtlich seiner Textvorlage bedient und es mag auch kein Zufall sein, dass Bush in ihrer Rezeption der Romantik ebenfalls D-Moll als Tonart vorzieht. Obgleich dies in direkter Anlehnung zu Schuberts romantischem Schlüsselwerk „Gretchen am Spinnrad“ geschehen sein mag, oder ob sie auf Grund ihrer Sensibilität und Faszination für Tonarten instinktiv D-Moll als Haupttonart gewählt hat bleibt offen.
So lässt sich der harmonische und thematische Rahmen durchaus als nahezu deckungsgleich definieren. Während bei Schuberts Gretchen die Unruhe zum Programm wird, liegt bei Kate Bush der Fokus bei der Monotonie. In beiden Fällen wird das Warten und das Trauern zum undurchdringlichen Kreislauf im Klaviersatz um den sich alle Gedanken drehen. Bei Schubert durch schnelle, gleichmäßige, in sich kreisende Sechzehntelfiguren im pianissimo, einer gleichförmigen Begleitstruktur im 6/8 Takt und einem Orgelpunkt in der linken Hand. Bei Bush durch ein gleichbleibendes Muster aus ab- und wieder aufsteigenden Viertel- und Achtelnoten in der rechten Hand, während die linke Hand ebenfalls einen Orgelpunkt bildet und dazu auf der Quinte eine rhythmisch fixe, rezitativische Begleitung aufbaut.
Festzuhalten ist, dass die jeweils rechte Hand der beiden Klaviersätze ein sehr regelmäßiges, typisches Kreisen, der Maschinen skizziert, während die linke Hand den Rhythmus des Fußpedals am Spinnrad oder das Pumpen der Waschmaschine vertont. Gleichzeitig steht jenes Kreisen für ein mentales Kreisen und gefangen sein der Protagonistinnen.Um die Monotonie und Eintönigkeit zu illustrieren, verwenden beide Komponisten über weite Strecken hinweg feste Akkordfolgen als Grundlage ihres maschinenhaften, statischen Klaviersatzes.
Schubert wählt als Akkordfolge (Takt 49-65), ein Muster, das den jeweils neuen Akkord erst über einen bereits voraus greifenden Dominantseptklang erreicht. So gelingt es ihm von E-Dur (Takt 49) bis nach B-Dur zu modulieren um rechtzeitig am Höhepunkt des Textes angelangt, mit sämtlichen logischen, harmonischen Gesetzen zu brechen.
Bei Bush gestaltet sich die harmonische Begleitung ganz ähnlich. Schon Takt eins beginnt mit einem dominantischen Septakkord in Moll, welcher bereits auf Schlag zwei zum Akkord der Haupttonart D-Moll führt. Die Begleitung besteht also aus einem Wanken zwischen der Tonika D-Moll und der Molldominante A-Moll. Die Besonderheit ist hierbei jedoch die linke Hand, die mit ihrem permanenten Orgelpunkt auf dem Ton d.
Eine ständige Spannung zwischen Orgelpunkt und der Terz des A-Moll Dreiklangs, aber auch die Reibung zwischen der Quinte des Tonikaklangs D-Moll und einer hinzugefügten Sexte h, lassen den Eindruck eines krampfhaften Festhaltens an Erinnerungen entstehen.
Eine Spannung die sich nie ganz aufzulösen scheint und wenn, dann nur scheinbar. Möglicherweise findet hier die Vertonung eines „Nicht loslassen wollen“ der verwitweten Mrs. Bartolozzi statt. Die Auflösung in harmonisch klare Gefilde hätte auch dem Reinigungsprozess ihrer zu waschenden Wäsche gleichgesetzt einen aus ihrer Sicht, den Geliebten vermeidlich auslöschenden Akt zur Folge.
Der Höhepunkt in der Melodik findet sich in Takt 100 auf dem Ton Es, der harmonisch von einem C-Moll Akkord mit None harmonisiert wird. Hier befindet sich Bush harmonisch eigentlich auf der Dominantparallele jedoch wieder in einer Mollvariante. Die gewählten Akkorde sind demnach nicht wirklich eindeutig miteinander verwandt, sondern stehen lediglich in Terzverwandtschaft zueinander, was auch als ein typisches Merkmal, die Harmonik der schubertschen Klavierlieder auszeichnet. Durch den stetigen Wechsel von Moll und Dur und der Verwendung von Terzrückungen entstehen starke Eintrübungen, die einen wichtigen Beitrag zur Stimmung der Lieder leisten.
Abschließend lässt sich festhalten, dass die Klavierlieder von Kate Bush oftmals auf thematischer, harmonischer und vor allem auf der Ebene der Klavierbegleitung einen sehr romantischen Gestus entwickeln. Die Art des Gesangs pendelt dabei immer wieder zwischen klassischer Gesangstechnik und improvisierender Popstimme, was dazu führt, dass die Atmosphäre der Lieder an die opernhaften Züge der romantischen Kunstlieder erinnert. Thomas Schöberl

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