Im September 1985 hat der Journalist Andreas Hub anlässlich der Veröffentlichung der LP „Hounds of Love“ ein Interview mit Kate Bush geführt, dass im November 1985 im „Fachblatt Musikmagazin“ veröffentlicht wurde. Aus gegebenem Anlass dürfen wir es hier noch einmal veröffentlichen. Im zweiten Teil geht es unter anderem darum, wovon „The Ninth Wave“ handelt.
Andreas Hub: Wie schaffst du es immer wieder, so eine starke Einheit von Musik und Text zusammenzubringen? Ich verstehe nicht alles, was du singst (meine Kassette enthielt keine näheren Angaben oder Texte), aber ich fühle, worum es geht. Es können also nicht die Worte sein. Kommen dir Musik und Textidee des Stückes gleichzeitig?
KATE: Ja, oft ist es so, dass ich zuerst die Idee habe, wovon ein Song handeln soll und dann fallen mir parallel Worte und Musik dazu ein. Bei „Hello Earth“ wusste ich z.B., dass es der dramatische Hoehepunkt der Geschichte sein würde. Dafür musste die Strophe sehr langsam sein und der Refrain sehr heftig. Also, ich erklär‘ mal, worum es geht. Wir reden über einen Sturm. Da ist ein Mensch bei Sturm über Bord gegangen und kämpft eine ganze Nacht gegen die Wellen, die Müdigkeit und die Gefahr, aufzugeben. Zu dieser Handlung habe ich alle Stücke der zweiten LP-Seite geschrieben. Ein Konzeptalbum, oder zumindest ein halbes, das war eine Riesenherausforderung für mich und ein langgehegter Wunschtraum. Ich wollte mal etwas machen, wo ich nicht nach drei Minuten mit der Geschichte schon fertig sein muss.
Auch wenn es dir schwerfällt, kannst du noch ein bisschen mehr über die Handlung erzählen?
KATE: Ich wünschte, ich könnte dir einen Film dazu zeigen. Die Bilder würden viel leichter erklären, was ich vorhatte. Da geht also jemand über Bord, nachts. Er wird wahnsinnig müde, will resignieren. Dann ziehen seine Vergangenheit, seine Gegenwart und seine Zukunft an ihm vorbei und versuchen, ihn wachzuhalten und durch diese Nacht zu kriegen. Das sind natürlich auch Metaphern für eine sehr tiefe innere Erfahrung, nach der man am anderen Ende als geläuterter Mensch wieder ans Licht tritt.
Also eine Art von spiritueller Transformation…
KATE: Ja, wie eine Wiedergeburt. Da ist einmal das äußerliche, körperliche Moment, und dann ein Prozess, der im Kopf abläuft, Gedanken, Reisen zu inneren Räumen.
Wasser ist ja ein sehr vielfältig deutbares Symbol.
KATE: Ja, es beinhaltet auch das Gefühl des Schwebens. Dazu kommt hier die Nacht, das Dunkel, der völlige Verlust von Raum- und Zeitgefühl, die Abschirmung von allen äußeren Eindrücken. Und wenn sowas geschieht, kommen sehr merkwürdige Abläufe im Kopf in Gang.
Wie im Isolationstank…
KATE: Ja, obwohl ich selbst keine persönlichen Erfahrungen damit gemacht habe.
Hast du vielleicht „Im Zentrum des Zyklons“ von John C. Lilly gelesen, der ja als erster mit dem Tank experimentiert hat?
KATE: Gelesen leider nicht, aber ich habe Einiges über seine Arbeit gehört, das ich sehr interessant fand.
Ich fürchte, wir kommen langsam in Bereiche, die nicht unbedingt in eine Musikzeitung gehören… Reden wir also wieder über deine Musik. Der Unterschied zwischen deinem letzten Album „The Dreaming“ und dem neuen „Hounds Of Love“ ist frappierend. Ich hatte immer Schwierigkeiten, mir „The Dreaming“ an einem Stück anzuhören, weil es stellenweise sehr an den Nerven zerrte. Hat sich deine musikalische und/oder persönliche Einstellung in den letzten drei Jahren so geändert, dass du jetzt ein recht zugängliches, streckenweise poppiges Album vorlegen kannst?
KATE: Die Musik ordnet sich bei mir immer dem Inhalt der Songs unter. „The Dreaming“ war ein gefühlsmäßig sehr intensives und oft bewusst aggressiv klingendes Album, weil es darum ging, wie schrecklich grausam Menschen sein können, was wir uns gegenseitig antun, welchem Maß an Einsamkeit wir uns gegenseitig aussetzen. Es war ein suchendes, fragendes Album und riss dich mit der Musik ganz schnell von einem Punkt zum nächsten. Es rief sehr extreme Reaktionen hervor, und es gab viele, die sich auf die Stimmung der Platte nicht einlassen konnten oder wollten. Ich war und bin damit allerdings sehr zufrieden, denn ich habe für mich damit definitiv erreicht, was ich erreichen wollte. Ich musste selbst erfahren, was ich da erforschen wollte, und jetzt habe ich die Erfahrung gemacht und kann mich anderen Zielen zuwenden. Plötzlich konnte ich wieder tanzen gehen, habe einen Sommer außer Haus verbracht, was ich jahrelang nicht gemacht hatte. Dabei habe ich mich so positiv gefühlt, dass ich auch Songs schreiben wollte, die eine positive Grundstimmung vermitteln. Das war eine ganz neue Herausforderung, weil ich meine Inspirationen bis dahin eher aus schwermütigen, düsteren Stimmungen bezogen hatte. Aber auf einmal konnte ich mich an Dingen begeistern, die leicht und beschwingt waren. Ich wollte über die positive Kraft der Liebe schreiben und nicht mehr über Menschen, die sich zerstören. Die ganze Energie, die sich dabei entwickelte, übertrug sich auch auf das Album. Dabei wollte ich Liebe nicht nur als fröhliche, lichtvolle Angelegenheit beschreiben, sondern sie in allen, auch ihren dunklen Aspekten zeigen. Die LP hat dadurch zwei sehr unterschiedliche Seiten bekommen. Die erste gibt einen Ausblick auf verschiedene Formen von Liebe und handelt durchweg von Beziehungen, und die zweite Seite geht tiefer, darum auch das alle Stücke umfassende Konzept.
(Mit bestem Dank an Andreas Hub)
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