Das Song-ABC: Joanni

abcDieser Song ist einer derer, die auch von den Fans weniger beachtet werden. Zuerst konnte auch ich mich nicht so richtig mit ihm anfreunden – es hat gedauert, bis er „gezündet“ hat. Aber er muss für Kate Bush etwas Besonderes sein, er hat seinen Weg in die „Before the dawn“-Show gefunden. Es ist also an der Zeit, sich seiner subtilen Komplexität zu widmen.
„Joanni“ ist eines der Lieder von Kate, die sich mit einer realen Person der Vergangenheit beschäftigen. Diese zeitgeschichtlichen Lieder finden sich auf vielen ihrer Alben (Beispiele sind „Houdini“, „Delius“, „King of the Mountain“). In ihnen wird jeweils ein ganz konkreter Aspekt einer Person bzw. eine ganz konkrete Person textlich und musikalisch beleuchtet. Das Wesen einer Person, der Bedeutungsinhalt einer Situation wird wie durch ein Brennglas gebündelt und konzentriert. Es geht um die Erleuchtung eines Mythos.
Joanni handelt von Johanna von Orleans. Es ist ein Lied über eine fast schon sagenhafte Gestalt der Historie. Ein junges Bauernmädchen von göttlichen Visionen getrieben bezaubert ein Heer, führt es zum Sieg. Dann verraten, verbrannt, rehabilitiert, heiliggesprochen. Eine Heiligengestalt, eine Heldengestalt. Das Lied versucht, einen Moment der Faszination wiederzugeben.
Im Booklet ist auf der Joanni-Seite Kate Bush abgebildet, wie sie den Betrachter anschaut. Sieht sich Kate ein bisschen wie Joanni? Schildert sie sich in diesem Lied selbstironisch als das (immer noch) junge, kriegerische, von ihrer Musik besessene Mädchen, das ihre Fans mitreißt und sich das selbst nicht richtig erklären kann?
Die dargestellte Sicht ist die eines Beteiligten auf dem Schlachtfeld, der zuerst schildert, dann jubelt, dann mitmarschiert. Der Ton wandelt sich von neutraler Darstellung des Geschehens über Begeisterung zur Hingabe. Die Musik ist dabei durchsichtig und ruhig, enthält aber viele eingewobene Details im Hintergrund. Das ganze Lied ist gestaltet wie eine Mini-Oper über Faszination.
Der Beginn erinnert ein bisschen an den Stil von „Massive Attack“. Ein ruhig pulsierender Rhythmus erscheint aus dem Nichts, die Musik schwillt an, Spannung baut sich auf. Es lässt an Filmmusik und an eine Aufblende denken, Erwartung liegt in der Luft. Etwas beginnt ganz eindeutig.
Die Strophen sind kurze Situationsbeschreibungen. In der ersten Strophe wird das Schweigen und Verstummen beim Auftreten von Johanna geschildert. Die musikalische Umsetzung ist voll bebender, sich in der nächsten Strophe (wenn die Waffen nicht mehr schweigen) noch steigernder Erwartung. Jede Strophe endet mit einer verzückten, beinahe ungläubigen Betonung der Unglaublichkeit („Who is that girl?“). Man kann die Aufregung mithören und mitfühlen. Ich fühle das Außerordentliche (Goldene), das sich in Johanna von Orleans verbirgt.
Die Stimme springt hier zwischen Tönen hin und her. Es ist keine richtige Melodie, eher kann man es als ein Rezitativ oder ein Melodram beschreiben, als Sprechgesang. Hinreißend, wie Kate Bush bei „all the cannon are firing“ das „firing“ singt! So viel Emotion in einem Wort…. dieses Beben, dieser Anflug von Furcht, dieses Zittern, ein Hauch von Begeisterung, von Vorfreude – dazu dieser Tonsprung nach oben – wie sie diese Gefühle weiterträgt Wort um Wort: Ich liebe diese Stelle. Kate Bush findet für jede Situation, für jede Emotion eine eigene Stimme. Da ist nichts Stereotypes, keine Oberflächlichkeit.
Der Refrain dagegen ist melodisch und jubelnd. Die Beobachtung geht in Enthusiasmus, Bewunderung und Begeisterung über. Die Stimme wird herausgerissen aus dem Sprechgesang und mitgerissen. Johanna wird beschrieben in ihrer Rüstung (so taucht sie auch in fast allen Heiligendarstellungen auf), aber hier wird auch jubilierend die Verkleinerungsform „Joanni“ benutzt. Johanna ist bei aller Verehrung immer noch ein junges Mädchen. Im Schlussteil singt Kate dann in merkwürdig „knarzigen“ Tönen. Ist dies der Gesang des mitgerissenen Soldaten? Ich höre das Vorwärtsmarschieren, das Knarren der Rüstungen, das Mitsummen.
In die Musik verwoben sind hier Stimmfetzen, einige fast unverständliche Worte auf französisch. Jeanne d’Arc gab an von himmlischen Stimmen besessen zu sein, neben der Stimme des heiligen Michael waren das die Stimmen der heiligen Katharina und der heiligen Margarita [1]. Dieser französische Text bezieht sich genau auf die historischen Tatsachen  – es sind die Stimmen, die Joanni hört, die sie als kleine Schwester (zukünftige Heilige) anreden, die vom Feuer reden (in dem sie schließlich sterben wird). „Les voix, les voix de feu, / Chante avec nous petite soeur, / Les Vox, les voix, les voix !“ Die Stimmen sind auch ein Blick in die Zukunft, es ist eine verhüllte Todesankündigung. Hier zum Schluss des Songs überlagern sich die Erzählperspektiven der Soldaten und die von Joanni. Alle sind eins in der Vision.
Joanni – eine Minioper über die Macht der inneren Stimmen. Eine Minioper darüber, wie das eigene innere Glühen bei anderen Menschen Faszination und Ekstase auslöst. Bei genauer Betrachtung ist es ein sehr ungewöhnliches und unkonventionelles Lied. Alle sind eins in einer Vision – vielleicht ist auch deshalb dieser Song auf die Setlist für „Before the dawn“ gekommen.
Achim/aHAJ)

[1] W.Bauer, I.Dümotz, S.Golowin,H.Röttgen: Bildlexikon der Symbole; München 1980; S.462 ff.

1 Kommentar

    • Thomas auf 22. Februar 2015 bei 07:28
    • Antworten

    Sehr schön, Achim! Und ja: “ who is that Girl ?“ haben sich damals auch alle gefragt als Kate mit WH im Radio auftauchte.

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