Das Song-ABC: The Fog

abcWenn Kate Bush in einem Lied Beziehungen direkt thematisiert, dann geht es nicht einfach zu. Romantische Liebe, Herzschmerz und Tralala sind nicht ihre Sache. Beziehungen sind bei ihr komplex und wer sich hineinbegibt, der betritt ein geheimnisvolles Terrain. Zwei Personen lassen sich aufeinander ein, müssen neu lernen und insbesondere zu Beginn ist die Furcht groß, sich zu verlieren, die andere Person zu verlieren. Wie schafft man es, diese Furcht nicht zuzulassen und den nötigen Freiraum zu geben? Diese Thematik wird durch „The Fog“ beleuchtet.
Diese Furcht vor der Ungewissheit und der unbekannten Zukunft ist für Kate Bush eine ganz natürliche Reaktion, die man in den Griff bekommen kann. „Again, I think it’s such a human condition, where we actually, a lot of the time, have such fear of things actually there’s no need to be frightened of at all. It’s all in our heads, this big kind of trap — you know, that actually it’s not always as terrifying as we think. Again, you know, it’s meant to be saying ‚OK, so it can be rough but there must be a way out — it’s all right!'“ [1]
Die Protagonistin des Songs befindet sich gerade in dieser archetypischen Situation. Kate Bush illustriert die Gefühle zwischen Furcht und Euphorie mit Bildern, die wegen ihrer Eindrücklichkeit im Gedächtnis bleiben. Wie so oft haben die Bilder mit Wasser zu tun. Wasser ist ja DAS zentrale Bilderthema bei Kate Bush, wie viele ihrer Songs beweisen. Die Situation in einer Beziehung wird in „The Fog“ damit verglichen Schwimmen zu lernen. Schwimmen lernen – diese Erfahrung hatte man schon einmal in der Kindheit, als einem das der Vater beigebracht hat. Es brauchte Mut und Vertrauen. Kate Bush spricht in einem Interview auch von der Furcht vor dem Ertrinken – das ist ein Wiederaufscheinen der Welt von „The ninth wave“.  Die Erinnerung an all das leuchtet auf und bringt wie ein Blitz in düsterem Himmel Licht in eine aktuelle Situation.
Kate Bush hat diese Thematik in Interviews offen erläutert. „It’s meant to be the idea of a big expanse of water, and being in a relationship now and flashing back to being a child being taught how to swim, and using these two situations as the idea of learning to let go. When I was a child, my father used to take me out into the water, and he’d hold me by my hands and then let go and say ‚OK, now come on, you swim to me‘ As he’d say this, he’d be walking backwards so the gap would be getting bigger and bigger, and then I’d go. I thought that was such an interesting situation where you’re scared because you think you’re going to drown, but you know you won’t because your father won’t let you drown, and the same for him, he’s kind of letting go, he’s letting the child be alone in this situation. Everyone’s learning and hopefully growing and the idea that the relationship is to be in this again, back there swimming and being taught to swim, but not by your father but by your partner, and the idea that it’s OK because you are grown up now so you don’t have to be frightened, because all you have to do is put your feet down and the bottom’s there, the water isn’t so deep that you’ll drown. You put your feet down, you can stand up and it’s only waist height. Look! What’s the problem, what are you worried about?“  [1]
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In „The Fog“ erinnert sich Kate daran, wie ihr Vater ihr das Schwimmen beigebracht hat. Auf „Aerial“ zeigt sie sich mit ihrem Sohn unter Wasser.

Der Song beginnt damit, dass sich die Protagonistin versichert, dass sie nun erwachsen ist. „You see, I’m all grown up now.“  Eine Erinnerung kommt herein, an die Kindheit. Die Stimme des Vaters ertönt, der dies ähnlich früher schon gesagt hat: „Just put your feet down child, ‚Cause you’re all grown up now.“. Vergangenheit und Gegenwart vermischen sich in dieser Vergewisserung, dass man kein Kind mehr ist und keine Angst mehr haben muss. Erwachsen werden, Beziehungen eingehen – das ist so wie damals, wie das Schwimmen lernen.  Diese Einleitung ist ruhig, es ist ein zarter und sparsam instrumentierter Beginn, von Trommeln und irischen Flöten grundiert. Irische Musik, das  ist ebenfalls ein Blick in die Vergangenheit. Kate Bush hat irische Wurzeln, diese Musik erweckt das Gefühl von Heimat und Kindheit, von Kate Bush in mehreren Songs ähnlich benutzt.

