Es ist so weit: 35 Jahre nach ihrer ersten und einzigen Tournee wird Kate Bush heute Abend erstmals wieder ein eigenes Konzert geben. Alle 22 Konzerte sind seit Monaten ausverkauft – die Party kann beginnen. Vieleicht ist das genau der passende Moment, zu versuchen, Kates Musik einzuordnen – abseits der üblichen biographischen Angaben. Die Anfänge 1978 sind bekannt: Mitten in die Punk-Bewegung und das normale Disco-Gestampfe platzt ein junges Mädchen mit ungewöhnlicher Stimme und singt über einen englischen Literaturklassiker, den sie bis dahin nur als Film gesehen hat und erzählt die Geschichte von Wuthering Heights in fünf Minuten Musik eindringlicher, als es 90 Minuten Film vermögen. In der von Männern geprägten Musikwelt schafft sie es als erste Frau mit einem selbstgeschriebenen Song auf Platz 1 der englischen Charts. Es gab damals keine vergleichbare Musik; schon gar niemanden, der wie in dem Song Strange Phenomena das Thema Menstruation verarbeitete. Kate Bush war nie provokativ, aber immer deutlich. Im September 1978 tritt sie in einer Kindersendung der BBC auf, unterhält sich erst mit dem Moderator und singt dann den Song Kashka from Baghdad. 1978. BBC. Kindersendung. In dem Song geht es um zwei schwule Männer, die zusammen leben. Oder ein Jahr später: der Song Wow, in dem es um junge Schauspieler geht und was sie für ihre Karriere alles machen – in einem Popsong, der so unscheinbar daherkommt. Wow. Unbelieveable. Dafür lassen sich viele weitere Beispiele finden. Von Army Dreamers, in dem sie aus der Sicht einer Mutter zwei Jahre vor dem Falkland-Krieg den Irrsinn von Kriegen anschaulich deutlich macht oder in Breathing, wo sie inmitten der Diskussion um den Nato-Doppelbeschluss die Ängste vor einem atomaren Krieg verarbeitet.
Und dann kommt das, was die meisten Kritiker vollkommen verstört hat: ein nicht-kommerzielles Album, mit dem Kate nicht zum letzten Mal allen Konventionen trotzt und dem Synonym „elfenhaft“ gerne noch der Begriff „verschroben“ hinzugefügt wird. The Dreaming ist schon deshalb eine musikalische Offenbarung, weil Kate erstmals das durchsetzt, was sie von Anfang an wollte: ihre Songs selbstverantwortlich zu produzieren. Auch im Jahr 1982 ist das immer noch die absolute Ausnahme. Erst recht, wenn es um musikalisch schwer verdauliche Kost geht, die nicht dem Hitparaden-kompatiblem Mainstream entspricht, sondern ein Zuhören und Mitfühlen erfordert. This album was made to be played loud. Dass Kate drei Jahre später mit Hounds of Love plötzlich wieder den Mainstream trifft und das Album mit zu ihren erfolgreichsten Platten gehört, ist verwunderlich. Auch deshalb, weil potenziell viele Käufer die zweite Seite vermutlich nur selten gehört haben. Fünf Songs gibt es auf Seite eins, vier davon erscheinen als Single und sind dank aufwändiger Video-Produktionen unter anderem mit Donald Sutherland überaus erfolgreich. Die zweite Seite The Ninth Wave ist eine Art Konzeptalbum und gilt bis heute als eines ihrer Meisterwerke – inhaltlich wie musikalisch. Wie ein Film für die Ohren, wie es kürzlich Bradley Brady in seinem wundervollen Blog so treffend beschrieben hat. Nie war Kate präsenter als damals. Für viele, die sie eher nebenbei gehört haben, hat sich die Kate Bush von 1985 manifestiert. Und wenn man heute erzählt, dass man zu einem Kate Bush-Konzert fährt und die zu erwartende Antwort erhält „Wie, die gibt es noch?!“, kann man das Bild einer Kate von 1985 sehen, wie sie gerade Running up that hill singt. Dabei gab es danach noch Alben wie The Sensual World oder The Red Shoes. Wer kann so wie Kate James Joyce in eigenen Worten vertonen? Oder so einen Song wie Rocket’s Tail schreiben und dabei das Trio Bulgarka mit David Gilmour zusammenführen? Und wer einmal Moments of Pleasure gehört hat, muss einfach dahinschmelzen.
Statt der erwarteten neuen Tour gibt es dann – nichts. Warten. Zwölf Jahre lang. Vielleicht ist es genau die Abwesenheit gewesen, die bei ihren Fans dazu geführt hat, ihr die Treue zu halten. War Kate bis 1993 Teil des Musikgeschäftes, galt sie danach schlicht als verschollen. 15 Jahre lang hat sie Alben veröffentlicht, Videos produziert und eine konzeptionell wegweisende Tour absolviert. Und mit ihrer Musik wiederum andere Musiker und vor allem Musikerinnen geprägt. Von Björk bis Coldplay, von Outkast bis Johnny Rotten (!), Tori Amos oder Tricky – Kate Bush hat mit ihrer Musik viele Wege bereitet. Und sich selbst von Album zu Album stets weiterentwickelt, allen Pop-Konventionen entzogen. Als sie nach zwölf Jahren Wartezeit ihr Doppelalbum Aerial ohne große Promotion auf den Markt bringt, das angelehnt an Hounds of Love wieder mit einer Konzeptseite und Songs, die vollkommen aus dem Rahmen fallen, aufwartet, singt sie nebenbei über eine Waschmaschine oder die Zahl Pi und unterhält sich mit Vögeln. Klingt spinnert, ist musikalisch aber absolut berauschend. Seit Pink Floyd’s The Wall hat mich kein Konzeptalbum mehr berührt als Aerial. Sie produziert analog, verweigert sich nahezu komplett der Remaster ihrer bisherigen Alben, veröffentlicht wieder auf Vinyl. 2011 folgt mit 50 Words for Snow ein leicht jazzig angehauchtes, piano-lastiges Album, das ähnlich skurrile Geschichten vorweisen kann: wer, bitteschön außer Kate Bush, kann ernsthaft über Sex mit einem Schneemann singen, ohne, dass es peinlich wird?
22 Konzerte wird Kate Bush ab heute geben. 22 Konzerte, auf die viele Fans seit Jahren, teilweise seit Jahrzehnten gehofft haben. Für die meisten Fans war die Wiedervereinigung von Abba wahrscheinlicher. Um Kate einmal live zu hören, fliegen Fans aus Japan, Neuseeland, Australien, den USA und Kanada nach London. Und ziemlich viele aus Deutschland. Und das Verrückteste: Niemand hat einen blassen Schimmer, was überhaupt bei den Konzerten passieren wird. Nur so viel: sie wird fast 30 Jahre alte Songs von The Ninth Wave singen. Aber es wird vermutlich die einzige Gelegenheit sein, sie überhaupt live zu hören. Und das reicht.
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