Kate Bush lässt die Stimme des Vaters von ihrem eigenen Vater sprechen, was den Bezug zur Kindheit verstärkt und das Geschilderte autobiographischer und noch realer werden lässt. „I love using bits of dialogue in music as well. We haven’t done too much of that on this album, but I have used my parents and my family and friends before to speak various passages. Obviously in this song, because it was within the context of a father teaching a child to swim, I thought it was — who else could have done it? Who else?“  [2]
Die erste Strophe („Just like a photograph […]“) setzt ganz ruhig ein, die Stimme ist klar und eher hoch. Heimatlich und warm ist die Melodie, die Stimmung ist die von Vertrauen und Geborgenheit. Die Protagonistin ist nah bei sich und ihrer Beziehung. Mit „You slip into the fog“ aber kommen auf einmal die oben angesprochenen Gefühle der Angst hervor. Wird man das schaffen? In einer orchestralen Überleitung rollen sich auftürmende Orchesterwellen herein, eine Wand aus Wellen oder Nebel, immer mächtiger, bedrohlich, Angst auslösend. Leuchtend darüber schwebt eine Solovioline (von Nigel Kennedy gespielt), dazu kommt dann tiefer ein Solocello. Bei diesem Paar von Soloinstrumenten frage ich mich, ob dies das Paar ist, um das es in diesem Song geht.
Der Nebel ist ein Symbol für Irrtum, Ungewissheit, Unbewusstheit, Verlorenheit und Einsamkeit, aber auch für den Übergang von einem Zustand zum anderen und auch die Grauzone zwischen Realität und Irrealität bzw. den Zustand des Vagen und Fantastischen [3]. Niemand weiß, was sich im Nebel verbirgt und wohin der Weg führt. In den Märchen Mitteleuropas steht er häufig für die Ungewissheit der Menschen gegenüber dem Kommenden und Jenseitigen, die nur durch Licht (Erleuchtung) durchbrochen werden kann [3].
Diese orchestrale Stelle war die Keimzelle des Songs. „That started at the Fairlight. We got these big chords of strings, and put this line over the top, and then I got this idea of these words – slipping into the fog. I thought wouldn’t it be interesting to sort of really visualize that in a piece of music, with all these strings coming in that would actually be the fog. So I wrote a bit of music that went on the front of what I’d done, and extended it backwards with this bit on the front that was very simple and straightforward, but then went into the big orchestral bit, to get the sense of fog coming in.“  [4]
nigelkate400Die musikalische Struktur wurde von hier aus weiter entfaltet. „Then we put a drummer on, and Nigel Kennedy, the violinist, came in and replaced the Fairlight violin, which changed the nature of it. He’s great to work with – such a great musician. The times we work together we sort of write together. I’ll say something like, ‚what about doing something a bit like Vaughan Williams?‘, and he’ll know the whole repertoire, and he’ll pick something, and maybe I’ll change something. By doing that we came up with this different musical section that hadn’t been on the Fairlight.“  [4] Die Geschichte selbst entstand dann um diese musikalische Keimzelle herum. „So when I got all this down it seemed to make sense story-wise. This new section became like a flashback area. And then I got the lyrics together about slipping into the fog, and relationships, trying to let go of people.“ [4]
Die bedrohliche Nebelwand bleibt bis zum Schluss des Songs präsent und erdrückt fast die Stimme der Protagonistin. Das ist kein gemeinsames Musizieren zwischen Stimme und Begleitung, das ist ein Kampf mit einer bedrohlichen Macht, das ist eine Überwältigung durch bange Gefühle. Ab „This love was big enough for the both of us“ ist die Singstimme zudem tiefer als zu Beginn des Songs, sie hebt sich weniger ab vom Hintergrund. Hier ist noch mehr das Gefühl da, hinter Nebel zu verschwinden. Die Stimme des Vaters wird wieder in Erinnerung gerufen in diesem Chaos mit „He said: […]“, aber auch das ist viel leiser als zu Beginn. Immer heftiger branden die Orchesterwellen heran, dazu erklingt die Solovioline. Die Stimme verschwimmt fast hinter der Nebelwand und der Hörer verliert ebenfalls beinahe die Orientierung. Meeresvögel mischen sich in den Hintergrund.
Diese Stimmung war eine bewusste Entscheidung, die sich im Verlauf des Kompositionsprozesses immer weiter konkretisierte. „It sounded great with the Fairlight holding it together, but it just didn’t have the sense of dimension I wanted. So we got hold of Michael Kamen, who orchestrated some of the last album, and we said we wanted this bit here with waves and flashbacks. He’s really into this because he’s always writing music for films, and he loves the idea of visual imagery. So we put his orchestra in on top of the Fairlight. Again a very complicated process, and he was actually the last thing to go on. I don’t know how anything comes out as one song, because sometimes it’s such a bizarre process. It does seem to work together somehow.“ [4]
Zum Schluss des Songs ist wieder die höhere Stimme da, verträumt und kindlich vertrauend wie zu Beginn – die Orchesterwellen hören auf, die innere Ruhe ist wieder hergestellt.
Auch die Harmonik des Liedes ist interessant. Es beginnt in c-Moll, kann sich dann aber nicht richtig entscheiden. Beim zweiten „Just put your feet down child“ beginnt ein Wechsel zur Paralleltonart Es-Dur. Dieses Es-Dur gewinnt am Schluss immer mehr die Oberhand [5]. Beide Tonarten stehen für die Wiederaufwärtswendung zum Lichte. Beide haben einen starken, positiven, kämpferischen Charakter. Es-Dur ist die „Freude an der Wiedergeburt des Lichts“, c-Moll diejenige Tonart, die am festesten auf dem Boden, am stärksten auf der Erde steht, ein Zeichen eigener Kraft und Stärke [6]. Auch in der Harmonik spiegelt sich also dieser Konflikt zwischen Grundvertrauen (in den Vater, c-Moll) und dem sich Hindurchkämpfen (Es-Dur) wieder.
Es stellt sich unwillkürlich die Frage, ob und wie weit das Lied autobiographisch ist. Die Antwort von Kate Bush dazu ist wie so oft ehrlich, aber ohne zu viel über die Tiefen zu verraten. „Yes, it does, doesn’t it? Have you ever watched Woody Allen being interviewed? Obviously his films are very personal and when the interviewer asks him the ‚Has this happened to you then?‘ question, he’s all… .Then he’ll say, Uh, well, no, I’m just acting out a role. It’s ironic, but it’s much easier to speak about very personal things to lots of people through a song, a poem or a film than it is to confront the world with them through someone asking questions. Maybe you worry because it’s going to be indirectly reported.“ [7]
War eine zusätzliche Inspirationsquelle der Film „The Fog“ von John Carpenter? Allein schon die Namensgleichheit beider Titel könnte darauf hinweisen. Im Film hüllt ein unheimlicher und bedrohlicher Nebel eine kleine Stadt ein und die darin befindlichen Geister rächen sich an den Bewohnern für ein Verbrechen aus der Vergangenheit [8]. Wenn ja, dann hat das Unheimliche des Nebels Eingang in den Song gefunden. Auch das Radio („Just like a station on the radio, I pick you up.“) könnte ein Echo aus dem Film sein, in dem nämlich eine Radiomoderatorin, die allein von einem Leuchtturm aus auf Sendung ist, die breite und seltsam leuchtende Nebelbank auf die Stadt zukommen sieht und die Bewohner warnt [8]. Es gibt aber auch gravierende Unterschiede. Im Song ist die Vergangenheit positiv, im Film negativ. Die Inspiration war also wohl – wenn vorhanden – eher gering und auf die Atmosphäre bezogen.
Ein gutes Fazit zu „The Fog“ zieht Grame Thomson und ich möchte mich dem anschließen: „Ein Song über den Mut, den es braucht, das sichere Nest zu verlassen und allein in tiefes Wasser zu schwimmen, und er findet Zuversicht in der Tatsache, dass die Vorstellung, sich vom sicheren Grund abzustoßen, oft viel schlimmer ist, als das Erlebnis, wenn man es wagt.“ [9]  © Achim/aHAJ
[1] Roger Scott: Radio One Interview. 14.10.1989
[2] N.N. – Interview  WFNX Boston. Herbst 1989
[3] http://www.symbolonline.de/index.php?title=Nebel (gelesen 16.03.2017)
[4] Tony Horkins: What Katie Did Next. International Musician. 12/1989
[5] Kate Bush: Songbook „The sensual world“. 1990. London. EMI Musiv Publishing Ltd. S.15ff
[6] Hermann Beckh: Die Sprache der Tonart in der Musik von Bach bis Bruckner. Verlag Urachhaus. Stuttgart 1999. S.123 – 126
[7] Phil Sutcliffe: Iron Maiden. Q. 11/1989
[8] https://de.wikipedia.org/wiki/The_Fog_%E2%80%93_Nebel_des_Grauens_%281980%29 (gelesen 13.03.2017)
[9] Graeme Thomson: Kate Bush. Under the ivy. 2013. Bosworth Music GmbH. S.303

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